Читать книгу Kaspar's sagenhafte Abenteuer - Riccardo Timpanaro - Страница 10
ОглавлениеKapitel 2
Ein Buch aus Haut
»Ketzerei! Teufelswerk! Nichts anderes als dies.«, stellte Kaspar fest und schlug das dicke, alte Buch so heftig zu, dass der Staub in der Luft umherwirbelte.
»Lest ruhig weiter, mein Freund! Traut Euch! Niemand kann uns hier belauschen… Die Mauern sind dick, die Tür gut versperrt. Niemand außer uns beiden ist hier unten. Ich habe es so gewollt.«, ermutigte ihn sein Gegenüber und lächelte dabei milde.
»Ich schäme mich beinahe dafür, es mitgebracht zu haben. Allein schon der Besitz könnte für Euch und mich den grausamen Flammentod bedeuten…«
Kaspar war beunruhigt.
»Ja, für gewöhnlich schon! Doch hat es neben den vielen Nachteilen und Unannehmlichkeiten auch Vorteile Vorsteher eines Klosters zu sein. Unter anderem jenen, Herrscher über ein ausgeklügeltes System versteckter Räume und Gänge zu sein. Überaus nützlich für die sichere Lagerung, aber auch zum heimlichen Studium jener Schriften, die nicht jedem zugänglich sein sollten.«
Johannes von Sponheim, der Abt, grinste.
»Ist es das, was ich glaube, was es ist?«, wollte Kaspar wissen und strich über den Rücken des uralten Buches.
Sein Gegenüber nickte.
»Ja, die Haut eines Menschen! Ich nehme an, bei diesem besonderen Exemplar, sogar die eines Säuglings. In jenen dunklen Kreisen ein eindeutiges Merkmal besonders mächtiger Zauberbücher. Wahrhaft meisterlich und kunstvoll gearbeitet.«, erklärte ihm der Abt.
Kaspar lief ein Schauer über den Rücken, und er schüttelte angewidert den Kopf.
»Der Inhalt… reine Blasphemie!«
»Könnt Ihr dies mit Gewissheit sagen? Ich jedenfalls nicht, denn es gibt nur eine allwissende Macht, unseren Herrgott! Er alleine weiß, was wahr und unwahr ist! Nur er, nicht die Kirche!«
Der Abt war sich dem Gewicht seiner Aussage vollends bewusst. Kaspar bewunderte Ihn dafür, seine Ansicht so unverhohlen zu äußern, denn dies war in den dunklen und blutigen Zeiten der Inquisition gefährlich und nicht selten auch tödlich.
»Bitte, versteht mich nicht falsch, Herr Abt! Ich sorge mich nicht um Eure geistige Haltung, sondern um Euer Leben. Es ist in diesen Zeiten gefährlich, seine eigene Sicht der Dinge zu haben und diese offen nach Außen zu vertreten, doch ich achte und bewundere Euren Verstand schon lange, und mich interessiert die Meinung der Kirche wenig. Wir, mein Freund, kennen und verstehen uns schon zu lange, als dass ich Eure Freigeistigkeit nicht schätzen würde. Was ich eigentlich sagen möchte ist, wir wissen noch nicht wirklich, was wir hier in Händen halten, denn dies Buch befand sich im Besitz einer sehr mächtigen Hexe und könnte somit für uns alle überaus gefährlich sein! Ebenso können wir uns über den Inhalt noch keine rechte Meinung bilden. Darum würde ich vorschlagen, solange wir es noch nicht ganz verstehen und richtig deuten können, sollten wir dies Werk voller Argwohn und mit größter Vorsicht betrachten.«, erklärte sich Kaspar und sah sein Gegenüber ernst an.
»Ich verstehe, was Ihr meint und gebe Euch damit vollends Recht. Solch ein komplexes Machwerk ist mir bisher auch noch nicht in die Finger geraten. Ich bin aber durchaus gewillt und fest entschlossen, dies mysteriöse Buch solange zu studieren und zu untersuchen, bis es vielleicht eines Tages gänzlich enträtselt werden kann. Jedoch alles mit der gebührenden Vorsicht.«, versicherte ihm Johannes.
»Das beruhigt mich, mein Freund! Niemand außer Euch darf es sehen, nicht auszudenken, wenn…«, antwortete Kaspar.
»Natürlich! Es ist hier unten, ganz im Verborgenen, gut aufgehoben. Keine Menschenseele wird es zu Gesicht bekommen, außer mir. Ich gebe Euch mein Wort! Und wenn es dadurch einfacher für Euch wird, so kann ich Euch beruhigen und gleichfalls versichern, dass es ja vornehmlich als ein Mann Gottes auch zu meiner heiligen Pflicht gehört, solch ein, dem Anschein nach, ketzerisches Grimoire in Verwahrung zu nehmen, um so die schwachen und leicht verführbaren Menschen vor großem Schaden zu bewahren. Doch sagt, was ist eigentlich mit ihr geschehen?«, wollte der Abt wissen.
