Читать книгу Sword Art Online Novel - Band 14 - Reki Kawahara - Страница 16

2

Оглавление

»Remove core protection.«

Nur drei Befehlsworte, ein Ausdruck, den er nie zuvor gehört hatte. Doch sobald er ihn ausgesprochen hatte, erkannte Eugeo, dass er gerade eine Tür geöffnet hatte, die niemals geöffnet werden sollte.

Eine Stunde vor dem undenkbaren Duell gegen Kirito hatte Eugeo nur mit Mühe ein schmerzhaftes Unentschieden gegen Bercouli, den Kommandanten der Integrationsritter und Träger eines Schwerts, das in die Zukunft schneiden konnte, erreicht. Aber indem er die Erinnerungsfreisetzungsfunktion des Schwerts der blauen Rose eingesetzt hatte, hatte er sie beide an Ort und Stelle einfrieren können, bis ein seltsamer Mann, der sich Erzbischof Chudelkin nannte, seinen bewusstlosen Körper mit in die hundertste Etage der Central Cathedral genommen hatte.

Dort war Eugeo dem Mädchen mit den silbernen Haaren und den Spiegelaugen begegnet, dieser außerweltlichen Schönheit Administrator, der Hohepriesterin der Kirche. Durch einen geistigen Nebel, der sich einfach nicht lichten wollte, hatte er ihren Worten gelauscht.

Du bist eine Blume in ihrem Beet, der man das Wasser der Liebe entzogen hat. Aber ich bin anders. Ich werde dich und nur dich lieben. Aber nur, wenn du mich ebenso liebst.

Es war, als handele es sich bei den Worten selbst um Befehle der Sakralkunst, die seinen Willen vereinnahmten. Er hörte sich selbst die drei Befehlsworte wiederholen, wie sie es von ihm verlangt hatte.

Es musste sich um eine Art verbotene Kunst handeln. Etwas, das die Tür aufgebrochen hatte, die eigentlich seine wertvollsten Besitztümer beschützen sollte: seine Erinnerungen, Gedanken … seine Seele.

Mit diesem perfekten Lächeln hatte Administrator in Eugeos Verstand geblickt und dort etwas eingepflanzt, das kälter als Eis war.

Dann hatte er wieder das Bewusstsein verloren.

Als er erwachte, war es, als würde er von einer weit entfernten Stimme vom Grund einer tiefen, dunklen Schwärze heraufgeholt.

Helle Funken. Silberner Stahl. Und ein junger Mann mit schwarzem Haar, der erbittert gegen ihn kämpfte.

Da hatte Eugeo erkannt, dass er die Rüstung eines Integrationsritters trug und dass er sein Schwert gegen den Freund richtete, dem er mehr als jedem anderen vertraute, und gegen die Kindheitsliebe, die ihm teurer war als jede andere Seele.

Doch selbst diese Erkenntnis konnte nicht den eisigen Dorn entfernen, der sich ins Zentrum seines Verstands bohrte. Er unterwarf seine Gedanken seinem Willen und befahl ihm unablässig, für den Ruhm der großen Administrator auf diese beiden Feinde einzuschlagen. Unfähig, sich davon abzuhalten, hatte Eugeo die Erinnerungsfreisetzung seines Schwerts der blauen Rose aktiviert und diese beiden teuren Seelen im Eis gefangen. Sein Widerstand war zwecklos, aber dies war der einzige Weg, den Kampf zu beenden.

Ich habe ihren Versuchungen nachgegeben und etwas zerstört, das nie hätte zerstört werden sollen. Und doch gibt es noch Dinge, die ich tun kann … Dinge, die ich tun muss.

»Es tut mir leid, Kirito … Alice«, hatte er hervorbringen können.

Eugeo trat auf die schwebende Plattform, um in die hundertste Etage des Turms zurückzukehren – in Administrators Schlafgemach.

Als die Plattform schwerfällig anhielt, reflektierten Eugeos Rüstung und Schwert das Mondlicht, das durch die riesigen Fenster fiel, und schickten blasse Lichtstrahlen durch den Raum.

Es war etwa zwei Uhr morgens am fünfundzwanzigsten Tag des fünften Monats des Jahres.

Noch vor drei Tagen hatte er zu dieser nachtschlafenden Zeit in seinem Bett im Wohnheim der Elitekadetten geschlafen. Nach einem langen Tag aus Unterrichtsstunden und Training schlief er immer wie ein Stein und wurde erst durch die Morgenglocke geweckt.

Er dachte an die letzten Nächte zurück. Den Zweiundzwanzigsten hatte er in der Strafzelle der Akademie verbracht und den Dreiundzwanzigsten im unterirdischen Gefängnis der Axiom-Kirche – nicht unbedingt die besten Voraussetzungen zum Schlafen. Nach ihrer Flucht am frühen Morgen des Vierundzwanzigsten hatte er einen Kampf nach dem anderen bestanden. Allein bei dem Gedanken wurde sein Körper taub unter der Last der Müdigkeit, aber dieser pulsierende, pochende Eisdorn in seinem Kopf hielt ihn wach.

Gib alles der Hohepriesterin hin. Kämpfe, um die Axiom-Kirche zu schützen, befahl der Dorn, so eisern wie eine Stahlpeitsche und so süßlich wie feinster Honig. In Wahrheit war der »Dorn« wahrscheinlich derselbe violette Kristall, der in Eldries Stirn gesteckt hatte. Und Eugeo hatte das Gefühl, wenn er nachgab und diesen Honig noch einmal kostete, würde er seinen Verstand für immer verlieren.

