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Akteneinsicht beim BStU Dresden

Bevor ich mit der Aufarbeitung beginnen konnte, benötige ich noch weit mehr Material als nur meine Kinderheimakte. Mir fehlte noch die Einsicht in meine Stasi-Akte und die meiner Mutter. Mir war bekannt, dass das MfS und das Referat Jugendhilfe wie mit einer Axt durch den Wald durch die Familie von mütterlicher und väterlicher Seite gegangen sind.

René, nun fang an zu erzählen und halte dich nicht gleich zu Beginn mit ewigen Wortspielereien auf.

Klappe jetzt, und hör mir zu, sonst nimmt das Kapitel kein Ende. Im Jahr 2010 beantragte ich Akteneinsicht beim BStU, dem Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, Außenstelle Dresden, worauf ich zunächst eine Eingangsbestätigung erhielt. Das hörte sich dann so an:

„Sehr geehrter Herr Münch, mit meinem Schreiben vom 06.05.2010 erhielten Sie die Auskunft, dass Sie in den seinerzeit vorhandenen und erschlossenen Karteien des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR mit Ihren Personalien auf einer Karteikarte zwar erfasst waren, aber keine Unterlagen ermittelt werden konnten.


So sieht die Karteikarte aus, wenn man bei VEB Horch und Guck registriert war.

Aufgrund Ihres erneuten Antrags auf Akteneinsicht wurden nochmals umfangreiche und aufwendige Recherchen in der Zentralstelle Berlin und der Außenstelle Dresden durchgeführt. Diese Recherchen haben keine Hinweise auf Unterlagen ergeben, die über die Ihnen bereits bekannten hinausgehen. Da die Erschließung der Archive inzwischen weit fortgeschritten ist, gehe ich davon aus, dass auch in Zukunft zu Ihrer Person keine weiteren Unterlagen aufzufinden sind.“

René, die wollen nicht, dass Dinge, die dich betreffen, ans Tageslicht kommen.

Ach, mach mich jetzt mal nicht verrückt, Richter. Wenn das so ist, muss der BStU Dresden damit klarkommen. Hier geht es um mich, meine Gesundheit und meine Familie. Ich wurde 1962 geboren und nicht 1990, als man das MfS abgewickelt hat. Da ich aufgrund der Kinderheimakte nun auch das genaue Geburtsdatum meiner Mutter und meines Vaters kannte, konnte ich nach Vorlage der Sterbeurkunden die entsprechenden Akten beantragen. Am 18.04.2013 erhielt ich folgende Mitteilung: „Mit oben genanntem Antrag haben Sie Zugang zu betreffenden Informationen in Unterlagen zu anderen Personen beantragt. Dies gilt als Antrag eines Dritten im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz.“

Andere Personen sind doch deine Eltern, René.

Ich weiß, Richter.

Am 11.06.2014 kam diese Information: „Sie haben Zugang zu den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR beantragt, die möglicherweise zu Ihrer verstorbenen Mutter vorhanden sind. Sie werden in Kürze über Art und Umfang der zu dem Antrag aufgefundenen Unterlagen informiert. Sobald die eventuell vorhandenen Unterlagen für Sie aufbereitet sind, setze ich mich wieder mit Ihnen in Verbindung. Bitte haben Sie dafür Verständnis.“ Jetzt kommt der Akt am 09.09.2014, der einen schon mit Flashbacks versorgen kann: „Die Recherchen haben ergeben, dass Informationen zu Ihrer Person als Dritter im Sinne des § 6 Abs. 7 Stasi-Unterlagen-Gesetz vorliegen. Nach § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 12 ff. Stasi-Unterlagen-Gesetz haben Sie nur zu dem Teil der Unterlagen Zugang, der Informationen zu Ihrer Person enthält. Diese Unterlagen haben einen Umfang von 3 Seiten.“

Respekt vor dem BStU Dresden, kann ich dazu nur sagen, René!

Ich sehe das anders, du Nase. Aber Geduld bitte, der Kampf mit dem BStU Dresden ist noch nicht vorbei. Also hör hin – und Kommentare bitte zum Schluss! „Um einen schnellen Zugang zu ermöglichen, sende ich Ihnen Kopien dieser Unterlagen zu.“

Sag mal, René, hattest du nicht um Akteneinsicht gebeten?

