Читать книгу Ich glaube, wo anders ist wie überall - Renate Göbel - Страница 5

2. Schmerzhaftes Erwachen. Auch Wiedergeborene haben ein Schmerzempfinden.

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Wie durch einen dämpfenden Nebel hörte ich eine Stimme, die aber schnell deutlicher wurde:

„Hallo? Kannst du mich hören? Weißt du wie du heißt und wo du bist?“

Hä? Was war nur los mit mir und was waren das denn für blöde Fragen? Natürlich konnte ich hören und meinen Namen wusste ich selbstverständlich auch. Renate Eckhard heiße ich. Aber wer wollte das von mir wissen? Die andere Frage war etwas schwieriger zu beantworten. Wo war ich? Um das festzustellen musste ich erst einmal die Augen aufmachen, was sich als nicht so einfach herausstellte. Als ich dies mit viel Mühe endlich bewerkstelligt hatte, bekam ich erst einmal einen gehörigen Schreck. Denn ich schaute in ein fremdes Gesicht, das mich gespannt musterte. Dieses Gesicht gehörte zu einem Mann, der in einem weißen Kittel steckte. Das ließ die Vermutung zu, dass es sich um einen Arzt handelte und ich vielleicht in einem Krankenhaus lag. Anstatt dem Arzt nun zu antworten und somit zu beweisen, dass ich durchaus meinen Namen wusste, schaute ich vorsichtig an mir herunter und bekam gleich noch einmal einen richtigen Schock. Ich hatte überall Verbände und an manchen Stellen guckten Schläuche und Kabel aus meinem Körper hervor.

„Ach du Scheiße!“, kam es mit einer komisch heiseren Stimme aus mir heraus. Voller Panik starrte ich den Mann an und hoffte, dass er mir mal ganz schnell auf die Sprünge half.

Dieser unflätige Ausdruck reichte aber schon, um dem Arzt ein Lächeln zu entlocken und zudem noch ein anderes Gesicht auf den Plan zu rufen. Cameon beugte sich über mich und flüsterte unendlich erleichtert:

„Den Göttern sei Dank! Du bist wach.“

Als ich Cameon sah, war ich so froh! Bedeutete es doch, dass ich nicht allein war und sich jemand um mich sorgte. Dann allerdings kam schlagartig die Erinnerung: An Kämpfe, die Angst im Angesicht eines Todes durch einen Dolch verursacht, eine aufgespießte tote Franca in der Küche meiner Tante Elisa und der Zusammenprall mit einem Auto.

Allem Anschein nach lebte ich noch, aber der Rückblick auf die vergangenen Geschehnisse ließen mich erschöpft zurücksinken und ich fiel fast dankbar wieder in einen nebeligen Dämmerzustand. Ich hörte nur noch, wie der Arzt zu Cameon sagte:

„Lassen wir sie schlafen. Das Schlimmste hat sie nun überstanden.“

Als ich das nächste Mal aufwachte, saßen außer Cameon auch meine Tante Elisa und mein Onkel Oliver an meinem Bett. Ich versuchte mich ein wenig zu drehen, um alle richtig sehen zu können und da musste ich vor Schmerz laut aufstöhnen. Sofort sprangen alle von ihren Stühlen auf, umringten mein Bett und es prasselte gute Ratschläge und Erklärungen.

Meinem Onkel Oliver merkte man da gleich den Mediziner an:

„Bleib ganz ruhig liegen, du brauchst unbedingt noch Ruhe! Die Wunde am Kopf ist ja schon schön verheilt, aber mit der Narbe an deinen Bauch solltest du dich noch vorsehen.“

Meine Tante Elisa war einfach nur erleichtert:

„Ja genau, Schätzchen. Mach langsam! Obwohl du schon um einiges besser aussiehst als am Anfang, musst du dich noch schonen. Wir sind ja froh, dass du überhaupt wieder ganz gesund werden wirst.“

