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12. JANUAR

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Da fragte der Herr ihn: »Wo ist dein Bruder Abel?«–»Was weiß ich?«,

antwortete Kain. »Soll ich ständig auf meinen Bruder aufpassen?«

1. MOSE 4, 10

Bin ich das Kindermädchen für meine Mitmenschen? Oder haben wir uns vielleicht zu heillosen Egoisten entwickelt?

Wie oft bin ich stumm gewesen, wo ich eigentlich hätte reden müssen?

Wie oft habe ich geschwiegen, wo ich eigentlich hätte schreien müssen?

In seinem Buch »Wer gesehen hat, muss schreien« erzählt Lindolf Weingärtner von einer alten Brücke, die eines Tages einstürzte und viele Menschen mit sich in die Tiefe riss. Nach dem Unglück geschah Folgendes: Menschen sammelten sich an beiden Ufern des Flusses. Und dann erzählte plötzlich einer mit wichtiger Miene, dass er gewusst habe, was passieren würde. Vor drei Wochen war er nämlich am Mittelpfeiler getaucht, weil sich ein Außenbordmotor seines Bootes gelöst hatte und bei der Brücke im Fluss versunken war. Dabei hatte er festgestellt, dass der Pfeiler völlig unterspült war und nicht mehr lange tragen würde.

»Und du hast nicht geschrien, Mann?«, fragte ihn ein anderer. »Hättest du nicht schreien müssen – auf der Straße? Bei der Behörde? Auf dem Bauamt?«

»Ich bin doch kein Fachmann!«, antwortete der Mann. »Mir hätte doch niemand geglaubt. Außerdem war es doch nicht meine Aufgabe, ich bin doch nur ein einfacher Bürger.«

Durch sein Schweigen waren viele Menschen zu Tode gekommen.

Auch ich habe manches Mal geschwiegen, weil ich dachte: »Misch dich nicht ein, wenn du nicht gefragt bist!«

Auch ich habe meine Vernunft sprechen lassen: »Der Mensch ist alt genug. Er muss wissen, was er tut!«

Auch ich habe mich entschuldigt: »Wenn du deine Hilfe aufdrängst, wirst du als Helfertyp abqualifiziert.«

Kennen Sie das auch? Kennen Sie auch diese Ausflüchte und Entschuldigungen? Dann machen Sie sich klar: Der Mitmensch ist mein Bruder, und Gott erwartet, dass ich mich um ihn kümmere.

Du bist an meiner Seite

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