Читать книгу Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft - Renate Zawrel - Страница 4

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Kapitel 2

Der Dienstag begann mit einem orkanartigen Sturm, der es jedermann verleidete, vor die Tür zu gehen. Marie schaute missmutig aus dem Küchenfenster: Die nackten Zweige der Bäume bogen sich im Wind, der auf ihnen lagernde Schnee wurde durch die Luft gewirbelt und erweckte den Anschein, als schneie es. Missmut änderte nichts an der Tatsache, dass sie zum Hafen fahren musste. Giuseppe hatte angerufen, dass die bestellten Fische heute mit dem großen Fischkutter eingetroffen seien. Das Schiff liege zwar noch einige Tage im Hafen, aber durch zu lange Lagerung würde die Ware nicht besser. Marie hatte nicht die Absicht, den Kauf hinauszuzögern. Sie liebte es, als eine der ersten aus dem Angebot wählen zu können.

»Mon Dieu! Das wird ‘eute wieder eine Markttag mit fliegende Fische«, seufzte Francine, obgleich sie selbst mit den Fischen überhaupt nichts zu tun haben würde.

»Jammere nicht, Francine, wir fahren trotzdem. Ich will vor dem Abendessen zurück sein«, erklärte Marie. »Wir fahren auch gleich beim mercato vorbei und kaufen ein. Aus der Reinigung müssen wir für Sir Edward ebenfalls noch etwas abholen.«

»Isch komme ja schon«, beteuerte Francine. »Sei doch nischt so ‘ektisch, chérie.«

Für sie waren diese Fahrten eine willkommene Abwechslung im sonst langweiligen Alltag. Marie setzte sie immer bei der Galleria Umberto ab, damit sie in diesem Einkaufstempel oder auch in den in der Nähe liegenden Geschäften nach dem neuestem Modefummel Ausschau halten konnte. Francine hatte bisher stets etwas gefunden, wofür es sich lohnte, Geld auszugeben.

Zum Hafen fuhr Marie allein. Sie verstand sich bestens darauf, mit den Fischern zu verhandeln: Erstens beherrschte sie die italienische Sprache und zweitens war sie eine Könnerin, was das Feilschen um den günstigsten Preis betraf.

Erst beim mercato war Francine dann wieder dabei.

Frederic hatte inzwischen die große Kühlbox im Kombi verstaut, die für den Transport der Fische gedacht war. Höflich hielt er Marie nun die Wagentür auf und wünschte: »Gute Fahrt und lass dich nicht aufs Meer wehen.« Das Lachen war zu sehen, seine Gedanken gehörten ihm: »Selbst in den abgetragenen Jeans, dem dicken Pullover und dem wattierten Gilet, sieht sie reizend aus.« Marie hatte etwas an sich, das er sich nicht erklären konnte – eine spezielle Anziehungskraft, die selbst bei ihm, den eingefleischten Junggesellen, Wirkung zeigte.

»Danke, Frederic, aber ich kann schwimmen.« Auch Marie lachte. »Soll ich dir Zigarillos mitbringen?« Sie wusste, dass Frederics heimliche Leidenschaft diesen braunen Glimmstängeln von Tonio galt, die der Händler noch selbst drehte und verpackte. Den Tabak erhielt der Alte als kleine Lieferung mit einem der großen Schiffe, die aus aller Welt in Neapel vor Anker gingen.

»Das wäre wirklich außerordentlich reizend.« Der Butler deutete eine galante Verbeugung an.

Francine kicherte. Frederic und Marie verstanden es perfekt, die Gesten und Redeweisen der vornehmen Gesellschaft nachzuahmen, so zu tun als ob … Schon viele Male hatten sie alle damit bestens unterhalten. Die Französin stieg nun in den angenehm temperierten Kombi und rief: »Au revoir, Frederic!«

Marie fuhr den Wagen langsam an. Das Tempo würde sich schnell ändern, fädelten sie sich erst in den täglichen Chaosverkehr Neapels ein. Langsame oder gar ängstliche Autofahrer waren dort fehl am Platz. Nicht, dass Marie die Fahrt scheute, sie fürchtete nur die Unberechenbarkeit der starken Böen. Das ging selbst den routiniertesten einheimischen Autofahrern nicht anders.

Auf den Straßen sah man noch die Überreste der gestrigen Fußballveranstaltung in Form von weggeworfenen Pappbechern, Flaschen und zerrissenen Papierfähnchen des leider unterlegenen neapolitanischen Clubs. Bei diesem Wind lohnte es sich nicht, den Müll wegzuräumen.

»Se bastasse una canzone …«, trällerten Francine und Marie. Die Eros Ramazotti-CD im Auto verleitete sie, laut mitzusingen. Francines französisch klingendes Italienisch wirkte geradezu erheiternd.

»Madonna mia!«, ärgerte sich Marie über einen die Fahrbahn blockierenden Kleinlaster. Hupend und gestikulierend reihte sie sich nach dem riskanten Überholmanöver in den inneren Kreis der Tangentiale ein. Wenig später befand sie sich auch schon in der Nähe des Hauptbahnhofes, von dem aus sie durch unzählige vicoli, kleine Gässchen, zur Galleria gelangte. Ohne den Motor abzustellen, ließ sie Francine aussteigen.

»Hast du dein telefonino mit?«

»Ja, ja, isch ‘abe ihm.« Francine nickte zusätzlich noch bejahend.

Marie beugte sich in Richtung Beifahrersitz, um Francine noch etwas zu sagen. »Ich ruf' dich an, wenn ich vom Hafen wegfahre. Dann hast du gut fünfzehn Minuten, um dich hier wieder einzufinden.«

»Wunderbar. Soll isch für disch schauen wegen die 'übsche Bluse?«, erkundigte sich die Französin. Beim letzten gemeinsamen shopping war ihr nicht entgangen, dass sich Marie für dieses Teil, eine Seidenbluse, interessiert hatte.

Marie überlegte. »Ja, kauf sie«, stimmte sie zu.

»Viel Spaß bei die Fische«, rief Francine, warf die Autotür zu und war – ruckzuck – im Eingangsportal der Galleria verschwunden. Es blieben ihr gut zwei Stunden Zeit für Einkäufe.

Über Schleichwege, abseits der Hauptverkehrsstraße, gelangte Marie zum Frachthafen, der auf der anderen Seite des Personenhafens lag. Die Möwen, die laut kreischend über den Fischerkähnen kreisten, ließen sich auch von den Windböen nicht beirren, die zum Glück etwas nachgelassen hatten. Marie zwängte sich in eine eigentlich kaum vorhandene Parklücke und hielt die Luft an, als sie sich durch einen engen Spalt aus dem Auto quetschte.

Wie immer, wenn sie hier am Hafen war, galt ihr erster Blick dem Vulkan, dem die Gegend – im Ernstfall eines Ausbruchs – auf Gedeih und Verderb ausgeliefert war. Berechnungen zufolge würde der Lavastrom des Vesuvs höchstens sechs Minuten brauchen, um das Meer zu erreichen. Sechs Minuten! Natürlich gab es auch Evakuierungspläne für einen solchen Fall. Doch eine Räumung der gesamten Stadt würde mindestens sechs Tage in Anspruch nehmen – ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Und so hoffte jedermann, der hier und in der Umgebung des Vulkans wohnte, dass der Vesuv noch viele Jahre weiterschlafen werde. Oft schon war Marie oben beim Krater gewesen und hatte in den tiefen Schlund hinabgeschaut, dessen Sohle sich so harmlos gab. Allgegenwärtig waren dort oben nur der feine Schwefelgeruch und die Blöcke der erstarrten Lava.