Und mein Elbenfreund Cameon dachte sofort in die praktische Richtung. Aber als ich ihm dabei in die Augen sah, wie er mir die Tatsachen runterrasselte, konnte ich Tränen der Rührung darin glitzern sehen und mir wurde bewusst, wie viele Sorgen er sich um mich gemacht hatte.:

„Hallo Kleines. Schön, dich endlich wieder mit offenen Augen zu sehen. Keine Sorge, du wirst bald wieder aufstehen können. Deine Wunden verheilen gut und die Gipsverbände können schon in der nächsten Woche ab und dann helfe ich dir, wieder fit zu werden.“

Wie? Da konnte ich mich ja nur verhört haben. Wunden schon gut verheilt und Gips konnte ab? Das alles hörte ich mit Erstaunen. Und überhaupt, als ich mir Elisa so richtig ansah, war irgendetwas falsch. Genau! Wo war denn ihr monströser Schwangerschaftsbauch geblieben? Wie lange lag ich denn schon ohne Bewusstsein hier herum?

Es stellte sich heraus, dass sich der Januar fast dem Ende zuneigte und ich vier lange Wochen im Koma gelegen hatte. Deshalb waren meine Wunden schon fast verheilt. Und was das Kind in Elisas Bauch betraf, so wurde es am Tag meines Unfalls geboren. Vor Schreck sozusagen. Es war ein Junge und trotz der widrigen Umstände bei seiner Geburt, war er gesund und wohlauf! Ich hatte jetzt also einen funkelnagelneuen Cousin. Liam-Curt hatten sie ihn genannt! Wie seltsam. Elisa erklärte mir zwar, dass das durchaus üblich wäre, einen Sohn nach seinen beiden Großvätern zu benennen, aber Curt schien mir etwas hart für einen Säugling. Wahrscheinlich würde es sowieso nur bei Liam bleiben und das fand ich in Ordnung. Aber wo war denn bloß die prophezeite Tochter abgeblieben, die als meine zukünftige Seelenträgerin herhalten sollte? Ach egal. Musste meine Tante eben noch einmal ran und schwanger werden. Sie war ja offensichtlich ganz gut in der Lage, Kinder zu kriegen.

Was mich auch stutzig machte war, wie vertraut Cameon mit Elisa und Oliver umging. Ich persönlich hatte ja lange Zeit große Bedenken, wie die beiden einen Elben als meinen Freund aufnehmen würden und ihn daher noch nie in ihrer Gegenwart erwähnt. Wie es schien, hatten sie sich schon von alleine bekannt gemacht. Es heißt ja, Kummer verbindet. War das wirklich so und hatten sich die drei an meinem Krankenbett zusammengerauft? Wenn ich mit Cameon alleine wäre, würde ich ihn erst einmal danach ausfragen. Auf die Erklärung war ich mal gespannt. Zwar verabschiedeten sich Elisa und Oliver nach einer gewissen Zeit, weil sie das Baby nicht zu lange bei der Nanny lassen wollten, aber mit Cameon allein sein war immer noch nicht drin. Die Ärzte bestanden auf einige Untersuchungen und verbannten meinen Freund einfach aus dem Zimmer.

Die Untersuchungen verliefen zufriedenstellend, aber das Gespräch mit den Ärzten öffnete mir erst einmal die Augen, wie knapp ich mit dem Leben davongekommen war. Meine Verletzungen waren ja recht erheblich gewesen, obwohl die vier Wochen im künstlichen Koma schon viel zur Heilung beigetragen hatten. Ich wurde an diesem Tag sogar von einigen Kabeln und Schläuchen befreit, was auch gut war, da kam ich mir nicht mehr ganz so angekettet vor.