»Ihr meint die Hexe? Was mit ihr geschah? Nun, sie hat bekommen, was ihr zusteht.«, antwortete Kaspar kurz und knapp.
»Ich verstehe… Nun, allesamt sind sie verdammte Seelen! Gott wird sie richten und bestrafen für ihre Sünden…«
Johannes bekreuzigte sich.
»Ich werde Euch lieber nicht weiter dazu befragen.«
Kaspar nickte und zeigte dann auf einen der vielen hohen Stapel.
»Ihr wart fleißig mit Eurer Sammlung bisher, mein Freund!«
»Ihr könnt Euch ja gar nicht vorstellen, wieviel Mühe es mir bereitet hat, den Toten- oder Dämonenbeschwörern, Hexen, Magiern, ihre Zauberbücher rechtzeitig abzunehmen, um diese vor dem verzehrenden Feuer der Inquisition zu bewahren. Es lag leider nicht in meiner Macht, sie alle zu retten, doch konnte ich so wenigstens einige für die Nachwelt erhalten, worüber ich sehr froh bin. Nebenbei kann ich Euch versichern, dass dieses von Euch mitgebrachte Werk hier, wie auch all die anderen selbiger Machart, natürlich in keiner meiner öffentlichen Listen auftauchen wird. Bei meinem Eintritt in dies Kloster gab es lediglich 48 Bücher, nun sind daraus einige Tausend geworden, diese besonderen Schriften hier unten natürlich nicht mit eingerechnet.«, erklärte ihm Johannes, doch auch ein wenig stolz.
Kaspar ahnte, dass dies wohl wahrlich keine Übertreibung war, denn ausgehend von dieser einzelnen geheimen Kammer hier, in der schon mehr zu finden war, als in so manch anderer Bibliothek, musste das Kloster derzeit wahrhaft über eine der größten Schriftensammlungen weit und breit verfügen.
»Und deren Besitzer? Was wurde aus ihnen? Waren sie alle schuldig?«, hakte Kaspar nach.
»Darüber zu urteilen, lag bedauerlicherweise nicht in meiner bescheidenen Macht.«, bemerkte sein Gegenüber und wurde ernst.
»Ihr wisst, es ist Krieg, und die Apokalypse naht! Wir müssen ihn gewinnen, egal wie und mit welchen Mitteln! Lasst Euch im Vertrauen sagen, es sind, bis auf einige wenige Ausnahmen, nicht die Bücher an sich, die Böses wirken, sondern diejenigen, die sie dafür nutzen. Die Hand führt die Klinge, sie entscheidet, nicht umgekehrt. Um unseren Feind bekämpfen und endlich auch besiegen zu können, müssen wir ihn zuallererst aufs Genaueste studieren, ihn kennen und verstehen lernen. Diese Bücher können uns dabei helfen. Wer sich den Mächten der Hölle entgegenstellen und siegreich aus der Schlacht heimkehren möchte, der muss vor allem des Feindes Schwächen kennen. Ich frage Euch, Freund Kaspar, kann es Unrecht, gar Sünde sein, wenn gottesgläubige Männer sich zum Kampfe gegen das Böse rüsten?«
Der Abt sah Kaspar überzeugt an, dann nahm er ihm das Buch behutsam aus den Händen und legte es beiseite. Er nahm ein anders von einem der hohen Stapel herunter und schlug es auf.
»Doch sind es wohl nur diabolische Lügen, die in diesen Büchern stehen. Lug und Trug, Lästerei! Wie soll uns dies schon weiterhelfen?«
Kaspar fühlte sich immer noch unwohl.
»Wie gesagt, wer kann dies wissen? Ihr? Die Kirche? Ich? Letztlich nur Gott! Ich verstehe Euer Zögern, Euren inneren Kampf, doch in diesem Fall müsst Ihr mir vertrauen. Ich weiß, was Ihr gerade durchmacht. Weiß um den inneren Konflikt und kenne die Zweifel, doch kann ich Euch nur dazu ermuntern, Euren Geist weit zu öffnen. Verschließt Euch nicht! Wenn ich der Meinung wäre, dass Ihr dazu nicht bereit seit, wärt Ihr nicht hier. Lest, mein Freund! Hier!«
Der Abt zeigte mit seinem Finger auf eine kurze Textpassage. Kaspar begann, immer noch ein flaues Gefühl im Magen, die blutrote, krakelige Handschrift zu lesen. Die anfängliche Scheu wich dabei immer mehr seiner Neugier:
…und es gab einen großen Aufstand im Himmel, denn einige Engel lehnten sich gegen ihren allmächtigen Vater auf. Bewusst wanden sie sich ab, und jene, die sich gegen Gott und seine getreuen Engel richteten, wurden schließlich besiegt, aus dem Himmelreich verbannt und fielen hinab in die tiefste Verdammnis. Aus den leuchtenden Engeln wurden dunkle Dämonen.
Ihr Reich wurde:
civitas diaboli
Und er,
der später Satan und Teufel genannte,
war Ihr Herrscher,
denn sein Zorn war der größte von allen.