Marie wandte sich ab. Wollte sie noch vor der frühen Dämmerung des kurzen Wintertages mit der Auswahl der Fische fertig sein, war es Zeit, damit zu beginnen.

Die kleinen Kutter schaukelten auf den vom Wind bewegten Wellen. Geschäftig liefen am Kai Händler, Großabnehmer und Seeleute umher. In der Luft lag intensiver Fischgeruch und vom Meer wehte eine salzige Brise. Beides Dinge, die Marie immer wieder begeisterten. Sie liebte dieses Land und seine Leute, die so offen und voller Herzlichkeit waren, kannte man sie erst einmal. Anfangs war die Art ihres Lebensstils sicher gewöhnungsbedürftig, hatte man sich damit aber angefreundet, war es nicht schwer, sich hier wohlzufühlen.

***

Die Fensterläden – die er vor dem Einschlafen nicht geschlossen hatte – schlugen im Takt der Böen gegen die Hauswand. Ronald versuchte das Geräusch zu ignorieren, indem er die Decke über Ohren zog. Fehlanzeige.

»Shit«, fluchte er und kroch ärgerlich aus dem Bett, öffnete das Fenster und fing die Läden ein. Er verriegelte sie und im Zimmer entstand sofort der Eindruck von Nacht. Es war jedoch fast acht Uhr morgens.

Ronald hatte seit gestern nichts mehr gegessen und sein Magen meldete dies ungnädig. Ob Mortimer und Landmann auch schon wach waren? Karl konnte er ja unbesorgt über das Zimmertelefon anzurufen, bei Malcolm ließ er es lieber, um sich den Morgen nicht selbst zu verderben. Wenn nicht heute, vielleicht oder sogar ziemlich sicher brachten die nächsten Tage eine Entscheidung, was den Verbleib Mortimers in der Crew betraf. Denn das war ihm nach reiflicher Überlegung am Vorabend klargeworden: Ein Verhalten wie das seine konnte das gesamte Konzept zum Scheitern bringen!

Er wählte Karls Zimmernummer und der nahm auch sofort ab. »Morning, Karl. Ich gehe zum Frühstück und wollte fragen, ob du mitkommst?«

»Ich mache mich auch gleich auf dem Weg«, antwortete der Neuseeländer. »Wir treffen uns bei der Treppe.«

Karl trug wie Ronald Jeans und einen dicken Pullover. Sein Gesicht umrahmte – nach Tagen ohne Rasur – wieder einmal ein dunkler Bart, der ihm das Aussehen eines Südländers verlieh. »Ist Malcolm wach?«, fragte er.

Ronald zuckte die Schultern. »Weiß nicht. Und ich werde mich hüten, ihn zu wecken. Seine Laune von gestern reicht mir noch für heute.«

»Geht mir ebenso. Es scheint, als sei ihm das ganze Projekt zuwider.« Karl schüttelte verständnislos den Kopf. »Ich frage mich nur, warum er dann zugesagt hat.«

»Ihr habt ihn seinerzeit vielleicht zu sehr genötigt«, grummelte Ronald. »Aber egal! Wenn er so weitermacht, fliegt er. Der vermiest ja nicht nur uns die Laune, sondern vergrault mir auch die Eingeborenen, wenn wir erst mal ein paar eingefangen haben, und das kann alles zum Erliegen bringen.«

Karl nickte zustimmend. Blöde Situation! Er war froh, nicht in Ronalds Haut zu stecken.

Der Regisseur war mit seinen Gedanken schon wieder beim Film. »Frage von gestern«, nahm er den Gesprächsfaden auf. »Was denkst du? Wird der Lord seine Zustimmung geben?«

»Sir Edward machte immerhin einen aufgeschlossenen Eindruck«, erinnerte Karl. »Vielleicht solltest du ihn als Berater für gewisse Dinge in die Dreharbeiten einbinden. Sein Wissen über Land und Leute ist groß. Hab' ich ja gestern schon gesagt.«

Ronald nickte nachdenklich. »Ich brauche auch dringend einen Sprachmittler«, gestand er. »Ich verstehe ja hier nur ›Bahnhof‹.«

Karl gab seufzend zu: »Da geht's dir wie mir. Ich dachte, ich käme mit Englisch durch.«

Tourismus hin oder her: Im Süden Italiens bestand eine unausgesprochene Abneigung in Bezug auf die englische Sprache. Wenn es nicht anders ging, sprach man lieber ein paar Brocken Deutsch, eine Hommage an die zahlreichen betuchten Gäste, die alljährlich in Scharen aus Germany einfielen. Gelegentlich hörte man auch einige französische Ausdrücke, ein Mitbringsel der vielen – teils illegalen – Zuwanderer aus den nordafrikanischen Staaten.

Die beiden Männer setzten sich im Frühstücksraum an den ihnen zugewiesenen Tisch und waren erfreut, dass der Kellner Englisch verstand. Wie überall in den großen Hotels üblich, gab es auch hier ein reichhaltiges Frühstücksbuffet.

Von Malcolm war weit und breit nichts zu sehen.

Durch die großen Panoramafenster des Saales blickte man auf das bewegte Meer hinaus – auf beeindruckende Wellen und zischende Gischt. Das Wasser sah grau und wenig einladend aus, keinesfalls blau wie auf den Postkarten. Die Zweige der immergrünen Gewächse vor dem Hotel schwankten und bogen sich im heftigen Wind.

»Tolles Wetter«, bemerkte Ronald sarkastisch. »Ich dachte, in Italien gäbe es das ganze Jahr über nur Sonne.«

Außer ihnen saßen nur noch drei ältere Ehepaare im Saal. Ende Jänner war nicht wirklich eine Reisezeit. Zwar lockten die nahen Inseln Ischia und Capri mit günstigen Angeboten, ebenso die Costa Amalfitana, aber hier – direkt in Neapel – gab es zu dieser Jahreszeit nicht viel zu sehen.

»Ich denke, wir erkunden heute mal ein wenig die Gegend«, schlug der Regisseur vor. »Das kann man ja auch bei schlechtem Wetter machen. Fangen wir am besten mit dem Zentrum Neapels an.«

»Fahren wir mit dem Taxi?«, wollte Karl wissen. »Soweit ich mich an die gestrige Fahrt zu Sir Edward erinnere, war das ziemlich teuer. Aber ›per pedes‹ wird es wohl ein bisschen zu tagesfüllend werden.«

»Ich dachte eher daran, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benutzen«, erklärte Ronald. »Dann sehen wir mehr von Land und Leuten.«

»Gute Idee! Ich habe gleich an der Straße gestern eine Tafel bemerkt; sah sehr nach einem Busfahrplan aus«, erinnerte sich Karl. Vor dem Hotel gab es tatsächlich eine fermata, eine Haltestelle des Linienbusses.

