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Die Zwillingsschwestern
Оглавление»Du? Was willst du denn hier?!« Die Augen von Margot Pulsek weiteten sich verdutzt bei diesen Worten. Ihr ein wenig angegrautes braunes Haar hob die scharfen Gesichtszüge besonders hervor. Die Person, die ihr wie ihr eigenes Spiegelbild gegenüberstand, hatte Schwierigkeiten mit einer Antwort.
»Ich dachte, Schwestern müssen doch zusammenstehen …«
»Komm rein«, erklang es knapp und konsequent.
Gehorsam betrat Helene Gratmeyer die großzügig ausgestattete Villa ihrer Zwillingsschwester. Ein flüchtiger Blick genügte ihr, um zu erkennen, dass sich in den letzten fünf Jahren nichts geändert hatte. So lange war es her, dass ihre Schwester sie hier rausschmiss. Kurz nachdem ihr Schwager starb, hatte sich das Verhältnis der beiden zunehmend verschlechtert. Margot Pulsek, die nach dem plötzlichen Tod ihres Ehemannes wirtschaftlich unabhängig war. Und sie, dass geruhsame Mauerblümchen, das um jeden Krümel von ihr bettelte.
»Wie viel?« Margot Pulsek sah ihre Schwester mit durchdringendem Blick an.
»Ich verstehe nicht …?«
»Tu nicht so, Helene. Dir liegt doch nichts an unserer geschwisterlichen Beziehung. Ich kenne dich lang genug. Das Geld, das ich dir damals gab, nachdem du auszogst, ist sicherlich aufgebraucht. Also sag mir wie viel und verschwinde wieder.«
Hierfür hasste sie Margot über alles. Dieses Kluge, Besserwisserische das sie von sich gab. Noch mehr bereitete ihr Verdruss, dass ihr klar war, dass Margot recht hatte. »Er hat mich sitzen lassen, der Schuft.« Helene fiel es schwer, diese Worte hervorzubringen. Aber sie war nicht in der Lage ihr etwas zu verheimlichen.
»Habe ich dir damals nicht gleich gesagt, lass diesen Taugenichts sausen?! Aber nein, meine Schwester war pikiert, wie ich so über ihre große Liebe reden konnte. Du lernst es nie!«
Helene hatte mit einer Standpauke gerechnet. Die Worte schmerzten sie aus diesem Grunde nicht. »Er hat einen Haufen Schulden gemacht und ist mit meiner Freundin durchgebrannt.« Gleich darauf nannte sie ihrer Schwester die Summe, die sie benötigte.
Sekundenlang war es totenstill im Zimmer. Schließlich antwortete ihr Margot Pulsek mit verhaltener, aber hartnäckiger Stimme. »Das ist ja ein Vermögen, mit dem er sich abgesetzt hat. Wie ist er denn an so viel Geld herangekommen?«
»Das weiß ich auch nicht. Höchstwahrscheinlich erschwindelt. Nachdem ich seinerzeit für ihn eine Bürgschaft unterschrieben hatte, hält die Bank sich nun an mich. Entweder ich kann zahlen oder ich kann mir bei dieser Summe gleich einen Strick nehmen.«
»Liebe Helene, ich will es kurz machen. Du wirst einsehen, dass ich mich nicht für meine Warnungen über diesen Faulpelz umsonst beschimpfen ließ. Andererseits dafür auch noch bezahle, dass ich recht hatte. Das haut nicht hin. Ein wenig Geld würde ich dir zur Verfügung stellen. Nur wäre die Summe, die ich dir geben könnte, ein Bruchteil dessen, was du benötigst. Das macht keinen Sinn. Also bekommst du gar nichts.«
Helene war außer sich. Hiermit hatte sie nicht gerechnet. Mit Beleidigungen, Beschimpfungen und dergleichen schon, aber nicht mit einer derart kaltschnäuzigen Abweisung. Nein, damit hatte sie nicht gerechnet.
Margot Pulsek sah das panikhafte Flackern in den Augen ihrer Schwester. Sie hatte ihre Lehre weg. Dieser Schock würde ihr guttun. Kurz darauf drehte sie ihr behäbig den Rücken zu. Ein Zeichen, für jeden der sie kannte, dass das Gespräch beendet war.
Helene Gratmeyer würgte nach Luft. Vor ihren Augen tanzten winzige schwarze Punkte. Jetzt und hier das Bewusstsein verlieren? Nein, niemals die Blöße vor dieser eiskalten Bestie ... War es möglich, für ihre Schwester noch irgendein Gefühl aufzubringen? Die Antwort gab sie sich selber, indem ihre rechte Hand, wie von Geisterhand geführt, zur Buchstütze aus Marmor auf dem Kaminsims griff. Ein Schlag, ein einziger Schlag und da lag sie vor ihr: regungslos.