Als Cameon dann nach einer gefühlten Ewigkeit wieder in mein Zimmer kam und für mich sogar einen Becher Kaffee hereinschmuggelte, war mein Tag fast gerettet und am liebsten hätte ich ihn ganz wild umarmt, wenn ich denn gekonnt hätte. Er wusste halt ganz genau, wie man eine leidende Kranke aufmuntern konnte.

Bevor er jetzt anfangen konnte mich zu bedauern und irgendwelche belanglosen Dinge erzählte, brannten mir zwei Sachen auf der Seele und ich kam ihm zuvor:

„Ist Franca wirklich tot? Und wen hat es noch erwischt? Sie hat nämlich damit geprahlt, dass die beiden Prinzen gleichzeitig mit mir den Tod finden sollten und dass sie sich deshalb mit Yolander zusammengetan hätte.“

Während ich diese Fragen stellte, standen mir die schrecklichen Erinnerungen noch einmal ganz deutlich vor Augen und ich fing an zu zittern. Cameon nahm meine Hände in die seinen, gab mir schnell einen Kuss und sah mich dann etwas besorgt an, bevor er mir antwortete:

„Um Franca brauchst du dir keine Sorgen mehr zu machen. Die ist hinüber gegangen. Und ja, wir hatten Verluste. Mercan ist auch unter den Gefallenen. Briha hat ihren Bruder nach Hause gebracht und ihn dort nach unseren Sitten bestattet. Yolanders Leute sind entweder tot oder dingfest gemacht. Nur er selbst konnte fliehen, aber den kriegen wir auch noch.“

Oh nein! Mercan war tot? Ich ließ mich in mein Kissen sinken und schloss die Augen. Natürlich sollte man jeden betrauern, der gewaltsam ums Leben kam, aber wenn es jemanden traf den man persönlich kannte, ging es einem dann doch näher. Einen kleinen Moment schloss ich die Augen und versuchte mir noch einmal Mercan in Erinnerung zu rufen. Lange hatten wir uns ja nicht gekannt, aber doch so einige schöne Sachen miteinander erlebt. Und wie mies es Briha zumute war, konnte ich auch nur erahnen. Eine ganze Weile saßen wir still da und Cameon streichelte die ganze Zeit meine Hand, bis ich mich wieder gefangen hatte.

Dann kam ich zu meiner nächsten Frage, die mich brennend interessierte und da wollte ich jede Einzelheit erfahren:

„Sag mal! Da meine Tante mir gerade keine größeren Vorwürfe gemacht hat, nehme ich an, dass ihr die Sauerei in ihrer Küche rechtzeitig beseitigt habt und sie nichts Genaueres weiß? Und wie hast du dich meinen Verwandten überhaupt vorgestellt? Ich frage nur, damit ich die gleiche Story erzähle.“

Gespannt sah ich Cameon an und der bekam auch wieder ein Grinsen zustande als er mir antwortete:

„Ja, hinter uns aufräumen können wir gut. Keine Sorge. Und weil sich fast alles in den Häusern abgespielt hat, haben die Nachbarn auch nicht viel mitbekommen. Was jetzt deine Tante und deinen Onkel angeht, so habe ich versucht, so gut es ging, ihnen die Wahrheit über mich zu erzählen. Aber, dass ich ein Elb bin und aus einer anderen Welt komme, schienen sie als eine Marotte von mir abzutun. Als deinen Freund, den du in Italien kennengelernt hast, haben sie mich aber akzeptiert. Ich bin halt unwiderstehlich. Sie haben sogar verstanden, dass du Skrupel hattest ihnen einen Ausländer als Freund zu präsentieren.“

Dabei zwinkerte er mir frech zu.