Graham verdrückte mit Genuss ein Croissant. »Wir brauchen unbedingt einen Stadtplan. Wer weiß, wo wir sonst landen.« Die Mutmaßungen darüber ließen gelöste Heiterkeit aufkommen.

In diese Frühstückunterhaltung platzte Malcolm wie ein Gewitter in ein sommerliches Picknick. Während Karl mit seinem Seeräuberbart ansprechend aussah, konnte man das vom unrasierten Gesicht Mortimers nicht behaupten. Er wirkte unausgeschlafen und gereizt. Mit vorwurfsvollem Gesichtsausdruck ließ er sich auf den freien Stuhl fallen. »Geht's euch gut ohne mich? Es ist zum Kotzen: Im Zimmer ist es kalt und das Essen, das ich mir gestern Abend bestellte, war ein Albtraum. Also hier werde ich nicht alt. Übrigens, Ronald, ich habe heute mit meiner Frau telefoniert. Zu Hause erwartet mich ein tolles und vor allem finanziell ansprechendes Angebot für ein Filmengagement, das ich nicht ausschlagen möchte. Ich bin dann auch näher bei meiner Familie und muss mich nicht hier mit den ›Spaghetti-Fressern‹ herumärgern. Etwas Bindendes in Bezug auf dein Projekt habe ich nicht unterschrieben, also dürfte es kein Problem sein, mich aus deinen Plänen zu streichen. Mein Flugzeug geht morgen Abend.« Als Ronald etwas entgegnen wollte, winkte Malcolm ab. »Nein, gib dir keine Mühe! Du kannst mich nicht überreden zu bleiben. Mein Entschluss steht fest.«

»Oh, ich wollte eigentlich sagen, dass deine Entscheidung in Ordnung ist. Guten Flug!« Der Ton, in dem Regisseur dies sagte, klang lässig und keineswegs, als sei soeben einer seiner Hauptdarsteller abgesprungen.

Karl verschluckte sich fast an seinem panini, als er in das verblüffte Gesicht Mortimers blickte.

Mit dieser Antwort hatte Malcolm nicht gerechnet. Mindestens ein intensives Flehen, er möge doch bleiben, und vor allem das Angebot einer Aufbesserung der Gage hatte er erwartet, nicht aber, dass Graham ruhig sein Croissant futterte und ihn quasi zwischen zwei Bissen völlig emotionslos verabschiedete.

Es gelang Malcolm nicht, seine maßlose Enttäuschung zu verbergen. »Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«, murrte er.

»Hmmmh!« Ronald deutete auf seinen vollen Mund. Als er den Bissen hinuntergeschluckt hatte, tupfte er sich mit der Serviette die Lippen ab und versicherte: »Ach, es war mir doch klar, dass ein Star wie du nicht im Ernst in dem kleinen Film eines noch fast unbekannten Regisseurs mitwirken würde. Ich war eher überrascht, als du damals zusagtest. Mach dir also keine Gedanken. Es ist völlig in Ordnung, dass du das lukrativere Angebot wählst.« Er griff er nach der Kaffeetasse und trank den Rest aus.

»Können wir?«, fragte er dann in Karls Richtung, Mortimers Anwesenheit ignorierend.

Malcolms Gesicht drückte Fassungslosigkeit aus. War er im falschen Film? »Wohin geht ihr denn?«, fragte er.

Karl antwortete. »Wir wollen nur ein bisschen durch Neapel laufen. Ist nichts für dich, da wir ja nach Schauplätzen für einzelne Filmszenen Ausschau halten. Genieße nur in Ruhe dein Frühstück. Es ist wirklich ausgesprochen gut. Außerdem – das Wetter ist ja nicht besonders einladend und solche Tage werden wir hier noch einige haben.«

Die beiden Männer erhoben sich mit einer Geste des Abschiednehmens und Malcolm blieb allein am Tisch zurück. Der ›große Star‹ stierte in seine noch leere Tasse und begriff allmählich, dass nicht er derjenige war, der die Rolle abgelehnt hatte, sondern dass er soeben – sage und schreibe – gefeuert worden war. Diese Tatsache nagte an seinem Ego. So schnell abserviert zu werden, konnte nur bedeuten, dass Ronald bereits Ersatz für ihn gefunden hatte. Aber wen? Das würde er wohl frühestens aus dem Internet oder den Programmheften der Kinos erfahren, vorausgesetzt, das Projekt kam überhaupt auf die Beine. »Wird es nie und nimmer, schwachsinniges Thema, idiotisches Drehbuch«, murmelte er und stand schließlich auf. Der Appetit war ihm gründlich vergangen.

Sie standen an der fermata und warteten auf den Bus.

Ronald war bester Laune. Malcolms selbstherrliche Absage ersparte ihm die mühevolle Erklärung, warum dieser sich nicht für die Rolle des Staatsanwalts in seinem Film eignete, verbunden mit der Bitte, auf die Rolle zu verzichten. Nein, er hatte noch keinen Schimmer, wen er nun engagieren sollte, aber es würde ihm schon etwas einfallen.

In seine Gedanken hinein fragte Karl: »Waren wir nicht doch zu unfreundlich?« Allerdings grinste er bei dieser Frage. Besser hätte Graham Mortimers ›Ausladung‹ gar nicht hinkriegen können.

Ronald wiederholte: »Unfreundlich? Findest du? Na ja, vielleicht … aber jedenfalls passend zu Malcolms Stil.« Und er überlegte laut weiter: »Jetzt muss ich nur noch einen finden, der die Rolle des Staatsanwalts übernehmen kann. Wir brauchen einen Darsteller, dem man Gerechtigkeitssinn abkauft, sobald er den Schauplatz betritt, einen, der Courage und Selbstdisziplin besitzt. Vielleicht frage ich Sir Edward?« Die Vorstellung, den alten Lord in der Rolle von Recht und Gesetz zu sehen, war einerseits gar nicht so abwegig, anderseits löste sie Heiterkeit beim Regisseur aus.

Karl konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Doch er hatte eine Idee. »Ich könnte mir da einen vorstellen. Aber ich weiß nicht, vielleicht hat mein Freund im Moment ein anderes Angebot.«

»Mensch, wer ist das? Ich rufe ihn sofort an.« Ronald war schnell zu begeistern, obwohl er noch nicht einmal wusste, von wem die Rede war.

»Zu Victor würde diese Rolle gut passen«, dachte Karl weiterhin laut nach.

»Victor, wer?« Ronald gelang es nicht sofort, diesen Vornamen mit einem Schauspieler in Verbindung bringen.

»Victor Anderson, du weißt schon.« Karl begann die Filme aufzuzählen, in denen sein Freund mitgewirkt hatte, und sah sich schon mit ihm in einer gemütlichen Bar am Meer sitzen und ein Bier trinken.

»Ja, ja, ja, ich weiß es wieder«, wurde er von Ronald ungeduldig unterbrochen. »Und wo erreiche ich Victor?«

»Krieg' ich Vermittlerprovision?«, spottete Karl. »Ich hab' natürlich seine Nummer. Ich rufe auch an und frage, ob er interessiert ist. Wenn, dann wird er sich melden.«

»Ja, doch! Aber mach schon!«

Karl deutete auf die Uhr. »Bestimmt nicht jetzt. Ich würde Victor zu dieser Stunde infolge der Zeitverschiebung höchstens wecken.«

Damit musste Ronald sich wohl oder übel zufriedengeben.