Ja, sicher hatte ich das, und einen Rechtsanspruch auf Akteneinsicht habe ich auch. Die müssten sich vielleicht mal schulen lassen, die Mitarbeiter vom BStU Dresden. Ich gebe da sehr gern Tipps zum Thema „Akteneinsicht“:

Akteneinsicht für nahe Angehörige vermisster oder verstorbener Personen

Die Akten vermisster oder verstorbener Personen sind in der Regel nicht zugänglich. Für nahe Angehörige von Vermissten oder Verstorbenen gelten jedoch Ausnahmeregelungen. Nahe Angehörige sind Ehegatten, Kinder, Enkelkinder, Eltern und Geschwister; unter bestimmten Voraussetzungen zählen auch adoptierte Kinder und deren leibliche Eltern dazu. Sind keine nahen Angehörigen mehr vorhanden, können auch Verwandte bis zum dritten Grad (also Großeltern, Urenkel, Onkel, Tanten, Nichten oder Neffen) Anträge stellen.

Die genannten nahen Angehörigen müssen ein berechtigtes Interesse glaubhaft machen und schlüssig darlegen, dass sie mit Hilfe eventuell vorhandener Stasi-Unterlagen im Zusammenhang mit dem DDR-Regime stehende Ereignisse oder staatliche Maßnahmen aufarbeiten möchten.

Die Angehörigen bis zum dritten Grad können, sofern keine nahen Angehörigen vorhanden sind, Akteneinsicht beantragen, wenn es ausschließlich um

- Fragen der Rehabilitierung,

- den Schutz des Persönlichkeitsrechts, insbesondere zur Klärung einer Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst,

- die Aufklärung des Schicksals der vermissten oder verstorbenen Person geht.

Der Nachweis, dass der Angehörige vermisst oder verstorben ist und der Nachweis des Verwandtschaftsverhältnisses sind dem Antrag beizufügen. Angehörige bis zum dritten Grad müssen zudem den Nachweis erbringen, dass keine nahen Angehörigen vorhanden sind.

Die Unterlagen dürfen nur im Rahmen des glaubhaft gemachten berechtigten Interesses bzw. glaubhaft gemachten Zwecks zur Verfügung gestellt werden und soweit keine überwiegend schutzwürdigen Interessen des Vermissten oder Verstorbenen oder anderer Personen (z. B. anderer Angehöriger) beeinträchtigt werden.

Die Klärung gegenwärtiger vermögensrechtlicher Fragen, sonstiger Familienstreitigkeiten sowie die Klärung der eigenen Abstammung oder die Suche nach leiblichen Eltern begründen kein Recht auf Zugang zu eventuell vorhandenen Unterlagen, da es hier an dem vom Gesetzgeber geforderten Aufarbeitungszweck des Stasi-Unterlagen-Gesetzes fehlt.

Richter, ich glaube, der BStU Dresden mag mich nicht. Immer dann, wenn ich persönlich dort Anträge und Unterlagen eingereicht habe, bekam die Sachbearbeiterin ein schlechtes Gewissen und einen roten Kopf. Das gibt mir schon zu denken. Warum das so sein könnte, erfährt der Leser in meinem Buch.

Ich helfe dir bei der Aufarbeitung, René.

Ja, doch bitte lass uns nicht alles auf einmal angehen, sondern Schritt für Schritt. Ich will ja meine Mutter und mich rehabilitieren lassen, da zählen Fakten und knallharte Recherchen. Hier geht es schließlich um psychischen Mord, weswegen sich auch der BStU Dresden scheut, mit mir eine vernünftige Akteneinsicht durchzuführen, wie es der Gesetzgeber vorschreibt. Mittlerweile nerve ich die beim BStU Dresden. Und siehe da: Am 30.09.2014 bekam ich erneut Post. Darin bittet mich die Außenstelle Dresden, folgende Angaben über meinen Fall betreffende Täter zu machen: das genaue Geburtsdatum, den Geburtsort sowie Wohn- und andere Orte, die für die Recherchen in Frage kommen. Lieber BStU Dresden, ich habe nicht einmal die Handynummern von den Tätern, die ich Ihnen benannt habe, die werden sich auch hüten, mir die Daten freiwillig zu geben, und zum Schnüffler lasse ich mich nicht machen. Mir blieb nichts anderes übrig, als eine Liste von mir bekannten Tätern zu erstellen mit ihrer jeweiligen Funktion, die sie zu DDR-Zeiten innehatten. Es begann mit den Mitarbeitern der Abteilung Volksbildung und endete mit dem ABV (Abschnittsbevollmächtigten), das Ganze versehen mit einem Eingangsstempel vom 23.09.2014. Seitdem herrscht Funkstille zwischen dem BStU Dresden und mir. Wie so eine Anonymisierung des BStU ausschaut, erfährt der Leser auf den nächsten Seiten.

