Читать книгу Sword Art Online Novel - Band 14 - Reki Kawahara - Страница 13
Kapitel XII Administrator
Mai des Jahres 380 der menschlichen Zeitrechnung 1
ОглавлениеEugeos Schwert der blauen Rose und mein schwarzes Schwert zeichneten gleichzeitig hellgrüne Spuren in das abgedunkelte Gemach.
Die Linien hatten eine perfekte Symmetrie. Das war zu erwarten, da wir gleichzeitig dieselben Skills angewandt hatten, einschließlich des Angriffsskills »Sonic Leap«. Das Timing war so absolut synchron, dass die Schwertspitzen im exakt gleichen Moment den Zenit ihrer Kurve erreichten und heller erstrahlten, um anzuzeigen, dass die Angriffsstärke ihr volles Potenzial erreicht hatte. Dann trafen die silberne und die schwarze Klinge aufeinander.
Ich führte nicht einfach nur die Technik aus. Ich nutzte die Spannung in meinen Füßen, die Drehung meines Körpers und den Schwung meiner Arme als drei verstärkende Kräfte für meine Attacke. Dennoch war Eugeos »Sonic Leap« nicht mal eine Mikrosekunde langsamer als meiner. Er hatte alles hineingelegt, genau wie ich. Und ich hatte ihm noch nicht mal richtig beigebracht, wie man das machte.
Während ich nicht aufgepasst hatte, hatte Eugeo geduldig und unermüdlich weiter trainiert. Hunderte Male jeden Tag hatte er sein Schwert geschwungen, bis er die Stimme der Klinge hören konnte.
»Wie …?«, ächzte ich, als sich unsere Klingen trafen. »Wie hast du gegen das Syntheseritual verloren? Der Grund, warum du die Schwertkunst erlernst hast … der Grund, warum du aus Rulid nach Centoria gekommen bist, war, deine Kindheitsfreundin Alice zurückzuholen. Oder nicht?«
Schweigend und unbewegt stand Eugeo da und hielt meinem Schwert stand. Wie er vor dem Kampf geschworen hatte, hatte er mir nichts mehr zu sagen – seine Lippen waren versiegelt. Ich meinte, ein Schimmern in seinen grünen Augen bemerkt zu haben, als er den Namen Alice gehört hatte, aber was immer es gewesen war, es wurde augenblicklich von der Dunkelheit verschluckt. Vielleicht war es nur eine optische Täuschung gewesen, hervorgerufen von dem grünen Schein, der von den Schwertern ausging.
Wenn unser Patt noch ein paar Sekunden länger anhielt, würde sich der »Sonic Leap« verflüchtigen und uns in einen erbitterten Nahkampf zwingen. An diesem Punkt würde ich keine Zeit mehr zum Nachdenken haben. Ich nutzte die kurze Verschnaufpause, um meinen Verstand anzukurbeln.
Integrationsritter wurden geschaffen, indem man im sogenannten Syntheseritual eine Operation an ihrer Seele vornahm. Das beinhaltete, einen Erinnerungskristall aus dem Geist des Subjekts zu entfernen und ihn durch ein Gerät zu ersetzen, das es zur Loyalität zwang. Dieses Objekt war das Piety Module.
In dem Moment, als Eldrie den Namen seiner Mutter gehört hatte, war er zusammengebrochen, und das Piety Module war aus seiner Stirn getreten. Das bedeutete, Administrator hatte ihm die Erinnerung an seine Mutter gestohlen, um ihn zum Integrationsritter zu machen.
Die anderen Ritter mussten ähnlich kostbare Erinnerungen verloren haben. Bei Deusolbert war es wahrscheinlich die Erinnerung an seine Frau gewesen. Bei Fanatio und Bercouli wusste ich es nicht genau, vermutete aber, dass es entweder um ihre Familien oder einen geliebten Menschen gegangen war.
Was also war es bei Alice? Die goldene Ritterin stand an der Wand und beobachtete den Kampf zwischen Eugeo und mir. Die wahrscheinlichste Antwort wäre ihre kleine Schwester Selka, die immer noch in Rulid lebte. Als ich beiläufig Selkas Namen erwähnt hatte, während wir uns auf dem Sims an der Außenseite des Turms ausgeruht hatten, hatte Alice sehr heftig reagiert. Sie hatte bei der Erwähnung ihrer Schwester geweint und geschworen, sich gegen die Axiom-Kirche aufzulehnen.
Aber soweit ich das beurteilen konnte, hatte Selkas Name nicht dazu geführt, dass ihr Piety Module instabil geworden wäre. Entweder lag das daran, dass sie schon seit sechs Jahren ein Integrationsritter war oder weil die gestohlenen Erinnerungen sich doch nicht um Selka drehten.