Nun musste ich auch grinsen. Genau! Das sah Elisa und Oliver ähnlich. Elben von anderen Planeten kamen in ihrem realistischen Denken nicht vor. Spitze Ohren konnten auch eine angeborene Abnormität sein und unter der anderen Welt stellten sie sich wahrscheinlich nur ein anderes soziales Umfeld vor. Nun gut, ließen wir Cameon eben als Italiener durchgehen. Das schien mir auch das Einfachste zu sein und mit diesen Vorgaben konnte ich zum Glück auch weiterhin arbeiten. Ein Italiener ließ sich bei Tante und Onkel besser verkaufen als ein Außerirdischer. Cameon stimmte mir zu und war der Meinung:

„Wer der Wahrheit nicht ins Gesicht blicken will, den sollte man dann auch in seiner eigenen Welt belassen.“

„Jawohl. So ist es für mich auch einfacher. Die Alten brauchen sowieso nicht alles so

ganz genau zu wissen.“

Er sah mich etwas verwirrt und zugleich amüsiert an.

„Das hört sich an, als ob heranwachsende Menschen viele Geheimnisse vor ihren Eltern hätten.“

„Natürlich! Wenn die alles wüssten, würden sie uns den meisten Spaß verbieten und immer mit der Ausrede kommen, uns beschützen zu wollen. Ich bin sogar der Meinung, junge Menschen sind dazu da, um zu rebellieren.“

Meine Worte und meine trotzige Haltung brachten Cameon zum Lachen. Er gab mir einen Kuss und meinte dann:

„Ja, bleib so wie du bist. Ich mag es, wenn du rebellisch bist.“

So machten wir uns noch eine Weile über Elisa und Oliver lustig und ich gestand ihm einige Dinge ein, die ich schon alles vor ihnen verheimlicht hatte. Bis ich bemerkte wie mir immer wieder die Augen zufielen und ich von dem Gespräch nicht mehr viel mitbekam.

Es war erstaunlich. Wie konnte mich das bisschen Reden nur so angestrengt haben? Ich hatte doch gerade vier lange Wochen geschlafen. Müsste ich da nicht wacher sein? Cameon versicherte mir, dass das ganz normal wäre in meinem Zustand. Mein Körper bräuchte ein paar Tage Zeit um sich wieder an ein aktives Leben zu gewöhnen und ich solle Geduld haben. Ich solle mich ausruhen und Kräfte sammeln, er würde in der Zwischenzeit nach Hause gehen, sich frisch machen und meinen Freunden von meinem Erwachen berichten. Die löcherten ihn angeblich jeden Tag mit Fragen nach meinem Zustand und hätten durchaus auch mal positive Nachrichten verdient.

Okay. Sollte er machen, was er für richtig hielt. Ich bekam sowieso nicht mehr alles mit was er sagte, denn nun fielen mir endgültig die Augen zu und ich dämmerte weg. Dieses Mal aber mit der Gewissheit, dass ich bald wieder aufwachen würde.

In den nächsten Tagen ging es mit mir und meiner Gesundheit immer weiter bergauf. Onkel Oliver bezahlte sogar viel Geld, damit ich ein Einzelzimmer bekam, was mir natürlich sehr entgegenkam. Ich wurde nach und nach von allen Kabeln und Schläuchen befreit und die Gipsverbände kamen zum Glück auch ab. Das Schwierigste für mich war, nun wieder beweglich zu werden und sozusagen das Laufen neu zu erlernen. Man macht sich ja keine Vorstellung davon wie schnell einem die Muskeln abhandenkommen können. Ich konnte von Glück reden, dass Cameon so viel Zeit für mich erübrigen konnte und auch wollte. Er sorgte dafür, dass ich wieder fit wurde und machte mit mir viele Spaziergänge, vornehmlich in die Cafeteria, aber immerhin konnte man das auch Bewegung nennen.