Die einzigen Gründe, warum er momentan überhaupt bei klarem Bewusstsein war, waren Kiritos verzweifeltes Bemühen und die Unerbittlichkeit ihres Kampfes. Und der Grund, warum er größtenteils unversehrt zurückkehren konnte, war, dass Alice dem Kampf nur zugesehen hatte, statt sich einzumischen.

Alice Synthesis Thirtys Fähigkeiten mit der Waffe und ihr Umgang mit der vollkommenen Rüstungskontrolle ihres Schwerts des goldenen Osmanthus, einem Sturm aus goldenen Blüten, waren eine Kombination, der Eugeo im Augenblick nichts entgegenzusetzen hatte. Wenn sie ihr Schwert gezogen und an Kiritos Seite gekämpft hätte, wäre Eugeo gefallen, bevor er je sein eigenes Bewusstsein hätte wiedererlangen können.

Er konnte sich nicht genau erklären, warum Alice sich einer Rebellion gegen die Axiom-Kirche verschworen haben sollte. Vielleicht war es Kirito gelungen, sie zu überzeugen, wie er es sich bei seinem Aufstieg durch das Treppenhaus ausgemalt hatte. Vielleicht war es etwas sogar noch Beeindruckenderes.

Alice hatte einen Verband über dem rechten Auge getragen, der ausgesehen hatte, als sei er aus Kiritos zerrissener Kleidung gemacht. Eugeo vermutete, was immer passiert war, es war dasselbe gewesen, was ihm auch widerfahren war, als er Humbert Zizek an der Akademie angegriffen hatte. Ihr rechtes Auge musste explodiert sein, als sie das Verbrechen begangen hatte, der Kirche den Krieg zu erklären. Sowohl bei ihrer ersten Begegnung an der Akademie als auch später im Garten über den Wolken in der achtzigsten Etage waren sie nicht in der Lage gewesen, Alice aufzuhalten. Und es war nicht Eugeo gewesen, der sie zu dieser bedeutenden Entscheidung gebracht hatte, sondern Kirito …

Aber darüber darf ich mich jetzt nicht beklagen. Ich habe Administrators honigsüßen Worten nachgegeben. Ich habe die Tür zu meinem Herzen aufgestoßen. Damit habe ich Kirito und Alice betrogen. Tiese und Ronie, Frenica, Golgorosso und Sortiliena, Frau Azurika, die Aufseherin des Wohnheims, Sadore, den Schmiedemeister, und alle auf der Wolde-Farm, Selka und den alten Garitta zu Hause in Rulid, Dorfvorsteher Gasupht und die kleine, weise Cardinal in ihrer verborgenen Bibliothek.

Er umklammerte das Heft seines Schwerts und widerstand dem eisigen Dröhnen, das beständig stärker wurde. Er würde diese geistige Klarheit nicht mehr lange aufrechterhalten können. Er musste für seine Sünden büßen, bevor er für immer verschwand.

Und dafür gab es nur eine Möglichkeit.

Eugeo hob den Kopf und sah sich um. Die Anordnung des neunundneunzigsten und hundertsten Stockwerks musste versetzt sein, da er hier an der Südseite des Raums herausgekommen war. Jenseits der Glasfenster, die den Raum umgaben, gab es nur das Sternenzelt. Die riesigen Dekoschwerter an den Säulen zwischen den Fensterscheiben funkelten im Licht des Mondes und der Sterne.

Plötzlich hatte er das Gefühl, jemand hätte nach ihm gerufen, und blickte nach oben.

Die schneeweiße Decke zehn Mer über ihm zeigte ein Fresko, das ihm schon beim ersten Mal aufgefallen war, als er hier gewesen war: die Geschichte der Götter. Zwischen den Göttern und Drachen und Menschen im Bild waren winzige Kristalle eingelassen, die ihr eigenes Licht abgaben.

Ist es dieses Licht, das mich ruft?

Er kniff die Augen zusammen und konzentrierte sich auf einen der Kristalle. Dann hörte er eine tatsächliche Stimme aus einer anderen Richtung und wandte sich ihr schnell zu.

In der Mitte des weitläufigen Gemachs stand ein rundes Bett, das einen Durchmesser von zehn Mer haben musste. Die Bettvorhänge waren zugezogen und versperrten die Sicht auf das Innere. Aber wenn er genau hinhörte, konnte er eine leise Stimme jenseits des dünnen Materials ausmachen. Was er hörte, bewegte sich irgendwo zwischen einem Singen und einem Flüstern, und es war lieblich anzuhören.

Die Stimme von Administrator.

Es klang, als würde sie eine Sakralkunst rezitieren, doch es fehlte die leidenschaftliche Härte eines Angriffszaubers. Wenn sie nur eine übliche, alltägliche Haushaltskunst anwandte, wäre das seine Chance.

Er steckte das Schwert der blauen Rose in seine Scheide und legte sie auf den Boden, dann zog er die Rüstung aus, die im Kampf gegen Kirito beschädigt worden war. Er legte die Handschuhe, die Stiefel und den Umhang ab, bis er nur noch seine übliche Kleidung aus Hemd und Hose trug. Mit den Fingern strich Eugeo sich über die Brust, um sicherzustellen, dass das, was er nun brauchte, noch da war.