»Wann kommt denn dieser verdammte Bus endlich?«, knurrte er missmutig.

Keiner der beiden konnte auf dem vergilbten Fahrplan etwas Lesbares erkennen. Die Hinweistafel blieb ihnen schon deshalb ein Rätsel, weil keiner eine Ahnung hatte, welche Tage der Woche mit den italienischen Bezeichnungen gemeint waren. Wie wenig Relevanz Fahrpläne in Italien an sich besaßen, wussten sie ebenfalls – noch – nicht. Die waren eher eine Empfehlung, ähnlich wie die Verkehrsregeln. Und dass die Busse dort auch hielten, wo sie sollten, ließ sich mit einem Roulettespiel vergleichen. Karl und Ronald hatten Glück. Ein blauweißer Linienbus steuerte schließlich auf die fermata zu.

Eine füllige mamma in mittleren Jahren, die Karl schon an der Haltestelle mit verklärtem Blick verschlungen hatte, erwies sich nun als äußerst hilfreich: Sie bewerkstelligte für die Männer den Kauf der Fahrkarten. Das war gar nicht so einfach. Die biglietti hätten sich die beiden nämlich schon vorher besorgen sollen. Doch die Neapolitanerin überfiel den Busfahrer mit einem von wilden Gesten begleiteten, schier endlosen Redeschwall, bis ihm nichts anderes übrigblieb, als die zwei Euro einzustecken und die Fahrt als bezahlt zu betrachten. »Sempre questi touristi!«, stöhnte er kopfschüttelnd.

Die Männer verstanden nur ›Touristen‹ und erkannten am Tonfall, dass dies nicht als Kompliment gemeint war.

Sitzplätze gab es im Bus keine, nur Halteschlaufen. Karl ließ seinen Charme spielen und hielt ihrer gemeinsamen Gönnerin die Einkaufstasche, bis sie einige Stationen weiter ausstieg. »Ciao, bello mio«, flüsterte sie Landmann ins Ohr, quetschte ihren Busen etwas näher als nötig an seiner Brust vorbei und bedachte ihn mit einem feurigen Augenaufschlag, ehe sie sich durch die Bustür zwängte.

Ronald grinste von einem Ohr zum anderen. »Wenn das so weitergeht, besitzt du am Ende der Dreharbeiten einen Harem. Wirklich reizend, die Dame. Sie kann sicher gut kochen, ihrem Aussehen nach zu urteilen.«

Erst ein nicht ernst gemeinter Stoß in die Rippen ließ den Regisseur verstummen, aber das Grinsen wich nicht aus seinem Gesicht.

Nach dem Aussteigen – die Haltestelle war von den Männern willkürlich gewählt – erstanden sie an einem schmuddelig wirkenden Kiosk einen Stadtplan von Neapel, dessen Aktualität ihnen sehr fragwürdig erschien. Sie versuchten erst einmal, ihren Standort zu lokalisieren. Als ihnen das endlich gelungen war, bewegten sie sich weiter, in ständigem Kampf mit dem Wind. Der pfiff durch die Gassen und wirbelte Kleinmüll durch die Luft. Ronald notierte sich Einzelheiten, die ihm bemerkenswert erschienen oder fertigte kleine Skizzen an. Karl gab acht, dass der in seine Aufzeichnungen vertiefte Regisseur nicht fortwährend gegen Passanten stieß.

Irgendwann erreichten sie schließlich die Galleria Umberto, einen prachtvollen Bau, über dessen pseudobarocker Fassade sich ein Dach aus Glas und Gusseisen wölbte. Im Zentrum der Galleria, wo sich die Einkaufsgässchen trafen, überspannte eine große Glaskuppel das Einkaufsparadies.

Die Bar, die Karl und Ronald ansteuerten, wurde von zwei Modegeschäften flankiert. Vor dem Lokal hatte der Besitzer Stühle und kleine Tische aufgestellt. Ein Blick durch die offene Tür verriet auch sofort, warum. Im Inneren war wirklich nur Platz für die Theke, an der ein paar Leute lehnten und miteinander diskutierten.

»Wollen wir?« Ronald deutete mit dem Kopf zu den Sitzgelegenheiten. »Ich brauche jetzt einen Kaffee.«

»Da widerspreche ich nicht.« Karl nickte zustimmend. »Kaffee hätte ich auch gern.«

Erschöpft vom Kampf mit dem Wind ließen sich die Männer an einem der Tische nieder. Nach geraumer Zeit erschien ein junger Bursche in schwarzer Hose und weißem Hemd und machte ihnen in einem langen italienischen Wortschwall etwas klar.

Karl nahm an, dass es um ihre Wünsche ging und bestellte – mit den Händen gestikulierend – zwei Kaffee. Der Jüngling nickte. »Capito! Due caffè.« Wenig später landeten zwei Espressos vor Ronald und Karl mit – tja, mit einem Schuss Schwärze darin. Was sie nicht wussten – wenn man in Italien einen Kaffee bestellte, erhielt man automatisch einen Espresso. Und der war nun mal stark, schwarz und bestand aus einem Fingerbreit Flüssigkeit in einer Puppentasse.

Ronald blickte belustigt auf seinen Kaffee. »Ich denke, wir hätten davon zwei Kannen bestellen sollen.« Vorsichtig nippte er an dem heißen Getränk: Zu wenig, aber gut. Cremig und stark. Daran könnte man sich gewöhnen.

Auch Karl nickte beifällig. »Nicht schlecht, aber eindeutig für Zwerge berechnet.«

Der Neuseeländer musterte interessiert die Passanten. Das Publikum hier war eindeutig ein anderes als in den Gassen: Italienerinnen, wie man sie in Modemagazinen vorgeführt bekam – modern gekleidete Püppchen, in jeder Hand eine Einkaufstasche, deren Firmenemblem zeigte, in welch teurem Geschäft sie ihr neuestes Kleidungsstück erstanden hatten, hier und in noch kostspieligeren Geschäften auf dem Toledo oder in der Via Chiaia. Lässige Typen in Armani-Anzügen lehnten rauchend an den runden Stehtischen der nächsten Bar. Dies war nicht der Platz für die Neapolitaner, die irgendwo in einer der Nebengassen wohnten. Hier war die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ zu Hause, wenn man das so nennen wollte. Hier galt: Sehen und gesehen werden!

Unauffällig musterte auch Ronald die Männer in seinem Blickfeld. Ob Mafiosi darunter waren? Vielleicht der Mann mit den schwarzen, nach hinten gekämmten Haaren und dem offenen Hemd, um den Hals einige Goldketten? Oder die beiden, die eben mit einem vielsagenden Grinsen im Gesicht aus dem Buchladen vis à vis kamen? Der Regisseur fragte sich, ob man die Mitglieder der Camorra tatsächlich am Aussehen erkannte oder erst, wenn sie einem schon das Messer in den Bauch rammten?