Über Langeweile konnte ich mich von diesem Zeitpunkt an jedenfalls nicht beschweren. Aveline, Patrick, Caja und Guendalina nahmen mehrmals in der Woche die Strapaze auf sich, mit dem Bus von Dover nach Canterbury zu kommen um mich zu besuchen. Elisa und Oliver waren sowieso jeden Tag da, nur das Baby hatte ich bis Dato nur auf Fotos gesehen, denn ins Krankenhaus wollten sie meinen neuen Neffen nicht mitschleppen, wegen der Keime und so weiter. Ich fand das zwar ein bisschen überfürsorglich, aber das musste jeder für sich selbst entscheiden. Und weil Babys für mich sowieso ein Buch mit sieben Siegeln waren, fand ich es nicht weiter schlimm, den kleinen Schreihals erst später kennenzulernen. Obwohl er auf den Bildern schon ziemlich zuckersüß aussah. Aidan kam auch einmal vorbei. Zum Glück nur einmal, muss ich dazu sagen, denn so einen frechen Typen konnte ich in meinem angeschlagenen Zustand schlecht ertragen. Der kam doch tatsächlich laut polternd ins Krankenzimmer gestürzt und statt einer netten Begrüßung fragte er frech grinsend:

„Na du dumme Nuss, endlich wieder wach? Das mit den englischen Verkehrsregeln musst du aber endlich mal verinnerlichen!“

Da blieb mir doch glatt die Spucke weg und eine schlagfertige Erwiderung fiel mir so schnell auch nicht ein, deshalb konnte ich nur dumm aus der Wäsche gucken. Außerdem hatte er leider sogar teilweise Recht, denn hätte ich besser aufgepasst, wäre ich wahrscheinlich nicht überfahren worden. Rechts-Links-Schwäche gepaart mit englischen Verkehrsregeln, scheinen für deutsche Mädchen verhängnisvoll zu sein.

„Hey, schau mich nicht so böse an!“, meinte er lachend und setzte sich zu mir ans Bett: „Ich mache doch nur Spaß. Wir sind doch alle heilfroh, dass du diese Sache überhaupt überlebt hast. Ich wollte mich nur persönlich überzeugen, dass es dir gut geht und mich verabschieden. Ich habe etwas für meinen Vater zu erledigen und es kann gut sein, dass wir uns länger nicht sehen.“

Was er denn so Wichtiges zu erledigen hatte, wollte Aidan natürlich nicht verraten, aber um mich wieder gnädig zu stimmen ging er mit mir in die Cafeteria und spendierte Kaffee und Kuchen. Danach hatte er es sehr eilig, sich zu verabschieden. Wahrscheinlich brannte ihn sein Auftrag unter den Nägeln und er war wie üblich sehr spät dran. Mir wäre es sogar sehr lieb, ihn erst im Sommer wiederzusehen, denn um Aidans Sticheleien so richtig ertragen zu können, musste man auf der Höhe seiner Kräfte sein. Und bis zum Sommer würde ich hoffentlich soweit sein.

Sogar Miss Wyler, die Rektorin des White-Cliff College, kam einmal zu Besuch. Sie zeigte sich tief betroffen und am Boden zerstört, dass mir so schreckliche Dinge unter ihrer Obhut widerfahren waren. Die Wyler versicherte mir, dass meine Fehlzeiten in der Schule keinerlei Relevanz für meine Versetzung hätten, dafür würde sie schon sorgen. Hoffentlich meinte sie damit keinen Nachhilfeunterricht bis ich alles nachgeholt hätte. Aber wahrscheinlich hatte sie ein schlechtes Gewissen weil ich praktisch trotz ihrer Fürsorgepflicht fast zu Tode gekommen wäre. Na super! Rektorinnen mit schlechtem Gewissen waren immer gut. Und die Klasse wiederholen wollte ich auf gar keinen Fall. So schön diese Nachricht auch für mich war und ich mich geschmeichelt fühlen konnte von ihrer Sorge um mich, die Besuche von Cameon und meinen Freunden gefielen mir doch besser. Von ihnen wurde ich auf den neuesten Stand der Dinge gebracht. Während vier Wochen Dauerschlaf verpasste man ja doch so einiges.

