Читать книгу Grüße von Charon - Reinhold Vollbom - Страница 9
Wer anderen eine Grube gräbt ...
ОглавлениеDas Telefon klingelte lange und ausgiebig, bis Freddy Hamstedt mühsam quälend den Lauthörknopf am Apparat drückte. Bequem, in seinem Lieblingssessel zurückgelehnt, fragte er merklich angestrengt: »Ja?«
»Honey, bist du es?«
»Ina?« Wie wachgerüttelt saß Freddy mit einem Mal aufrecht im Sessel. Honey, das sagte nur eine zu ihm. Seine ehemals größte Liebe, Ina.
»Freddy-Boy, wie geht es dir? Wir haben lange nichts voneinander gehört.«
»Was willst du?«, gab er sich bewusst grob. »Wie kommt es, dass du so einen armen Schlucker wie mich anrufst? Ich kann dir doch soundso nicht nützlich sein.«
»Geht es dir immer noch so mies? Vielleicht solltest du andere Bilder malen, die sich besser verkaufen lassen. Irgendwann musst du die Kurve kriegen, Freddy. Ewig wird das Erbe deiner Eltern nicht reichen.«
»Komm zur Sache. Was willst du?«
»Ich lebe seit einiger Zeit mit einem sehr netten Partner zusammen, der … der, wie soll ich sagen … der nur ein bisschen zu eifersüchtig ist.«
»Wie heißt der Kerl?«
»Es ist kein Kerl. Der Name von diesem vortrefflich aussehenden erfolgreichen Geschäftsmann lautet Cumpax, Jani Cumpax.«
Kurzzeitig verschlug es Freddy Hamstedt die Sprache. Mit dem Fisch an der Angel brauchte Ina sich nicht um ihre Zukunft zu sorgen. Jani Cumpax war einer der einflussreichsten und vermögendsten Personen der Stadt.
»Hey, was ist mit dir? Bist du noch dran?«
»Erzähl weiter«, knurrte er vor sich hin.
»Weißt du, Jani will mich heiraten …«
»Soll er doch!«
»Das Problem ist, dass er mich laufend nach irgendwelchen Kerlen aus meiner Vergangenheit befragt. Natürlich kann ich ihm da kaum mit jemand dienen.«
»So, so.«
»Er will mich ganz für sich allein, verstehst du?! Es bringt ihn nahezu um, zu wissen, dass da noch irgendwo jemand lebt, der mich genauso liebt wie er.« Sie legte eine kurze Pause ein, bevor sie weiter sprach. »Honey, ich wollte es nicht, verstehe bitte, aber er hat mich so unter Druck gesetzt.«
»Was soll ich verstehen? Spreche doch endlich mal Klartext. Was willst du von mir? Ist das so schwer zu sagen?!«
»Gewissermaßen, Honey. – Er muss jeden Augenblick bei dir sein.«
»Wer muss jeden Augenblick bei mir sein? Hast du es immer noch nicht gelernt, dich klar und deutlich auszudrücken?!«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung schluchzte. »Ich musste ihm deinen Namen und die Anschrift geben. Wenn er eifersüchtig ist, ist er immer so brutal und unberechenbar. Verstehe doch bitte! Jani wird jeden Augenblick bei dir aufkreuzen und dir Ärger bereiten. Und ich habe Schuld.« Aus dem Lautsprecher des Telefons drang ein ausgiebiges Schniefen.
Freddy Hamstedt stutzte. »Er will hier vorbeikommen und mir Ärger machen? Warum, weil ich eine Zeit lang mit dir zusammengelebt habe? Das kann doch nicht sein! So ein reicher Pinkel kann sich eine Schlägertruppe leisten, wenn er mir an den Kragen will.«
»Hier geht es um seine verrückte Mannesehre. So etwas muss er selber erledigen, meint er. Zum anderen ist er der Meinung, dass ein Jani Cumpax keine Konkurrenz dulden muss. Und du bist für ihn ein Wettbewerber, verstehst du jetzt? Er muss jeden Moment da sein. Bitte, Honey, hole den Revolver aus der Schreibtischschublade. Ich weiß, dass du ihn dort liegen hast. Schnell hole ihn, bevor es zu spät ist … bitte! Im Zorn ist Jani zu allem fähig.«
Freddy Hamstedt saß weiterhin aufrecht in seinem Sessel. »Blödsinn, warum soll er was von mir wollen, oder gar mich töten? Ich kenne ihn doch gar nicht. Nur aus der Zeitung.«
Auf einmal läutete es an der Wohnungstür. Am Telefon war ein knapper Aufschrei zu hören.
