Читать книгу Kaspar's sagenhafte Abenteuer - Riccardo Timpanaro - Страница 9

Die entgangene Mahlzeit

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Ein übelfauliger Geruch, der Gestank von Verwesung und Tod, kroch ihm in die Nase, und es ekelte ihn.

Die sich ihm langsam nähernde Kreatur war in der Dunkelheit nun immer deutlicher zu erkennen, und ihm wurde schmerzlich bewusst, dass er nicht mehr träumte. Nein, dies war kein Traum mehr! Dies war der wahr gewordene Albtraum!..

Knorrige, bleichlichgrüne Hände kamen aus dem Nichts hervorgekrochen, und unnatürlich lange Finger legten sich um die Stäbe des großen Eisenkäfigs, in dem der Junge wie ein hilfloses Vögelchen gefangen gehalten wurde. Die spitzen Fingernägel kratzten begierig am rostigen Metall.

»Ist es wach?«, krächzte die unheimliche Gestalt.

Der Junge zuckte ängstlich zusammen.

»Hast lang genug geruht, Bürschchen!«

Im Hintergrund loderte ein kleines Feuerchen unter einem großen, vor sich hindampfenden Kessel.

»Es ist Zeit… Zeit zu fressen. Dich!!! Mit Haut und Haar!«, kicherte die alte Hexe.

Ein wohliger Schauer der Vorfreude überkam sie, und ein ekelerregend langer Speichelfaden hing ihr spitzes Kinn hinab. Aus den eingefallenen Mundwinkeln stachen ihre fauligen Zähne hervor. Die bleichen Augen prüften neugierig ihre Beute. Sie belauerte den Jungen, wie die Spinne die Fliege, bis die Gier schließlich doch die Oberhand gewann und sie es nicht mehr aushielt.

Mit einem Handgriff, hatte die Bucklige rasch das kleine Türchen des Käfigs geöffnet, packte das hilflose Kind an seinem Hälschen und zerrte es heraus, wie der Fuchs das Mäuschen. Die Alte hielt den Jungen so mühelos in der Luft, dass seine nackten Füßchen dabei knapp über dem Boden zappelten. Er versuchte sich zu wehren, doch half es nichts, sie war um einiges stärker als er, und je mehr Widerstand er ihr leistete, umso fester wurde ihr Griff und er bekam kaum noch Luft.

»Es zappelt gar so wild, das kleine Brätelein!«, krächzte sie belustigt und lockerte ihren Griff erst, als kaum noch etwas von ihm zu spüren war.

Der Junge schnappte hastig nach Luft, bekam aber keine Zeit sich zu erholen.

»Geschlachtet wirst du, dann ist Ruh!!!«, schrie sie und lachte dann so böse, dass es ihm durchs Mark fuhr.

Er wurde durch die Luft geworfen und landete sehr unsanft mitten auf dem großen Holztisch. Es klirrte und schepperte. Von Zauberhand geleitet wanden sich nun kräftige Seile wie Würgeschlangen um seine zarten Arme und Beine, und er schrie auf, als sie ihm die Glieder einschnürten. Tränen der Pein flossen, als er, auf seinem Rücken liegend, an den Tisch gefesselt wurde.

Dieser Anblick schien der Alten zu gefallen. Sie fuhr ihm beinahe liebevoll mit ihren langen Fingern übers Gesicht und sammelte dabei sorgsam eine der frischen Tränen von der rosigen Wange auf. Genüsslich leckte sie den Tropfen von ihrer Fingerspitze und genoss dabei den leicht salzigen Geschmack, dies steigerte ihre Erregung. Lange, viel zu lange, hatte sie schon darben müssen, hatte sich niemand mehr auch nur in die Nähe ihrer Hütte gewagt. Doch nun war es wieder einmal soweit, und sie wollte es genießen, mit allem, was dazugehörte: Vorspeise und Hauptgang!

»Magst du Tiere, Bürschchen?«, kicherte sie.

»Bitte!«, flehte er sie an.

Die Hexe kümmerte dies nicht.

»Ruhig, ruhig!«, versuchte sie ihn mit gespielter Fürsorge zu beruhigen und strich ihm über seinen Mund.

»Als wir in deinem Alter waren, habe wir damit gespielt, ja Bürschchen, das haben wir… Mit Hündchen, Kätzchen, Häschen, Vögelchen…«

»Lass mich doch gehen! Ich will zu meinen Eltern, bitte!«, flehte er sie verzweifelt an.

»Ja, das war stets ein Genuss!«, fuhr sie unbeeindruckt fort.

»Doch nichts im Vergleich zu einem Menschenkind!«

Er wimmerte.

Ein grausiges Stöhnen der Vorfreude kam ihr aus dem Maul gekrochen, denn sie wusste, ihre rissigen Lippen würden bald seine zarte Haut liebkosen und ihre schleimige Zunge seine köstlichen Tränen, den süßen Angstschweiß und sein kostbares Blut genießen. Erst danach würde sie ihr scharfes Messer, welches sie nun auch in die Hand nahm, nehmen oder ihr großes, schweres Beil, um den Körper dann sorgfältig zu zerteilen. Mit ihren schwarzfauligen Zahnstümpfen würde sie an seinem Fleisch nagen. Roh und frisch wollte sie es genießen, ja! Die köstlichen Stücke später, gebraten, gepökelt oder vielleicht auch geräuchert, nach und nach ganz verzehren. Der Gedanke daran den Jungen auszuschlachten, sich mit seinen noch warmen Innereien zu vergnügen, sein frisches Blut zu trinken, steigerte ihre grausige Erregung ins Unermessliche. Wie neugeboren würde sie sich fühlen und wieder mächtig sein, so wie in den alten Tagen. Nicht mehr der klägliche Schatten ihrer selbst sein.

»Bitte, bitte!«, flehte der Junge, doch sie lächelte ihn nur böse an.

Etwas fuhr über seinen nackten Oberkörper. Etwas kaltes, und er bekam es mit der Angst zu tun. Panisch versuchte er den Kopf zu heben, doch die Alte drückte ihn hinunter und ihre spitzen Nägel bohrten sich dabei schmerzhaft in die weiche Haut.

»Schttt, Schttt… Bübelein! Bist so fein, bist mein Liebster ganz allein! Oh weh, oh weh… oh jehmineh!«, hauchte sie ihm mit ihrem fauligen Atem leise ins Ohr.

Das scharfe Messer strich seinen Oberkörper hinab, bis zu seinem Bauchnabel. Langsam schnitt sich die Klinge in die weiche Haut. Als der Junge laut aufschrie, kicherte und gluckste die Hexe vor Wonne. Dies war ihr wahrlich ein Vergnügen. Immer und immer wieder ritzte sie ihn mit der scharfen Klinge. Je lauter er schrie, desto tiefer schnitt sie. Dies grausame Schauspiel schien Ewigkeiten anzudauern, und der Oberkörper des Jungen war schließlich gänzlich überseht mit feinen roten Linien, die sich kreuzten und zusammen ein grausiges Muster auf der hellen Haut bildeten. Ihr Werk aufs Genaueste begutachtend, fuhr sie mit ihren spitzen Fingern über die frischen Wunden, dann stach sie in eine hinein und bohrte. Als das frische Blut nun begann stärker herauszuquellen, beugte die Buckelige sich hinab, und ihre lange, schleimig feuchte Zunge grub sich tief in die warme Wunde. Voller Gier sog sie den roten Lebenssaft in sich auf und spürte, wie ihre eigene Kraft dabei wuchs, während der Junge allmählich immer schwächer wurde.

»Blut ist Leben! Ach, wie wahr dies doch ist.«, dachte sie sich und labte sich, konnte einfach nicht mehr genug bekommen.

