Читать книгу re:publica Reader 2014 – Tag 3 - re:publica GmbH - Страница 6
INTO THE WILD Abgründiges und Futter für den Mainstream Im Vortrag "Wild Wild Web" ging es Ole Reißmann und Hakan Tanriverdi um die Frage, wann Netzphänomene massentauglich sind – und wie man sich genau davor schützen kann.
ОглавлениеSpeaker: Ole Reißmann, Hakan Tanriverdi
Text: Jana Felgenhauer
Farbrausch, sprechende Donuts und singende Kinder: Traumatische Erinnerungen an Musikfilme mit Rolf Zuckowski werden wach. Der Ausflug ins "Wild Wild Web" beginnt am Mittwochabend mit einer Dubstep-Version des Videos "Jesus died for your Donuts."
Im anschließenden Talk sprechen Spiegel-Online-Autor Ole Reißmann und SZ-Online-Redakteur Hakan Tanriverdi darüber, welche Netz-Phänomene für den Mainstream taugen – und welche nicht. Putzige Katzenvideos und kulleräugige Tierbabys sollen hier keine Rolle spielen.
Es geht um Online-Redaktionen, die zur Unterhaltung der Leser auf bestimmte Ereignisse im Netz aufspringen und Ideen von anderen übernehmen, nach dem Motto: "Das können wir auch!" Plötzlich hatte jede Redaktion einen Tumblr über Politiker, verbreitete witzige Tweets und veröffentlichte Bildgalerien zu gehypten Themen. Muss das sein? Reißmann und Tanriverdi stellen sich die Frage, wie man sich vor der Massenverwertung schützen kann und dadurch einem Hype entgeht.
Doch warum eigentlich? Ist der Pulsschlag des Internets nicht dadurch bestimmt, dass Inhalte von möglichst vielen Menschen gehört, gelesen und geteilt werden? Nicht zwangsläufig. Man denke zurück an die eigene Pubertät, als der Mainstream "uncool" war und jeder seine persönlichen popkulturellen Fundstücke – Lieblingsfilme oder Bands – ganz für sich allein haben wollte. Als man sich eine Welt schuf, in der Nischenwissen den eigenen Selbstwert erhöhte. Auch ehemalige Subkulturen wie Punk oder Grunge verbreiteten sich irgendwann wie ein Virus in der Bevölkerung. Sogar diejenigen, die mit der Botschaft wenig anfangen konnten, hörten die gleiche Musik und trugen die gleichen Klamotten. Spätestens dann war für die Vorreiter der jeweiligen Subkultur die Bewegung uninteressant.
Ähnliches gilt laut Ole Reißmann und Hakan Tanriverdi auch für Internet-Memes: Kaum bildet sich solch ein zartes "Kulturpflänzchen" im Internet, wird es von Mainstream-Medien übernommen und bis zur Belanglosigkeit zertrampelt. Geschützt werden können sie nur durch eine möglichst geringe Zugänglichkeit, durch eine Abseitigkeit, die nicht den Geschmack von Jedermann trifft. Videos mit verpixelten Glitch-Effekt zum Beispiel, der in den Augen schmerzt und trashige Inhalte, die so kompliziert sind, dass sie nur von Nerds mit blutunterlaufenden Augen verstanden werden. Von solchen, die Nächte hindurch nach unbekannten "Deep-Tube"-Videos suchen, die weniger als 3000 Klicks haben. Nicht zwangsläufig massenkompatibel sind zudem politisch fragwürdige Inhalte, bei denen über Hitler gelacht werden soll. Um das zu untermauern zeigen Reißmann und Tanriverdi eine Szene aus dem Film "Der Untergang" – als Gangnamstyle-Version. Der Saal johlt, wer nicht lachen kann, taucht ab.
Wer seine Inhalte gänzlich vom Mainstream fernhalten will, müsste sie in zwielichtigen Foren wie "Krautchan" teilen, wo Trolls bitterböse und politisch inkorrekte Kommentare verbreiten. Doch wer will sich dort schon tummeln? Die Präsentation über massentaugliche sowie Abgründige Netzphänomene, lässt so manchen Besucher verstört zurück. Die Aneinanderreihung von Videos, die mit einer üblen Trash-Version von Miley Cyrus’ "Wrecking Ball" endet, hätte etwas mehr Interpretation vertragen.