Sie hatte keine Erinnerung daran, wie lange sie schon so dastand, mit der schweren Buchstütze in der Hand. Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Dann kniete sie sich neben die am Boden Liegende. War sie tot? Nein, ein ganz leises Röcheln drang noch aus ihrem Hals. Jetzt, wo sie so da lag, kam ihr ihre Schwester hilflos vor, wie sie selber. Für sie war es, als würde sie selber, Helene Gratmeyer, vor ihr liegen.
Kaum, dass sie diesen Gedanken gedacht hatte, reifte eine Idee in ihr heran: Helene Gratmeyer war tot, aber Margot Pulsek lebte.
Es dauerte nicht lange und aus der blitzartigen Idee entstand ein Konzept. Sie übernahm die Rolle ihrer Schwester! Was gab es zu beachten? Cyril, der Diener, schoss es ihr durch den Kopf. Er hatte heute Ausgang. Freitag war sein freier Tag. Allerdings war Cyril schon betagt und würde nicht sofort bemerken, dass mit seiner Herrin unter Umständen etwas nicht stimmte. Außerdem hatte sie die Möglichkeit ihn kurzfristig, mit einer Abfindung, auf das Altenteil zu schicken.
Nun galt es Margot in ihre Wohnung, am anderen Ende der Stadt, zu bringen. Sie beugte sich zu ihr herunter. Es war ein leises Röcheln zu vernehmen. Helene Gratmeyer sah sich suchend im Zimmer um. Der Cognac, er stand wie immer an seinem vorgesehenen Platz. Flugs ergriff sie die Flasche und hielt sie ihrer Schwester an den Mund. Nachdem sie ihr eine größere Menge eingeflößt hatte, begab sie sich zum Hintereingang des Hauses. Wie früher, schmunzelte sie. Der Wagen stand ebenfalls an der gewohnten Stelle. Nachdem sie zurückkam, war ihre Schwester erwartungsgemäß tot. Sie hatte lange genug im Krankenhaus gearbeitet, um derartiges korrekt einzuschätzen.
Mit einem Erste-Hilfe-Griff zog sie ihre Schwester zum Hintereingang und verstaute sie auf dem Rücksitz des Fahrzeugs. Gleich darauf begab sie sich wieder ins Haus. Sie holte die Schuhe der Toten, die sie beim Herausschleppen verlor. Wenige Minuten später war sie mit dem Auto unterwegs zu ihrer Wohnung.
Auf dem Parkplatz des Mietshauses angekommen, hielt sie mit dem Wagen neben der Kellertreppe. Ein Blick in die Runde. Niemand beobachtete sie. Kurz darauf schleppte sie die Tote die Treppe hinunter zum Aufzug. Im zweiten Stock angekommen, horchte sie in das Dunkel des Treppenflurs hinein: Nichts. Es war nahezu lautlos. Nur die nichtverständlichen Worte eines lärmenden Fernsehers waren zu hören.
Helene Gratmeyer legte ihre tote Schwester nahe der geöffneten Badezimmertür ab. So ähnlich hatte sie vor einigen Tagen hier ebenfalls gelegen. Sie kam aus dem Bad und rutschte im Türrahmen aus. Und die Obduktion bei Margot würde obendrein einen erhöhten Alkoholpegel im Blut bestätigen. Sie war demnach ein wenig unaufmerksam, glitt aus und schlug mit dem Hinterkopf auf. Ein bedauerlicher Unglücksfall, wäre die wahrscheinlichste Diagnose.
Bevor sie gleich darauf die Wohnung verließ, platzierte sie die Flasche Cognac auf den Tisch. Daneben stellte sie ein Glas, in dem sie einen Fingerbreit Weinbrand füllte. Daraufhin schaltete sie den Fernseher ein und begab sich zur Tür.
Sie griff den Wohnungsschlüssel in ihrer Handtasche und schob ihn von innen in die Wohnungstür. Sofort fiel ihr der Ärger ein, den sie vor einigen Monaten mit dem schwergängigen Schloss hatte. Vielleicht ließe sich die Sache mit dem Unfall sogar noch untermauern, kamen ihr die Gedanken.