Er machte einen Schritt auf den Betthimmel zu, dann noch einen.

Eine dickliche Gestalt kam unsicher aus den Tiefen des Betts näher. Sie gab ein unangenehmes Glucksen von sich. »Ho hi, hi hi hi … Ich dachte mir doch, dass ich mir so fünf bis zehn Minuten verschaffen könnte. Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass du lebend zurückkommen würdest. Vielleicht bist du doch ein besserer Fund, als mir bewusst war!«

Sobald er die Gestalt im Mondlicht erkannte, stockte Eugeo der Atem. Nur mit Mühe konnte er sich davon abhalten, das Gesicht zu verziehen.

Er trug lächerliche Kleidung, knallrot auf der rechten und knallblau auf der linken Seite. Die Mitte seiner ballonartigen Brust war ein hässlicher Flickenteppich. Sein Gesicht war weiß mit schmalen Augen wie Schlitze und einem breiten, nach oben gebogenen Mund. Die goldene Kappe, die er auf seinem kahlen Schädel getragen hatte, war verschwunden, aber den Rest hätte Eugeo unmöglich verwechseln können.

Es war Erzbischof Chudelkin. Er war am Ende von Eugeos und Bercoulis Kampf erschienen, hatte eine »Deep Freeze«-Kunst angewandt, um den Kommandanten in Stein zu verwandeln, und hatte dann den bewusstlosen Eugeo hierher in die oberste Etage gebracht.

Auch wenn er nur wie ein kleiner, alberner Clown aussah, war er mit ziemlicher Sicherheit nach der Hohepriesterin der mächtigste Anwender der Sakralkünste und ein extrem grausamer Inquisitor. Wenn er herausfand, dass Eugeo (vorübergehend) seinen Verstand wiedererlangt hatte, würde er augenblicklich diese Versteinerungskunst anwenden. Die einzige Möglichkeit, wie Eugeo seine letzte Pflicht erfüllen konnte, war, an diesem Mann vorbeizukommen, ohne einen Verdacht zu erregen.

Chudelkin warf einen Blick auf die Rüstung, die Eugeo abgelegt hatte, und seine fast haarlosen Augenbrauen schossen theatralisch in die Höhe. »Meine Güte. Da hast du ja ganz schön was angerichtet mit der Rüstung, die Ihre Heiligkeit dir gegeben hat. Ich hoffe doch sehr, dass du nicht von den aufmüpfigen Rebellen so zugerichtet wurdest und jetzt mit eingezogenem Schwanz hier angekrochen kommst, Nummer zweiunddreißig …?«

Ihre Heiligkeit musste Administrator sein, diese aufmüpfigen Rebellen Kirito und Alice, und Nummer zweiunddreißig war seine Kennung als Integrationsritter. Er hatte das Gefühl, sich bereits verraten zu haben, doch egal wie, er musste eine Antwort geben.

Eugeo stählte sich und bemühte sich, alle Emotionen aus seinem Gesicht zu verbannen. »Ich habe die zwei Rebellen im Eis eingeschlossen, Erzbischof.«

Chudelkins Augenwinkel zogen sich nach oben, als würde er übers ganze Gesicht strahlen, doch in seinen Augen selbst funkelte kalte, unerbittliche Boshaftigkeit. »Ho ho! Du hast sie im Eis eingeschlossen? Das ist ja alles schön und gut … aber hast du auch deinen Auftrag ausgeführt, Nummer zweiunddreißig?«

Es entstand ein Moment der Stille, und Eugeos Verstand raste.

Natürlich hatte er weder Kirito noch Alice getötet. Die erweiterten Fähigkeiten des Schwerts der blauen Rose dienten dazu, den Gegner festzusetzen, nicht, ihm zu schaden. Solange ihre Gesichter frei waren, würden sie nicht viel von ihrer Lebensspanne einbüßen, auch wenn sie unter einer dicken Eisschicht begraben waren.

Wäre es besser, das nicht zu erwähnen, und einfach zu behaupten, dass sie erledigt waren? Wenn Chudelkin nach unten ging, um es zu überprüfen, würde seine Lüge sofort auffliegen. Kirito hätte in einer solchen Situation dank seiner Intuition und seines Muts sofort die passende Antwort parat gehabt.

Ich habe mich immer nur hinter ihm versteckt. Wann immer ich in Schwierigkeiten war, habe ich Hilfe bei meinem Partner gesucht. Er hat alle wichtigen Entscheidungen getroffen.

Dieses Mal muss ich selbst nachdenken und selbst die Entscheidung treffen. Kirito hat nicht alles seinem Bauchgefühl überlassen. Er hat gut überlegt, die richtige Antwort gefunden und mich bis hierher gebracht. Ich muss wie er denken.

Einen Augenblick lang überlegte Eugeo so angestrengt, dass er das eisige Pochen in seinem Schädel vollkommen vergaß. Er öffnete den Mund und sagte so leise wie möglich: »Nein, ich habe sie nicht erledigt, Erzbischof. Die Hohepriesterin hat mir aufgetragen, die Rebellen ›aufzuhalten‹.«

Eigentlich war er sich nicht sicher, ob das wirklich der Befehl war, den Administrator ihm gegeben hatte. Aber soweit er seinen vagen Erinnerungen trauen konnte, war dieser Mann nicht hier gewesen, als er in diesem Gemach erwacht war. Wenn Chudelkin nicht anwesend gewesen war, als Eugeo in einen Integrationsritter verwandelt worden war, konnte er auch den genauen Wortlaut der Befehle, die er erhalten hatte, nicht beurteilen – und was Administrator gesagt hatte, konnte dieser Mann unmöglich übergehen.

