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Die Deutschen und das Christentum

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Inhaltsverzeichnis

Man möchte gern wissen, was von Staat und Kirche geschah, um die Sachsen zu bekehren, wie die Bekehrung wirkte, was für ein Christentum es war, das gelehrt und das aufgenommen wurde. Ein schöner Brief des Angelsachsen Alkuin an Kaiser Karl gibt zu verstehen, daß die Bekehrer hauptsächlich fordernd auftraten, indem sie den Zehnten zur Erhaltung der Kirche auferlegten, der, wie es scheint, mit Härte eingetrieben wurde. Es sei besser, meinte Alkuin, den Zehnten als den Glauben zu verlieren, es sei auch nicht erwiesen, ob die Apostel gewollt hätten, daß der Zehnte gegeben werde. Wären die Neugetauften später reif im Glauben geworden, möge man ihnen ein so schweres Gebot zumuten, zunächst solle man sie die Heilswahrheiten lehren und ihnen mit Werken der Barmherzigkeit näherzukommen suchen. Ohne Zweifel hatte Alkuin gehört, wie die Sachsen sich beklagten, daß die Religion des Gottes der Liebe für sie nur Bedrückung bedeute; wußte er, daß für die Predigt nicht genügend gesorgt war. An den Erzbischof Arn von Salzburg schrieb er, der Kaiser habe den besten Willen, aber er habe nicht genug Leute, die von der Liebe zur Gerechtigkeit beseelt wären, es gäbe eben mehr Diebe als Prediger, und mehr Menschen suchten das Ihre als das Göttliche.

Überall und zu allen Zeiten sind von den Menschen, die ein Gesetz ausführen sollen, viele, ja die meisten voller Mängel und Schwächen, so daß der Wille des Gesetzgebers selten rein zur Geltung kommt. Dasselbe ungünstige Verhältnis von Guten, Minderguten und Schlechten besteht natürlich in allen Schichten des Volkes und bestand bei den zu Bekehrenden wie bei den Siegern. Der Art der Bekehrung entsprach die Gesinnung, mit welcher die Taufe empfangen wurde, wie die folgende Anekdote erzählt. Als einmal um Ostern fünfzig Heiden zugleich sich zur Taufe meldeten, waren am Hofe des Kaisers nicht so viele leinene Gewänder vorrätig, mit denen man die Täuflinge zu beschenken pflegte, und die fehlenden wurden schnell aus grobem Stoff zusammengenäht. Entrüstet sagte der eine der Heiden, als man ihm einen solchen Kittel reichte: »Zwanzigmal schon habe ich mich hier gebadet und immer habe ich gutes neues Gewand bekommen; dieser Sack paßt höchstens für einen Sauhirten, nicht für einen Krieger. Wenn ich mich nicht meiner Nacktheit schämte, könntet ihr das Kleid mitsamt dem Chrisam behalten.«

Seit ihren Anfängen hatte die Kirche eine wesentliche Veränderung erfahren: als der Glaube des herrschenden Volkes gehörte sie nicht mehr in erster Linie den Armen und Sklaven, sondern den Großen. Bei allen germanischen Stämmen wurden die Könige und Herzöge zuerst Christen, und ihnen schloß sich der Adel an; was sie zum Übertritt bewog, war die Hoffnung, daß der Christengott ihnen Sieg verleihen werde. In den ersten Jahrhunderten hatte man die Armen beschenkt, wenn man die Kirche beschenkte; was der Kirche gehörte, gehörte den Armen, die Tätigkeit der christlichen Kirchenvorsteher bestand hauptsächlich in der Armenpflege. Allmählich, wie der Aufgabenkreis der Kirche sich erweiterte, wurde es üblich, daß die Bischöfe ihr Vermögen in vier Teile teilten und davon einen Teil für sich, einen für die Kanoniker, einen für die Instandhaltung und Verschönerung ihrer Kirche und einen für die Armen verwendeten. Almosen wurden noch immer reichlich verteilt, und Almosengeben von der Kirche dringend empfohlen; aber die Armen wurden doch als untergeordnete Leute und gewiß oft mit Geringschätzung behandelt. Es wurde erzählt, Widukind habe als Gefangener Karls, während sie, ein jeder an einem besonderen Tisch, speisten, gegen Karl bemerkt: »Euer Christus sagt, in den Armen werde er selbst aufgenommen. Mit welcher Stirn redet denn ihr uns zu, daß wir unsere Nacken beugen sollen vor dem, welchen ihr so verächtlich behandelt und dem ihr nicht die geringste Ehrerbietung beweist?« Der Kaiser, so heißt es weiter, erschrak und errötete; denn die Armen saßen demütig am Boden.