»Was wolltet Ihr mir damit sagen, Freund?«, wollte Kaspar wissen.
»…Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz!«, zitierte der Abt mit düsterer Stimme.
»Lukas 10, 18, wenn ich mich nicht irre?«
Johannes von Sponheim nickte zufrieden.
»Doch ist hier von mehreren gefallenen Engeln die Rede!«
Kaspar musste schlucken.
»Damit will ich sagen, dass wir in Eurer Angelegenheit womöglich die berühmte Nadel im Heuhaufen suchen. Es müssen unsagbar viele Engel gefallen und zu Dämonen geworden sein, wenn das, was hier steht wahr ist.«
Kaspar seufzte und schlug das Buch wieder zu.
»Mehr als einen Namen habe ich eh nicht, doch müsste dies doch schon mal zu etwas nütze sein, oder?«
Die Mine des Abts verfinsterte sich.
»Ich habe mir schon einige Gedanken darüber gemacht, und ich befürchte, es wird Euch nicht gefallen, was ich Euch als Antwort darauf geben kann, mein Freund! Es gibt meiner Meinung nach nur eine Möglichkeit…«, bemerkte Johannes.
Kaspar sah sein Gegenüber erwartungsvoll an.
»Wir versuchen gemeinsam, die Magie eines meiner Grimoires zu nutzen, um ihn heraufzubeschwören.«
»Das kann wahrlich nicht Euer Ernst sein, Johannes!«, entgegnete ihm Kaspar harsch.
»Es ist mein voller Ernst! Wir müssen uns zuvor aber noch rüsten.«
»Wir würden Kräfte heraufbeschwören, die wir mit großer Sicherheit nicht beherrschen können. Der Zweck heiligt nicht alle Mittel! Ich weiß, dass Ihr es gut mit mir meint, dafür danke ich Euch, doch muss es noch eine andere Möglichkeit geben. Lasst Euch sagen, mein Freund, Ihr müsst vorsichtiger sein. Ansonsten, so befürchte ich, könnte es doch noch dazu kommen, dass Ihr eines Tages mitsamt Eurer Bücher in Flammen aufgeht. Oder gar gleich in die Hölle hinabfahrt, was ich sehr bedauerlich finden würde.«
Der Abt legte ihm beschwichtigend die Hand auf die Schulter.
»Ich weiß um die Gefährlichkeit, mein Freund! Euch gegenüber brauche ich mich nicht zu verstellen, dessen war und bin ich mir sicher. Nehmt meine Hilfe an, und wir finden ihn, gemeinsam!«
Kaspar grübelte, doch noch bevor er ihm eine Antwort geben konnte, pochte jemand überraschend von außen an die schwere Tür.
»Wer da?«, wollte der Abt wissen.
»Wir sollten nicht gestört werden, hatte ich nicht darum gebeten?«
»Entschuldigt, Herr!«, hörten sie die zittrige Stimme eines Mönches.
»Ich bitte vielmals um Verzeihung, doch ist jüngst ein Bote erschienen.«
»Ein Bote?«, hakte der Abt nach.
»Ja! Mit einer wichtigen Botschaft vom ehrwürdigen Bischof zu Hildesheim an den jungen Herrn. Er musst uns wohl wieder verlassen, denn es handelt sich dabei um eine dringliche Angelegenheit.«
»Habt, dank! Ich komme sofort.«, antwortete ihm Kaspar und legte das Buch zur Seite.
»Nun denn, so muss es wohl sein! Eure außergewöhnlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sind wieder einmal gefragt, mein Freund! Ich werde in der Zwischenzeit versuchen, mehr in Erfahrung zu bringen, vielleicht findet sich eine bessere Lösung.«
»Tut dies, mein Freund! Ich komme so schnell ich kann wieder.«, antwortete ihm Kaspar.
Der Abt öffnete mit seinem großen und schweren Schlüssel die massige Holztür. Als sie hinaustraten, waren sie allein.
»Ich danke Euch, mein Freund, für Eure Gastfreundschaft und Eure Hilfe. Diese Unterhaltung führen wir fort, wenn ich wieder zurück bin. In der Zwischenzeit passt auf Euren Kopf und auch den Rest auf!«, bat Kaspar.
»Das werde ich und Ihr auf den Euren! Gott sei mit Euch, junger Kaspar!«, antwortete Johannes und umarmte den Freund zum Abschied, bevor dieser dann die steinernen Stufen nach oben hinauf hastete.
Sorgsam verschloss der Abt die schwere Tür hinter sich. Ein Unwohlsein hatte sich in ihm breitgemacht, welches sich auch erst wieder legte, als er die unterirdischen Gewölbe verlassen hatte, das helle Tageslicht und die frische Luft sein Gemüt wieder freundlicher stimmten. Nun war er sich sicher! Es hatte nach Schwefel gerochen dort unten in seiner finsteren Geheimbibliothek. Ein grausiger Schauer überkam ihn, und der fromme Mann bekreuzigte sich mehrmals.