Sie öffnete die Wohnungstür ein wenig und drehte behutsam den Schlüssel so weit herum, bis der Schließ-Riegel am Türrahmen anschlug. Aufgrund der Schwergängigkeit vom Schloss, blieb der Riegel in dieser Position. Jetzt ließ sie den Schlüssel los und eilte mit zwei Schritten aus der Wohnung. Mit einem kurzen kräftigen Ruck zog sie die Tür ins Schloss. Sie hoffte auf ein wenig Glück. Der Riegel wäre hierbei in die Öffnung im Türrahmen gerutscht und die Tür somit von innen verschlossen.
Nachdem sie in die frische Nachtluft hinaustrat, zögerte sie mehrere Sekunden. Kurz darauf begab sie sich zur nächsten Telefonzelle. »Polizei?! Ja, gut. – Nein, meinen Namen nenne ich nicht. Es ist wegen der Nachbarin, der Frau Gratmeyer, wissen Sie. Sie macht einfach die Tür nicht auf, obwohl ich schon oft geklingelt habe. Aber der Fernseher läuft. Das hört man durch die Tür. Bisher hat sie immer aufgemacht, wenn ich läutete.« Gleich darauf gab Helene Gratmeyer die Anschrift durch, bevor sie einhängte.
In der Villa ihrer Schwester angekommen, überzeugte sie sich davon, dass alle Spuren beseitigt waren. Zufrieden legte sie sich in das Bett ihrer verhassten Zwillingsschwester. »Endlich reich«, seufzte sie wohltuend vor sich hin.
◊
Cyril war ein Diener der vornehmen englischen Schule. Früher war er sicherlich eine respekteinflößende Person. Heute jedoch rief die ausladende Dienstkleidung und das strohig weiße Haar beim Betrachter eher ein Schmunzeln hervor. Die Art seine Herrschaft französisch anzureden, hatte er von einer der früheren Anstellungen übernommen.
»Madame, … ähem. Madame, Polizei ist im Haus.« Cyril hatte Mühe seine Hausherrin sanft zu wecken.
»Polizei?!«
»Ja, ja, Madame, sie tun sehr geheimnisvoll und wollen Sie unbedingt sprechen.«
»Führe sie in die Bibliothek. Ich komme gleich runter.«
»Sehr wohl.«
»Kommissar Steffen, Kriminalpolizei«, stellte sich der ältere der beiden vor. Und mit einer Handbewegung zu dem jüngeren anderen Kollegen ergänzte er: »Kröger, mein Assistent.«
»Mein Gott, was sagen Sie da, Kriminalpolizei?! Um Himmels willen, was ist denn passiert?«
»Wir müssen Ihnen eine traurige Nachricht überbringen«, übernahm der Kommissar das Wort. »Sie haben doch eine Schwester? Natürlich, dumme Frage«, unterbrach er sich gleich selber, »wenn ich Sie so anschaue. Sie sehen ihr zum Verwechseln ähnlich. Ihre Schwester ist leider«, Kommissar Steffen legte eine kurze Pause ein, bevor er weiter sprach, »sie ist leider tot.«
Helene Gratmeyer atmete kräftig durch, ehe sie antwortete. »Es muss Ihnen nicht peinlich sein, Herr Kommissar. Meine Schwester und ich, wir verstanden uns überhaupt nicht. Ihr Tod geht mir nicht allzu nahe. Wie ist sie denn umgekommen?« Gespannt sah sie die beiden Kriminalbeamten an.
Ohne auf ihre Frage einzugehen, hakte der Kommissar nach: »Wissen Sie, ob Ihre Schwester gern Krimis und Actionfilme oder lieber Volksmusik und Ähnliches im Fernsehen sah.«
»Ich verstehe die Frage zwar nicht, aber ich bin der Meinung, dass sie keine Krimis und so was mochte. Warum fragen Sie?«
»Sehen Sie, Frau Pulsek, wir fanden Ihre Schwester mit eingeschlagenem Schädel vor der Badezimmertür. Vermutlich ist sie ausgerutscht und unglücklich gestürzt. Nachdem wir gestern Abend die Wohnung betraten, lief der Fernseher.«
»Ja und?«
»Wissen Sie, es war ein Programm eingestellt, auf dem gestern Abend nur Krimis und so was gezeigt wurden. Das ist nicht jedermanns Sache.«
»Sie meinen Helene wurde getötet?«
»Vielleicht ist das mit dem Programm nur Zufall. Möglicherweise wollte sie Nachrichten sehen und hätte den Kanal gewechselt, wenn sie nicht gestürzt wäre. Außerdem war die Wohnungstür von innen verschlossen. Nein, wir schließen Fremdverschulden aus. In ihrem Adressbuch haben wir auch keine weiteren Anschriften, außer Ihre, gefunden. Nach unserem jetzigen Kenntnisstand gab es bei Ihrer Schwester auch nichts zu holen, nicht wahr?«
»Ganz recht, Herr Kommissar.« Helene Gratmeyer merkte, wie ihr ein Stein vom Herzen fiel.