Seine Vorstellungen, die ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ Neapels betreffend, beruhten auf Informationen, die er in jahrelanger Kleinarbeit aus Zeitungsarchiven zusammengetragen hatte. Sie wurden ergänzt durch Recherchen aus dem Internet, stammten aus Polizeiberichten zu diesem Thema und nicht zuletzt aus Büchern, die er gelesen hatte. Den Ausschlag dafür, dass er diesen Film drehen wollte, hatte dann das Treffen mit einem ehemaligen Angehörigen der sizilianischen Mafia gegeben, der mittlerweile unter anderem Namen und mit neuer Identität in New York lebte. Ganz zufällig war er diesem Mann auf einer Party begegnet und ebenso zufällig mit ihm ins Gespräch gekommen. Je länger er sich mit diesem Aussteiger unterhalten hatte, desto vielversprechender erschien ihm der Plan, einen Film über die Mafia zu drehen – L'onorato famiglia, Ehrenwerte Familie, schwebte ihm damals als Titel vor.

Karl zog die Blicke so mancher schönen Frau auf sich.

Ronald fragte sich ohne Neid, was der Mann an sich hatte, dass er auf Frauen eine solche Wirkung ausübte. Er betrachtete Ausstrahlungen eher unter dem Aspekt der Auswirkung auf einen Film, der dadurch zum Publikumsmagnet wurde. Und da sah er im Geist die Top-Besetzung an männlichen Frauen-Idolen in seinem Film: Brendon Pitts, Karl Landmann und nun vielleicht auch noch Victor Anderson. Fiele die Oscarverleihung in weibliche Zuständigkeit, seinem Film wäre mit Sicherheit eine dieser hübschen Statuen sicher. Und die zarten, romantischen Ansätze des Actionfilms, die eigentlich nicht ins Gewicht fielen, weil sie sich nur am Rande ereigneten, würden dennoch einige Frauenherzen höherschlagen lassen. Aber das waren hochfliegende Träume – erst einmal hieß es abwarten. Die wichtigsten Fragen standen noch offen: Würde der Lord zusagen? Würde Victor Anderson die angebotene Rolle übernehmen? Nicht zu vergessen das Gespräch mit Don Carlos Berlotta, dem Padrone von Neapel, falls die beiden ersten Hürden erfolgreich genommen waren.

Gemessen daran war es gegenwärtig sein kleinstes Problem, wie er ohne Sprachkenntnisse nochmals zu ein paar Tropfen Kaffee kam. Eifrig winkte er dem jungen Kellner und deutete auf die beiden Tassen. Der Bursche nickte diensteifrig. Ein tüchtiges Volk, die Italiener! Man konnte notfalls mit Händen und Füßen sprechen und wurde verstanden.

Während Karl und Ronald – diesmal bei einem caffè latte – weitere Einzelheiten des Films besprachen, meldete sich auch ihr Magen. Schließlich hatten sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen. Ein Blick in das Innere des kleinen Lokals zeigte, dass in der Vitrine auch Panini und Tramezzini angeboten wurden, etwas Ähnliches wie Sandwiches, zumindest dem Aussehen nach. Mittlerweile – schließlich saßen sie schon über eine Stunde vor der Bar – wussten die beiden auch, dass der Kellner Roberto hieß. Hier würden sie wohl – wenn der Film gedreht wurde – noch öfter sitzen, nicht zuletzt deshalb, weil die Bar den Namen Il Vesuvio – der nun endgültige Filmtitel – trug. Die Vorräte der leckeren Brötchen waren erheblich geschwunden, nachdem Karl und Ronald ihren Hunger gestillt hatten.

»Wenn wir uns in der Hafengegend noch umsehen wollen, sollten wir langsam in die Gänge kommen«, erinnerte Ronald an den eigentlichen Grund ihres Tagesausflugs.

Es war nicht einfach, diesen Ort zu verlassen, denn es gefiel den Männern hier mit jeder Minute besser.

Roberto hatte versucht, seinen Gästen ein wenig Italienisch beizubringen. Immerhin schafften die Männer zum Abschied ein: »Ciao, fino alla prossima volta!«, was soviel bedeutete wie: ›Tschüss, bis zum nächsten Mal.‹

Und als sie, infolge ungewollter Umwege, nach einem mehr als halbstündigen Weg endlich den Hafen erreichten, stand für Ronald fest: In dieser Stadt würde sein Film spielen – Originalschauplatz war und blieb eben Originalschauplatz.

Erwartungsvoll näherten sie sich dem Teil des Hafens, wo um diese Zeit ein besonders geschäftiges Treiben herrschte. Kisten wurden von den Frachtschiffen gehievt und entlang des Kais deponiert. Die dicken Taue, mit denen die Kähne festgemacht waren, zerrten an den Anlegepollern. Auf dem Kai tummelten sich neben streunenden Katzen, die gierig nach jedem Happen schnappten, auch Kinder, die sich verstohlen hier und da einen Fisch schnappten und mit ihm davonrannten, nicht einholbar für die schimpfenden Fischer, die ja letztendlich bei ihrer Ware bleiben mussten. Die Kisten, deren Deckel oft nur einen Spaltbreit offenstanden, enthielten Fische, Langusten und Muscheln.

Frauen mit großen Körben wählten aus dem reichen Angebot. Das Geräusch der vielen Stimmen hörte sich an wie das Rauschen der Meeresbrandung, zumal weder Karl noch Ronald ein Wort verstanden. Über allem lag der intensive Geruch von Fisch.

Unversehens stieß Landmann Graham an und wies nach vorn. »Sieh mal, wer da ist!« Nur er bemerkte, dass sich sein Puls beschleunigte, dennoch befürchtete er, man könne es geradezu sehen.

Wenige Meter von ihnen entfernt stand Marie, die junge Frau, der sie gestern bei Sir Edward begegnet waren.

Lachend und ungezwungen unterhielt sie sich mit dem Fischer, scheute sich nicht, die Fische selbst aus den großen Behältern herauszuholen und besiegelte deren Kauf mit Handschlag. Die fangfrischen Tiere wurden in Nylonsäckchen verpackt und in einen großen Korb gelegt.

Mit dem Handrücken strich Marie sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und packte dann den Korb, um ihn aufzuheben. Karl war mit wenigen Schritten bei ihr.

Marie erschrak, als so plötzlich jemand neben ihr auftauchte und nach dem Henkel griff. Sie reagierte automatisch und schlug mit der Faust zu … Erst danach erkannte sie die Situation und fuhr in tödlicher Verlegenheit zurück. »Oh, es tut mir ja so leid«, rief sie. »Wie hätte ich ahnen sollen, dass Sie es sind. Ich dachte, es sei einer dieser flinkfingrigen Burschen. Mister Landmann, bitte entschuldigen Sie.« Marie wusste nicht, was sie noch sagen oder tun sollte.

Der Schlag hatte gesessen. Karl – in gebückter Haltung – bemühte sich, eine regelmäßige Atmung zustande zu bringen.

Ronald stand einige Meter entfernt und schnappte ebenfalls nach Luft, jedoch vor Lachen. Es hatte aber auch zu komisch ausgesehen, als die kleine Lady dem großen Mann eine Breitseite verpasste, dorthin, wo es Mann am schmerzhaftesten trifft!

