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Vorwort

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In der vorliegenden psychologischen Aufarbeitung konfrontiere ich mich mit der Verfassung der DDR und belege, dass der Unrechtsstaat DDR gegen seine eigene Verfassung verstoßen hat, um Menschen psychisch hinzurichten. Ich habe mich mit Zeitzeugen unterhalten und berichte hier, wie es Betroffenen ging, als zum 13.08.1961 die Mauer hochgezogen wurde. Während dieser Aufarbeitung bleibt es nicht aus, dass ich in die Vergangenheit abtauche – jetzt bitte keine Angst, ich lebe im Hier und Jetzt und nicht in der Vergangenheit. Mir ist nicht die Vergangenheit an sich wichtig, sondern ihre Aufarbeitung. Ich schaue lieber in die Zukunft als zurück. Deshalb schließe ich die einzelnen Abschnitte dieses Buches mit kleinen Geschichten ab, in denen ich beschreibe, womit ich mich heute beziehungsweise im Augenblick beschäftige.

Seitdem ich denken und handeln kann, bin ich gezwungen, Entscheidungen, die mich und mein Leben betreffen, selbst zu fällen. Bis zu meinem einundfünfzigsten Lebensjahr gab es auf familiärer Seite niemanden, mit dem ich mich über Privates und Probleme unterhalten konnte. Warum das so war, beschreibe ich in meinem ersten Buch „Der Staat in der Republik“ – ich möchte mich in hier nicht wiederholen. Ich gehe davon aus, dass die meisten Menschen sich, wenn nötig, Rat und Unterstützung in der Familie holen. Das konnte ich nicht, und so habe ich mir in meinen Gedanken einen Richter eingerichtet, mit dem ich mich austausche. Für die meisten mag dies absurd klingen, doch mir blieb nichts anderes übrig, denn sonst wäre ich unter die Räder gekommen.

Der Richter in meinem Kopf ist sehr hart und hat stets versucht, mich als Verlierer dastehen zu lassen. Doch er kennt meine starre Haltung nicht, die mich dazu zwingt, verschiedene Instanzen gedanklich durchzugehen. Dabei betreibe ich auch Recherchen. Der Richter in mir kann mich hinrichten, mich als Verlierer dastehen lassen und dafür sorgen, dass es mir schlecht geht. Ich selbst hingegen kann entscheiden, ob ich das tue, was der Richter in mir verlangt, oder ob ich auf dem Weg durch die verschiedenen Instanzen dagegen ankämpfe.

Ich beginne meine Aufarbeitung mit Situationen, die mir als Kleinstkind widerfahren sind. Von dem Tag an, wo ich gezwungen war, selbst Entscheidungen zu treffen, geht es oft sehr hart zu, weil ich elternlos aufwachsen musste. Der Richter in mir spielte lange Jahre eine gewichtige Rolle, bis ich im Jahr 2013 mit einundfünfzig Jahren endlich meine Geschwister von väterlicher Seite gefunden habe. Der Leser wird auch erfahren, dass ich ein humorvoller, ja oft lustiger Mensch bin und nicht an Politikverdrossenheit leide. Heute agiert der Richter nur noch in einer untergeordneten Rolle.

Um alles realistisch erscheinen zu lassen, präsentiere ich, wie schon in meinem ersten Buch, Originaldokumente. Stempel, Anschriften und Unterschriften sind aus rechtlichen Gründen geschwärzt. Personen, die in den Geschichten eine Rolle spielen, agieren unter verfremdeten Namen – eine Ausnahme bilden meine Geschwister väterlicherseits. Es sind Zeichnungen von meiner großen Schwester und von mir zu sehen.

Dem Richter in mir habe ich bereits klargemacht, dass die Gründung der DDR und der Mauerbau völkerrechtswidrig waren, ebenso wie die Zwangsadoptionen, die aufgrund des Mauerbaus geschahen. Walter Ulbricht, zu dieser Zeit Chef der SED, verkündete in seinem bekanntesten Spruch: „Niemand hat vor, eine Mauer zu errichten.“ Ich denke, dass sich die Menschen, als sie dies hörten, sicher fühlten und noch etwas Reisefreiheit genossen, ohne daran zu denken, dass der russische Sektor dichtgemacht wurde. An diesem 13.08.1961 stellte man Bürger vor vollendete Tatsachen, niemand konnte sich in dem geteilten Land mehr von A nach B bewegen, Bürger aus der damaligen Bundesrepublik Deutschland (BRD) wurden Eigentum der DDR und konnten nicht mehr zu ihren Familien und Angehörigen. Diejenigen, die es trotzdem wagten, wurden zersetzt und kamen in Strafvollzugsanstalten in der DDR. Ebenso ging es Gegnern des Mauerbaus und freiheitsliebenden Menschen.

Vielleicht gelingt es mir ja, den psychischen Mord an meiner Mutter mit diesem Buch aufzudecken und vor allem aufzuarbeiten – Dokumente vom Referat Jugendhilfe und dem MfS (Ministerium für Staatssicherheit) liegen mir vor. Der Spruch „Das war damals so“ klingt in meinen Ohren wie ein Freispruch für die Täter.

Ein Opfer bin ich nicht mehr, heute kämpfe ich um mein Recht!

Um während der Beschäftigung mit meiner Aufarbeitung nicht emotional abzugleiten, habe ich Emotionen auf Leinwand oder Karton gebracht und präsentiere diese hier. Zudem bringe ich vier Gedichte von Gerda Kocí mit ein. Gerda war damals Auszubildende im Dauersäuglingsheim Dresden, Weinbergstraße 2 und wollte in den Jahren 1961/62 Säuglingsschwester werden.

Eine Anmerkung zum Schluss: Die zahlreichen Akten, die mir für meine Aufarbeitung zur Verfügung standen, lagen größtenteils auf Pergamentpapier vor. In all den Jahren seit ihrem Entstehen hat jedoch die Qualität entsprechend gelitten und einige Passagen sind kaum lesbar. Es ist mir dennoch wichtig, die Dokumente hier zu zeigen, sind sie doch Zeugnis all dessen, was ich vom Tage meiner Geburt an erlebt habe.

Der Richter in mir

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