Nach einigen Routinefragen verabschiedeten sich die beiden Kriminalbeamten. Sie baten sie aber zuvor, dass sie zur Identifizierung der Toten, im Laufe des Tages ins Leichenschauhaus kommt.
Helene Gratmeyer war mit sich zufrieden. Nun galt es Cyril abzuschieben. Am besten in ein Seniorenheim, grübelte sie. Die Kosten würde sie übernehmen. Auf jeden Fall galt es bei ihm kein Misstrauen zu erregen. Die Gefahr, dass alles auffliegt, wäre folgenschwer. Erst wenn Cyril auf seinem verdienten Altenteil war, fing das sorgenlose Leben der Margot Pulsek an, schmunzelte sie vor sich hin. Augenfällige Veränderungen würde sie mit dem plötzlichen Tod ihrer Schwester erklären. Sie hatte wohl mehr für sie übrig, als sie sich selber eingestand. Diese Ausrede klang logisch, fand sie.
»Cyril, würden Sie in ein Seniorenheim gehen, wenn ich Sie darum bitte?«
»Sie baten mich bereits darum, Madame. Ich dachte, es sei alles geregelt.«
Helene Gratmeyer war aus dem Gleichgewicht gebracht. Ihre Schwester hatte also schon erwogen, Cyril in einem Seniorenheim unterzubringen. »Wären Sie bereit in den nächsten Tagen diesen neuen Lebensabschnitt zu beschreiten?«
Nun war er ein wenig erstaunt. »Ich war der Meinung, Madame wollte diesen Schritt zum Jahresende vollziehen.«
»Der Tod meiner Schwester und …«
»Ich verstehe, Madame braucht nicht weiter zu sprechen. Sie haben mein tiefes Mitgefühl. Ich mache mir wirklich große Sorgen, Madame.«
Sie war ein wenig erstaunt, dass Cyril sie mitten im Satz unterbrach. »Danke«, entgegnete sie knapp.
»Soll ich den Arzt rufen, damit er Ihnen eine Spritze gibt?«
So benimmt man sich also, wenn man Geld hat, grübelte sie. Im Zweifelsfall kommt der Doktor. Im Fall der Fälle der Chefarzt vom Städtischen Klinikum. »Nein, lassen Sie nur, Cyril. Zukünftig werde ich auf den Arzt verzichten.« Die Gefahr bestand, dass jemand hierdurch ihre falsche Identität erkannte.
»Ich verstehe, Madame«, unterbrach er sie.
Erneut war sie über die Eigenwilligkeit des Dieners erstaunt. Hatte er einen Verdacht? Nein, wog sie ab, das war nicht möglich.
»Soll ich Ihnen die Medizin bringen?«
Mein Gott, was für ein jämmerliches Dasein hatte ihre Schwester in den letzten Jahren geführt?! »Cyril, ich werde zukünftig auch die Medizin nicht mehr nehmen. Ich hoffe, Sie verstehen mich?!«
»Ich verstehe sehr wohl, Madame.« Mit einer vielsagenden Miene verließ der Diener das Zimmer.
Es verging eine Viertelstunde bis er mit einem Glas Milch wieder hereinkam. Seine Hände zitterten und die Stimme vibrierte unnatürlich. Gleich darauf stellte er das Becherglas neben ihr ab.
Helene Gratmeyer sah den Diener bestürzt an. »Herrje, was ist mit Ihnen? Fühlen Sie sich nicht wohl?«
»Auch wenn ich seit Monaten darauf vorbereitet bin, aber trotzdem …, es ist nicht leicht den Tod ins Auge zu schauen.«
Das also war der Grund ihn ins Seniorenheim zu schicken, schoss es ihr durch den Kopf. Damit er dort die letzte Ruhe findet. Sie fasste seine Hand. »Sie sollen wissen, Cyril, dass ich stets mit Ihnen zufrieden gewesen bin.« Gewiss hätte ihre Schwester ebenfalls ein paar tröstende Worte zu ihm gesagt. »Auch wenn uns der Tod in Kürze trennen sollte …«
»Bitte sprechen Sie nicht weiter«, bat er sie. Mit feuchten, geröteten Augen verließ er unaufgefordert das Zimmer.
