Читать книгу Liebe ohne Widerruf - Reinhold Stecher - Страница 16
… einer wird mich überliefern!
ОглавлениеIn den letzten Stunden, die Christus mit den Jüngern in jenem Obergemach auf dem Sionsberg in Jerusalem verbringt, jagen sich Licht und Schatten wie in einer stürmischen Mondnacht. Die sich überbietende Güte Gottes und die Fratze des Bösen, das Ja der Liebe und das Nein des Stolzes stehen nebeneinander, das dramatische Hell-Dunkel der Menschheitsgeschichte eilt dem Höhepunkt zu: „Jesus wurde in seinem Inneren erschüttert und beteuerte: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Einer von euch wird mich überliefern!“
Auch wenn wir heute in weitem Abstand diese Worte lesen, fühlen wir noch, wie der Schatten über den Tisch fällt, auf dem das Osterlamm liegt, dieses tausendjährige Symbol der erlösenden Hingabe Gottes: Er ist da, mit seiner ganzen kalten, harten Dämonie, der Schatten des Bösen. Wir kennen ihn auch – in uns – in den anderen – in unserer Zeit, in unserer Geschichte. Und unwillkürlich stellen wir uns die schwere Frage: Warum hast Du ihn hereinkommen lassen in unsere Welt, diesen Schatten des Bösen? Warum ist sie immer dagewesen, und warum hört sie nicht auf, diese düstere Chronik von Mord und Totschlag und Brutalität und Gier und Gemeinheit, von Fanatismus und brennenden Dörfern und hohlen Gesichtern hinter Stacheldraht und getrennten Familien, von treulosen Vätern und verlassenen Kindern – ich weiß nicht, ob Sie die heutige Zeitung schon gelesen haben –, da wird sie ja wieder drinnen sein, die düstere Chronik des Bösen! Warum hast Du das alles zugelassen?