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INTO THE WILD Ein großer Irrtum Statt mit der Zeitung Fliegen zu erschlagen, versuchen wir heute, Tablets in der Badewanne vor dem Ertrinken zu retten. Unsere Gewohnheiten haben sich geändert. Bedeutet das den Untergang der Tageszeitungen? "Nein, aber wir müssen für sie kämpfen", sagt der Schweizer Journalist Constantin Seibt.

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Speaker: Constantin Seibt

Text: Rabea Zühlke

Das sogenannte Internet werde zu einem harmlosen Büromüll, schrieb Seibt 2001. Ein Irrtum. "Das Schöne in dem Beruf ist, dass wir uns irren dürfen", sagt Seibt in seinem Vortrag. Was dem Journalismus im 21. Jahrhundert aber fehle, seien neue Routinen und eine neue Produktlinie, sagt er.

"Früher fühlten wir uns ohne Zeitung zum Kaffee und zur Zigarette schlecht.” Das habe sich jetzt geändert, sagt Seibt. "Heute verkaufen wir keine Gewohnheiten mehr." Doch lange funktionierte es, das Gewohnheitspublikum zu bedienen. Mit einem einfachen Rezept: Mache keine Fehler, keinen großen Ärger und enttäusche deine Leser nicht. Über Jahrzehnte dachten Journalisten, sie verkaufen Nachrichten mit einem Schuss Meinung und Unterhaltung. Ein Irrtum. Sie verkauften Gewohnheiten, erklärt Seibt.

Heute haben sich die Routinen geändert. Die jungen Leute brauchen mehr, sie sind anspruchsvoll. Aber was heißt das für die Zeitung? "Das Produkt ist jetzt die Geschichte", sagt Seibt. "Die Leser wollen keine Neuigkeiten hören, sondern eine Geschichte." Und zwar eine gute. Nicht voller Fakten, sondern eine Geschichte mit Stil. "Fakten sind Dreck”, so Seibt.

Für eine gute Geschichte brauchen Journalisten im 21. Jahrhundert eine Haltung. "Eine richtige Haltung und keine Meinung", sagt Seibt. "Meinungen sind billige Ware, deswegen werden sie gedruckt." Dann zählt Seibt auf, welche drei Zutaten eine Haltung formen. "Das Erste ist Kühnheit", sagt Seibt. "Eine kühne Recherche, eine kühne Formulierung – sowas wie: Er war so auffällig wie ein Skorpion auf einer Sachertorte." Das Publikum lacht.

"Das Zweite ist die Aufrichtigkeit.” Ein Journalist müsse nicht nur nach außen schauen, wo die Fakten sind. Er müsse auch auf sein Herz hören. "Nach innen horchen, das ist manchmal viel schwieriger", sagt Seibt.

Zum Schluss brauche eine Haltung noch Debatten um neue Routinen. "Eine Haltung ist kein Zustand, sondern ein Prozess und er ist kompliziert", sagt Seibt. In Zukunft müsse es Debatten zu den einfachen Fragen geben: Wer sind wir? Was wollen wir? "Die Zeitung muss damit ganz neu gedacht werden: Als Projekt, als Club und als Expeditionsteam."

Ob das den Journalismus rettet, weiß auch Seibt nicht. "Aber wenn man schon untergeht, dann mit einem harten Kampf, mit einem Knall – nicht mit einem Winseln." Denn der Journalismus ist ein toller Beruf, um den es sich lohnt, zu kämpfen. Das Publikum freut sich, applaudiert. Mit einem leisen "Merci” verschwindet Seibt schließlich von der Bühne.

re:publica Reader 2014 – Tag 2

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