Читать книгу Träume - Spiegel der Seele, Krankheiten - Signale der Seele - Reinhold Ruthe - Страница 44

Ich gehöre da nicht hin

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Ein Chemiker, der im Forschungslabor eines großen Werkes beschäftigt ist und von seiner Frau zur Beratung gedrängt wurde, hat folgenden Traum:

»Die Firma hat alle leitenden Mitarbeiter eingeladen. Die anwesenden Männer und Frauen sind überaus festlich gekleidet. Alle Frauen tragen lange Gewänder. Die meisten Männer haben sogar eine Fliege umgebunden. Sie stehen zusammen und unterhalten sich angeregt. Ich sehe mich an einem Fenster stehen, mache mir an einer Pfeife zu schaffen und entdecke plötzlich, dass ich nur eine Unterhose anhabe. Einige Herren schauen mich an und schütteln den Kopf. Ich hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst.«

Wir gehen gemeinsam diesen Traum durch.

»Was ist Ihr Eindruck an der dichtesten Stelle des Traumes?«

Der Ratsuchende sagt: »Ich gehöre da nicht hin! Das ist nicht meine Welt.«

Im Traum bringt der Mann sein Lebensproblem zur Sprache. Die Frau leidet unter seiner Sprachlosigkeit. Der Mann flieht zu Hause in den Keller, in dem er sich ein großes Privatlabor eingerichtet hat. Vor der Tür hängt ein nicht zu übersehendes Schild: »Eintritt verboten!«

Der Chemiker ist ein Einzelgänger und Einsiedler. Partys sind ihm zuwider. Er hasst das oberflächliche Geschwätz der Menschen. Er hasst aber auch das »Aufgeputzte« und »Aufgemotzte«. Für ihn bedecken die langen Kleider der Frauen nur ihre Geistlosigkeit.

Er selbst steht im Traum als Einziger abseits. Die anderen können sich gut unterhalten. Sie haben Gesprächsstoff. Er macht sich an seiner Pfeife zu schaffen.

»Wie erleben Sie diese Szene im Traum?«

Der Chemiker lächelt: »Schon als Student habe ich das Pfeiferauchen angefangen. Ich sehe nur einen Grund: Wenn ich an der Pfeife hantiere, muss ich nicht reden. Ich bin beschäftigt. Ich falle nicht auf.«

»Plötzlich sehen Sie sich in der Unterhose. Was geht in Ihnen vor?«

Der Mann sagt: »Du bist anders als die anderen. Hier hast du nichts zu suchen. Elegante Anzüge und Unterhosen vertragen sich nicht.«

»Und die Herren, die den Kopf schütteln?«

»Die kennen mich. Ich bin als Querdenker verschrien. Sie schütteln den Kopf und lassen mich laufen. Keiner wagt es, mich umzustimmen. Keiner redet mir gut zu.«

An dieser Stelle geht die Frau des Chemikers dazwischen. Bis dahin hat sie ruhig zugehört. »Du gibst dir für dein unfreundliches Verhalten die passenden Erklärungen. Du glaubst, die anderen respektieren deine Frechheit. Nein, sie schütteln den Kopf. Und ich schüttele ihn auch. Du bist verheiratet, und wir haben drei Kinder. Wir alle haben ein Anrecht auf deine Gegenwart. Aber du ziehst dich in deine Laborwelt zurück.«

Der Angriff der Frau ist gezielt und überlegt inszeniert. Sie will mich zur Stellungnahme herausfordern. Ich soll für sie gegen ihren Mann Position beziehen.

»Und welche Schlüsse ziehen Sie aus diesem Tun? Was will der Traum Ihnen sagen?«, frage ich.

Der Mann reagiert ganz anders, als die Frau es erwartet hat. Er verteidigt sich nicht und geht auch nicht zum Gegenangriff über. Er sagt: »Du hast mich in die Beratung geschickt, weil du unglücklich bist. Bisher wollte ich das nicht einsehen. Aber ich spüre, auch die Kinder ziehen sich von mir zurück. Ich fühle mich in meiner Forschungsarbeit wohl, da besteht kein Zweifel. Aber ich bin auch einsam. Manchmal sogar sehr einsam. Und ich will da raus. Der Traum hat mir klargemacht, ich bin nicht nur ein Querdenker, ich bin auch ein Querschläger.«

Der Traum wird der Einstieg für eine Reihe von Ehegesprächen zu dritt.

Wahrscheinlich ist der geschilderte Traum kein typisches Beispiel für Nacktträume, aber ein Hinweis, wie gründlich wir unsere Blöße oder unsere Schwächen preisgeben. Auch die Schuld wird vom Träumer so gründlich uminterpretiert, dass sein Lebensstil das Handeln rechtfertigt. Der Lebensstil dieses Mannes bedeutet aber eine verzerrte Wahrnehmung; er spiegelt ein unpartnerschaftliches Denken wider und rechtfertigt die »Ich-gehör-da-nicht-hin-Haltung«. Die therapeutische Seelsorge hat die Aufgabe, die Lebenslügen aufzudecken.

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