Auch Giuseppe der Fischer hatte seine Kappe nach hinten geschoben, kratzte sich das Kinn und grinste unverschämt. Er mochte Marie, die schon seit langer Zeit bei ihm die Fische kaufte. Sie wusste genau, was sie wollte und zahlte gern einen vernünftigen Preis. Er hatte es inzwischen aufgegeben, ihr mehr Euros zu berechnen. Das funktionierte nicht bei dieser Frau. Außerdem gefiel es ihm, dass sie italienisch sprach, sich nie zu fein war, selbst mit anzupacken, obwohl man bei ihrer grazilen Erscheinung eher dazu neigte, gleich hilfsbereit zur Stelle zu sein, wie soeben dieser junge Mann. Aus seiner Jackentasche holte Guiseppe eine kleine Flasche und hielt sie dem noch immer mit dem Schmerz Kämpfenden hin, der wohl das erste Mal in seinem Leben von einer Frau geschlagen worden war und dann noch … na ja …

»Bere!«, forderte er Karl freundlich auf und hielt ihm die Flasche unter die Nase.

»Sie sollen trinken, das hilft«, übersetzte Marie. »Giuseppes Grappa ist gut, fast schon Medizin.«

Karl nahm dankbar einen kräftigen Schluck. Zu kräftig! Statt sofortiger Besserung fehlte ihm urplötzlich wiederum die Luft und er erlitt einen Hustenanfall.

Ronald, der inzwischen neben der Gruppe stand, traten Tränen der Heiterkeit in die Augen. Einer seiner Filmhelden sah hier gerade gar nicht wie ein verwegener Mafioso aus, eher wie eine ausgepresste Zitrone.

Dankend nahm auch er die Flasche entgegen, die ihm der Fischer reichte, der nun ebenfalls herzlich lachte. Puh, das war vielleicht ein Zeug! »Himmel! Was trinkt ihr da? Das brennt ja wie Feuer.«

Giuseppe verstand nicht, was der Fremde sagte, konnte sich aber denken, was die Worte bedeuteten und lachte erneut.

Der Grappa brannte Ronald bis in den Magen hinunter, von dort jedoch breitete sich eine wohltuende Wärme in seinem Körper aus.

Marie war inzwischen zu ihrem Auto gelaufen, das nur wenige Meter entfernt stand und kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück. Schuldbewusst beugte sie sich zu dem hustenden und prustenden Karl hinunter, der noch immer nach Luft schnappte, und reichte ihm die Plastikflasche. Als er abwinkte, sprach sie ihm gut zu: »Das ist nur Mineralwasser, ehrlich. Bitte, trinken Sie in kleinen Schlucken.«

Endlich griff er zu und nippte sehr vorsichtig an dem klaren Nass. Er hatte ehrlich gezweifelt, dass es sich wirklich um Wasser handelte. Langsam fühlte er eine Besserung und vermochte sich aufrichten. Doppeltes k.o. war der richtige Ausdruck dafür, was ihm soeben widerfahren war. Als er endlich wieder aufrecht zu stehen vermochte, traf sein Blick auf den besorgten Gesichtsausdruck von Marie. In ihren Augen flackerte noch immer Erschrecken und etwas wie Angst.

Sie war heute ungeschminkt und auf ihrem Gesicht zeigten sich hektische rote Flecke. Der üppige Rollkragen des Pullis schien ihren Kopf verschlucken zu wollen und eine Windböe zerrte an ihrem aufgesteckten Zopf.

Karl drängte es, die Hand zu heben und Marie über die Wange zu streichen, sie zu trösten, wie man es bei einem Kind tut, das ungewollt eine Dummheit begangen hat. Im letzten Moment besann er sich und verlangte nur den Verschluss der Wasserflasche.

Als Marie ihm die Kappe reichte, berührten sich ihre Hände und es war, als spränge ein elektrischer Funke über. Gedankenschnell fuhren beider Hände auseinander und der Plastikverschluss fiel zu Boden. Beide bückten sich, gleichzeitig, und – stießen nun auch noch mit den Köpfen zusammen.

Giuseppe und Ronald – abwechselnd am Grappa nippend – beobachteten die beiden interessiert, grinsten einvernehmlich und gaben jeweils ihre Meinung kund – für den einen so unverständlich wie für den anderen. Aber sie waren sich vollkommen einig: Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht sorgen …

Marie hatte inzwischen ein krebsrotes Gesicht und das Karls näherte sich der gleichen Farbe. Er murmelte fast nicht Verständliches, das gleichzeitig wie eine Entschuldigung und wie ›das gibt’s doch nicht‹ klang. Immerhin hatte er es geschafft, die Flasche wieder zu verschließen und Marie zu reichen.

Wie kam es nur, dass er so unvermittelt auf eine Frau reagierte? Er wusste nichts von ihr, außer, dass sie hervorragende Petit Fours machte, ihre Finger – wenn auch unbeabsichtigt – seinen Nacken berührt hatten, dass sie einen treffsicheren Schlag auf edle Körperteile ausführen konnte, ihr Kopf eine richtig harte Nuss war und – dass sie ausdrucksvolle Augen besaß, Haar, das zum Streicheln einlud, Hände, die man in die seinen nehmen wollte, einen Körper, den man augenblicklich zu umarmen wünschte und … Karls Magen zog sich warnend zusammen. Wann hatte er das letzte Mal solche Gefühle für eine Frau gehabt?

Marie hatte sich gefangen; sie griff nach dem Korb mit den Fischen und eilte – in der anderen Hand die Wasserflasche – auf den Kombi zu. In ihrem Hals saß ein Kloß. Wahrscheinlich hätte sie den Rest Grappa in der Flasche leeren müssen, um ihn fortzuschwemmen. Distanz war das Einzige, das helfen würde. Daher wollte sie so schnell wie möglich von diesem Mann fort, der sie so aus dem Konzept brachte. Sie hatte sich geschworen, nie mehr solche Gefühle zuzulassen, wie sie sich ihr nun aufdrängten. Zornig über sich selbst warf sie die Fische in die große Kühlbox, die sich im Kofferraum des Kombis befand. Und ihr seelischer Zustand besserte sich erst recht nicht, als Karl schweigend neben sie trat und ihr beim Beladen half.

Zum Glück ahnte sie nichts von den Bildern in seinem Kopf …

Er sah sich Marie in die Arme nehmen, sah, wie er sie entkleidete und auf die freie Ladefläche des Kombis bettete … Einen Augenblick schloss er die Augen, meinte zu spüren wie ihr Mund den seinen berührte, seine Finger durch ihr Haar glitten, das sich anfühlte wie …

»Mister Landmann, ist Ihnen nicht gut? Ich würde gern den Kofferraumdeckel zumachen.« Jetzt erst registrierte er, dass Marie auf ihn einredete. Sie musste ihn schon einige Male angesprochen haben, denn ein besorgtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, das die normale Farbe zurückgewonnen hatte.

»Natürlich, ja. Ich war nur etwas … abwesend. Soll ich helfen?«, bot er höflich an.

»Lieber nicht.« Marie wehrte in komischem Entsetzen ab. »So gut, wie wir beide das heute können, schlage ich Ihnen letztendlich noch die Klappe auf den Kopf. Schadensersatzforderungen kann ich mir nicht leisten.« Sie hatte sich wieder im Griff und das war das Wichtigste.

Der Wind trieb dunkle Wolken heran und einzelne Regentropfen fielen vom grauen Himmel.