Das Mißverhältnis zwischen Ideal und Wirklichkeit, das immer besteht, drängte sich sicher gerade den Heiden auf, die der neuen Lehre zweifelnd gegenüberstanden. Indessen die Armen und Sklaven waren nur ein Teil des Volkes, und die Beziehung zur Armut ist nur ein Teil des Christentums. Erschüttert durch das ungeheure Erlebnis des mehr als dreißigjährigen Kampfes beugten sich die Besiegten, wie Widukind getan hatte, dem fremden Gott, der seine Übermacht an ihnen bewiesen hatte. Von ihm erwarteten sie nun Sieg im Kampfe, Gedeihen der Äcker, Glück und Gelingen in allen Angelegenheiten, bereit, ihm dafür mit grenzenloser Ergebenheit zu dienen. Der alte Götterglaube, ob er nun dem nordischen ähnlich war, wie er sich in der Edda darstellt, oder ob er bei den deutschen Stämmen sich anders entwickelt hatte, sicherlich hatte er nicht mehr die quellende Frische eines neuen oder erneuerten Glaubens. Man weiß aus den Klagen des Bonifatius, daß sich die Religiosität der heidnischen Deutschen hauptsächlich in abergläubischen Bräuchen und Beschwörungen äußerte, im Wählen glückbringender Tage, im Los werfen, im Zwingen des Wetters oder menschlichen Willens; in solchen Formeln war der einst sinnvolle, lebendige Glaube erstarrt. An dem christlich abgewandelten Aberglauben festzuhalten, genügte dem religiösen Bedürfnis vieler. Weise Päpste ordneten an, daß soviel wie möglich der christliche Kult an heidnische Feste, Gebräuche, Gewohnheiten angeknüpft werde; so traten denn Heilige an die Stelle der Götter, und die das Leben Christi und der Heiligen bezeichnenden Feste an die Stelle der heidnischen, die den Sonnenlauf, das Erwachen und Hinsterben der Natur begleiten. Unter den Sachsen und Friesen, den zuletzt bekehrten Stämmen, waren wohl viele Bauern, die, wenn sie sich auch an die neuen Namen gewöhnten, doch der Kirche und den Priestern im Herzen feindlich blieben auf eine verbissene, schweigsame, gefährliche Art. Aber auch bei diesen schwand die Erinnerung an den alten Glauben, selbst wenn sich die alten Zaubersprüche im Gedächtnis erhielten. Die, welche die Pfaffen haßten, fühlten sich trotzdem als gute Christen.