Freddy Hamstedt stand auf, um die Tür zu öffnen. Auf halbem Weg dorthin blieb er stehen, wog kurz ab, und begab sich zum Schreibtisch. Dort öffnete er die Schublade, entnahm seinen Revolver und überprüfte, ob er geladen war. Gleich darauf steckte er ihn in den Hosenbund und schritt zur Wohnungstür, um sie zu öffnen.
Kaum das die Tür einen Spaltbreit geöffnet war, erhielt sie einen kräftigen Schub und öffnet sich komplett. Ein schwarz gelockter, breitschultriger Enddreißiger betrat in aller Gelassenheit die Wohnung. Mit gemächlichen Schritten bewegte er sich direkt auf Freddy Hamstedt zu. Dieser wich ihm mit gleichem Tempo rückwärtsgehend aus.
Im Wohnzimmer angekommen blieben beide, wie verabredet, urplötzlich stehen. »Sie kennen mich und wissen, warum ich hier bin?«
»Nachdem was mir Ina geschildert hat, müssen Sie dieser Cumpax sein. Deswegen weiß ich aber immer noch nicht, was Sie von mir wollen.«
Bei dem Wort Ina zuckte der andere merklich zusammen. »Du wirst Ina nie mehr berühren, das sage ich dir.« Seine Stimme zitterte vor Erregung.
Freddy Hamstedt fiel auf, wie sein Gegenüber die Fäuste ballte. »Dadurch, dass Sie jetzt verrücktspielen, können Sie die Vergangenheit nicht ändern. Ich habe Ina geliebt und liebe sie noch immer, das ist richtig. Aber ich bin mir auch im Klaren darüber, dass ich bei ihr nicht mehr die geringste Chance habe.«
»Und warum versuchst du Lump es immer wieder und lässt sie nicht in Ruhe?!«
»Ich habe Ina das letzte Mal vor einem Jahr gesehen. Vielleicht liegt es auch schon zwei Jahre zurück.«
»Du Lügner!«, schrie Jani Cumpax. »Ich habe Beweise dafür, dass du gestern Abend mit meiner Ehefrau zusammen warst, als ich zu einem Geschäftsessen war.«
Die Wortgewaltigkeit und der starre Blick mit dem Jani Cumpax ihn ansah, erschreckte Freddy Hamstedt am meisten. »Ich weiß nicht, mit wem Ina gestern Abend zusammen war, mit mir jedenfalls nicht. Und überhaupt, wieso Ihre Ehefrau?«
»Ich werde dich lehren mich nicht für dumm zu verkaufen.« Bei diesen Worten stürzte sich Jani Cumpax auf sein Gegenüber.
Freddy Hamstedt schien mit der Reaktion gerechnet zu haben. Mit einer flinken Handbewegung griff er in den Hosenbund und zog den Revolver hervor. Kurz darauf zielte er direkt auf den Oberkörper des Angreifers und drückte ab. Ein scharfer Knall peitschte durch das Zimmer.