Wie im Rausch raubte sie dem jungen Körper dessen kostbare Lebenskraft. Der Junge wurde immer blasser, und sie musste sich zügeln, sich davor hüten, allzu hastig weiterzutrinken, denn sie wollten ihn noch nicht töten. Nach einiger Zeit hatte sie fürs erste genug und hob zufrieden ihren Kopf. Die dünnen, strähnig schwarzen, Haare hingen ihr schauriges Gesicht hinab, ihre Augen glühten. Mit blutverschmiertem schiefen Mund grinste die alte Hexe den Jungen an.

Er konnte kaum noch einen klaren Gedanken fassen und war nahe der Ohnmacht. Leise murmelte er alle Gebete vor sich hin, an die er sich noch erinnern konnte, und insgeheim rief er Gott an und erflehte inständig dessen Hilfe, doch bekam er keine Antwort, kein Zeichen, nichts passierte. Da waren nur er und diese Ausgeburt der Hölle, in der einsamen Hütte inmitten des Waldes. Diese blutrünstige Hexe, die ihn so sehr quälte. Enttäuscht schloss er seine Augen. Es war still, und als er genauer lauschte, war nichts zu hören, deshalb wagte er es seinen Kopf etwas anzuheben und dieses Mal wurde er daran nicht gehindert. Als er sich umsah, sah er nichts. Wo war sie nur? Verschwunden? Er atmete auf. Ein kurzer Moment der Erleichterung war ihm vergönnt, doch dann kamen die Schmerzen wieder und dies schlimmer denn je. Sein Oberkörper schien förmlich zu brennen, und die Fesseln waren immer noch allzu fest. Er versuchte sich zu befreien, doch war es hoffnungslos, also gab er den Versuch auch schnell wieder auf. Er wusste, dass die Hexe bald wiederkehren würde, denn dies war noch nicht das Ende, nein! Sie würde ihr schauriges Werk vollenden wollen, dies war ihm bewusst, da brauchte er sich nichts vormachen. Aus dieser misslichen Lage gab es kein Entrinnen mehr…

Sein Vater hatte ihm schon so einiges an Prügeln verpasst, doch war dies hiermit nicht zu vergleichen. Nie zuvor hatte er solche Schmerzen erleiden müssen. Die schlimmste Pein von allen aber war die Gewissheit, seine Schwester verloren zu haben, denn nun wurde es ihm schlagartig wieder bewusst, ja! Langsam kam ihm die Erinnerung wieder. Bevor er durch die Wirkung des Zaubertrankes in einen tiefen, unnatürlichen Schlaf gefallen war, hatte die Abscheuliche seine Schwester getötet. Er war dabei gewesen, musste hilflos dabei zusehen, wie die Schreckliche das arme Mädchen aufs Grausamste gequält hatte und konnte ihr nicht helfen. Nun kamen die Schreckensbilder wieder hervorgekrochen. Alles hatte er klar vor Augen. Das Fleisch, das Blut, den großen Kessel über dem Feuer… Und auf seiner Zunge war er wieder, dieser widerliche Geschmack, denn die Hexe hatte ihn gezwungen… Hatte ihn gezwungen zu probieren. Nicht von irgendetwas, nein! Von seiner eigenen Schwester!!!

Er verfluchte den Tag, an dem sie sich beide in diesem dichten Wald verlaufen hatten und auf Hilfe hoffend schließlich, unachtsam und äußerst dumm, diese einsame Hütte betreten hatten. Schwarze Magie hatte sie geblendet und angelockt, bis es schließlich zu spät war, um sie geschehen. Ihr Schicksal besiegelt.

Das Gesicht seiner Schwester hatte er vor Augen. Ihre strahlend blauen Augen, so blau wie das Wasser des klaren Flusses, welcher sich durch ihr heimatliches Tal schlängelte. Ihre rosafarbenen Lippen. Ihr wallendes Haar, welches, zu goldenen Zöpfchen geflochten, im Sonnenlicht heller noch als die Garben der Felder strahlte. Ihr hübsches Leinenkleidchen und die kleinen Schühchen…

Tränen flossen dem Jungen die Wangen hinab, und er weinte bitterlich. Die Trauer übermannte ihn, und er ließ seinen Kopf langsam wieder sinken.

Die klebrig feuchte Zunge glitt über seine Haut. Er erschrak und wand sich angewidert hin und her, um dem irgendwie zu entgehen, doch die Alte packte ihm am Kinn und hielt es so fest, dass sie in aller Ruhe die Tränen der Trauer und der Verzweiflung auflesen konnte. Denn nicht nur aus Menschenfleisch und Blut erlangten die Hexen neue Kraft, nein, auch Tränen gaben ihren Teil dazu bei, wobei echte Schmerzenstränen weitaus kostbarer waren, als Freudentränen. Dies war jeder Schwarzkünstlerin, seit Anbeginn ihres unrühmlichen Tuns, so gelehrt worden und es nahte Walpurgis, die Nacht der großen Versammlung. Die Reise zum Brocken war stets beschwerlich und dafür brauchte es viel Kraft, so viel, wie nur möglich. Schwach und verletzbar zu sein, gar dies öffentlich zu zeigen, war gegenüber Hexen und anderen bösen Wesen nie ratsam. Diese Kinder kamen ihr nun wie ein Geschenk vor, und sie konnte es kaum mehr erwarten, wieder mächtig zu sein. Sie hatte genug mit ihm gespielt, es war an der Zeit es zu beenden.

»Fahr zur Hölle, für das, was du mir und meiner Schwester angetan hast!«, fluchte der Junge.

Sie schnipste unbeeindruckt mit ihren langen Fingern, und ein großes, schweres Beil kam durch die Luft geflogen und direkt in ihre knorrige Hand geschwebt. Langsam umschlossen die grünlichen Finger den hölzernen Ahornstiel.

»Die Posse ist nun vorbei, Bube! Er wird uns schmecken.«

Sie zielte auf seinen Kopf.

»Ja, so saftig frisch! So jung!«

Eine unsagbar schwere und bleierne Müdigkeit überkam ihn. Hatte sie ihn verhext? Regungslos lag er da und konnte nicht anders als abzuwarten. Eine merkwürdige Ruhe breitete sich in ihm aus. Dies war nun das Ende, und er war auch ein wenig erleichtert darüber, denn dies würde gleichwohl auch keine Schmerzen mehr bedeuten. Er schloss die Augen.

»Gretel, ich komme zu dir…«, war sein letzter Gedanke, dann fiel er in einen tiefen Schlaf.

Den kurzen Luftzug, der über ihn hinwegstrich, nahm er nicht mehr wahr.

Kaspars Augen versuchten sich an das schummerige Licht zu gewöhnen. Viel konnte er jedoch noch nicht erkennen, denn bis auf das lodernde Feuer war es nahezu nachtschwarz in der Hütte.

Seltsam anmutende Kräuter, die er zumeist alle nicht kannte, hingen zum Trocknen gebunden die Wände hinab. Alte, teilweise schon stark verwitterte Bücher, ganze Rollen, aber auch nur einzelne Blätter pergamentener Schriftstücke lagen sorgsam gestapelt aber auch wild verstreut umher. Ihrem Zustand nach zu urteilen, mussten einige davon bereits uralt sein. Seltsam geformte Gefäße, deren Inhalt er kaum erahnen konnte, standen verteilt in einem großen Regal. Verschiedenste Werkzeuge, gefertigt aus Hölzern und Metallen jeglicher Art, mit nie zuvor gesehenen Schriftzeichen versehen, waren ebenfalls dort untergebracht worden. Ein paar spitze Stöcke lehnten in einem der vielen dunklen Winkel, und ein dunkler Schwarzdornzweig lag mitten auf dem Boden. Eine hölzerne Schüssel, gefüllt mit einem widerlich dicken Brei, ein besudeltes Leinentuch, und ein blutiges, wohl sehr scharfes Messer lagen auf einem großen Tisch, der inmitten des Raumes stand.

