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ОглавлениеVorwort
Morde an Frauen, sogenannte Femizide, waren in der DDR ein Tabuthema. Dennoch geschahen sie, denn männliche Egos zu kränken, war auch in diesem Land zuweilen lebensgefährlich. Obwohl die Gleichberechtigung nicht nur auf dem Papier stand. Die Sozialisation der Frauen war, verglichen mit heute, privilegiert. Sie hatten Berufe und Partner auf Augenhöhe. Jedenfalls vorwiegend …
Der Begriff »Frauenmorde« stellt allerdings eine ziemlich verwässerte kriminalistische oder kriminologische Kategorie dar, die alle Tötungen von Frauen – überwiegend durch Männer – umfasst. Die Motive können höchst unterschiedlich sein. Bei unseren Fallbeschreibungen haben wir Sexualmorde ausgeklammert. In zwei von den hier dargestellten Fällen war jenes gekränkte männliche Ego der entscheidende Antrieb für die Tötungen der Ehefrauen. Bei den beiden anderen Fällen handelt es sich um klassische Raubmorde, bei denen sich die Opfer zur falschen Zeit am falschen Ort befanden und die mit dem »sozialen Nahraum«, wie es in der Kriminologie heißt, also mit der Familie, mit Freunden oder Bekannten, rein gar nichts zu tun hatten.
Femizide sind heute ein hochaktuelles gesellschaftliches Thema. Nach einer Studie der Vereinten Nationen (United Nations, UN) wurden 2017 weltweit fünfzigtausend Frauen von Partnern, Ex-Partnern und Familienangehörigen »wegen ihrer Rolle und ihres Status als Frau«, wie es heißt, getötet, und die Zahlen steigen beängstigend. Als Gründe führt die UN-Studie unter anderem Eifersucht, Angst, verlassen zu werden, und den Wunsch, Frauen zu kontrollieren, an. Ist der Partner oder Ex-Partner der Täter, kommt es meist nicht spontan zum Mord; die Taten folgen vielfach aus einer »Gewaltspirale«.
Nach Zahlen des Bundeskriminalamts versucht in Deutschland im Durchschnitt jeden Tag ein Mann, seine Frau oder Ex-Partnerin umzubringen. 2018 wurden bundesweit 123 Frauen von ihren Lebensgefährten oder (Ex-)Männern getötet, hinzukamen 208 Mord- beziehungsweise Totschlagsversuche.
Bei den von uns hier dokumentierten authentischen Kriminalfällen aus der DDR konnten alle Verbrechen aufgeklärt werden, wobei den Kriminalisten in der Lutherstadt Wittenberg das Glück zur Seite stand und im Berliner Mordfall der Täter auf frischer Tat gestellt werden konnte. Beim Verbrechen von Mittweida wurde der Mörder zunächst nicht ermittelt; das gelang erst nach zwölf Jahren zum Ende der DDR. Der Mord in Rostock dagegen war als Suizid getarnt worden.
Auf Basis der originalen Akten rekonstruieren wir in bewährter Weise die realen Tathergänge und schildern minutiös die kriminalistischen Untersuchungen, die Spurensuche und -sicherung sowie die Befragungen und Vernehmungen, aber auch die Gerichtsverfahren und die psychiatrische Begutachtung der Beschuldigten beziehungsweise Angeklagten.
Die Namen der Täter, Opfer und Zeugen sind von uns aus personenrechtlichen Gründen verändert worden. Für die so neu erfundenen Namen erklären Verlag und Autoren, dass Personen mit diesen Namen in den behandelten vier Kriminalfällen niemals existiert oder agiert haben. Übereinstimmungen wären rein zufällig.
Ein längeres Zitat aus einem Originaldokument (Protokoll über die geführten Ermittlungen vom 7. Mai 1970 im Fall Elise Kunze/Lutherstadt Wittenberg) ist kursiv gesetzt. Zitierungen von Vernehmungen sind daran zu erkennen, dass wir die uns vorliegenden Protokolle wie im Original veröffentlichen – immer mit Frage und Antwort. Auslassungen in den Dokumenten sind generell mit (…) gekennzeichnet worden. Die Abbildungen haben wir bis auf einige Ausnahmen den Akten der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) entnommen.
Wir danken allen sehr herzlich, die unser Projekt engagiert unterstützt haben, an erster Stelle Frau Christel Brandt von der BStU für die Bereitstellung der Akten. Unser besonderer Dank gilt der Diplomkriminalistin Ines Friedrich für ihre ausgezeichnete Diplomarbeit von 1994 zum Thema »Zur Aufklärung von Tötungsverbrechen multipler Täter – eine retrospektive Fallanalyse«, die der Beschreibung des Berliner Kriminalfalls zugrunde liegt.
»Der scharlachrote Faden des Mordes durchzieht die farblose Oberfläche des Lebens, und wir haben die Pflicht, ihn zu finden und zu isolieren und auf ganzer Länge bloßzulegen«, sagte der Meisterdetektiv Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles Roman Eine Studie in Scharlachrot.
Wir möchten mit unserem neuen Buch zeigen, dass es die Kriminalisten der DDR durchaus verstanden haben, die »scharlachroten Fäden« der Morde sichtbar zu machen, Tötungsdelikte aufzuklären und damit Mörder im Interesse des Schutzes der Gesellschaft dingfest zu machen. In einem Fall gelang dies erst nach zwölf Jahren, aber Ähnliches passiert ja heute auch noch …
Und wir möchten, dass diese entsetzlichen Geschichten mit herübergenommen werden in die neue Zeit, damit die Taten, vor allem aber deren Opfer nicht in Vergessenheit geraten.
Remo Kroll und Frank-Rainer Schurich