Wenn meine Vermutungen stimmten, welche Erinnerung hatte Administrator dann Eugeo gestohlen?
Nicht weit entfernt von dem Punkt, an dem wir in unseren Zweikampf verstrickt waren, befand sich die schwebende Plattform, mit der Chudelkin in die obere Etage geflüchtet war und die ich wieder nach unten gerufen hatte. In der Decke klaffte ein Loch von etwa einem Meter Durchmesser. Dort oben mussten sich Administrators Gemächer befinden, aber hinter dem Loch war es stockdunkel. Falls sie dort oben war, konnte ich es nicht erkennen.
Erst vor einer Stunde hatte sie dort Eugeo »synthetisiert« und ihm seine kostbaren Erinnerungen genommen. Aber von wem handelten sie?
Ich konnte mir nur eine Antwort vorstellen. Es musste das Mädchen sein, dem er seit acht Jahren hinterherjagte, seit Deusolbert sie als Kind verschleppt hatte: Alice Zuberg, die jetzt Alice Synthesis Thirty war.
Aber warum zeigte Eugeo dann überhaupt keine Reaktion auf Alice, die mit uns im Raum stand, während wir unseren Kampf ausfochten? Eldries Modul war allein bei der Erwähnung seiner Mutter fast herausgefallen. Wenn die kurze Zeit, die er ein Integrationsritter gewesen war, ein verantwortlicher Faktor für die Instabilität des Moduls gewesen war: Eugeo war erst seit knapp einer Stunde einer. In dem Moment, als er Alice gesehen hatte, hätte er noch heftiger reagieren müssen.
Aber dieser Eugeo hatte sich komplett von der Welt abgekapselt. Wenn es nicht die Erinnerungen an Alice waren, die ihm gestohlen worden waren, was – oder wen – hatte Administrator ihm dann genommen?
In diesem Augenblick verblasste das Leuchten der beiden Sword Skills.
Ohne den systemunterstützten Antrieb stießen sich die weiße und die schwarze Klinge ab. Funken flogen, und ich biss die Zähne zusammen, während Eugeo so unbewegt wirkte wie eh und je. Wir richteten unsere Schwerter für den nächsten Angriff aus.
»Jaaa!«
Mit synchronen Schreien – einer ausgestoßen, der andere stumm – starteten wir in perfektem Einklang hohe linkshändige Hiebe. Die Klingen prallten aufeinander und stießen sich ab. Es folgte ein Schwung von rechts. Die Schneiden trafen sich und glitten aneinander ab, was einen nach unten geführten Schlag von links einleitete. Auch dieser wurde sicher pariert.
Während wir in unserem zweiten Patt gefangen waren, musste ich darüber nachdenken, dass unsere Schwerter vielleicht identische Werte hatten, aber die Menschen, die sie führten, nicht. Ich war leichter und trug normale Kleidung, während Eugeo in einer schweren Plattenrüstung steckte. Er trug ein Vielfaches meines Gewichts mit sich herum, und doch hatten seine Attacken dieselbe Geschwindigkeit. Entweder hatte ein Integrationsritter zu werden, seine Kräfte verstärkt oder es war ein Effekt dieser »Incarnate«-Sache, die Alice kurz vor dem Kampf erwähnt hatte.
Ich wusste, dass diese Welt über ein paar Systeme verfügte, die sich mit der Logik anderer VRMMO-Welten, die ich kannte, nicht erklären ließen. Unsichtbare Kräfte wie Entschlossenheit und Vorstellungskraft konnten manchmal Effekte hervorrufen, die sogar die von hochrangigen Systembefehlen überstiegen.
Ein Integrationsritter zu werden, hatte Eugeo seine Erinnerungen und Gefühle genommen, aber seine Entschlossenheit war eiskalt und unnachgiebig. Bevor der Kampf begonnen hatte, hatte er das Schwert der blauen Rose, das ich bei mir getragen hatte, per Telekinese zu sich gerufen. Alice hatte diese Fähigkeit als »Incarnate Arms« bezeichnet.
Was ging gerade in Eugeos Herz vor? Es war seine Entschlossenheit gewesen, Alice aus den Fängen der Kirche zu befreien, die ihn ursprünglich dazu gebracht hatte, ein Integrationsritter werden zu wollen. Welcher Antrieb füllte nun diese gigantische Leere?
Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es nur die Loyalität zur Axiom-Kirche und ihrer Hohepriesterin, die in seine Seele eingebrannt war, sein sollte. Ich wollte das einfach nicht glauben. Es war undenkbar, dass das Schwert der blauen Rose mit einer so künstlich erzeugten Entschlossenheit meinem schwarzen Schwert so vollkommen standhalten können sollte.
Irgendwo in diesen eiskalten Augen loderte noch etwas. An diesem Glauben musste ich festhalten. Und wenn es einen Weg gab, dieses Etwas hervorzulocken, dann …
»Eugeo …«, flüsterte ich und legte all meine Kraft in mein Schwert. »Vielleicht erinnerst du dich nicht mehr … aber du und ich sind nie dazu gekommen, uns einen richtigen, ernsthaften Kampf zu liefern.«
Eugeos Augen, die einst grün geleuchtet hatten, waren nun dunkel und trüb. Ich starrte in sie hinein und versuchte, ihnen eine Reaktion abzuringen.
»Auf der Reise von Rulid nach Centoria und während wir an der Akademie der Schwertkünste waren, habe ich mir immer wieder dieselbe Frage gestellt: Wer würde gewinnen, wenn wir in einem echten Kampf die Schwerter kreuzen sollten? Und um ehrlich zu sein … dachte ich immer, dass du mich eines Tages übertreffen würdest.«
Eugeo erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. Eigentlich erwiderte er ihn auch nicht wirklich – seine Augen waren wie geschlossene Fensterläden. Ich war nichts weiter als ein Eindringling, der ausgeschaltet werden musste. Wenn ich auch nur einen Augenblick lang Schwäche zeigte, würde er zuschlagen. Dennoch beendete ich meine Rede, in der Hoffnung, dass wenigstens etwas zu ihm durchdrang.
»Aber diese Zeit ist noch nicht gekommen. Du hast mich, Alice, Tiese und Ronie und sogar Cardinal vergessen. Du kannst mich nicht besiegen. Und das werde ich dir beweisen.«
Sobald die Worte meine Lippen verlassen hatten, hielt ich den Atem an und legte die Kraft jedes Muskels in meinem Körper in mein Schwert. Feine Linien bildeten sich auf Eugeos Stirn, während er versuchte, dagegenzuhalten.
Genau in diesem Augenblick ließ ich von ihm ab.
Tschang! Die Klingen prallten aufeinander und erzeugten eine Spur aus Funken in der Dunkelheit. Die Kräfteverlagerung warf mich zurück, und Eugeo stolperte ins Leere.
Wenn ich versuchen würde, Halt zu finden, wäre ich ein schutzloses Ziel für Eugeo. Stattdessen folgte ich der Bewegung und ließ mich rückwärts zu Boden fallen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass Alice nach ihrem Schwert des goldenen Osmanthus griff, weil sie überzeugt war, dass ich geschlagen war.
Aber sie hatte ihre Entscheidung drei Sekunden zu früh getroffen. Sieg oder Niederlage hingen davon ab, ob meine Strategie aufging – und davon, wie gut Eugeo den Aincrad-Stil wirklich beherrschte.
Kurz bevor ich auf dem Boden landete, riss ich meinen rechten Fuß hoch. Die Spitze meines Stiefels blitzte auf, und der Lichtreflex fiel von unten auf Eugeos Kinn.
»Jaaa!«
Mit angespanntem Knöchel machte ich einen Überschlag nach hinten. In der Kampfkunst des Aincrad-Stils nannte sich dieser Tritt mit Rückwärtssalto »Crescent Moon«. Diese nützliche Technik, die man aktivieren konnte, während man nach hinten fiel, hatte mir im alten SAO oft das Leben gerettet. Ich hatte sie weder im Kampf noch im Training angewandt, seit ich nach Underworld gekommen war, aber der Bewegungsablauf hatte sich in meine Muskeln eingebrannt – und das Wichtigste war: Ich hatte sie Eugeo nie gezeigt.
Andererseits hatte ich ihm durchaus Kampfkunsttricks mit den Fäusten und den Schultern beigebracht. Auch hier hatte er Talent gezeigt. Er beherrschte den einfachen Schlag-Skill »Flash Blow« sowie drei Teile von »Meteor Break«, einer hochrangigen Kombination aus Körperschlägen und Hieben.
Sollte er von sich aus Trittattacken entdeckt haben oder auch nur ahnen können, dass es sie gab, würde er meinem »Crescent Moon« ausweichen. Und der Nachteil an diesem Angriff war, dass er eine sehr lange Erholungsphase nach sich zog, wenn er sein Ziel verfehlte. Wenn ich nicht traf, wäre ich seinem Schwert gnadenlos ausgeliefert.
Jetzt entscheidet es sich, Eugeo!