Dort lag aber noch etwas anderes, das sofort seine Neugier weckte. Er sah eine dunklen Schatten krumm über dieses etwas gebeugt. Böses war hier im Gange, etwas Grauenvolles, dies spürte er. Er versuchte sich zu konzentrieren, seine Sinne zu schärfen, und dann erkannte er ihn, den Jungen, blutüberströmt dort liegen. Wilde Gedanken schossen ihm durch den Kopf, denn Kaspar wusste nur zu gut, wo er hier war und mit wem er es zu tun bekommen würde.

Die Hexe schrie auf, als sich der Pfeil in ihren Arm bohrte und sie durch die Wucht zur Seite gestoßen wurde. Sie torkelte, und das Beil fiel klirrend auf den Boden. Blitzschnell hatte Kaspar den Bogen erneut gespannt und ließ, so rasch er konnte, einen weiteren auf sie ab, in der unguten Gewissheit, den Überraschungsmoment nun nicht mehr auf seiner Seite zu haben. Der Pfeil blieb im Balken stecken.

»Verdammt!!!«, schimpfte er und warf den Bogen verärgert von sich, um dann blitzschnell seinen Yatagan aus der Scheide zu ziehen.

»Dann halt auf die harte Art und Weise!«

Kaum hatte er den orientalischen Säbel gezogen, da spürte er auch schon einen heftigen Schmerz in seiner Schulter, denn spitze Krallen bohrten sich durch seine Kleidung und in sein Fleisch hinein. Er drehte sich so rasch er konnte und hieb mit der Klinge um sich. So überraschend die Angreiferin gekommen war, so schnell war sie auch wieder in der Dunkelheit verschwunden. Er versuchte sich zu konzentrieren, besser sehen zu können, doch war es hier immer noch stockduster. Er spürte etwas im Rücken. Dieses Mal war es ein spitzes Messer, das nach ihm stach, dem er aber gerade noch rechtzeitig ausweichen konnte. Erneut hieb er um sich, und als die Kreatur in der Finsternis vor Schmerz aufschrie, wusste er, dass er dieses Mal getroffen hatte.

»Wer ist es, der uns wehtut?«, klagte sie laut und spuckte Blut, denn er hatte ihre abscheuliche Fratze getroffen.

Wo kam die Stimme her? Er versuchte sie ausfindig zu machen.

»Komm heraus aus der Dunkelheit, die dich beschützt, dann sage ich es dir gern!«, rief Kaspar ihr zu.

»Das hätte es gerne, das clevere Bürschchen, der garstige Unhold. Abstechen will er uns, der Mordbube, doch zerquetscht wirst du!«, zischelte sie böse.

»Ich bin nicht gekommen, um mit dir zu kämpfen, Weib!«

Kaspar senkte beschwichtigend seinen Säbel.

»Ich möchte einen Handel! Nur darum bin ich hier. Dieser kann für uns beide lohnend sein.«, fügte er hinzu.

Für einen Augenblick herrschte Stille in der kleinen Hütte.

»So, so…einen Handel will es?«

In der Dunkelheit blitzten zwei helle Punkte auf.

»Ja, darum bin ich zu dir gekommen! Zu der großen Zauberkünstlerin.«, antworte er, zufrieden ihr Interesse geweckt zu haben.

»Und warum verletzt es uns dann? Häh? Will unsere Hilfe, gar einen Handel und überfällt uns im eigenen Heim? Greift uns hinterhältig an, der Spitzbube!«, krächzte die Hexe, und das Blut lief ihr spitzes Kinn hinab und tropfte auf den Boden.

»Du hättest mich nicht lang genug am Leben gelassen, um mein Anliegen vortragen zu können. Nur so war es möglich, mich dir bemerkbar zu machen, mit dir reden zu können. Ohne diese kleine Hakelei hättest du mich sofort in tausend Stücke gerissen! Ist dem nicht so, oh mächtige Walburga? Was sind da schon ein paar kleine Hiebe und Stiche, winzige Piekser von einer Pfeilspitze? Nur lästig, für so eine mächtige Hexe, wie dich. Ich weiß von euren enormen Heilungskräften, oh mächtiges Hexenweib!«

Er verbeugte sich, in der Hoffnung, so überzeugender zu wirken.

»So, so!.. Und warum sollten wir dir glauben, gar überhaupt mit dir weiter schwätzen? Dich am kläglichen Leben lassen? Reine Zeitverschwendung! Du bist lästig und uns im Weg. Kalt wirst du gleich sein…«, drohte sie ihm unbeeindruckt, und er konnte spüren, wie sie sich anschickte, sich auf ihn zu stürzen, um ihn zu zerreißen.

Rasch nahm Kaspar sein kleines Säcklein vom Rücken, öffnete so schnell es nur ging dessen Verschnürung, und zog dann ein prachtvolles, goldenes Säckchen hervor, welches er nun hoch in die Luft hielt.

»Darum!«

»Luzifer und alle bösen Mächte! Was ist es? Ist es das, was wir glauben? Kann nicht sein…«, murmelte die kratzige Stimme ungläubig vor sich hin.

»Was sagt dir dein Gefühl?«, hakte er nach.

Walburga schloss, verborgen in der Dunkelheit, ihre bleichen Augen. Wie ein Raubtier, welches die Witterung seines Opfers im Winde aufnahm, erkundete sie nun mit Hilfe ihrer magischen Kräfte, was sich in diesem Säcklein verbarg. Schließlich grinste sie zufrieden mit ihrem schiefen Mund.

»Ahhhhh, nun können wir es spüren! Fürwahr eine Kostbarkeit, die es da bei sich trägt.«, sagte sie, und ihre Stimme wurde dabei immer leiser.

Kaspar war mehr als überrascht, als plötzlich aus dem Nichts, eine geisterhaft schimmernde jungen Frau vor ihm erschien. Diese war in ein weißes, leicht durchscheinendes Gewand gehüllt, und mit ihren langen, wehenden Haaren nun auf ihn zuschwebend, sah sie furchteinflößend, jedoch gleichwohl auch wunderschön und sehr verführerisch aus. Er blieb wie angewurzelt stehen, staunte, und ließ es zu, dass die feinen Hände der jungen Hexe das prunkvolle Säcklein berührten. Ihre zarte Hand streifte dabei die seine, und ihre Augen strahlten ihn an.

»Ein Hexenstein! Würdig, ein ganzes Königreich dafür einzutauschen«, hauchte sie sanft.

Kaspar nickte zustimmend.

»Du spürst seine Zauberkraft bereits, oder?«, lächelte er sie an.

»Ja das tue ich, wie du wohl mit deinen eigenen Augen sehen kannst. Ich wandle schon seit Jahrhunderten hier auf dieser Welt umher, und nie habe ich auch nur einen von ihnen mit meinen eigenen Augen sehen dürfen. Es gab Geschichten, Legenden, ja, die gibt es immer, doch wie kommt ein gewöhnlicher Mann, so wie du, in den Besitz eines solchen Schatzes?«, wollte sie wissen.

Er sah sie ernst an.

»Das ist eine lange Geschichte, doch ersparen wir sie uns beide fürs erste. Es war alles andere als leicht, dies kann ich dir versichern, doch zählt schließlich, dass ich ihn habe. Mit seiner Hilfe kannst du mächtig sein und noch viele weitere Jahrhunderte leben.«

»Willst du ihn mir geben? Hier und jetzt?«, hauchte sie.

Ihr schlanker Körper schmieg sich an den seinen, und er spürte dabei ihren pochenden, warmen Busen. Sie strich mit ihren zarten Fingern über seine Lippen, doch als sie dann nach dem Säcklein griff, steckte er es rasch in seine Tasche.

»Natürlich nicht ohne eine Gegenleistung.«, antwortete er.

Kaspar versuchte wieder Herr seiner Sinne zu werden. Dies hatte die Hexe bemerkt, und es belustigte sie nun ungemein.