Falls natürlich Administrator vom Bett aus, nur zehn Mer entfernt, zuhören sollte, wäre alles verloren. Doch hinter den Stoffbahnen des Betthimmels schien sie immer noch dabei zu sein, irgendeine Art von Sakralkunst zu rezitieren. Es bestand also eine realistische Chance, dass sie ihn, solange er flüsterte, nicht hören konnte.

Eugeo wartete auf Chudelkins Reaktion und war dabei verzweifelt darauf bedacht, sich sein Nervenflattern nicht anmerken zu lassen.

Die Lippen des kleinen Clownmanns zuckten, und er verzog sie zu einem Schmollmund. »Ganz schlecht, Nummer zweiunddreißig, wirklich schlecht!« Mit einem Finger stach er nach Eugeos Gesicht. »Wenn du mich ansprichst, musst du mich ›Hochwürden Erzbischof‹ nennen. Verstanden? Hochwürden! Wenn du das noch mal vergisst, mach ich dich zu meinem Pferdchen! Ich reite auf deinem Rücken und schlag dir meine Fersen in die Rippen – hi ho hi ho! Hi hi hi hi!«

Er gackerte in den höchsten Tönen, schlug sich dann die Hände vor den Mund und linste zum Bett. Sobald er sicher war, dass Administrator ihre Sakralkunst nicht unterbrochen hatte, bemühte er sich, sich zu beruhigen, wobei er theatralische Gesten vollführte, und strahlte dann. »Tja, dann sollte ich wohl jetzt die Befehle ausführen, die Ihre Heiligkeit mir aufgetragen hat. Dieser arme korrumpierte Ritter muss sofort in ›Deep Freeze‹ versetzt werden. Oh, und du wartest hier, Nummer zweiunddreißig. Es macht einfach keinen Spaß, wenn andere sich einmischen, weißt du? Ho, ho ho ho!«

Eugeo nickte und musste die Übelkeit niederringen, die sich in seiner Brust breitmachte.

Chudelkin watschelte auf die schwebende Plattform am Südende des Raums zu. Wie schon bei Bercouli hatte er sicher auch für Kirito und Alice allerhand erniedrigende Behandlungen im Sinn, während sie in Stein eingeschlossen waren.

Aber eigentlich sollte er sich um sie keine Sorgen machen müssen. Das eisige Gefängnis, das das Schwert der blauen Rose geschaffen hatte, war Alice’ vollkommener Rüstungskontrolle nicht gewachsen. Im Garten über den Wolken hatte Eugeo Alice’ gesamten Körper im Eis eingeschlossen, doch das Schwert des goldenen Osmanthus hatte sich in unzählige winzige Splitter verwandelt, die sich mühelos durch das Eis gefressen hatten.

Entweder hatten sie sich längst aus dem Eis befreit oder Alice würde ihre gnadenlose Macht einsetzen, sobald Chudelkin auftauchte. Der fette kleine Mann jedenfalls hüpfte schnaufend und hechelnd auf die Plattform und begab sich nach unten. Eugeo sah ihm nach und wartete, bis die Plattform leer zurückgekehrt und wieder mit dem Boden verschmolzen war. Der Erzbischof musste sie wieder nach oben geschickt haben, damit er sich in Ruhe amüsieren konnte. Somit war unmöglich zu sagen, was in der neunundneunzigsten Etage vor sich ging.

Schon gut. Der Idiot kann sie nicht besiegen.

Eugeo atmete tief durch, um seine Nerven zu beruhigen, und richtete seinen Blick wieder auf die Mitte des Raums. Er hob seine linke Hand und legte sie über dem Hemd auf seine Brust.

Ich muss nur meinen Teil erfüllen.

Er stählte sich, nahm sein Schwert und setzte sich in Bewegung. Er war nur drei Mer vom Bett entfernt, zwei, einen.

Und genau da endete das endlose Murmeln des Sakralkunstmantras ganz plötzlich, als sei es erstickt worden. Automatisch erstarrte Eugeo, sein Verstand raste.

War die Sakralkunst nur zufällig in genau diesem Moment abgeschlossen gewesen oder hatte sie sich unterbrochen, weil sie spürte, dass er näherkam? Und was war das überhaupt für ein Zauber?

Er blickte sich schnell um, doch nichts schien sich verändert zu haben. Der runde Raum war größer als das Stockwerk darunter, hatte einen Durchmesser von vielleicht vierzig Mer, und es gab kaum Möbel – nur das Bett, den dicken Teppich und mehr als ein Dutzend Säulen mit riesigen Schwert­ornamenten, die als Rahmen für die Fenster dienten, die den Raum umgaben. Im Mondlicht hatten sie golden geschimmert, doch sie wirkten unverändert.

Eugeo gab seine Untersuchung des Raums auf und wandte sich wieder dem Bett zu. Sofort pochte es im Inneren seines Schädels.

Der kalte Schmerz wurde nach und nach schlimmer. Wahrscheinlich würde er nicht mehr lange klar denken können. Bevor er wieder voll und ganz ein Integrationsritter wurde, würde er tun, was getan werden musste.