Mein rechter Fuß näherte sich dem Ringkragen meines Gegners. Selbst in dieser Situation waren Eugeos Augen von einer gleichgültigen Kälte erfüllt. Ohne eine Miene zu verziehen, drehte er seinen Oberkörper, um meinem Fuß auszuweichen. Doch der Vorwärtsschwung von seinem Stolpern, als ich nach hinten gefallen war, zerrte immer noch an ihm. Meine aufblitzende Stiefelspitze näherte sich seinem ungeschützten Kinn.
Tonlos entwich die Luft aus Eugeos Mund. Der Arm, der das Schwert der blauen Rose hielt, schnellte mit wilder Kraft seitwärts. Doch egal wie mächtig sein Hieb war, mein Bein war schneller. Wenn ich mich nur darauf konzentrierte, ihn zu treffen, würde ich …
Nein.
Eugeo versuchte keinen Gegenangriff. Er nutzte nicht die Klinge seines Schwerts, sondern den Griff, und er zielte auch nicht auf meinen Körper, sondern auf mein Bein. Ein Rückhandschlag mit dem Schwertgriff. Es war ein ausgesprochen nützlicher Kniff, einer, der in Underworld nicht existieren dürfte, wo die gesamte Schwertkampfkunst von eleganter Feierlichkeit geprägt war. Selbst im alten SAO hatten nur die erfahrensten PvP-Spieler so eine Taktik ausführen können.
Er konnte die Bahn des »Crescent Moon« durch einen Schlag von der Seite verändern. Wohin sollte ich also zielen?
Ich biss die Zähne zusammen und tat alles in meiner Macht Stehende, um den Tritt zurückzuhalten. Aber wenn ich zu sehr dagegenhielt, würde der Skill fehlschlagen, und ich wäre ihm hilflos ausgeliefert. Ich musste den Fortschritt um eine geschätzte Viertelsekunde verzögern, damit seine Hand mich verfehlen würde.
Jetzt!
Ein lautes Krachen ertönte.
Statt Eugeos Kehle zu treffen, wie ursprünglich vorgesehen, erwischte mein »Crescent Moon« den Rücken der Hand, die sein Schwert hielt. Wie die anderen Integrationsritter trug er dicke Kampfhandschuhe, seiner Hand würde also nichts passieren – aber es erzielte den gewünschten Effekt.
Eugeos Hand wurde nach oben geschlagen, sodass ihm das Schwert der blauen Rose entglitt. Es wirbelte hoch in die Luft und bohrte sich in die Marmordecke, wie ich aus dem Augenwinkel sah. Ich packte mein Schwert fester und machte mich für den nächsten Angriff bereit, sobald ich meinen Überschlag abgeschlossen hatte und wieder auf den Füßen gelandet war.
Meine Schuhsohle berührte den Boden, als das Leuchten des Angriffs verblasste. Ich ging in die Knie, um die Aufprallenergie abzufangen, und warf mich nach vorn, bevor ich mich aufrichten oder wieder nach hinten fallen konnte. Mein linker Fuß schoss vor und brachte mich direkt vor die Brustplatte des unbewaffneten Eugeo, auf die ich mit einer einfachen »Slant«-Attacke in einer Aufwärtsdiagonale von links zielte …
Während ich mich erhob und extrem nach vorn gebeugt war, um meinen Skill zu aktivieren, streckte Eugeo seine linke Hand aus. Die Finger glühten grün. Kurz bevor mein Schwert sich in die schimmernde Rüstung graben konnte, hörte ich, wie Eugeo rief: »Burst Element.«
Fünf einzelne Windelemente schossen aus seinen Fingern und schlossen mich in einem Wirbelsturm ein. Da es sich nur um eine einfache Freisetzung handelte, verursachte sie keinen Schmerz, aber die Energie reichte, um mich wie einen Stofffetzen in die Luft zu schleudern.
»Arrgh!«, stöhnte ich und breitete in dem verzweifelten Versuch, das Gleichgewicht zu wahren, die Arme aus. Wenn ich mit dem Kopf gegen die Wand prallte, würde ich zehn Prozent meiner Lebensspanne einbüßen. Stattdessen gelang es mir, mich so zu drehen, dass meine Füße auf die Oberfläche gerichtet waren, die auf mich zuraste.
Beim Aufprall ging eine enorme Erschütterung von meinen Füßen durch meinen ganzen Körper und presste mich gegen die Wand, bis schließlich die Taubheit nachließ und ich wieder auf dem Boden landen konnte. Ich blickte auf und bemerkte, dass Eugeo ebenfalls gegen die gegenüberliegende Wand geschleudert worden war, doch das zusätzliche Gewicht seiner Rüstung hatte ihn am Boden gehalten. Er erhob sich in eine stehende Position, und seine Miene war schon fast nervtötend gelassen.