Giuseppe rief Marie etwas zu und deutete auf das Meer hinaus. Die Frau nickte und wandte sich an Karl, der noch immer wie ein Schatten neben ihr stand.

»Ich bringe Sie beide ins Hotel. Es wird gleich regnen. Sehen Sie, Giuseppe schafft alles an Bord. Ich muss zwar noch einige Besorgungen machen, doch solange können Sie im Wagen warten.«

Der Wellengang verstärkte sich, die Gischt spritzte über die Kaimauer.

Auch die anderen Fischer brachten ihre Waren in Sicherheit und der zuvor dicht belaufene Kai lag bald wie leergefegt da. Man kannte hier die Vorzeichen des Wetters nur zu gut. Sobald der Wind über das Meer hereinpeitschte, war es besser, Schutz zu suchen.

Ronald überlegte gar nicht erst, schob Karl zur Beifahrertür und ließ sich selbst auf die Rückbank fallen, was in Anbetracht dessen, dass die Parkplätze neben Maries Wagen bereits leer waren, nicht mehr so schwierig war. Fischgeruch wölkte im Lieferwagen.

Ronald gingen bereits wieder sehr praktische Gedanken durch den Kopf: Diese Frau sprach perfekt italienisch, schien gut mit den Menschen hier auszukommen und Karl hatte ganz offensichtlich eine Schwäche für sie. Marie würde sich also wunderbar als Sprachmittlerin zwischen ihm und den Neapolitanern und vielleicht sogar als heimliche Geliebte Angelo Cortesas eignen, der rechten Hand des Padrone. Es hieß nur abwarten, bis sich die geeignete Gelegenheit ergab, ihr dies schmackhaft zu machen.

Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe; die Scheibenwischer waren schon auf die schnellste Geschwindigkeit gestellt, um einigermaßen freie Sicht zu gewähren.

Marie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr und achtete nicht auf ihren Beifahrer. Sie hatte Francine angerufen, die sowohl die Bluse für sie, als auch für sich selbst einige Dinge erstanden hatte. Die Anzüge des Lords aus der gleich neben der Galleria liegenden Reinigung hatte sie bereits abgeholt. Der Gang zum mercato musste verschoben werden. Bei diesem Wetter waren die Markstände mit Sicherheit bereits geschlossen. Fehlten nur noch die Zigarillos für Frederic.

Die Französin staunte nicht schlecht, als sie bemerkte, wen Marie aufgelesen hatte. Sie schlüpfte hochbeglückt rasch auf den Platz hinter Marie, neben Ronald Graham.

»Wir bringen die Herren ins Hotel«, erklärte Marie. »Ehe der Bus kommt, sind die beiden bis auf die Knochen durchgeweicht.«

»Ischt gut, ischt gar keine Problem.« Francine blinzelte Ronald zu. Vielleicht wurde der Regisseur auf sie aufmerksam und entdeckte sie! Eine Rolle beim Film – das klang wie Himmel auf Erden. »In welsche 'otel wohnen Sie?«, fragte sie neugierig.

»Im Rex schönes Kind«, Ronald lächelte galant. Wenn er wollte, konnte er!

Marie stoppte den Wagen in einer kleinen Gasse, die alles andere als einladend oder gar seriös wirkte. Einen nicht minder schäbigen Eindruck vermittelte eine hölzerne Tür, die schief in den Angeln hing. Die undefinierbare Farbe blätterte an mehreren Stellen ab und der Türknauf war nichts weiter als ein metallener Haken, umwickelt mit Garn. Die junge Frau sprang aus dem Auto und lief, sich das Gilet über den Kopf ziehend, auf die Tür zu. In der Wand versteckt gab es einen Klingelknopf. Sie musste ein paar Mal drücken, ehe die Tür von einem alten Mann geöffnet wurde und sie eintreten konnte.

»Der sieht so zerknittert aus wie seine Tür«, scherzte Karl. »Er ist doch seriös, hoffe ich?«

Über Francines Gesicht huscht ein amüsiertes Lächeln. »Keine Angst. Marie weiß, was sie tut. Außerdem 'at sie erst kürzlisch eine Kurs in Selbstverteidigung gemacht«, erklärte sie.

»Ah ja? Das hat mein Kollege heute schon zu spüren bekommen.« Ronald bemühte sich um einen übertrieben sachlichen Ton.

Karl schickte einen vorwurfsvollen Blick nach hinten. Graham prustete nun doch los.

Francine schaute erwartungsvoll von einem der Männer zu anderen. Als niemand sie aufklärte, zuckte sie mit den Schultern, murmelte beleidigt: »Isch muss ja nischt alles wissen«, und beobachtete angelegentlich die Regentropfen, die an der Seitenscheibe herunterliefen.

Karl fixierte die Zeiger der Uhr am Armaturenbrett.

Endlich öffnete sich die verrottete Haustür und wenige Augenblicke später rutschte Marie rasch auf ihren Sitz. Sie presste einen unterdrückten Fluch durch ihre Lippen: »Sch... Regen!« Unter ihrem Gilet hatte sie ein Päckchen vor dem Regen geschützt. Ihre Hände waren klitschnass, aus ihrem Haar und den Hosenbeinen tropfte das Wasser. Schweigend reichte sie das in Zeitungspapier gewickelte Paket an Francine weiter und startete den Wagen.

»Aber sischer 'alte isch das gern für disch.« Die Stimme der Französin hatte einen deutlich vorwurfsvollen Unterton.

Marie zog die Brauen hoch. Was war denn dem Mädchen über die Leber gelaufen? »Danke! Weiß ich doch!«, sagte sie und lächelte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.

»Das sind Zigarillos für Frederic, die Butler«, erklärte Francine in die Stille hinein. Ihr Mitteilungsbedürfnis siegte über ihre Verstimmung, in etwas nicht eingeweiht worden zu sein. »Marie 'at sie in eine Sommer entdeckt, als diese alte Mann, er 'eißt Tonio, vor seine Tür saß und die braune Dinger drehte. Isch glaube, Frederic wird sisch vergiften mit die Zeug.«

Ronald meinte, das sei eine hübsche Geschichte, aber der Butler komme ihm vorerst noch recht gesund vor.

Francine überlegte nun krampfhaft, womit sie den Regisseur noch beeindrucken könne, aber es wollte ihr nichts einfallen. Also richtete sie ihr Augenmerk auf Karl und bemerke, dass dieser Marie ständig beobachte. Oh, là, là … Da schien sich wohl etwas anzubahnen. Der Schauspieler war schon ein hübscher Mann, aber viel zu alt für sie.

Karl ahnte nichts von den Gedanken des Küchenmädchens. Er hätte nur etwas darum gegeben, mit Marie allein im Wagen zu sein. Eine Frage schoss ihm durch den Sinn und ehe er es verhindern konnte, hatte er sie ausgesprochen: »Sind Sie verheiratet, Marie?«

»Ich bin geschieden«, antwortete sie kurz angebunden.

›Welch ein Idiot muss dieser Mann gewesen sein, dass er sie gehen ließ‹, dachte Karl.

Wieder breitete sich Schweigen im Wagen aus.