Er machte noch ein paar Schritte, bis er an der Bettkante stand, und legte dann nach einigem Zögern das Schwert der blauen Rose auf den Boden. Sobald er es losgelassen hatte, überkamen ihn Angst und Einsamkeit, aber er durfte der Frau keinen Anlass geben, ihn für eine Bedrohung zu halten.

Eugeo richtete sich auf, atmete tief durch und betete, dass seine Stimme nicht zittern möge. »Herrin Hohepriesterin …«

Nach ein paar Sekunden der Stille, die sich deutlich länger anfühlten, antwortete ihre Stimme: »Willkommen zurück, Eugeo. Du hast deinen Auftrag erfolgreich ausgeführt.«

»Ja, Herrin …«, flüsterte er. Eugeo war ein schlechter Schauspieler, aber in Rulid hatte er Jahre damit verbracht, seine Gefühle zu unterdrücken. Er musste sich also nur in diese Zeit zurückversetzen. In sein altes Ich, bevor er diesem seltsamen schwarzhaarigen Jungen an der Gigas Cedar begegnet war.

»Sehr gut. Dann schulde ich dir eine Belohnung. Komm zu mir ins Bett«, erklang die sanfte, samtige Einladung von hinter dem Vorhang.

Erneut strich er sich über seine Brust, bevor er vorsichtig den Betthimmel auseinanderzog. Im Inneren herrschte eine purpurne Finsternis, doch der süße, vertraute Geruch lockte ihn tiefer hinein.

Er stützte sein Gewicht auf die seidenen Laken und kroch vorwärts. So groß das Bett auch sein mochte, bis zu seiner Mitte hätten es nur fünf Mer sein sollen. Doch egal wie weit er kroch, er konnte vor sich weder etwas sehen noch ertasten.

Aber wenn er in Panik geriet oder etwas sagte, würde sie wissen, dass sein Geist wieder unter seiner eigenen Kontrolle stand. Er bewegte sich weiter und konzentrierte sich nur auf das Gefühl der Laken.

Plötzlich erschien ein wenig oberhalb seiner Augenhöhe ein blasses Licht, ohne einen Ton von sich zu geben.

Dieses Licht stammte nicht von einer Kerze oder Lampe. Es war ein Lichtelement der Sakralkünste, obwohl er keinen entsprechenden Befehl gehört hatte. Der schwebende kleine Lichtpartikel ließ die Dunkelheit ein klein wenig zurückweichen.

Eugeo sah nach unten und erblickte ihr lächelndes Gesicht nur zwei Mer entfernt. Kurz wurden seine Augen groß, dann fing er sich schnell wieder und verbeugte sich mit auf das Bett gestützten Armen.

Es war ein Mädchen in einem durchsichtigen violetten Kleid mit langem, silbernem Haar. Die Herrscherin über die Menschheit mit ihrer alles übertreffenden Schönheit und ihren Spiegelaugen, die ihre Gedanken verbargen. Administrator, die Hohepriesterin der Axiom-Kirche.

Die junge Frau, die sich entspannt auf der Decke räkelte, starrte Eugeo an, und ihre silbernen Spiegelaugen reflektierten das Licht des kleinen, schwebenden Elements, während sie flüsterte: »Komm zu mir, Eugeo. Wie versprochen werde ich dir geben, wonach du verlangst. Eine Liebe, die nur dir allein gehört.«

»Ja, Herrin …«, erwiderte er und näherte sich ihrer liegenden Gestalt.

Sobald er auf einen Mer heran war, würde er sich auf sie stürzen, ihr den Mund zuhalten, damit sie keine Befehle von sich geben konnte, mit der anderen Hand seine Geheimwaffe unter seinem Hemd hervorziehen und sie damit erstechen. Insgesamt würde das alles nicht mehr als zwei Sekunden dauern, doch gegen einen Gegner wie Administrator schien das eine Ewigkeit zu sein.

Kaum hatte er über seine Rebellion ihr gegenüber nachgedacht, da schoss ein scharfer Schmerz von dem Punkt zwischen seinen Augen in seinen Schädel hinein. Aber er hatte keine Zeit, sich damit zu befassen. Er musste sich entspannen, so gut es ging, und sich näher schleichen, näher …

»Aber zuerst«, flüsterte Administrator, kurz bevor er nah genug herangekommen war, und er hielt inne, »will ich, dass du mir dein Gesicht zeigst, Eugeo.«

Spürte sie seine finsteren Absichten? Würde er versuchen, seinen Plan jetzt auszuführen, würde er misslingen. Er musste gehorchen.

Langsam erhob er sich von den Laken und sah sie an. Dabei behielt er eine versteinerte Miene bei. Wenigstens wollte er vermeiden, ihr in die Augen zu sehen, aber diese glasigen Flächen zogen seinen Blick unwiderstehlich an. Sie selbst gaben nichts preis und hatten doch die Fähigkeit, direkt in die Gedanken eines jeden zu blicken, der in sie hineinsah. Das schwebende Licht verlieh ihnen ein unheimliches Schimmern.

Er hätte nicht raten können, wie viele Sekunden vergingen, bevor die Frau sagte: »Praktischerweise war in deinen Erinnerungen ohnehin schon ein Loch, also habe ich das Modul genau dort eingesetzt. Vielleicht hätte ich nicht so faul sein sollen …«

Sie schien eher mit sich selbst zu reden, und Eugeo wusste zunächst auch nicht, wovon sie sprach.