Na gut, Avelines Schwärmerei über ihren Kaspar und die Liebesbeziehung zwischen Patrick und Jules waren ein alter Hut und somit nichts Neues. Die Zankereien in der Schule gingen mir auch am Arsch vorbei, die würde ich ja wieder live miterleben, wenn ich zurück am College wäre. Aber ich genoss die Ablenkung die mir die beiden mit ihrem Geplapper boten trotzdem, denn so ein Krankenhausaufenthalt war schon echt ätzend und langweilig. Vor allem wenn man auf dem Wege der Besserung war, wertete man jeden weiteren Tag als verlorene Zeit.

Guendalina und Caja gaben da schon interessantere Geschichten zum Besten. Guendalina berichtete auch über den Wahnsinn, den die Vorbereitungen für ihre Verlobungsfeier mit dem Elbenprinzen Amnon so mit sich brachten. Die Feier sollte im königlichen Palast im Elbenland stattfinden und die Gästeliste, die ihr König Oberon hatte übermitteln lassen, hatte sie fast vom Hocker gehauen, weil die Anzahl der Gäste ihrer Meinung nach völlig übertrieben war. Guendalina wollte sich gar nicht erst ausmalen und vorstellen wie groß dann die Hochzeitsfeierlichkeiten im nächsten Jahr werden würden.

Die sollte sich mal nicht so anstellen. Wenn sie denn unbedingt einen Prinzen heiraten wollte, dann würde das halt so pompös werden und die Hochzeit war ja noch ewig weit weg. Jetzt würde sich erst einmal verlobt und das auch noch auf einer anderen Welt. Was für ein Abenteuer!

Auf jeden Fall freute es mich zu hören, dass neben mir und Miss Wyler, nun auch Caja eingeladen war. So musste ich nicht alleine mit der Wyler klarkommen und hatte wenigstens eine gleichgesinnte Reisebegleitung. Nichts gegen die Wyler, aber Caja war mir deutlich lieber. Die gab mir dann auch schon mal ein paar Einblicke in die Lebensweise auf Seren Saethu. Als Mensch wurde man in Gorachod Gwlad, also im Elbenland, mit einigem Argwohn und Misstrauen betrachtet und Caja, als Halbling der Duwiau, würde es da nicht besser ergehen. Aber dem sahen wir völlig gelassen entgegen und außerdem hatte ich ja auch noch Cameon an meiner Seite. Da konnte eigentlich gar nichts schiefgehen.

Die Vorfreude war also schon mal recht groß. Hieß es nur noch: Schnell gesund und wieder fit zu werden.

Nach drei weiteren Wochen im Krankenhaus fühlte ich mich auch wieder fit genug für ein normales Leben. Ich langweilte mich mittlerweile und wollte da einfach raus. Mir gingen die ewigen Untersuchungen und Gespräche mit den Ärzten mächtig auf die Nerven. Ich fühlte mich einfach beengt und eingesperrt in meinem Krankenzimmer. Also drängelte ich irgendwann lautstark auf meine Entlassung und was ich daraufhin zu hören bekam, machte mich erst einmal sprachlos.

„Sehr gut, Miss Eckhard. Darauf haben wir nur gewartet. Wir Ärzte haben nämlich die Erfahrung gemacht, dass nur die Patienten, die darauf drängen nach Hause zu kommen, auch wirklich schon fit genug dafür sind. Eine Abschlussuntersuchung müssen sie aber doch noch über sich ergehen lassen, dann könnten sie morgen schon gehen.“

Na toll! Hätte ich das früher gewusst, so hätte ich schon eine Woche eher angefangen zu rebellieren.

Die letzte Untersuchung ließ ich dann auch noch über mich ergehen und die Ratschläge, die man mir erteilte, wie zum Beispiel: nicht überanstrengen, es langsam angehen lassen und auf keinen Fall schwer heben, behielt ich im Hinterkopf. Ich sollte auch nicht sofort wieder ins College gehen, sondern mich erst noch ein paar Wochen bei meinen Verwandten erholen. Ja gut. Ich sagte zu allem Ja und Amen, denn bei Elisa und Oliver wäre es allemal besser als im Krankenhaus.