»Oh ich kann dir alles geben, was du willst, Fremder! Alles…«, hauchte sie.

Sie umarmte ihn zärtlich, und sie küssten sich leidenschaftlich, doch dann blitzten ihre Augen plötzlich böse auf, und er spürte, wie ihr Griff immer fester wurde.

»Warum soll ich dich aber nicht gleich hier auf der Stelle zerquetschen und den Stein einfach so an mich nehmen?«, drohte sie ihm.

»Wenn du das könntest, dazu im Stande wärst, wäre ich schon lange tot. Du weißt so gut wie ich, dass Hexensteine nur durch einen ehrlichen Handel übergeben werden können, sonst verlieren sie ihre Macht. Ein Handel, erinnerst du dich?«, keuchte er.

Ihr Griff lockerte sich wieder. Erleichtert und auch mit etwas Genugtuung stieß er sie von sich. Die Hexe leckte sich genüsslich über ihre Lippen und grinste.

»Schlaues Bürschchen! Nun denn, Schöner, lass sehen, welche Gelüste dich plagen und wie ich dir diese zu deiner vollsten Zufriedenheit befriedigen kann…«

Kaspar nickte kurz, dann sagte er:

»Der Stein gegen drei Gefallen! Stimmst du dem zu, Hexe?«

Walburga dachte nach.

»Gut!«, antworte sie ihm dann, und ihr war bewusst, dass solch ein wichtiges Geschäft niemals gebrochen werden durfte.

»Dreierlei muss ich dir erfüllen, nach alter Regel. Nicht mehr, nicht weniger, im Tausch gegen deinen Hexenstein. Jedoch darf ich weder töten noch verletzen, so will es das uralte Gesetz. Achte dies! Nun, Schöner, so soll es denn sein… Ein Handel wurde geschlossen, bei allen Teufeln und Dämonen!!!«

Ihre Stimme hallte durch die Dunkelheit, und Kaspar schien, als würde plötzlich ein Windhauch durch die Hütte wehen und das Feuer anstacheln noch höher zu steigen. Kleine Funken flogen umher, und einen kurzen Augenblick lang schien alles hell erleuchtet.

»So sage mir, was du begehrst!«, forderte sie.

»Mein erster Wunsch lautet, der Junge soll leben! Kein Haar wirst du ihm mehr krümmen. Heile seinen Leib, sofort!«, forderte er sie auf und deutete dabei auf den blutbesudelten Tisch und das Bündel Elend, welches dort lag.

Die Hexe zuckte und ihre Augen verengten sich, denn sie sträubte sich sichtlich dagegen ihre Beute herauszugeben. Doch nickte sie schließlich, stimmte dem zu, in der Gewissheit, etwas weitaus Lohnenderes dafür im Tausch zu erhalten.

So hob sie ihre Hand, und ihre Finger kreisten beschwörend in der Luft umher. Kaspar glaubte erkennen zu können, wie sie dabei wohl etwas an Kraft zu verlieren schien, denn ihre Gestalt wurde immer schwächer. Er beobachtete das seltsame Geschehen, doch nichts passierte. Der Körper des armen Jungen lag immer noch regungslos da, doch dann, nach einer Weile, schien er sich langsam zu regen und seine Glieder begannen zu zucken. Zuckten immer stärker. Die Augenlieder öffneten sich, ebenso tat es der Mund. Er hustete und prustete, rang sichtlich nach Luft, dann konnte Kaspar erleichtert auch die Bewegung des sich auf und ab bewegenden Brustkorbs erkennen. Der Bub war am Leben. Die Welt hatte ihn wieder und Kaspar sah zufrieden zu, wie sich die Wunden langsam schlossen, bis sie gänzlich wieder verheilt waren. Auch das Blut löste sich in Luft auf, und so war nichts, rein gar nichts mehr, von dem Grauen übrig geblieben.

»Er muss jetzt noch etwas ruhen, dann ist er wieder wie neu.«, sagte die Hexe erschöpft, und der Junge schlief ein.

»Alles kannst du haben, und du Dummkopf wählst das Leben eines armseligen Jungen? Ich werde euch Menschen nie verstehen.«, fügte sie spöttisch hinzu.

»Nun, was ist dein weiteres Begehr? Gold, Silber, Edelsteine, Macht?«

»Ich möchte einen Namen!«, antworte Kaspar, dann zog jener ein uraltes Schriftstück hervor, auf dem mit einer dunkelroten Flüssigkeit etwas in Menschenhaut eingeritzt worden war.

Die Hexe schrie entsetzt auf.

»Luzifer, Satan, alle Teufel und alle Dämonen der Hölle!!! Nein, nicht! Verlang dies nicht von mir! Unmöglich!«

»Du bist an unseren Handel gebunden, Hexe!«, rief Kaspar ihr unbeeindruckt hinterher, während sich Walburga vor seinen Augen langsam in Luft auflöste.

»Nein, nimmer!!!«, schrie sie, und er meinte dabei Furcht aus ihrer Stimme heraushören zu können.

War dies bei solch einer mächtigen Hexe überhaupt möglich, Furcht?

»Du musst ihn mir sagen!!!«, beharrte er, doch bekam er keine Antwort mehr und so wartete er ab.

»Gut, dann werde ich den Handel für nichtig erklären, und der Stein verliert seine Macht für dich. Töte mich dann ruhig, es bedeutet mir nichts.«

Stille, nur der Wind blies leise um die einsame Hütte.

»Bist du dir sicher, dass du das auch wirklich willst? Weißt du, was du da von mir verlangst, mit wem du dich da anlegst?«

Ihre Stimme war leise und gespenstisch.

»Lass dies meine Sorge sein, sag mir nur den Namen!«, beharrte Kaspar.

Der Wind schien stetig heftiger zu werden.

»Satan hilf!!!«, hallte es plötzlich durch die Dunkelheit, und begleitet von einem mächtigen Donnerschlag fuhr ein gewaltiger Blitz hernieder und spaltete eine der hohen Fichten, die vor der Hütte standen.

Die Tür schlug weit auf, fiel dann wieder kräftig zurück in ihr Schloss, und das Feuer unter dem Kessel verfärbte sich und wurde giftig gelb. Nebel stieg auf, und eine gespenstische Hand kam aus jenem hervor. Lange Fingernägeln kratzten Buchstaben in das harte Holz, und das Geräusch schmerzte in Kaspars Ohren. Kaum war der letzte Buchstabe eingeritzt, fing die Tür auch schon Feuer, und die Flammen verzehrte das Holz an der Stelle, an der zuvor noch der Name gestanden hatte. Die gesamte vordere Hütte schien nun allmählich Feuer zu fangen, und Kaspar spürte die glühende Hitze unangenehm auf seiner Haut.

»Du weißt nicht, was du tust!«, hörte er die Stimme klagen.

»Verflucht seiest du, dass du dies von mir verlangtest!«

Kaspar war es egal, denn er wusste nun endlich das, was er schon so lange hatte wissen wollen. Nur dies war für ihn von Bedeutung.

»Einen letzten Wunsch habe ich noch frei!«, forderte er sie auf.

»Ich möchte, dass niemand mehr durch dich zu Tode kommt!«

»Das geht nicht, das darfst du nicht wünschen.«, antwortete sie ihm empört.

»Schwöre es!«, befahl Kaspar unnachgiebig.

Er wartete auf Antwort und nach einiger Zeit bekam er sie.

»Ich schwöre, dass ich niemanden mehr töten werde…«, begann die Hexe, und ein kräftiger Donnerschlag ließ die Hütte ein letztes Mal erzittern.

»…in meiner Hütte!«, fügte sie leise hinzu, noch bevor dieser ganz verhallt war.

Der Wind beruhigte sich, der Nebel löste sich wieder auf, und das Feuer unter dem großen Kessel verlor seine unnatürliche Farbe.

»Damit habe ich meinen Teil erfüllt, nun gib mir, was ich begehre!«, forderte sie ihn auf.