Da war ein Loch in seinem Gedächtnis? Also hatte ihm schon eine Erinnerung gefehlt, bevor er in dieses Gemach gebracht worden war? Aber er hatte nicht den Eindruck, dass irgendein Teil aus seinem Leben fehlen würde. Vielleicht war gerade, dass er sich nicht erinnerte, das Loch in seinem Gedächtnis. Aber da war noch das, was Cardinal gesagt hatte.

Um das Piety Module einzusetzen, musste erst die wichtigste Erinnerung des Opfers entfernt werden. In der Regel war das die Person, die es am meisten liebte.

Diese Unterhaltung in der verborgenen Bibliothek schien Ewigkeiten zurückzuliegen. Eugeo dachte darüber nach.

Die Person, die ich am meisten liebe … Das wäre Alice Zuberg, das Mädchen, das vor acht Jahren vor meinen Augen von einem Integrationsritter verschleppt wurde. Ich konnte sie nicht vergessen. Wenn ich die Augen schließe, sehe ich, wie ihr goldenes Haar in der Sonne glitzert. Ihre Augen sind blauer als der Himmel im Hochsommer, und dann dieses bezaubernde Lächeln.

Und auch wenn es eine andere Form der Liebe ist, ist da noch mein Partner, ein Freund, der mir fast so wichtig ist wie Alice. Ein seltsamer junger Mann, der mir vor zwei Jahren und zwei Monaten im Wald südlich von Rulid begegnet ist. Ein »Findelkind Vectors« mit schwarzem Haar und schwarzen Augen wie die Leute des Ostens. Kirito ist mein bester Freund – er hat mich aus dem Dorf geholt und mir auf dem Weg in die Central Cathedral zur Seite gestanden. Ich kann dieses freche Grinsen förmlich vor mir sehen.

Alice und Kirito. Vielleicht sehe ich ihr Lächeln nie wieder. Aber selbst wenn es mein Schicksal ist, hier zu sterben, weiß ich, dass ich sie bis zu meinem letzten Atemzug nicht vergessen werde.

Ich hatte gehofft, dass ich mit Kirito und Alice nach Rulid zurückkehren könnte, sobald sie ihre Erinnerungen zurückhat … aber ich habe nicht mehr das Recht, darauf zu hoffen. Ich habe Administrators Versuchung nachgegeben. Ich habe mich selbst verloren. Ich habe mein Schwert gegen die beiden Menschen gerichtet, die mir am wichtigsten sind.

Als er zu dieser Erkenntnis gelangte, spürte Eugeo, wie sein Auge nur ein winziges bisschen zuckte.

Leicht irritiert legte Administrator den Kopf schräg, als wüsste sie nicht genau, wie sie dieses Zucken interpretieren sollte. »Ja, du scheinst immer noch ein bisschen instabil zu sein. Nun gut, dann muss ich dich wohl neu synthetisieren. Deine Belohnung bekommst du im Anschluss, Eugeo.« Sie streckte die rechte Hand aus.

Es wäre vielleicht der ideale Moment zum Angriff gewesen, doch sobald ihr schlanker Finger auf seine Stirn deutete, durchfuhr Eugeo ein äußerst seltsames Gefühl. Sein Körper zuckte und wurde taub, sodass er nicht in der Lage war, zu sprechen oder seine Glieder zu bewegen.

Im nächsten Moment fuhr eine sehr eigenartige Empfindung von dem Punkt zwischen seinen Augen in seinen Hinterkopf hinein.

Die Quelle des eisigen Pochens, dieser Dorn aus Eis, wurde langsam, aber mit Gewalt aus seiner Position gezogen. Es tat nicht weh, aber bei jeder Bewegung des Dorns zuckten Blitze vor seinen Augen, und verschwommene Szenen tauchten vor ihm auf.

Grüne Äste, die im Wind schaukelten. Sanftes Sonnenlicht, das sich durch die Bäume bewegte.

Rennen und Lachen unter ihnen.

Leuchtend goldenes Haar vor ihm.

Widerspenstiges schwarzes Haar, das rechts von ihm auf und ab hüpfte.

Im Rennen blickte der junge Eugeo nach rechts. Doch das Lächeln seines anderen Kindheitsfreundes verging in einem Lichtblitz, unerreichbar …

Ein mächtiger Schock holte Eugeo zurück ins Bett und die Dunkelheit. Während sich sein tauber Körper nach hinten bog, trat etwas Fremdartiges aus seiner Stirn. Ein dreieckiges, durchsichtiges Prisma, das violett leuchtete.

Als sie im Rosengarten gegen den Integrationsritter Eldrie gekämpft hatten, hatte er angefangen, sich merkwürdig zu verhalten, nachdem der Name seiner Mutter gefallen war, bis schließlich eine Art Prisma aus seinem Kopf ausgetreten war. Aber das, was gerade aus Eugeos Stirn austrat, war größer, die eingravierten Symbole waren aufwendiger und das Glühen heller.

Eugeo war so geschockt darüber, dass etwas so Großes die ganze Zeit in seinem Kopf gesteckt hatte, und auch darüber, dass die Sakralkünste von Administrator mächtig genug waren, um so etwas zu vollbringen, dass er einfach nur stumm zusehen konnte.

»Ja … guter Junge. Bleib einfach so«, gurrte die silberhaarige junge Frau. Vorsichtig zog sie das violette Prisma aus Eugeos Kopf. Sobald das Objekt entfernt war, setzte sein Verstand aus, und Eugeo sackte hilflos auf die Laken.