Mehrere Augenblicke war es totenstill im Raum. Sekunden später war Inas Stimme aus dem Lautsprecher des Telefons zu hören. »Honey, ist er tot? Hast du ihn umgebracht?« Nachdem sie keine Reaktion vernahm, klangen ihre Worte anschmiegsamer. »Ach Honey, komm, sei nicht so. Wo hast du hingezielt?«
Freddy Hamstedt hatte in der Aufregung vergessen, dass das Telefon noch eingeschaltet war. »Ich habe auf seinen Oberkörper gezielt, auf sein Herz. Bist du jetzt zufrieden?«
»Er ist also tot, der Arme?! Du hast ihn in Notwehr erschossen. Ich konnte am Telefon alles genau verfolgen. Honey, sei nicht traurig, ich bin dein Zeuge, dass du nur in Notwehr gehandelt hast.«
Freddy Hamstedt sprach zum Telefon gewandt: »Er hat etwas von einer Ehefrau gesagt. Bist du etwa mit ihm verheiratet?«
»War ich, mein Schatz, jetzt ist er ja tot. Nun bin ich seine Witwe.«
»Warum hast du mir davon nichts erzählt. Überhaupt, was soll das ganze Theater?!«
»Hast du das immer noch nicht mitbekommen, Freddy-Boy?« Ina Cumpax’ Stimme klang kühl schneidend aus dem Telefon. »Ich wollte möglichst schnell Witwe werden und habe jemanden gesucht der mir dabei behilflich ist. Und wer kam da besser in Frage, als mein Freddy-Boy?«
»Soll das heißen, du hast deinen Ehemann auf mich gehetzt, damit ich ihn umbringe und du an sein Erbe kommst?«
»Rege dich nicht auf. Es soll dein Schaden nicht sein. Für deine Verteidigung bekommst du die teuersten Anwälte der Stadt. Keine Angst, du wirst das Gefängnis nicht von innen sehen. Und als Entschädigung, sozusagen, erhältst du eine hübsche Summe Geld von mir. Ich habe nun genug davon.«
»Du hinterlistige Schlange.«
Die Antwort aus dem Lautsprecher des Telefons war ein kühles hämisches Lachen, das mit einem Mal abrupt schwieg. »Was war das?« Mehrere Sekunden war es verhalten geräuschlos. Kurz darauf fragte Ina Cumpax forsch nach: »Honey, ging da eben nicht deine Wohnungstür? – Honey, sag doch was! Bist du taub?!«
Freddy Hamstedt, der neben dem Telefon stand, sprach mit gelöster und beherrschter Stimme. »Richtig Ina, eben öffnete sich meine Wohnungstür.«
Die Sprechweise aus dem Apparat klang abgehackt, hektisch und aufgebracht. »Aber die Polizei … die kann das doch noch gar nicht sein … Du hast ihn doch erschossen?«
»Als ich den Schuss auf seinen Oberkörper abgab, hat er sich sichtlich erschrocken. Er konnte nicht ahnen, dass ich so schnell eine Waffe zur Hand hatte …«
»Was heißt erschrocken?!«
»Nun, in meinem Revolver sind doch nur Platzpatronen …«
»Wie bitte! Seit wann das?!«, kreischte Ina Cumpax.
»Schon immer, Ina. Damals, als du noch bei mir wohntest, habe ich dich nur beruhigen wollen und dir erzählt, dass es sich um scharfe Munition handelt. Du hattest fürchterliche Angst vor Einbrechern. Aber richtige Patronen, und einen Menschen umbringen, so etwas würde ich nicht fertig bringen.«
»Soll das heißen, dass Jani jedes Wort mitbekommen hat, worüber wir gesprochen haben?«
Freddy Hamstedt reagierte auf die Frage nicht. »Sollte dein Jani wirklich so impulsiv sein, wie du ihn mir geschildert hast, dann wird es jetzt Zeit für dich.«
»Was meinst du damit?«
»Vermutlich wird er etwa eine halbe Stunde brauchen, bis er bei dir zu Hause ist. Solltest du dann noch da sein, wird es dir höchstwahrscheinlich an den Kragen gehen.« Er fügte hinzu: »Oder du suchst freiwillig das Weite.«
An einem kaum hörbaren Klicken aus dem Lautsprecher erkannte Freddy Hamstedt das sie aufgelegt hatte.
Wenige Tage später las er in der Zeitung, dass die Ehefrau des Industriellen Jani Cumpax, aus bisher unerklärlichen Gründen verschwand. Freddy Hamstedt hätte einiges gegeben, um zu erfahren, ob sie die Ankunft ihres Gatten abgewartet hatte.