René, jetzt hol doch mal Luft! Du platzt ja gleich.

So schlimm ist das nun auch nicht! Es hindert mich nur an der Aufarbeitung, wenn mir die Akteneinsicht verwehrt wird, aus was für Gründen auch immer.

Ich merke schon, das Thema nervt dich, richtig? Doch wat mut, dat mut, mien Jung!

Klasse rübergebracht, du Held. Klappe jetzt!

René, du hast doch die Unterlagen vom Haftkrankenhaus ungeschwärzt bekommen. Den Rest findest du in der Kinderheimakte mit Hinweisen auf die Täter. Da pfeif mal für eine kurze Zeit auf den BStU Dresden und hau in die Tasten.

Richter, wenn ich dich nicht hätte!

Ja, was wäre dann?

Die Frage kann ich dir nicht beantworten, ich kenne es ja nur mit dir und den drei anderen da oben. Als Nächstes gibt es erst einmal eine kurze Vorgeschichte, damit man sich hineinversetzen kann, wie alles begann und wo meine Mutter aufgewachsen ist, bis sie 1955 in den russischen Sektor kam.

ARTIKEL 49

(1) Soweit diese Verfassung die Beschränkung eines der vorstehenden Grundrechte durch Gesetz zulässt oder die nähere Ausgestaltung einem Gesetz vorbehält, muss das Grundrecht als solches unangetastet bleiben.


Das ist Akteneinsicht ganz im Sinne des BStU Dresden. Hier werden nicht nur Dritte verdeckt, nein auch sämtliche Textpassagen. Das schaut mir aus wie ein Staatsgeheimnis, welches nicht an die Öffentlichkeit darf.



Dies ist die bislang letzte Nachricht vom BStU Dresden. Sie erreichte mich, kurz bevor ich das Manuskript fertig hatte.

Ja, sag mal, René, kennst du denn nun die Namen von Tätern, deren Geburtsdatum, Anschrift und die Orte, an denen sich diese aufhalten?

Was verlangst du von mir, Richter? Wie ich schon sagte, kenne ich nicht einmal deren Handynummer. Ich finde, diese Vorgehensweise ist schon sehr merkwürdig. Mehr als eine Namensliste mit Tätern und ihrer jeweiligen Funktion zu DDR-Zeiten kann ich dem BStU Dresden nicht bieten. Ganz bestimmt werde ich den Tätern nicht zu nahe treten – das wäre nicht mein Ding. Sonst hätte ich sie schon lange übers Knie gelegt. Ich mag keine Gewalt. Das Ganze entwickelt sich zu einem großen Geheimnis, habe ich den Eindruck. Da soll wohl was im Verborgenen bleiben und nicht ans Tageslicht kommen.

ARTIKEL 65

(1) Zur Überwachung der Tätigkeit der Staatsorgane hat die Volkskammer das Recht und auf Antrag von einem Fünftel der gesetzlichen Zahl der Abgeordneten die Pflicht, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Diese Ausschüsse erheben die Beweise, die sie oder die Antragsteller für erforderlich halten. Sie können zu diesem Zweck Beauftragte entsenden.

(2) Die Gerichte und die Verwaltungen sind verpflichtet, dem Ersuchen dieser Ausschüsse oder ihrer Beauftragten um Beweiserhebung Folge zu leisten und ihre Akten auf Verlangen zur Einsichtnahme vorzulegen.

(3) Für die Beweiserhebung der Untersuchungsausschüsse finden die Vorschriften der Strafprozessordnung entsprechende Anwendung.

Der Richter in mir

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