Читать книгу Spannende Kurzgeschichten für unterwegs - Renate Sültz - Страница 12
BITTERE KÄLTE IN KANADA
ОглавлениеEs war Dezember. In Kanada lag der Schnee meterhoch. Die Holzfäller-Familie Jack und Helen Smith saß in ihrem Holzhaus fest, das sie sich mit viel Liebe vor Jahren aufgebaut hatte. Es war bitterkalt in diesem Winter und die erbarmungslose Kälte griff um sich. Trotz Ofen und anderer Möglichkeiten, sich warmzuhalten, gelang es ihnen nicht, der Kälte zu entrinnen.
Jack hatte vor vielen Jahren damit angefangen, in den Wäldern von Kanada selbstständig zu arbeiten und Holz zu schlagen. Er musste dann mit den entsprechenden Gerätschaften die Stämme zur nahe gelegenen Holzverarbeitungsfirma bringen. Das war stets mit vielen Risiken verbunden, denn wenn die Maschinen nicht mehr funktionierten, konnte er kein Geld verdienen. Dies war in der Vergangenheit sehr häufig der Fall gewesen. Die teuren Reparaturen konnten sie sich nicht immer leisten. Sie lebten quasi von der Hand in den Mund und nichts konnte zur Seite gelegt werden. Ganz schlimm war, dass sie sich kaum Vorräte für die Versorgung angeschafft hatten.
Fast alles in ihrem Leben war bis dahin schiefgelaufen. Auch Jacks Vater übte diesen Beruf aus und hatte damals seine Familie sehr gut davon ernähren können. Helens Eltern besaßen einen riesigen Holzvertrieb, den sie aber wegen der schweren Krankheit des Vaters verkaufen mussten. In diesem Betrieb lernte sie Jack kennen, der dort als Schreiner arbeitete. Sie nahmen sich vor, in Ottawa zu heiraten und dort sesshaft zu werden. Nur kam alles ganz anders.
Nun hingen sie in den tiefsten Wäldern Kanadas fest und standen kurz vor dem Erfrieren. Um ihren Magen zu füllen, tranken sie warmes Wasser. Jack und Helen waren der Verzweiflung nahe und glaubten, ihren Verstand zu verlieren. Nein, sie wollten nicht aufgeben.
Die Schneestürme fegten über das instabile Dach. Ein Fenster zersprang und noch mehr Kälte kam herein. Helen Smith, die eigentlich aus den kritischsten Situationen immer noch das Beste herausholen konnte, kapitulierte. Sie kauerten eng zusammen.
Jack war ein guter Schütze und konnte immer für genügend Fleisch sorgen. Nun aber bestand keine Möglichkeit, etwas zu erlegen. Bei dieser Kälte hielten die meisten Tiere ihren Winterschlaf oder verkrochen sich in ihre Höhlen. An Nahrung war nicht zu denken.
Die Kälte wurde immer extremer. Zusätzlich kam Schnee durchs kaputte Fenster herein. Was sollten sie nur tun? Kaum, dass sie einen klaren Gedanken fassen konnten, brach schon der erste Dachbalken ein. Tagelang ging das schon so. Sie hungerten und ihre Glieder waren blau angelaufen. Die Kräfte waren am Ende.
Jack erinnerte sich daran, dass er noch ein altes Funkgerät im Kellerraum hatte. Es musste nur wieder funktionieren. „Bitte, Gott, hilf uns!“ So könnten sie eine Chance bekommen, lebend aus der schrecklichen Situation herauszukommen. Wenn nicht, waren sie für immer verloren.
Da seine Glieder schon fast starr und taub vor Kälte waren, kroch er auf allen Vieren zur Klappe des Kellerraumes. Sie war sehr schwer und er musste seine übrig gebliebene Kraft dafür aufwenden.
Helen schrie: „Bitte beeil dich, ich kann nicht mehr!“
Jack fand das alte, verstaubte Funkgerät. Es musste nur, wenigstens dieses eine Mal noch, seinen Dienst aufnehmen.
Die Stürme wurden immer stärker und der Schnee lag meterhoch auf dem Haus und vor dem Eingang. Sie würden nicht mehr hinausgelangen.
Helen verlor das Bewusstsein. Hunger und Kälte hatten ihr arg zugesetzt. Währenddessen versuchte Jack sein Bestes, um das Gerät wieder in Gang zu setzen. Er schickte ein Funksignal mit der Bitte um Hilfe. Es tat sich nichts und Jack gab auf. Auch er schloss mit dem Leben endgültig ab.
Gerade, als er versuchte, wieder nach oben zu klettern, vernahm er ein Piepsen. Noch sehr unklar, aber man konnte es verstehen.
„Hallo, hallo. Was gibt es?“
Er traute seinen Ohren nicht. Was war das? Doch eine Rückmeldung auf seine Hilferufe? Also funktionierte es noch.
Er meldete sich und gab den ungefähren Standort seines Hauses durch. Eigentlich war das Holzhaus schlecht zu finden, denn aufgrund der damaligen Arbeitslage mussten sie in der Nähe von Jacks Arbeitsplatz bauen.
Wieder bekam er Antwort: „Wir tun unser Bestes. Haltet durch. Wir fliegen mit dem Helikopter die Gegend ab. Versprechen können wir allerdings nicht, ob es klappt, denn das Wetter ist sehr schlecht.“
Helen kam wieder zu sich und rief nach ihrem Mann, der kurz vor der Bewusstlosigkeit stand. Der Erfrierungstod stand beiden ins Gesicht geschrieben. Warme Decken und ein Ofen, der eigentlich immer das ganze Haus erwärmt hatte, halfen nicht mehr. Ein zweiter Balken knallte auf den Dachboden. Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, wann der mit Schnee gefüllte Dachboden durchbrechen würde.
Die Dunkelheit brach herein und es bestand kaum noch die Chance auf eine Rettung. Die Sicht war sehr schlecht und die Schneestürme nahmen immer noch zu.
„Jack, hörst du das auch?“, fragte Helen. „Dieses Geräusch, als wenn ein Flugzeug über uns kreisen würde!“
„Ja“, sagte er. „Das könnte der Helikopter sein.
Das Geräusch entfernte sich jedoch wieder. Alle Hoffnung war verflogen.
„Helen, wir müssen sterben. Es waren schöne Jahre, wenn auch manchmal sehr schwere Zeiten. Auch wenn wir uns gestritten haben, was sehr selten vorkam, so haben wir uns immer wieder zusammengerauft. Bitte verzeih mir, meine Liebe.“
Beide glitten in die Welt der tiefen Träume ab, sie merkten nichts mehr.
Jack und Helen Smith erwachten erst wieder im städtischen Krankenhaus von Ottawa. Mit schwersten Erfrierungen konnten sie im letzten Augenblick gerettet werden. Das Holzhaus mussten sie aufgeben und bauten später in Ottawa neu. Jack ging in seinen alten Beruf als Schreiner zurück und Helen arbeitete bei einer Bank. Die kanadischen Wälder waren nie mehr ein Thema für sie.