»Du bist gleichwohl an unser Geschäft gebunden.«

Kaspar legte das goldene Säcklein behutsam vor sich auf den Boden. Er beobachtete, wie die geisterhafte Hand, die zuvor schon die Buchstaben eingeritzt hatte, nun vorsichtig das kleine Säcklein an sich nahm. Kaum hatten die blassen Finger es umschlossen, leuchtete dieses plötzlich auf, und aus den Flammen kam die nun noch strahlender wirkende junge Hexe hervor.

Niemals zuvor hatte Kaspar derart Wunderbares gesehen. Wie ein Engel sah sie nun aus. Schön und rein wirkte sie auf ihn, und er musste einen kurzen Augenblick lang seine Augen schließen, so strahlend hell war ihre anmutige Erscheinung. Geblendet sank er in Gedanken vor ihr auf die Knie. Etwas schien mit ihm zu passieren, er konnte sich nicht dagegen wehren.

Vor lauter Verzückung stöhnte die Hexe laut auf. Ihre Augen strahlten. Mit einem kurzen, beinahe beiläufigen Wink ihrer Hand entfachte sie rings um sie beide herum kleine, magische Lichter, die nun die Hütte in den buntesten Farben erstrahlen ließen. Die sengenden Flammen erloschen und wohlige Wärme durchfuhr Kaspars Körper. Er hatte das Bedürfnis sich ausruhen zu müssen.

»Ich mag dich, Fremder! Ich mag dich sehr. Bleib doch noch bei mir, nur diese eine Nacht. Morgen können du und der Junge gehen. Es ist schon spät, die Nacht ist dunkel, der Weg hinaus aus dem Wald lang und beschwerlich. Lass uns unseren Handel gebührend feiern… Oder hast du etwa Angst? Vor mir?«, hauchte sie.

Kaspar spürte ihren warmen Körper.

»Bin ich nicht schön und begehrlich für dich? Nach all den Strapazen, nach all dem Leid und Schmerz? Davon werden du und ich noch genug haben, doch sei dir gewiss, nicht hier und jetzt! Dieser Moment gehört nur uns.«, hauchte sie, und ihr zartes Kleid fiel wie von selbst herab.

Ihr nackter, wohlgeformter Körper war makellos. Kaspar begehrte sie, je mehr er auch versuchte sich dagegen zu wehren. Ein Zauberbann hielt ihn gefangen, vernebelte ihm die Sinne. Wie berauscht bemerkte er, wie sich nun auch seine Kleider wie von selbst öffneten. Er spürte die warmen Hände auf seiner Haut, die ihn nun zärtlich liebkosten. Spürte die zarten, feuchten Lippen auf seinem Gesicht, seinem Hals, seiner Brust. Den angenehm warmen und sehr verlockenden Atem.

»Lange habe ich keinen Mann mehr gehabt, so unendlich lange schon. Lass uns lieben, bis in den Tag hinein, Liebster!«, hauchte sie wollüstig, während sie sich beide engumschlungen zusammen auf ein weiches Fell begaben.

Er stöhnte auf vor Verlangen, als sie sich langsam auf seinen Schoß setzte.

»Heh!!!«, hörte er eine weibliche Kinderstimme rufen, die ihn recht unsanft aus seinen allzu süßen Träumen rüttelte.

»Aufwachen!«

Es dauerte, doch dann erkannte er sie wieder.

»Gretel!«, stotterte er überrascht.

»Wie, was, wo?«

»Ihr habt versprochen, noch bevor die Sonne aufgeht, kommt ihr mit Hänsel zurück, holt mich aus meinem Versteck und wir kehren heim. Wo ist mein Bruder? Was ist passiert?«, wollte sie wissen und sah ihn besorgt an.

»Hänsel geht es gut, du brauchst dich nicht sorgen.«, versicherte er ihr.

Sie seufzte erleichtert auf.

»Tapferes Mädchen! Ich war ein Narr, sie hat mich verhext… Geht es dir gut?«, wollte er wissen und versuchte ihr Gesicht zu berühren, doch es ging nicht, er war gefesselt.

»Verdammt!«, fluchte Kaspar.

»Weißt du wo sie ist? Wie konntest du hier eigentlich unbemerkt hineinkommen?«

»Nun, ich sah, wie die Hexe den Schornstein hinausflog. Ich konnte sie kaum erkennen in der Dunkelheit. Sie schien auf der Suche nach etwas zu sein.«, erklärte Gretel.

»Ja, nach dir, nachdem sie dich nicht mehr eingesperrt im Stall vorgefunden hat! Gut, dass wir ein Versteck für dich gefunden haben. Das Habichtskraut hat offenbar deinen Geruch gut überdeckt, so hat sie dich nicht wittern können. Bin ich froh, dass du jetzt nicht alleine draußen umherirrst. Sie würde dich finden, Gretel! Nun aber schnell, wir müssen uns beeilen, Mädel! Such meinen Yatagan!«, forderte er sie auf.

Sie sah ihn jedoch nur mit großen, fragenden Augen an.

»Meinen Säbel.«, fügte er hinzu.

Gretel suchte daraufhin die gesamte Hütte ab. Jede Ecke, jeden Winkel, jede Ritze, bis sie schließlich, gänzlich verborgen im Schatten, eine riesige, von Außen verschlossene, hölzerne Kiste fand. Als sie diese vorsichtig öffnete und dann hineinsah, war die Überraschung groß.

»Hänsel! Oh mein Hänsel!«, rief sie voller Freude und drückte ihren Bruder so fest an sich, dass dieser beinahe keine Luft mehr bekam.

»Doch wie kann das sein?«, fragte er überrascht und sah sie ungläubig an.

»Ich dachte, du bist tot, Gretel! Ich habe selber mit ansehen müssen, wie die Hexe dich… Mich hat sie ebenfalls gequält, doch wo sind die Wunden? Was geht hier nur vor sich?«, stammelte er.

Er konnte es sich beim besten Willen nicht erklären.

»Hexenwerk, dunkle Zauberkunst, Täuschung, Lug und Trug. Dies ist ihr Handwerk, Kinder!«, hörten sie Kaspars Stimme aus dem Hintergrund.

»Ich möchte euer beider Wiedersehensfreude nicht weiter stören, doch wir haben jetzt keine Zeit dafür. Für Freude ist noch genug Zeit, wenn wir dies hier heile überstehen, wozu ich aber dringend meinen Yatagan benötige! Also, wärt ihr so freundlich?«

Er lächelte ungeduldig.

»Seinen was?«, fragte Hänsel, stieg dabei aus der großen Holzkiste und streckte seine müden Glieder.

»Seinen Säbel!«, antworte ihm seine Schwester und zuckte kurz mit der Schulter.

Sie suchten beide, solange, bis sie endlich den kostbar verzierten Griff des orientalischen Säbels unter einem verdreckten Tuch fanden. Die Waffe war leicht, leichter als jedes normale Schwert.

»Schneide die Fesseln durch, Gretel, aber vorsichtig.«, bat Kaspar.

»Die Klinge ist scharf.«

Tatsächlich brauchte es nur wenig, bis die erste durchschnitten war, dann kam die andere dran, wobei sich Gretel auch äußerst geschickt anstellte.

»Gutes Mädchen!«, lobte er sie zufrieden und strich ihr über den Kopf.

»Hätte nicht auch ein normales Messer dafür ausgereicht?«, wollte Hänsel wissen.

»Böser Stahl.«, bemerkte Kaspar und nahm den Säbel wieder an sich.

»Böser Stahl? Nie gehört!?«, stellte der Junge achselzuckend fest.

»Er gehorcht nur dem, in diesem Fall wohl derjenigen, der er gehört. Traue niemals einer Klinge aus dem Besitz einer Hexe oder eines Hexers. Ein weiterer Grund, warum mir diese Teufelsbuhlinnen so auf den Geist gehen. Oh, verzeiht Kinder!«, fügte er entschuldigend hinzu, während sie ihn beide grinsend ansahen, denn dieses Wort hatten sie auch schon gehört.