Ich kam nach ihm auf die Füße und hörte rechts von mir eine leise Stimme. »Ist das wirklich Eugeo, dein Partner?«
Es war Alice, die an der Wand stand und den Kampf beobachtete, wie ich es ihr aufgetragen hatte. Ich warf der Ritterin in der goldenen Rüstung einen flüchtigen Blick zu und zischte: »Was soll das heißen? Du warst doch diejenige, die meinte, er sei synthetisiert worden, oder nicht?«
»Ja, schon … aber … ich weiß nicht, wie ich’s sagen soll«, murmelte sie seltsam zögerlich. »Dafür, dass er gerade erst synthetisiert wurde, ist er viel zu geschickt im Kampf. Weder das ›Incarnate Arms‹, das er vorher angewandt hat, noch diese Windelementtechnik wirken auf mich so, als sei er neu oder unerfahren.«
»Man weiß all diese Dinge also nicht einfach automatisch, wenn man in einen Integrationsritter verwandelt wird?«, fragte ich, nur um sicherzugehen.
Trotz der angespannten Situation zog ich den Kopf beschämt ein, als sie mich anfuhr. »Die Fähigkeiten des Ritterordens kommen nicht einfach aus dem Nichts! Es bedarf eines langen Trainings in den Waffentechniken und Sakralkünsten, um sie anwenden zu können – von den ›Incarnate‹-Fähigkeiten und der vollkommenen Rüstungskontrolle ganz zu schweigen!«
»Ah. O… Okay. Aber … was war das dann gerade? Ich glaube nicht, dass Eugeo zuvor fünf Elemente an einer Hand erschaffen konnte …«
»Deshalb frag ich ja, ob das wirklich Eugeo ist!«
Ich presste die Lippen zusammen und starrte den Ritter in der silbernen Rüstung an, der gelassen auf mich zukam.
Direkt über uns, in der hundertsten Etage der Central Cathedral, befand sich Administrator, die neben Cardinal unten in der großen Bibliothek zu den ultimativen Beherrschern der Sakralkünste gehörte. Sie konnte die Erinnerungen der Leute manipulieren, warum sollte sie also nicht auch einen Doppelgänger erschaffen können, der mit dem Original körperlich identisch war. Und doch …
»Das ist Eugeo«, krächzte ich.
Seine Augen waren glanzlos, seine Wangen fahl, keinerlei Fröhlichkeit umspielte seine Lippen, und doch war der Integrationsritter vor mir kein anderer als mein bester Freund aus Rulid. Ich hatte eine Menge Fehler in Underworld gemacht, aber hier war ich mir absolut sicher.
Wie konnte es sein, dass dieser neueste Integrationsritter Fähigkeiten an den Tag legte, die selbst Alice, die in ihren Rängen an dritter Stelle stand, erstaunten? Ich wusste es nicht. Und ich wusste auch nicht, wie der erzwungene Syntheseprozess bei ihm innerhalb von nur einer Stunde abgeschlossen sein konnte, wenn er üblicherweise drei Tage und Nächte dauerte.
Aber so unmöglich diese ganze Situation auch war, die Realität ließ sich nicht leugnen. Mir blieb nur ein Ausweg: Ich musste alles in mein Schwert legen und es gegen ihn richten.
Ich atmete tief ein, stieß die Luft aus und umklammerte das schwarze Schwert. Eugeo blieb in der Mitte des runden Raums stehen, vielleicht weil er meine Entschlossenheit spürte, und streckte die rechte Hand aus. Die unsichtbaren Mächte des »Incarnate Arms« wurden ausgesandt, zogen sein Langschwert aus der Decke und brachten es ihrem Meister zurück.
Das Schwert der blauen Rose würde niemals einem Doppelgänger gehorchen.
Eugeo ließ das unglaublich schwere göttliche Objekt herumwirbeln und hielt es dann in Brusthöhe. Es gab keine Öffnung in seiner Deckung.
»Soll ich gegen ihn antreten?«, flüsterte Alice.
»Bist du dumm?«, schoss ich zurück und streckte mein eigenes Schwert aus. Eugeo und Alice waren als Freunde zusammen im Dorf Rulid aufgewachsen, auch wenn sich keiner der beiden mehr daran erinnern konnte. Ich konnte nicht zulassen, dass sie gegeneinander kämpften – und außerdem war es meine Aufgabe, Eugeo aufzuwecken.
