Читать книгу Der Kugelschreiber - Riccardo Rilli - Страница 3
PROLOG
ОглавлениеIch erzähle ihnen eine Geschichte. Eine, die ich soeben erlebte und die mich auf die Frage brachte: Bin ich ein Held? Die Definition eines Helden ist eine Person mit herausragenden Eigenschaften. Mit Hilfe seiner Fähigkeiten vollbringt er Leistungen, die kein anderer zustande bringt. Heldentaten. Der Recke ist schön, stark und geschickt. Oder er besitzt geistige Kompetenzen, die jenen der Normalsterblichen überlegen sind. Eine weitere Deutung besagt, dass Helden Taten für andere, oder für eine bestimmte Idee vollbringen. Letztere ist, meiner Meinung nach, differenziert zu sehen. Kriegshelden, zum Beispiel, gaben ihr Leben für andere. Für eine Vorstellung, die nicht die ihre war. Sie fallen, weil sie in den Krieg gezwungen wurden. Sie opfern sich weder heldenhaft noch freiwillig. Ohne die Leistungen herabwürdigen zu wollen, sind sie per Definition echte Helden? Was ist mit den Helden des Alltags? Die meisten haben keine herausragend hübsche Gestalt oder besondere Stärke. Sie besitzen keines der körperlichen Attribute, die man Recken nachsagt. Ihre Taten sind das Ergebnis von Einsatzbereitschaft, Aufopferung und Mitgefühl. Was, wenn jene Eigenschaften ebenfalls fehlen? Wenn der vermeintliche Held weder anatomisch ansprechend, noch charakterlich vorzeigbar ist? Womit wir bei mir wären.
Ich bin zweiundvierzig Jahre und Single. Ich bin kein Scheusal. Ich fände eine Frau, wenn ich wollte. Das Leben mit einem Mädchen zu teilen, ist eine unerträgliche Vorstellung. Tagein, tagaus wäre jemand um meine Person herum. Beobachtete mich und gäbe Ratschläge. Wie die Arbeitskollegen. Ich arbeite in einem Amtsgebäude mit über sechshundert Mitarbeitern. Es vergeht nicht ein Tag, an dem Kollegen oder Kolleginnen kommen, die Dinge von mir brauchen. Ich habe nichts gegen sie. Ich verabscheue Menschen grundsätzlich. Gott sei Dank gibt es das Zimmer, in das ich mich zurückziehen kann. Ich bin nicht in der Lage mir vorzustellen, warum die Leute mit mir sprechen. Mein Verhalten ist unauffällig, das Äußere nicht aufdringlich. Ich bin klein, dünn und trage blaue Jeans, Hemd und weiße Turnschuhe. Die kurzen, dunklen Haare frisiere ich zu einem Seitenscheitel, der Flaum in meinem Gesicht stellt einen Dreitagebart dar. Ein Durchschnittstyp. Ich spreche niemand an, stelle keine Fragen und erledige die mir aufgetragene Arbeit als Sachbearbeiter mit Ruhe und Verlässlichkeit. Punkt. Mehr gibt es über mich nicht zu sagen.
Wie komme ich, mit diesen Voraussetzungen, auf den Gedanken, ich wäre ein Held? Unabhängig der Beschreibung einer heldenhaften Gestalt muss eine Person, die als Ideal gelten will, eine Heldenreise durchmachen. Er hat Taten zu vollbringen, die ihn auszeichnen. Jene Handlungen erfordern eine Darstellung. Das Konzept der Heldenreise ist ein Grundmuster von Mythologien. Es existiert seit dem Mittelalter. Bis heute unverändert wird es von vielen Autoren und Filmemachern als Basis ihrer Arbeit herangezogen. Was ist eine Heldenreise? Was macht sie aus? Ist jede Person, die eine solche Reise übersteht, automatisch ein Held? Es gibt mehrere Ansätze über die Gliederung einer Heldenreise. Einer ist von Joseph Campell, einem amerikanischen Professor und Schriftsteller im Bereich der Mythologie, der das Motiv erforschte. Er teilt die Reise in zwölf Abschnitte, die bestimmte Handlungen beinhalten müssen. Wenn man ebendiese Etappen durchlebt, ist man ein Held. Oder nicht?