Administrator hielt das Prisma in den Fingerspitzen und betrachtete es liebevoll. »Das ist ein weiterentwickeltes Modell des Moduls. Ich habe es gerade erst fertiggestellt. Es erzwingt nicht nur Loyalität mir und der Kirche gegenüber, es enthält auch Schaltkreise, die die Fantasie anregen. Mit diesem Teil hier ist weiteres ineffizientes Training unnötig. Du wirst ›Incarnation‹ sofort einsetzen können. Fürs Erste ist es allerdings immer noch auf sehr grundlegende Funktionen beschränkt …«

Eugeo verstand nicht mal die Hälfte von dem, was sie sagte. Aber eines war klar – dieses Prisma, das Piety Module, kontrollierte seine Gedanken, machte ihn zu einem Integrationsritter und ließ ihn seine Freunde bedrohen. Ja, er hatte diesen Pfad selbst gewählt, aber jetzt, wo das Modul entfernt war, konnte er seine letzte Aufgabe erfüllen, ohne dass ihm diese lästige künstliche Gehorsamkeit in die Quere kommen konnte. Er bemerkte, dass der schrecklich kalte, stechende Schmerz ebenfalls aus seinem Kopf verschwunden war.

Doch auch ohne das Modul ließ die Taubheit, die ihn überkommen hatte, als sie mit dem Finger auf ihn gezeigt hatte, nicht nach. Er hatte keinerlei Kontrolle über seine Glieder.

Wenn er doch nur seine rechte Hand bewegen könnte. Dann könnte er das Ding an seiner Brust packen und sie damit erstechen …

Er wehrte sich mit aller Kraft gegen diese Pose, in der er mit gebeugtem Rücken gefangen war – und dann streckte sie ihre Hand wieder aus.

Eugeos Augen rollten nach oben, und er sah die Hohepriesterin. Sie hatte das Modul in der linken Hand und war ihm so nah, dass ihre Knie sich fast berührten. Ohne dass er auch nur dem geringsten Druck widerstehen konnte, wurde sein Kopf zu der lächelnden Frau hingezogen, und er fiel nach vorn.

Administrator bettete seinen Kopf in ihren Schoß und fuhr mit der Fingerspitze seinen Haaransatz nach. »Zeig mir noch mal deine Erinnerungen. Dieses Mal versenke ich das hier am allerkostbarsten Platz. Dann wird auch dein Kopf nicht mehr wehtun. Und noch besser … du wirst für immer frei sein von all diesen sinnlosen, armseligen Problemen und Schmerzen, deinem Hunger und deinem Durst.«

Der blasse Finger zog sich zurück und strich dann über seine Lippen. Das taube Gefühl verging, aber nur um seinen Mund herum.

Erneut zog sie die Hand weg, schenkte ihm ein Lächeln, bei dem ihm die Sinne vergingen, und forderte: »Jetzt sag noch mal die Worte, die ich dir beigebracht habe.«

Jetzt, wo er wieder ein wenig Kontrolle über sie hatte, zitterten Eugeos Lippen. Seine Erinnerung an den Kampf mit Kirito als Integrationsritter war verschwommen, genauso wie alles, was davor gewesen war. Aber die drei Befehlsworte, die er rezitieren sollte, standen ihm klar vor Augen.

Remove core protection.

Die sakralen Worte waren ihm unbekannt, und er konnte nur raten, was sie bedeuteten, aber eines war sicher: Dieser knappe Befehl diente dazu, die Tür, mit der alle Menschen geboren waren – und die geschlossen bleiben sollte, um den Geist zu schützen –, aufzureißen.

So war es Administrator gelungen, in Eugeos Erinnerungen zu blicken und die Leerstelle zu finden, in die sie das Piety Module eingesetzt hatte. Aber ihrer Aussage zufolge war der Syntheseprozess instabil gewesen, weshalb sie nun einen neuen Versuch startete.

Trotz der unglaublichen Gefahr, in der er sich befand, war Eugeo immer noch bei klarem Verstand, was bedeutete, dass die Tür wieder geschlossen war. Entweder schloss sie sich mit der Zeit selbst oder die Hohepriesterin hatte sie aus irgendeinem Grund geschlossen, nachdem sie fertig gewesen war. Er wusste es nicht. Aber wie dem auch sei, um ihn neu synthetisieren zu können, war Administrator darauf angewiesen, dass Eugeo den aus drei Worten bestehenden Befehl erneut aussprach.

Wenn er das tat, würde er aller Wahrscheinlichkeit nach vollkommen zu einem Integrationsritter werden und nie wieder die Gelegenheit bekommen, Alice’ Erinnerungen wiederherzustellen.

Aber wenn er sie nicht aussprach, würde Administrator seinen Verrat erkennen.

Der Moment war gekommen. Genau jetzt, während ihre Haut ungeschützt vor ihm lag, eröffnete sich Eugeo die letzte und beste Gelegenheit. Er musste einen Weg finden, das Gefühl in seinen tauben Händen wiederherzustellen, und sie erstechen.

Mit einer einfachen Geste hatte sie seinen Körper gelähmt. Und nicht nur das – sie hatte auch ohne ein Wort ein Licht über ihnen generiert.