Als ich Alice als dumm bezeichnet hatte, während wir an der Außenmauer der Kathedrale gehangen hatten, war sie vor Wut explodiert, aber jetzt trat sie einfach einen Schritt zurück und verschränkte die Arme, um anzudeuten, dass sie nicht eingreifen würde, selbst wenn das meinen Untergang bedeutete.
»Danke«, murmelte ich und konzentrierte mich voll und ganz auf die Aufgabe, die vor mir lag.
Für den bevorstehenden Kampf würde ich alles Unwichtige aus meinem Kopf verdrängen. Ich würde eins mit meinem Schwert werden und jeden Trick anwenden, den ich kannte. Andernfalls würde ich den Integrationsritter Eugeo niemals besiegen können – oder zum Herz meines Freundes durchdringen, das noch irgendwo unter dieser dicken Metallrüstung schlagen musste.
Die schwarze Spitze meines Schwerts sang leise. Es war, als würde ein Echo des fernen Donners an dem Tag, als wir vor zwei Jahren aufgebrochen waren, durch die Nebel der Zeit dringen.
Bitte, Partner. Ich gebe dir einen Namen, sobald der Kampf vorbei ist … aber jetzt gib mir Kraft, flehte ich die zuverlässige Waffe in meiner rechten Hand an. Als ich fertig war, atmete ich tief durch und sammelte mich.
Alle Geräusche, die Umgebung und sogar meine Sinne verblassten. Es gab nur noch mich, mein Schwert, Eugeo und das Schwert der blauen Rose. Der Moment, vor dem ich mich unbewusst während der letzten zwei Jahre gefürchtet hatte, war endlich gekommen.
Los geht’s, Eugeo!
Mit einem stummen Brüllen stürmte ich durch den Raum.
Eugeo hielt seine Position und wartete auf meinen Angriff.
Er beherrschte sowohl den Aincrad-Stil der Schwertkunst als auch die fortgeschrittenen Sakralkünste – billige Tricks waren wirkungslos gegen ihn. Ich legte fünfzehn Meter zurück und nutzte meinen Schwung für einen Überkopfangriff von rechts.
Eugeo stampfte so fest auf, dass der Boden hätte aufbrechen müssen, und startete selbst einen zweihändigen Aufwärtsschwung von rechts.
Die schwarze und die weiße Klinge prallten aufeinander und erzeugten einen grellen Lichtblitz. Unsere Waffen wurden zurückgeworfen, aber ich berechnete, dass nicht genug Raum blieb, um einen Sword Skill einzusetzen. Ich legte meine linke Hand an das Heft für einen Zweihandgriff. Ohne gegen den Schwung der schweren Klinge anzukämpfen, erreichte ich mit dem kleinstmöglichen Bogen eine Überkopfposition.
»Jaaa!« Ich stieß meinen gesamten Atem aus und ließ das Schwert herabsausen. Wenn man davon ausging, dass die Werte von Schwert und Träger bei beiden Gegnern absolut identisch waren, war es unmöglich, einen direkten Schlag von oben mit einem Seitwärts- oder Diagonalhieb ganz abzuwehren. Die einzige Möglichkeit, ihn aufzuhalten, wäre, dieselbe Attacke anzuwenden und auf einen gegenseitigen Niederschlag zu hoffen oder darauf, der Bahn des Schwerts zu entgehen.
Aber nach seinem Rechtshieb war sein Schwert noch in dieser Richtung ausgestreckt. Und weil sein Körperschwerpunkt ebenfalls in diese Richtung ging, konnte er auch nicht zurückspringen. Dieses Mal würde ich einen Treffer landen!
Ich ignorierte jegliche Ablenkungen und konzentrierte mich nur darauf, einen so schnellen und mächtigen Treffer wie möglich zu erreichen. Die Spitze des schwarzen Schwerts traf die Schulterplatte meines Ziels. Egal wie hoch die Priorität der Rüstung der Integrationsritter auch war, sie war nicht stark genug, um einem Schlag von einer göttlichen Waffe unbeschadet zu widerstehen.
Mit einem schrillen Kreischen drang die Klinge in das Metall ein und arbeitete sich nach einem winzigen Moment des Widerstands weiter nach unten vor. Ein Lichtstrahl breitete sich von Eugeos linker Schulter zu seiner Brustplatte aus.
Einen Augenblick später erzitterte die schwere Rüstung und zerbrach mit einem Klirren wie zersplitterndes Glas. Die Metallteile flogen vermischt mit einem roten Nebel in die Luft. Es konnte nicht sehr tief sein, aber mein Schwert hatte Eugeo definitiv verwundet.