»Wer seid Ihr eigentlich, Herr?«, wollte Hänsel wissen.

»Kamt Ihr uns zu retten, schicken unsere Eltern Euch?«

»Mein Name ist Kaspar! Ich komme von weit her. Eure Eltern kenne ich nicht. Ich suche die Hexe schon seit geraumer Zeit und fand schließlich diese einsame Hütte hier, somit auch euch.«

»Ihr wolltet dieses Monster freiwillig aufsuchen? Warum? Seid ihr lebensmüde?«

Hänsel sah ihn verwirrt an und Kaspar lächelte.

»Ich musste etwas Wichtiges in Erfahrung bringen…«, antwortete er dann.

»Und habt Ihr das?«, wollte Hänsel wissen.

Sein Gegenüber nickte.

»Ja, das habe ich!«

»Ohne Euch, Herr, wären wir tot.«, bemerkte Gretel.

»Genauso mausetot, wie all die anderen armen Kinder hier.«

Sie zeigte mit ihrem zittrigen Finger auf die sorgfältig aneinandergereihten und gestapelten Kinderschädel, die wie Jagdtrophäen präsentiert wurden.

»Die armen Kinder! Sie hat sie alle gefressen!«, fing sie zu weinen an.

Kaspar nahm sie tröstend in den Arm.

»Ja, dass hat sie, doch Euch nicht! Und das wird sie auch nicht, nicht solange ich es verhindern kann. Vertraut Ihr mir, Kinder?«

Sie nickten beide.

»Gut, dann kommt! Wir müssen hier nun schleunigst fort, so schnell wie nur möglich. Die Hexe hat geschworen, niemanden mehr zu töten, doch habe ich daran so meine Zweifel. Los jetzt!!!«

Kaspar nahm einen Stock, der an der Wand gelehnt hatte, und wickelte ein lumpiges Tuch um dessen Spitze. Dann tränkte er das Bündel sorgsam mit einer Flüssigkeit aus dem Regal und als er es ins Feuer hielt, fing die Fackel sofort an hell aufzubrennen. Es dauerte nicht lange, da hatte er einen großen Brand gelegt, und die Hütte ging langsam immer mehr in Feuer auf.

Als sie diese schon fast verlassen hatten, bemerkte Kaspar noch ein recht eigenartiges Buch oberhalb auf einem hohen Stapel liegen, welches seine Aufmerksamkeit weckte. Er nahm es an sich, außerdem noch ein Säckchen voller Juwelen und Goldstücke, dann verstaute er schließlich alles sicher in seinem Säckchen.

Von Draußen sahen die drei noch eine Weile lang zu, wie die Hütte allmählich in Rauch aufging. Ein Licht in der Dunkelheit war dies, und Kaspar wusste, dass es die Hexe ebenfalls sehen würde.

»Sie wird eine Weile damit beschäftigt sein, das Feuer zu löschen und ihre Habseligkeiten zu retten, dass verschafft uns etwas Zeit. Kommt jetzt, Hänsel und Gretel! Lasst uns diesen gastlichen Ort für immer verlassen.«, sagte er, und sie machten sich zusammen auf den Heimweg.

Mühsam schlugen sie sich durch das dichte Unterholz der hohen Fichten und sahen dabei die Hand vor Augen nicht, denn der Mond leuchtete ihnen nur spärlich den Weg. In der Ferne war das einsame Rufen eines Käuzchens zu vernehmen. Nach einer Weile tauchten inmitten des Waldes bizarre Felsformationen vor ihnen auf, hohe Gesteinsblöcke, die im Laufe der Zeit immer weiter verwitterten und nun wie sorgfältig übereinander gestapelte Wollsäcke aus Stein aussahen.

»Diesen Ort kenne ich!«, rief Gretel erfreut.

»Ja, ich auch!«, bestätigte ihr Bruder.

Kaspar nickte zufrieden.

»Dann sind wir wohl auf dem richtigen Weg.«, sagte er dann.

Sie gingen weiter und kamen an eine lichte Stelle, aus der klares Wasser aus dem Stein sprudelte: eine Quelle. Sie löschten ihren Durst und folgten dem Lauf des Wassers hinab, bis sie nach einiger Zeit zum Rand einer steilen Felsenklippe gelangten.

»Seid vorsichtig, dass ihr nicht hinabstürzt!«, mahnte Kaspar.

Dort, wo nun ein kleiner Wasserfall in die Tiefe stürzte, machten sie am Fuße eines knorrigen Baumes halt, der sich mit seinen krummen Wurzeln am harten Gestein festzukrallen schien, um nicht hinabzufallen.

Kaspar nahm sein Säckchen vom Rücken. Unten in der tiefen Schlucht tobte das wilde Wasser, und es schäumte dort so wild, dass es so aussah, als würde es förmlich kochen. Kleinste Wassertröpfchen reflektierten schon die ersten Strahlen der Sonne, und es wirkte, als würden tausende Edelsteine dort aufblitzen. Als der Morgen nun langsam dämmerte, konnte sie von hier oben schon die Dächer des Dorfes in der Ferne sehen. Freude und Erleichterung machten sich breit.

»Wir kommen nach Hause, Hänsel!«, rief seine Schwester freudig.

»Ja, Gretel, heim zu Mutter und Vater! Die werden Augen machen.«, antwortete ihr Bruder überglücklich, und sie fassten sich an den Händen und tanzten vor lauter Freude wild im Kreis umher.

»Ringel- ringel- reihen,

wir sind der Kinder zweien,

sitzen unterm Hollerbusch,

Vater sagt uns husch- husch- husch!«

Kaspar wärmte es das Herz, denn dies ausgelassene Treiben erinnerte ihn an vergangene Tage. An die unbeschwerte und fröhliche Zeit, lange vor alledem hier. Er schaute dem Ringelreigen freudig zu und klatschte dabei lustig in die Hände. Die beiden Kinder drehten sich noch mehrmals im Kreis, blieben dann aber plötzlich mitten im Tanze stehen. Irgendetwas stimmt nicht, er konnte es ihren starren Gesichtern ansehen.

»Was ist? Was habt ihr?«, wollte er von ihnen wissen, doch noch bevor sie ihm antworten konnten, packte ihn etwas von hinten und zog ihn hinauf in die Luft.

Die Kinder schrien, und ihre Stimmen wurden immer leiser.

»Lauft! Flieht!«, rief er ihnen zu.

Als er hinab sah, war unter seinen Füßen nur der tiefe Abgrund. Dann spürte Kaspar einen kräftigen Schlag, und er verlor das Bewusstsein.

»Dieser Ort wird Hexentanzplatz genannt.«, hörte er eine ihm wohlbekannte Stimme.

Es war die Walburgas, der jungen Hexe. Vollkommen nackt saß diese auf einem großen runden Stein, der zusammen mit etlichen anderen einen mystischen Ring bildete. An einer goldenen Kette um ihren Hals baumelte der Hexenstein, eingebettet zwischen ihren wohlgeformten Brüsten und leuchtete.

»Die Hexen des Mittelgebirges versammeln sich hier oben, um dann weiter zum Brocken zu ziehen. So auch in der Walpurgisnacht… Wusstest du, dass die Menschen dies weithin glauben? Sie fürchten sich vor diesem Ort, meiden ihn, denn er ist ihnen nicht geheuer.«

Sie stieg langsam herab, geschmeidig und elegant, wie eine Katze. Wunderschön sah sie aus, doch ihre Augen glühten dämonisch.

»Davon habe ich schon gehört, Hexe!«, bekam sie ruppig als Antwort, und Kaspar schüttelte den Kopf.