Ein ganzes Volk kann sich nicht plötzlich wesentlich verändern. Für die große Menge änderten sich zunächst nur die Namen und die Formeln. Einzelne religiös Begabte erfuhren durch die Berührung mit dem Christentum ein erschütterndes Erlebnis und eine Wandlung, und von solchen ging allmählich umbildender Einfluß auf das Volk aus. Es war nicht so, daß das Christentum seine Bekenner sofort auf eine hohe moralische Stufe gehoben hätte; aber das unergründliche Bibelwort riß Schluchten in ihrer Seele auf, aus denen heraus sie glühender lebten. Altheilige Vorstellungen verschmolzen mit dem neuen Gottesbilde. Jehova war dem alten nordischen Himmelsgott verwandt; wie dieser durchstürmte er die Nacht auf weißem Blitz, Dichterworte, Zauberworte auf den überschwenglichen Lippen. Sie begriffen ihn als den Herrn, die furchtbare Majestät, unnahbar in ewige Glut gehüllt, als den Urton, der die Welt durchsummt. Sein Weg war unerreichbar hoch, sein Wille unerforschlich, unwiderstehlich. Und dieser Allmächtige wurde des Menschen Freund, schloß einen Bund mit ihm, und aus eines menschlichen Mädchens Schoß zeugte er wunderbar sein Ebenbild, den Frühlings- und Liebesgott, dessen Tod Dunkel und unendliche Trauer über die Erde ausbreitet. Den Mittelpunkt des Kultes und des Glaubens bildete das Sakrament des Abendmahls. Man feierte darin ein heiliges Geheimnis, die Vermählung von Gott und Natur, die Entzündung des elementaren Stoffes durch die Flamme Gott. Das Zauberwort des Magiers am Altare preßte die durch das Weltall ergossene in einen elektrischen Punkt zusammen und leitete sie zu Segen oder Fluch auf die Lippe des sterblichen Menschen. Die wenigsten hatten das Bedürfnis, das Wunder zu verstehen, da sie es erlebten. Die Hostie war neben den Reliquien der Mittelpunkt der Wundersucht, das schauerlichste Mittel der Zauberei. Die Verehrung der irdischen Überreste von Heiligen, ein edler Brauch, vermischte sich bald mit teils heidnischen, teils weltlichen Vorstellungen, die von wenigen Hochstehenden benutzt, von den meisten geteilt wurden. Jahrhunderte hindurch waren Reliquien ein Zaubermittel, das von den Besitzenden gesammelt, erjagt, wenn es nicht anders ging, gestohlen wurde. Als im 14. Jahrhundert Bischof Gerhard von Hildesheim gegen mehrere mächtige Fürsten in die Schlacht ging, versprach er erst der Mutter Gottes ein goldenes Dach auf ihre Kirche für den Fall seines Sieges, während sie sonst mit einem Strohdach sich begnügen müsse, außerdem steckte er Reliquien in seinen Ärmel. »Leve Kerel, truret nich, hie hebbe ek dusend Mann in miner Mauen«, rief er seinen Leuten zu, um sie gegen die Überzahl beherzt zu machen, und errang einen gewaltigen Sieg. Wenn sich viel Abgeschmacktes und Roheit in die Auffassung des Göttlichen mischte: was wäre eine Religion, die nicht auch Magie wäre? Teilhaben an der Gotteskraft, das ist es doch, was alle Gläubigen wollen, die einen um der rohesten, andere um der sublimsten Zwecke willen. Bei aller derben Sinnlichkeit versenkten sich die Deutschen mit Leidenschaft in das Übersinnliche. Die erhabene Gewaltsamkeit, mit der das Christentum den eigentlichen Schauplatz der Menschengeschichte von der Erde hinweg in ein jenseitiges Geisterreich verlegt, gerade diese Umwälzung, die der Epoche, die man Mittelalter nennt, die grandiose Spannung, die geheimnisvolle Tiefe verlieh, das Leben in ein Himmel und Erde überbrückendes Drama verwandelt, entsprach einer Geisteskraft, die dem Deutschen besonders eigen ist, der Phantasie. Der Sinn für das Unsichtbare, der vielleicht mit der Begabung des deutschen Menschen für Musik zusammenhängt, öffnet sein Ohr den Stimmen von drüben. Liudger, der erste Bischof von Münster, der, weil er selbst Friese war, leichter Zugang zu seinem Volke fand als die früheren Missionare, bekam einen wertvollen Gehilfen in dem sangeskundigen Bernlaf. Ihn hatte die Schönheit der Psalmen für das Christentum gewonnen, und da er überall beliebt war, weil er von den Taten der Vorfahren singen und sagen konnte, wehrte man ihm auch nicht, als er für seinen Glauben warb. Diese Gesänge überzeugten unmittelbar, auf Zauberart. Nicht nur der friesische Sänger, nicht nur Mönche, sondern auch Könige wußten viele Psalmen auswendig und führten eine Psalmensammlung auf Reisen mit sich. Karl der Große liebte die Musik und pflegte in der Kirche mit gedämpfter Stimme die Psalmen mitzusingen. Keine Kunst ist so wie die Musik Verkünderin des Übersinnlichen, doppelt so, wenn sie sich mit der Wirkung der Architektur verbindet. Die Feierlichkeit des Gottesdienstes in den Chören der karolingischen und ottonischen Kirchen mögen mehr als die Predigt die Herzen dem dreieinigen Gotte zugeführt haben.

Indessen, wenn auch die neue Religion hauptsächlich als Himmelszauber auf die Seele wirkte, so herrschte sie doch auch als sittliche Macht. »Du sollst heilig sein, denn ich bin heilig.« Von allen Göttern, zu denen die Völker beten, hatte noch nie einer so zu seinem Volke gesprochen. Der Sinn des deutschen Menschen für Gerechtigkeit verband ihn mit dem Gott, der der Gerechte hieß, das Kämpferische seiner Gesinnung machte, daß er sich willig in die Geisterschlacht zwischen Gut und Böse hineinreißen ließ. Die Weltüberwindung durch Askese, die der Mönch im Kloster führte, war zugleich ein ritterlicher Gedanke und den Germanen nicht durchaus fremd. Allerdings waren sie im allgemeinen zügellos im Trinken und in der Frauenliebe; sie bedurften des Rausches. Den erwählten Frauen gaben sie sich mit einer fast kindlichen Gewaltsamkeit hin, und es kam zu erbitterten Kämpfen mit der Kirche, wenn sie ein Liebesverhältnis wegen zu naher Verwandtschaft zu lösen unternahm. Andererseits wurde in der germanischen Mythologie Jungfräulichkeit als Quell übermenschlicher Kraft begriffen, und im Verhalten zum Tode, den zu fürchten für den Freigeborenen als Schande galt, lag Selbstüberwindung. Karl der Große verabscheute Trunkenheit. Daß bloßes Sichgehenlassen nichts Großes erzeugt, wußte auch der heidnische Deutsche, und gerade weil der Freie keinen Zwang duldet, mußte er sich selbst zwingen. Ohne diesen Selbstzwang gibt es keine Ehre. Um an dem Kampfe des schaffenden Gottes gegen den zerstörenden Teufel teilzunehmen, strömten Männer und Frauen den Klöstern zu.