Das war typisch für ihre Schwester, fand sie mit einem Mal. War es nötig, den Diener derart zu quälen? Warum hatte sie ihn nicht schon längst in Pension geschickt? Mitleidig sah sie ihm hinterher.
Minuten des Nachdenkens vergingen. Ihre Finger betasteten die Stirn. Ihr war heiß. Die Aufregung der letzten Stunden, zeigten ihre Wirkung. Sie ergriff das Glas Milch, das Cyril gebracht hatte und leerte es in einem Zuge. Erfrischend diese kühle Milch. Wenn nur nicht der komische nussartige Nachgeschmack wäre. Sie hatte die Absicht Cyril zu rufen und ihn zu fragen, was es damit auf sich hatte. Doch sie war nicht in der Lage ihn herbeizurufen. Ihre Lippen bewegten sich nicht. Aus welchem Grund auch immer. Es lag nicht an ihrem Mund, das merkte sie sofort. Nanu, weshalb keuchte sie plötzlich so beim Atmen? Wieso verkrampfte sich ihr Körper? Warum, verflixt …? Wenige Augenblicke später war Helene Gratmeyer tot.
◊
Kommissar Steffen sah den Diener mit bitterem Gesichtsausdruck an. »Das hätte ich auch nicht erwartet, dass wir uns so schnell wiedersehen. Wie kommen Sie eigentlich darauf, dass sie sich umgebracht hat? Es ist doch bestimmt nicht üblich, dass eine Hausherrin ihr Personal so ins Vertrauen zieht.«
»Madame Pulsek war schon seit einiger Zeit krank. Todkrank«, fügte er mit Nachdruck hinzu.
»Darüber hat sie Sie informiert?«
»Es bestand ein gewisses Vertrauensverhältnis. Zum anderen ließ sich ihre Krankheit mir gegenüber nicht verheimlichen. Sie litt an einem nicht operablen Gehirntumor. Außerdem nahm sie ein morphinhaltiges Medikament, um die Schmerzen zu unterdrücken. In letzter Zeit jedoch kamen noch Anfälle hinzu. Ich musste immer öfter den Arzt rufen.«
Kommissar Steffen sah den Diener fragend an. »Und? Wie hat sie sich umgebracht?«
Cyril räusperte sich betreten. »Madame fragte mich vor einiger Zeit, welche Möglichkeit ich nutzen würde, um freiwillig aus dem Leben zu scheiden.«
»Und?«, hakte Kröger nach.
»Nun, ich sagte ihr, ich würde aus dem Schuppen hinter dem Haus das Unkrautvernichtungsmittel holen …«
»Also Zyankali«, stellte Kommissar Steffen mit einem kurzen Blick zu seinem Assistenten fest. »Sie hat sich demnach das Giftzeug in das Glas mit der Milch gemixt und getrunken, nicht wahr?«
Der Diener bejahte die Frage. Wohl wissend, dass es der letzte Wunsch seiner Hausherrin war, dass er ihr diese Arbeit abnahm.
»Fiel Ihnen sonst irgendetwas Ungewöhnliches auf?« Kommissar Steffen beobachtete jede Reaktion des Dieners genau.
»Ungewöhnliches nicht. Nur anfangs schien sie nicht mit einem so schnellen Krankheitsverlauf zu rechnen. Jedenfalls hatte sie vor, mich erst zum Jahresende in ein Seniorenheim zu geben.«
»War der Suizid von vornherein geplant?«
»Ja. Sobald die Schmerzen unerträglich werden würden, wollte sie aus dem Leben scheiden.« Mit dieser Antwort verschwieg er, dass es seine letzte Aufgabe war, ihr das Glas Milch mit dem Zyankali zu bringen. Bald kommt der Augenblick, wo Sie mir meine letzte Medizin bringen müssen. Ja, genauso sprach sie stets zu ihm. Und bei den Gedanken an diesen Satz röteten sich wieder seine Augen.
»Wissen Sie genaueres über das Erbe?«, hakte Kröger nach.
»Mein Lebensabend sollte gesichert sein, versprach mir Madame. Den Rest sollte ihre Schwester, Helene Gratmeyer, bekommen. Die tödlich Verunglückte. Sie wollte einiges an ihr gutmachen, sagte sie mir einmal, weil sie angeblich immer garstig zu ihr gewesen wäre. Um die Erbschaftssteuer zu umgehen, sollte schon in den nächsten Tagen eine größere Summe an ihre Zwillingsschwester überwiesen werden.«