»Und dafür hast du mich am Leben gelassen, um mir diesen Steinhaufen zu zeigen? Erspar mir dein Gerede und mach endlich ein Ende!«

»So, so! Ein Steinhaufen…«, lächelte sie.

»Hab noch etwas Geduld, du stirbst schon früh genug, Hübscher! Ich werde dir vorher sogar noch ein kleines Geheimnis verraten, ganz ohne Gegenleistung. Denn ich bin in Geberlaune, auch wenn du mein Heim niedergebrannt hast, was mich schon ein wenig verärgert hat. Möchtest du erfahren, was es mit diesem Ort wirklich auf sich hat?«

Kaspars Neugier war geweckt, doch ließ er es sich nicht anmerken.

»Lass mich raten, hier treibt ihr es mit euren gehörnten und bocksfüßigen Freunden aus der Hölle? Wenn du wieder einmal ein Bedürfnis hast, Weib, findet sich sicher ein einfacherer Weg.«

Er lachte spöttisch.

Eine unsichtbare Kraft packte ihn und ließ ihn auf die Hexe zuschweben. Sie griff sich sein Kinn und hielt es fest.

»So wie in der Nacht, als du mein warst? Du hast es genossen, oder?«, wollte sie wissen und strich ihm zärtlich über die Wange, doch Kaspar versuchte keine Miene zu verziehen.

»Oh ja, du hast es mit einer Teufelshure getrieben und es genossen.«

Sie leckte ihm genüsslich über die Lippen, dann lachte sie.

»Aber gut! Leugne es ruhig, wenn du dich dadurch besser fühlst. Es ist eh nicht von Bedeutung. Wir hatten unseren Spaß, nun ist es damit vorbei. Dieser Platz ist eine Pforte, Hübscher! Ja, eine Pforte direkt zur Hölle.«

»Lass dich durch mich nur nicht aufhalten.«, antwortete er ihr unbeeindruckt.

»Und durch dein kostbares Mitbringsel habe ich nun endlich die Macht, diese öffnen zu können, doch leider benötige noch etwas anderes…«

Sie sah ihn so durchdringend an, dass Kaspar dabei ein ungutes Gefühl bekam.

»Was? Mein Herz, mein Blut, mein Leben?«, wollte er wissen.

Sie nickte, dann streckte sie ihre Hand aus und stieß einen magischen Feuerball in die Mitte des Steinringes. Mit einem großen Knall entzündete sich eine violette Flamme.

»Ja, sehr bedauerlich, wirklich! Ich mag dich nämlich.«, bemerkte sie und streichelte ihm zärtlich übers Gesicht.

»Was ist mit deinem Schwur, Hexe?«, wollte Kaspar wissen.

»Tja, ja! So ist das mit den Wünschen, man bekommt nicht immer das, was man eigentlich haben wollte. Oder anders gesagt, nicht ganz…«, antwortete sie ihm.

Kaspar sah sie verwundert an, dann dämmerte es ihm allmählich.

»Der Donnerschlag?«

Sie grinste.

»Ein wenig geschummelt, zugegeben! Doch was erwartest du? Glaubst du, ich gebe mich gänzlich auf? Ich war bereits ein Schatten meiner selbst, dazu verdammt in dieser kargen Hütte den Rest meines kümmerlichen Daseins zu fristen. Eine widerliche Kreatur… doch dann kamst du, ein Geschenk der Hölle.«

Walburga küsste ihn zärtlich.

»Und zum Dank dafür muss ich nun sterben?«, spöttelte Kaspar.

»Bedauerlicherweise benötigt das Ritual ein Menschenopfer.«, bemerkte sie, dann stieß sie ihn grob von sich, denn dies kleine Spielchen zwischen ihnen beiden war nun vorbei.

»Außerdem kann ich dich mit dem Wissen, welches ich dir gegeben habe, nicht fortlassen. Es würde zu viel Unruhe zwischen die Dinge bringen. Der, den du suchst, würde mich finden und bestrafen, wenn nicht gar vernichten.«, erklärte sie.

Kaspar wusste, dass sie damit wohl Recht hatte.

»Was mich aber noch interessieren würde… Du wusstest, dass ich durch den Stein mächtig sein würde. Hat dir dies keine Sorgen bereitet? War dir der Name wirklich so wichtig? Was hattest du vor? Dich nach unserem Handel einfach umzudrehen und wieder wegzugehen? So dumm bist du nicht.«

Sie wollte es wirklich wissen.

»Du meinst, was ich gemacht hätte, wenn du mich nicht verhext hättest?«, hakte Kaspar nach.

»Ja!«

»Ich hätte dir den Kopf vom Rumpf geschlagen, und ihn dann in eine der tiefen Felsspalten geworfen!«

Er sah sie eiskalt an und das Funkeln in ihren Augen erlosch.

»Ja, das hättest du vielleicht sogar geschafft! Ich kann es in deinen Augen sehen, irgendetwas an dir ist besonders, anders, als bei den gewöhnlichen Menschen. Ich habe dies gleich gespürt… Doch frage ich mich, was?«

Sie schloss ihre Augen und versuchte es mit Hilfe ihrer Zauberkraft herauszufinden, doch gelang dies nicht, denn etwas schien das Geheimnis zu schützen. Etwas mächtiges, etwas sehr mächtiges und uraltes. Ein Schauer durchfuhr sie.

»Warum?«, wollte Kaspar wissen.

»Warum, was?«, fragte sie, ganz aus ihren Gedanken gerissen, zurück.

»Warum willst du freiwillig in die Hölle, in der du nur eine weitere kleine Hure unter all den großen Dämonen und Teufeln bist, wenn du hier auf Erden doch so mächtig sein kannst?«

Sie sah ihn belustigt an.

»Wer hat denn gesagt, dass ich hinein will?«

Kaspars erstaunter Gesichtsausdruck erfreute sie.

»Du öffnest die Pforte nicht um hineinzuwollen, nein! Du möchtest etwas herausholen.«, wurde ihm klar.

»Ich möchte jemanden herausholen, ja!«

Sie lächelte.

»Wollen wir nun beginnen?«

Kaspar wurde erneut von der unsichtbaren Kraft gepackt und schwebte, ohne sich dagegen wehren zu können, dicht an das große violette Feuer in der Mitte des Steinringes heran. Er konnte die sengende Hitze auf seiner Haut spüren. Die Hexe flog durch die Luft und ließ sich langsam auf einen der großen runden Steine hinab gleiten. Mit gespreizten Beinen, die Arme und Hände dabei weit in den Himmel gerichtet, rief sie ihre magischen Zaubersprüche in den nun immer dunkler werdenden Abendhimmel. Sie stand da, vollkommen nackt, und der Edelstein auf ihrer Brust leuchtete heller denn je. Kaspar wurde, als er in den Himmel sah, erst jetzt bewusst, dass der gesamte Tag verstrichen sein musste. Er war sich daher ziemlich sicher, dass die Hexe ihn in einen magischen Schlaf versetzt hatte, um ihr schauriges Ritual pünktlich zum Anbruch der Nacht beginnen zu können.

Der Vollmond leuchtete hell, und es wurde wahrlich ein gespenstisches Treiben um ihn herum. Den magischen Worten der Hexe folgend, stieg gespenstisch dichter Nebel aus der klaffenden Tiefe, und die wabernden Schwaden umschlossen Kaspar, sodass dieser nichts mehr sehen konnte. Hilflos schaute er den unheimlichen Schatten dabei zu, wie sie in diesem unnatürlichen Dunst wild umhertanzen. Starre Augen belauerten ihn und scharfe Zähnen blitzten auf. Unheimliches Schmatzen, lautes Kreischen und gequältes Stöhnen war zu hören. Der Lärm verstummte, und plötzlich biss und griff etwas nach ihm. Er versuchte sich zu regen, sich zu wehren, doch war dies, wie auch alles andere um ihn herum, nur Spuk und fiel schließlich in sich zusammen, löste sich so schnell wieder in Nichts auf, wie es gekommen war. Das Feuer wechselte die Farbe, nun war es leuchtend grün und kleine Blitze kamen heraus. Diese wurden dann von den Felsen wieder zurückgeworfen. Kleine giftiggrüne Feuerbälle formten sich aus der lodernden Glut und sprangen wie wild umher, bis sie mit lautem Knall plötzlich wieder verschwanden. Im Hintergrund zog ein Sturm auf. Es wehte, und die Flamme fing an zu wirbeln und dies immer schneller.