Im Süden Deutschlands hatten schon vor Bonifatius Klostergründungen stattgefunden, sowohl in Franken wie in Schwaben und Bayern. In Schwaben gründeten iroschottische Mönche Reichenau und Sankt Gallen, im frommen Bayern beteiligten sich die Bischöfe, die einheimischen Herzöge und adligen Privatpersonen. So etwa wie die ersten europäischen Ansiedler in den wilden Westen Amerikas eindrangen, so zogen glaubensstarke, abenteuerlustige Leute in kleineren und größeren Gruppen dem Süden und Osten zu, drangen in die alten römischen Provinzen ein, wo längs der großen Straßen noch Romanen, abseits in den Flußtälern Slawen wohnten. Auch einzelne freie Bauern siedelten und rodeten, der Name manches kühnen Mannes ist in den Namen alter Ortschaften erhalten; aber die Klöster hatten größere Mittel zur Verfügung und erzielten dementsprechend größere Ergebnisse. Gewöhnlich wurde den Mönchen ein Stück Kulturland und ein Stück Ödland verliehen, damit sie von den Erträgnissen des einen lebten, während sie das andere urbar machten. Verlassene Ruinen aus der Römerzeit lieferten oft das Material für die klösterlichen Bauten; die Trümmer des alten Iuvavum ermöglichten, daß gleich das erste Salzburger Kloster aus Stein hergestellt werden konnte. Kam eine auswandernde Gesellschaft an der Stätte an, die zur Errichtung eines Klosters oder der Filiale eines Klosters geeignet schien, so wurde zum Zeichen der Besitznahme ein Kreuz aufgestellt und dann eine Zelle gebaut, wovon das häufige Vorkommen des Wortes Zell im Ortsnamen Kunde gibt. Sie wurde unter den Schutz der heiligen Margarete oder des heiligen Georg, des Drachenüberwinders, gestellt, wenn man in benachbarten Wäldern die wilden Tiere fürchtete; freundliche Auen weihte man der Jungfrau Maria. Die strenge Regel des Bonifatius, wonach die Mönche alle Arbeit selbst tun sollten, wurde in Bayern nie durchgeführt; die schwere Arbeit der Kolonisation wurde von hörigen Knechten geleistet.

Passau, St. Florian, Kremsmünster, Chiemsee, Staffelsee, Wessobrunn, Tegernsee, Benediktbeuren, die beiden letzteren von zwei adligen Brüderpaaren gestiftet, wurden in Bayern zu bedeutenden Kulturmittelpunkten, in Franken Lorsch und Prüm, im Elsaß Weißenburg, in Sachsen Korvey und die berühmten Nonnenklöster Gandersheim, Quedlinburg und Nordhausen. Die Schenkungen, mit denen die Klöster überhäuft wurden, machten sie schnell außerordentlich reich.

In den Vorratshäusern und Ställen des Klosters Staffelsee befanden sich im Jahre 812: 1 Pferd, 26 Ochsen, 20 Kühe, 1 Stier, 51 Stück Kleinvieh, 5 Kälber, 87 Hammel, 14 Lämmer, 17 Böcke, 58 Ziegen, 12 Böckchen, 40 Schweine, 50 Frischlinge, 63 Gänse, 50 junge Hühner, 17 Bienenstöcke, 20 Speckschwarten, 40 Käse, 127 Fett- und Schmalztöpfe. Dazu kamen noch Honig, Butter, Salz und Malz. In den Mägdekammern spannen und webten 24 Mägde und verfertigten aus Wolle und Leinen Wäsche und Kleidungsstücke. Das Land wurde teils verpachtet, teils vom Kloster selbst durch Hörige bewirtschaftet, die teils mit dem Land zusammen geschenkt waren, teils sich mit oder ohne Land dem Kloster freiwillig ergaben. Trotz des damaligen Überflusses an Land und Leuten bedarf der Wetteifer des Schenkens, der im 9. und 10. Jahrhundert das deutsche Volk ergriff, der Erklärung, und er erklärt sich hauptsächlich durch die Gewalt des Glaubens. Mochte immerhin noch mancher sächsische Bauer in einsamen Höfen sich an seinen alten Runen und Sprüchen genügen lassen, der Adel und die begüterten Freien waren gläubige Christen, überzeugt, das Heil ihrer Seele nur durch die Vermittlung des Papstes in Rom empfangen zu können.

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