Es hatte noch eine andere Situation gegeben, in der Eugeo beobachtet hatte, wie eine unsichtbare Macht genutzt worden war, ohne dass ein Befehl gesprochen worden wäre, auch wenn es sich um eine andere Art der Sakralkunst gehandelt hatte. Zuvor war es Bercouli Synthesis One gewesen, gegen den er viele Stockwerke tiefer im Badehaus gekämpft hatte – den Eugeo eigentlich als den Helden der alten Geschichten kannte, der das Dorf Rulid gegründet hatte. Mit einer einzigen Handbewegung hatte er sein entfernt liegendes Schwert an seine Seite geholt.

Genau genommen war das nicht das einzige Mal gewesen. In der großen Bibliothek hatte Cardinal Passagen mit einem Schwenk ihres Stabs geschlossen und Tische aus dem Nichts erscheinen lassen. Es musste ein Machtlevel geben, auf dem einfache Gedanken dieselbe Wirkung haben konnten wie das Rezitieren von Sakralkünsten.

Natürlich war Eugeo noch vor wenigen Tagen nichts weiter als ein Schüler an der Akademie gewesen. Seine Fähigkeiten in den Sakralkünsten waren nicht einmal so gut wie die der Novizen in der Axiom-Kirche, ganz zu schweigen von Meistern wie Administrator oder Cardinal.

Aber jetzt, in diesem Moment, blieb ihm nur die Macht seines Geistes, um diese Lähmung zu überwinden.

Kirito hatte ihm einst erklärt, dass man das, was einem am wichtigsten auf der Welt war, in sein Schwert legen musste. Mit anderen Worten, das Schwert bemächtigte sich der Kraft, die man in Herz und Geist trug, und dadurch wurden seine Hiebe härter und schneidender.

Wenn der Geist ein Schwert stärker machen konnte, musste dasselbe auch für die Sakralkünste gelten … oder überhaupt für alles, was Menschen taten.

Beweg dich, betete Eugeo. Seine Lippen öffneten sich, und er atmete gleichmäßig. Beweg dich, Hand, los.

Ich habe so viele Fehler in meinem Leben gemacht. Ich konnte Alice nicht retten, als der Integrationsritter sie verschleppt hat. Ich habe Jahre verschwendet, in denen ich nicht nach ihr gesucht habe. Und als ich endlich am Ende meiner langen Reise angelangt war, habe ich das Ziel aus den Augen verloren. Ich muss all meine Schwächen wettmachen.

»B…« Ein heiseres Krächzen entrang sich seiner Kehle. »Be…«

Administrators Lächeln, das direkt über seinem Kopf schwebte, erstarb. Ihre silbernen Spiegelaugen verengten sich, während sie versuchte, zu ergründen, was Eugeo vorhatte. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Er leitete alle Energie, die ihm zur Verfügung stand, in seine rechte Hand.

Doch die Taubheit wollte nicht nachlassen. Tausende unsichtbarer Nadeln stachen auf seine Finger und seine Handfläche ein und hielten sie an Ort und Stelle. Wenn er nur einen Moment lang seine Hand bewegen könnte, könnte sie danach gern in tausend Scherben zerspringen. Er musste kein Schwert schwingen. Nur eine winzige …

»Be…weg …«, presste er hervor.

In diesem Moment hüllte ein Licht seine Hand ein, die auf dem Laken lag. Es war warm und sanft und schien jeglichen Schmerz fortzuspülen. Augenblicklich verschwanden die Eisdornen, die sein Fleisch und seine Knochen durchbohrten.

»Was hast du …?«, murmelte Administrator und versuchte, vor ihm zurückzuweichen. Doch Eugeos bewegliche Hand glitt bereits in den Kragen seines Hemds und packte das Objekt, das dort an einer Kette um seinen Hals hing.

Es war ein kleiner Dolch, der in einem dunklen Kupferton glänzte.

Er zog ihn heraus und stach zu. Das Ziel war die weiße Haut, die aus dem tiefen Ausschnitt von Administrators Nachthemd herausschaute.

Er konnte sie gar nicht verfehlen. Die Klinge maß vielleicht nur fünf Cen, aber sie waren so dicht beieinander, sie berührten sich ja quasi schon – sie konnte unmöglich zu kurz sein.

Doch gerade als die nadelfeine Spitze in die Haut von Administrator eindringen sollte, passierte etwas Unfassbares.

Ein Krachen wie ein Donnerschlag ertönte, und um die Spitze des Dolches herum erschien ein Streifen aus violettem Licht. Die glühende Oberfläche bestand aus extrem winziger sakraler Schrift. Die Zeichen waren so klein, sie sollten gar keine Masse haben, und doch widerstand der dünne Film der scharfen Messerspitze.

»Hrrggh …!«

Eugeo biss die Zähne zusammen und beschwor seine gesamte Willenskraft, um den Widerstand zu durchbrechen. Cardinal hatte ihm und Kirito jeweils einen dieser Dolche gegeben. An und für sich hatten sie praktisch keine Angriffsstärke, doch das Ziel würde empfänglich werden für die Sakralkünste der kleinen Weisen in ihrer isolierten Bibliothek.

Eugeos Dolch hatte den Integrationsritter Alice in Schlaf versetzen sollen, und der von Kirito hätte Administrator bezwingen sollen. Aber dieser hatte seinen bereits bei Fanatio Synthesis Two verwendet, der Vizekommandantin der Ritter, gegen die sie auf der fünfzigsten Etage gekämpft hatten.

Sword Art Online Novel - Band 14

Подняться наверх