Ich kam also nach Canterbury und freute mich auf eine schöne Zeit und auf das erste Kennenlernen von meinem winzigen Cousin. Der in Wirklichkeit auch ganz süß und niedlich war. Ganz ehrlich!!! Nur so erholsam und entspannt wie ich mir meine schulfreien Tage bei der Familie ausgemalt hatte, wurden sie nicht. Vor allem die Nächte waren ätzend, denn Baby Liams Zimmer lag direkt neben meinem. Jede Nacht gab es mindestens zwei Schreiattacken, entweder hatte er Hunger, die Windel war voll oder er hatte einfach kein Bock aufs Schlafen. Aber wenn er mal nicht schrie oder einfach schlafend in seinem Bettchen lag, sah er aus wie ein kleiner Engel. Wenn Liam geahnt hätte, wie süß er im Schlaf aussah, hätte er wahrscheinlich Tag und Nacht durchgeschlafen. Nur so schlau war er noch nicht. Als ich ihm einmal einen Spiegel vor sein kleines wutverzerrtes Gesicht hielt, nur um ihm zu zeigen, wie hässlich das aussah, konnte er das nicht richtig zuordnen, sondern bekam einen Schreck über die Fratze, die ihm da entgegenblickte und schrie nur noch schlimmer. Von Elisa bekam ich dann zwar prompt einen Anschiss, aber einen Versuch war es zumindest wert.

Elisa und Oliver stellten sich schon ein bisschen penibel an wenn es um ihr Baby ging. Ihrer Meinung nach war es sowieso das hübscheste Kind auf Gottes weiter Welt und mich wollten sie auch davon überzeugen. So drückten sie mir Liam einmal in den Arm und meinten, dass ich nun in Begeisterungstürme ausbrechen müsse. Um nicht unhöflich zu sein, guckte ich mir Liam auch ganz genau an, um abschätzen zu können, ob ein Baby in meinen Armen nun besser aussah als in seinem Bettchen, da kotzte mir der Bengel doch tatsächlich seine letzte Mahlzeit auf mein neues Shirt. Na super! Der kleine Hosenscheißer machte es mir nicht einfach ihn zu mögen. Elisa wollte sich wegschmeißen vor Lachen, aber an vollgekotzten Klamotten konnte ich nichts Lustiges finden. Natürlich verzieh ich dem kleinen Süßen seine Vergehen nach einer Weile, ein Baby hat ja nichts anderes zu tun als solche blöden Sachen. Aber irgendwann würde aus dem kleinen Liam mal ein großer Liam werden und dann schrien diese Dinge nur so nach Rache!

Weil in diesem Haus nur noch Babytrubel herrschte, zog ich mich so oft es ging in mein Zimmer zurück und skypte mit meiner Freundin Pia, die in Deutschland lebt, und klagte ihr mein Leid.

Und dann kam Rektorin Wyler auch noch auf die glorreiche Idee mich allmählich wieder fit für die Schule zu machen und ließ mir von meinen Freunden die Hausarbeiten überbringen. Prima!!! Erholungsphase hatte ich mir anders vorgestellt.

Der einzige Lichtblick in diesen Wochen war Cameon, der mich fast täglich besuchte. Aber so wirklich ungezwungen mit ihm umgehen, konnte ich nicht. Jedenfalls nicht im Haus von Tante und Onkel. Von meinen Freunden oder den Lehrern im College, beim Herumknutschen erwischt zu werden war mir nicht so peinlich, als wenn Onkel Oliver das mitbekam und dabei missbilligend den Kopf schüttelte. Das soll jetzt nicht heißen, dass ich nicht versucht hätte in meinem Zimmer ein bisschen mit Cameon rumzumachen. Aber Onkel Oliver schien jedes Mal einen sechsten Sinn für diese Dinge zu haben und wenn er dann von der untersten Etage zu uns heraufrief:

„Renate, hast du dich schon wieder mit deinem italienischen Freund in deinem Zimmer vergraben? Kommt doch runter und leistet uns ein wenig Gesellschaft!“, dann war es aus mit der Romantik und dem Knutschen.