Sobald ich erkannte, dass ich meinen Freund verletzt hatte, verspürte ich einen schrecklich schneidenden Schmerz an derselben Stelle. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Als mein vertikaler Hieb den Boden erreichte, drehte ich mein Handgelenk und nutzte die Energie des Aufpralls, um dieses Mal nach oben zu schwingen.
Ein dumpfer Schock fuhr durch meine Arme, und mein Schwert wurde zur Seite abgewehrt.
Von der Schulter bis zur Brust aufgeschlitzt zu werden, hatte Eugeo nicht eine Sekunde ausgebremst. Er hatte die Schiene an seinem rechten Bein genutzt, um mein Schwert abzulenken. Als ich erkannte, dass ihn das auch in die richtige Position für einen Gegenangriff brachte, lief mir ein Schauer des Schreckens über den Rücken, und ich wand mich verzweifelt. Das Schwert der blauen Rose kam von links auf mich zu.
Gerade so entging ich einem Treffer am Hals, konnte aber nicht ganz ausweichen. Die Klinge glitt über meine linke Schulter. Statt Schmerz empfand ich jedoch eher eine brennende Kälte und sprang mit dem rechten Fuß ab, um Eugeo mit genau dieser Schulter zu rammen.
Dieses Mal spürte ich den alles versengenden Schmerz, und Blut spritzte auf. Durch den roten Nebel sah ich, wie Eugeo sich mit dem linken Bein abfing, um nicht zu stürzen.
Aus dieser Position wäre ein direkter Gegenangriff unmöglich. Einmal mehr hielt ich mein Schwert einhändig in der Rechten. Die schwarze Oberfläche schimmerte blassblau – die diagonale »Slant«-Attacke. Wenn ich ihn an der rechten Schulter traf, wäre er auf beiden Seiten verwundet und könnte einen solchen Hieb nicht mehr ausführen.
»Raaah!« Aber gerade, als ich die Attacke freisetzen wollte, erschien ein rotes Licht an der anderen Seite von Eugeos Körper.
Es war das Leuchten eines Sword Skills. Aber es gab im Aincrad-Stil keinen Skill, der es ihm ermöglichen würde, mich aus einer Position heraus anzugreifen, bei der mir sein rechter Rücken zugewandt war.
Zu verwirrt und an diesem Punkt auch nicht mehr in der Lage, die Bewegung abzubrechen, aktivierte ich »Slant«. Einen Augenblick später drehte sich Eugeos Körper mit unglaublicher Geschwindigkeit gegen den Uhrzeigersinn. Ein grellroter Blitz schoss von links auf mich zu.
Ich erkannte, dass es der Zweihänder-Skill »Backlash« war – ein Angriff, der auf einen Gegner zielte, der hinter einem stand. Aber den hatte ich Eugeo nie beigebracht.
Der darauffolgende Einschlag verdrängte alle weiteren Gedanken aus meinem Kopf. Mein »Slant« und Eugeos »Backlash« trafen aufeinander, und unsere Schwerter wurden heftig zurückgeworfen. Während frisches Blut aus unseren Schultern floss, richteten Eugeo und ich in perfektem Einklang unsere Schwerter über Kopf aus.
Zwei Klingen, die dunkelblau leuchteten, für den einzelnen, abwärts geführten Schlag »Vertical«.
Auch wenn er als vertikaler Hieb klassifiziert war, war seine Bahn nicht in Stein gemeißelt. Der Winkel konnte um bis zu zehn Grad abweichen, je nach der Position der dominanten Hand. Daher war es möglich, dass sich die Klingen von zwei Leuten, die sich gegenüberstanden, trafen und beide zurückwarfen.
So begann es auch dieses Mal. Das schwarze und das Schwert der blauen Rose trafen auf einem Drittel ihrer Länge aufeinander und versprühten gleißende Funken.
Aber anders als im alten SAO gab es in Underworld Momente, in denen sich zwei Sword Skills begegneten und sich nicht gegenseitig abstießen. Ich vermutete, das trat ein, wenn der entschlossene Kampfeswille – die Stärke der Vorstellungskraft oder Willenskraft – bei beiden Kämpfern der natürlichen Neigung des Systems, Waffen abzuweisen, entgegenwirkte.
Die Schwerter waren ineinander verkeilt und versprühten orange Funken und blaue Lichtblitze. In dieser dritten Pattsituation standen Eugeo und ich uns von Angesicht zu Angesicht gegenüber, und unsere Arme und Schwerter waren in einer völligen Ausgeglichenheit gefangen, während jeder von uns versuchte, den Skill zu Ende zu bringen.