Karl hätte später nicht einen Meter Fahrt rekonstruieren können, so sehr war in Gedanken mit der Frau an seiner Seite beschäftigt. Marie hingegen achtete nur darauf, gut durch den Verkehr zu kommen, der trotz des Regens an Dichte nichts zu wünschen übrigließ. Irgendwann hielt sie vor dem Hotel und meldete, wieder gut gelaunt: »Meine Herren, da sind wir. Bis morgen Abend also! Ein Tipp von mir: Sir Edward liebt außer der Pünktlichkeit bei einem solchen Abendessen etwas formellere Kleidung.«

Ronald reichte ihr die Hand. »Danke, Marie, für den Tipp und fürs Herbringen. Mit dem Bus wären wir wohl noch nicht hier.«

»Nein, Monsieur«, meldete sich Francine lachend. »Der Wind 'ätte Sie schon in die Meer getrieben. Die Bus fährt bei diese Wetter nicht die 'afen an.«

»Na, dann danken wir auch dafür, dass wir nicht zu Fischfutter wurden.«

Marie aber flüsterte Karl zu, der den Türgriff in der Hand hielt und vergeblich nach einer geeigneten Verabschiedung suchte: »Es tut mir leid wegen vorhin. Ich wollte Ihnen nicht wehtun.«

»Ist schon in Ordnung. Man schleicht sich ja auch nicht von hinten an. Ich freue mich jedenfalls, Sie morgen wiederzusehen.« Dann stieg er schnell aus.

Unter dem schützenden Vordach des Hotels sahen die beiden Männer dem Kombi nach, der rasch davonfuhr. »Na, bist du wieder unter den Lebenden? Ich dachte, du seist während der Fahrt in Agonie verfallen«, neckte Ronald.

»Wie meinst du das?« Karl gab sich begriffsstutzig. »So ein bisschen Fischgeruch bringt keinen um. Nachher werde ich Victor anrufen. Wir zwei sehen uns beim Abendessen.«

Aber Ronald ließ ihn nicht aus den Krallen. »Ja, geh nur, und nimm gleich ein kühles Bad. Bei so viel Hitze von innen ist eine Abkühlung angebracht. Glaub ja nicht, dass es zu übersehen war, was da im Hafen zwischen euch ablief. Sogar der gute Guiseppe hat sich dabei bestens unterhalten. Ich muss schon aus Freundschaft dafür sorgen, dass die hübsche Marie deine Filmpartnerin wird. Dann darfst du sie sogar küssen.«

Ronald bewegte sich in bester Laune auf den Eingang des Foyers zu. Karl folgte ihm schweigend. Grahams Idee war nicht die schlechteste und nicht nur, weil es ihm die Möglichkeit verschaffte, Marie näher zu kommen.

Den beiden Männern war nicht aufgefallen, dass hinter der Glastür des Foyers ein Mann stand, der ihre Ankunft beobachtete. »Na, hattet ihr einen schönen Tag?«, empfing Malcolm Mortimer sie jetzt. »An weiblicher Gesellschaft scheint es euch ja nicht gemangelt zu haben, wie zu sehen war. Hattet ihr Spaß im Auto? Die Damen rochen leider ein wenig streng, eurem Duftschweif nach zu urteilen.«

Es kostete Karl Mühe, Malcolm nicht tätlich anzugehen.

Ronald rettete die brenzlige Situation. »Schönen Flug morgen!«, wünschte er. »Wir werden uns ja nicht mehr sehen.«

Er ließ den Streitsuchenden einfach auflaufen, schlendert weiter und wandte sich an Karl: »In zwei Stunden essen wir in meinem Zimmer, wie ausgemacht.«

Nichts hatten sie ausgemacht, aber mit Mortimer würde Ronald sich heute Abend sicher nicht an einen Tisch setzen.

Der aber war nicht gewillt aufzugeben. Er folgte den beiden Männern durch das Foyer. »Hab' schon gehört, dass sich der Lord willige Frauen in seinem Haus hält. Aber dass er sie auch verleiht, wusste ich nicht«, höhnte er.

Ronald fasste Karl energisch am Oberarm und zwang ihn weiterzugehen. Er wusste, wenn er ihn nicht gleich aus Malcolms Nähe brachte, kam es zu einer Schlägerei.

An ihm selbst prallten derartige Beleidigungen ab, doch Karl, der mit Sicherheit für diese Marie etwas empfand, würde nicht dulden, dass man sie in den Schmutz zog.

»Komm!«, flüsterte er. »Marie würde nicht wollen, dass du dich schlägst!« Das wirkte.

Im Lift lehnte sich Karl an die kühle Innenwand. »Danke. Ich hätte ihm fast eine in seine blöde Visage verpasst.«

»Ich weiß. Und genau darauf hatte er es angelegt. Er hat begriffen, dass nicht er mir die Tour vermasselt hat, sondern dass ich ihn gefeuert habe. Das schmerzt einen Mann wie ihn gewaltig. Und ich vermute mal, da gibt es gar keine Rolle, die man ihm angeboten hat. Er sitzt jetzt auf dem Trockenen. Was ich dir zuletzt gesagt habe, ist übrigens meine feste Meinung: Ich denke nicht, dass Marie es schätzt, wenn du dich prügelst.« Und nach einer kleinen Pause fügte er grinsend hinzu: »Allerdings würde es dir sicher gefallen, von ihr nach der Prügelei gepflegt zu werden.«

Jetzt lächelte auch Karl. Sicher würde ihm das gefallen. Doch nun brauchte er erst einmal eine kalte Dusche, um sein Gefühlsleben wieder auf ein normales Level zu bringen.

***

Marie und Francine hatten doch noch einen mercato aufgesucht. Es wäre schließlich unproduktiv gewesen, diesen Tag nicht für die angefallenen Einkäufe zu nutzen. Wie vermutet, war der Gemüsemarkt, in dem sie üblicherweise einkauften, aufgrund der Witterung bereits geschlossen, die trockene Markt-Variante war zwar mit einem Umweg verbunden, aber eine bessere Alternative, als am nächsten Tag noch einmal in die Stadt zu fahren. Der Kofferraum war vollgepackt, als sie zum Anwesen des Lords zurückkehrten.

Frederic nahm dankbar das Päckchen mit den Zigarillos entgegen.

»Sie ischt ganz nass geworden, als sie die kleinen Stinkbomben für disch ge'olt hat«, zwitscherte Francine und deutete auf Maries pitschnasse Hosenbeine.

»Marie, du hast einen Wunsch frei. Immer zu deinen Diensten.« Frederic lächelte Marie an und verneigte sich tief.

»Schon gut, gern gemacht«, versicherte sie lachend. Während sich die anderen Mädchen um die Fische kümmerten, wies Frederic Pascale an, für Marie ein heißes Bad einzulassen. Irgendwie sah sie heute blass um die Nase aus. Sie würde doch nicht krank werden? Und das womöglich wegen seiner Zigarillos!

Marie ließ sich wohlig seufzend in den duftenden Schaum gleiten und schloss die Augen. Wärme umgab sie. Vor ihrem geistigen Auge tauchte ein braunes Augenpaar auf, ein schmaler, energischer Mund in einem Gesicht mit Dreitagebart. Sie verspürte ein inneres Zittern und wünschte sich … was eigentlich? Es war schon so lange her, dass sie Liebe gefühlt und erfahren hatte. Sexuelles Verlangen, das wohl! Aber Liebe?

Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft

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