Alles in allem also eher unschön bei uns zu Hause. Ich glaube tief in meinem Inneren hatte ich auch eine Abneigung gegen dieses Haus entwickelt, weil mich immer noch die schrecklichen Ereignisse verfolgten, die hier passiert waren. Ich fühlte mich einfach nicht mehr wohl in diesen Wänden. Vor allem in der Küche kamen unschöne Erinnerungen hoch. Von diesem Raum, in dem ich fast ums Leben gekommen wäre und mit ansehen musste wie ein anderes Leben gewaltsam beendet wurde, brauchte ich dringend etwas Abstand. Als ich das erste Mal, nach diesem einschneidenden Erlebnis, diese Küche wieder betrat, habe ich mich dabei erwischt wie ich alles nach verräterischen Blutspuren abgesucht hatte. Dabei hatte ich eine nicht unerhebliche Gänsehaut bekommen. Aber Cameon hatte nicht zu viel versprochen als er mir versicherte, die Elben hätten sauber hinter sich aufgeräumt. Sogar die Fensterscheibe, die an jenem Tag zu Bruch gegangen war, hatte man in Windeseile wieder erneuern lassen. Keine Ahnung welche Beziehungen diese Elben zu irgendwelchen Glasern hatten oder selbst Hand anlegten, um alles so schnell wieder in Stand zu setzen. Das interessierte mich auch nicht weiter. Viel wichtiger war es mir, dass Elisa und Oliver nie erfuhren was hier vorgefallen war und in welchem Schlamassel ich drin gesteckt hatte. Diese Vorwürfe, die ich dann zu hören bekommen würde, wollte ich mir gar nicht vorstellen. Es reichte schon, dass Elisa ihrer neugewonnenen Freundin Briha hinterher trauerte und überhaupt nicht verstehen konnte, wieso diese heimlich bei Nacht und Nebel verschwunden war.

Zum Glück hatte meine Tante keine Ahnung von meiner Verbindung zu Briha und deren Bruder Mercan und dass ich wusste, welche Ziele die beiden wirklich hier in unserer Nachbarschaft verfolgt hatten. Deshalb kam sie auch nicht auf den Gedanken, mich in dieser Sache auszuhorchen. Die Wahrheit durfte ich ihr sowieso nicht verraten.

Auch ohne von Elisa mit Fragen gelöchert zu werden, fiel es mir schwer, unser Nachbarhaus zu sehen und nicht sofort in Trübsal zu verfallen. Bei jedem Blick aus meinem Zimmerfenster hatte ich dieses Haus ja vor Augen und musste mir dann immer vorstellen, wie Mercan und noch einige andere dort ums Leben gekommen waren.

Wurde also höchste Zeit, dass ich wieder ins College ging und auf andere Gedanken kam.

Als es dann im März endlich soweit war und ich für den nächsten Tag meine Sachen packte, freute ich mich direkt auf die Schule. Seltsam so etwas sagen zu müssen, aber es war wirklich so. Einen Tag länger in diesem Irrenhaus und mir wäre die Decke auf den Kopf gefallen. Tut mir leid. Das alles muss sich genervt und jammervoll anhören. Meine Verwandten sind eigentlich toll und liebenswert, deshalb haben sie gar nicht so viel Gemecker verdient. Die konnten ja schließlich nichts für mein zerrüttetes Nervenkostüm. Irgendwann würde es in mir auch wieder besser aussehen, aber nun war es an der Zeit zu gehen.

Ich glaube, wo anders ist wie überall

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