Unter den sprühenden Funken hindurch blickte ich Eugeo in die Augen und zischte durch zusammengepresste Zähne: »Hat diese Attacke von dir einen Namen?«
Mit einer Miene so ruhig wie ein zugefrorener Teich erwiderte Eugeo: »Baltio-Stil, ›Storm Wave‹.«
Auf Anhieb konnte ich nicht sagen, wo ich den Namen dieses Stils schon mal gehört hatte. Ich runzelte die Stirn, und dann fiel es mir ein.
Baltio-Stil. Das war die Schwertkampfschule, deren Stil der Elitekadett Golgorosso Balto praktiziert hatte, der Mentor, dem Eugeo an der kaiserlichen Akademie der Schwertkünste in Nord-Centoria bis März als Page gedient hatte.
Weil er im Vergleich zum Norkia- und zum Hoch-Norkia-Stil schlicht und schnörkellos war, verachteten die adeligen Schüler ihn, so wie sie es auch mit dem Serlut-Stil getan hatten, den meine eigene Tutorin Sortiliena angewandt hatte.
Aber tatsächlich bedeutete das nur, dass es ein pragmatischerer Stil war. Und in dem Jahr, das er Page gewesen war, hatte Eugeo von Golgorosso eine gründliche Einweisung in seine Techniken bekommen. Das warf allerdings eine weitere Frage auf.
»Eugeo … erinnerst du dich, wer dir diesen Angriff beigebracht hat?«, fragte ich erneut und legte all meine Kraft in den Punkt, an dem unsere Klingen sich trafen.
Einen Augenblick später erhielt ich die erwartete Antwort: »Nein, und es ist mir auch egal.«
Er musste genauso viel Kraft aufwenden wie ich, um mich in Schach zu halten, doch sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck waren vollkommen kalt und emotionslos.
»Ich muss nur sie kennen«, fuhr er fort. »Für sie setze ich mein Schwert ein. Ich existiere nur, um ihre Gegner auszuschalten …«
Er hatte also nicht nur Alice und mich vergessen, sondern auch Golgorosso. Und doch kannte er die Namen seiner Skills und wusste, wie man sie anwendete. Die Erinnerungen der Person, die zu einem Integrationsritter gemacht wurde, komplett zu löschen, hätte bedeutet, dass sie auch all ihr Training und die erlernten Sakralkünste vergessen hätte. Deshalb hatte sich Administrator das komplizierte Verfahren des Syntheserituals ausgedacht, um das zu umgehen.
Statt die Erinnerungen der Zielperson komplett zu löschen, blockierte es ihren Zugang, sodass es unmöglich wurde, die Erinnerungen abzurufen, obwohl sie noch da waren. Die genaue Logik dahinter erschloss sich mir nicht ganz, aber es schien ähnlich dem zu sein, was wir in der realen Welt als retrograde Amnesie bezeichnet hätten: Die Erinnerungen an die eigene Identität und die von anderen war verloren, aber Sprach- und sonstige lebensnotwendige Fähigkeiten waren noch vorhanden.
Es war das Piety Module, das in seine Seele, sein Fluctlight, eingesetzt worden war, das verhinderte, dass Eugeos Erinnerungen ungehindert fließen konnten. Aber die Erinnerungen an wen hatten sich an der Stelle befunden, an der jetzt das Modul saß? Wenn ich das wüsste, hätte ich den ersten Schritt geschafft, um ihn wieder zur Vernunft zu bringen …
Aber nein.
Ich würde mehr als Worte brauchen, um den bösen Zauber dieser Frau zu brechen. Seit dem ersten Tag meiner Gefangenschaft in der Welt von Aincrad hatte ich mit so vielen die Klingen gekreuzt – Asuna, Suguha, Sinon, Yuki. Und in dieser Welt waren es Sortiliena, der Elitekadett ersten Ranges Volo und Ritter wie Eldrie, Deusolbert und Fanatio gewesen. Selbst Alice, die sich diesen Kampf aus nächster Nähe ansah.
Schwerter in der virtuellen Welt waren nicht nur polygonale Datenbits. Weil unsere Leben von ihnen abhingen, konnten die Gefühle, die wir in unsere Klingen hineinlegten, die Seele des Gegners erreichen. Ich wollte daran glauben, dass ein Schwert, das frei von Hass war, manchmal ein Verständnis vermitteln konnte, das über bloße Worte hinausging.
Das blaue Licht des »Vertical« verblasste langsam um unsere verkeilten Schwerter. Ich rang meinem Körper seine letzten Kraftreserven ab.
Ich musste sicherstellen, dass mein ganzes Wesen sich nach der Seele meines Freundes ausstreckte.