Walburga ließ sich erfreut in die Luft aufsteigen. Sie schwebte über dem höchsten der runden Steine und gebieterisch ertönte ihre Stimme. Der wilde Flammenwirbel stieg an zu einer mächtigen Feuersäule, die nun hoch in den Himmel ragte. Sie beschwor die dunklen Mächte und schien nichts Menschliches mehr an sich zu haben.

»So höret mich!!!«, rief sie, und ihre Haare wehten im Sturm.

Dann kam sie zu Kaspar hinabgeschwebt, packte ihn grob an seiner Schulter, und ihre Krallen bohrten sich dabei in seine Haut. Er stöhnte auf vor Schmerz, und sie zog ihn mit sich hinauf in die Höhe.

»Nehmt dies Opfer!!!«, rief sie.

Die gigantische Feuersäule teilte sich, und Kaspar meinte undeutlich Umrisse erkennen zu können. Etwas entstieg dem Feuer, etwas dunkles, etwas großes und recht furchteinflößendes. Ein Mischwesen: halb Schlange, halb Mensch! Den Köper einer Schlange, doch hatte es Kopf, Arme und Beine…

»Komm zu mir, Geliebter!«, sagte die Hexe und blickte zufrieden hinab.

Kaspar ahnte, dass es nun bald sterben würde. Er wartete und seine Verzweiflung stieg. Während Walburga triumphierend lachte, zerbrach er sich den Kopf, wie er ihr entkommen konnte.

»Komm zu mir, ja!«, lockte sie mit tiefer Stimme.

Er spürte, wie der Druck in seiner Schulter nachließ. Die Hexe hatte einen kurzen Moment der Schwäche, ließ sich unvorsichtigerweise von ihren Gefühlen leiten. Er war sich nicht sicher… Würde dies ausreichen? Noch bevor sie ihre Unachtsamkeit bereuen konnte, hatte Kaspar ihr die Kette vom Hals gerissen. Er hielt das Schmuckstück fest in seiner Faust, während er hart auf den Boden knallte und sich duckte. Ihre spitzen Fingernägel verfehlten nur knapp seinen Kopf, und sie schrie, schrie laut auf vor Zorn und Hass.

Die Erde erzitterte, brach auf, und der diabolische Feuerspuk stürzte mitsamt der unheimlichen Kreatur hinab in die Tiefe. Kaum war dies geschehen, verschloss sich der riesige Schlund auch schon wieder, ganz wie von selbst, und bis auf ein kleines Feuerchen war nichts mehr von alledem übrig geblieben.

»Du Wurm, was hast du getan!!!«, schrie sie ihn hasserfüllt an.

Kaspar versuchte aufzustehen, doch im Bruchteil einer Sekunde war sie schon über ihm. Ihre Augen glühten ihn wütend an.

»Ich werde dich dafür leiden lassen! Oh ja!«

Er sah, wie sich ihr Gesicht veränderte. Der kraftspendenden Macht des Hexensteins beraubt, wurde sie wieder zur fürchterlichen Kreatur, dem alten scheußlichen Weib.

»Nein, nimmer! Nimmermehr!!! Gib es uns den Stein zurück!«, krächzte sie mit ihrer alten, heiseren Stimme.

Krumm über ihn gebeugt, grabschten ihre knorrigen Hände gierig nach der goldenen Kette, dann packte sie zu. Kaspar hielt so gut es ging dagegen. Während er mit ganzer Kraft zog, spürte er, dass er der Alten nicht mehr lange Widerstand leisten konnte, denn die Hexe war auch ohne die Macht des Hexensteins kräftiger, als jeder normale Mensch. Ihre langen spitzen Fingernägel bohrten sich unerbittlich in seine Haut, und das Blut lief hinab.

»Gib es mir!!! Garstig ist es! So garstig!«, geiferte sie.

Er roch ihren fauligen Atem, und der Sabber spritze ihm ins Gesicht. Die wütende Kreatur zerrte wie wild. Was konnte er nur tun?

»Hier hast du ihn!«, rief Kaspar und ließ die Kette überraschend los.

Die überrumpelte Alte fiel nach hinten und prallte mit ihrem Rücken mit voller Wucht gegen einen der großen, harten Steine. Sie stöhnte auf und schüttelte sich kurz, dann hatte sie sich aber schnell wieder gefangen. Sie lachte und kicherte triumphierend, endlich wieder im Besitz ihres Schatzes zu sein. Ja, Walburga konnte sie spüren, die Macht. Sie durchfuhr erneut ihre alten Glieder, gab ihr neue Kraft. Begierig schloss sie die bleichen Augen, verwandelte sich mit Hilfe des Steins zurück, und als sie ihre strahlend schönen, jungen Augen öffnete, sah sie Kaspar mitten in dessen Gesicht, direkt in seine entschlossenen, blauen Augen und erschrak.

Mit nur einem Hieb hatte er ihre den Kopf vom Hals getrennt, und Ihr Körper fiel in sich zusammen und auf den Boden. Er zuckte noch, als Kaspar triumphierend ihr Haupt an den Haaren in den Abendhimmel hielt.

»Sei verflucht auf ewiggggg!«, gurgelte sie mit blutigem Mund.

»Ddddu und dddeine ggganze Sippe!«

»Das bin ich bereits, Hexe«, antwortete er ihr unbeeindruckt.

»Für all die Kinder wirst du nun bezahlen.«, drohte er.

»Ggggnade…«, winselte sie.

Dann ging er zum Rand der Felsenklippe und schaute hinab in den tiefen Abgrund.

»Nein! Hab dddoch Ggggnade, Fremder«, winselte sie, doch er schüttelte den Kopf.

»Gnade? Dieselbe, die du den Kindern zukommen lassen hast?«

Noch bevor sie ihm antworten konnte, warf Kaspar den Kopf der Hexe hinab. Im Sturz drehte sich dieser mehrmals um sich selbst, und ihre langen Haare wirbelten umher. Er sah, wie ihr Haupt schließlich in einer der tiefen Spalten verschwand. Das Dunkel verschluckte die Ausgeburt der Hölle. Hoffentlich, so wünschte er es sich, für sehr lange Zeit! Er wischte das Blut an seinem Beinkleid ab und steckte den Säbel dann wieder zurück in die kostbare Scheide. Vom ehemals gewaltigen Feuersturm war nur noch ein kleines Feuerchen übrig geblieben, doch dies war ausreichend. Während der Rest der Hexe Walburga langsam in Asche aufging, schrie ihr abgetrennter Kopf in der Tiefe laut auf vor Schmerz und Pein.

Auf dem Rückweg kam Kaspar an einem tiefen Bergsee vorbei. Dessen Wasser war dunkelblau und in der Mitte nahezu schwarz. Er hatte am eigenen Leib erfahren müssen, und dies recht schmerzhaft und beinahe sogar tödlich, wie mächtig der Edelsteins war, den alle gemeinhin nur als Hexenstein bezeichneten. Tief in sich spürte er, dass es falsch gewesen wäre, diesen weiterhin bei sich zu tragen. Sollte doch das Schicksal darüber entscheiden, wer dessen neuer Besitzer sein würde. So griff er in die Tasche, zog die goldene Kette hervor und nahm den Edelstein sorgfältig ab. Die Kette steckte er wieder zurück. Dann holte er weit aus, warf, und der Stein plumpste ins dunkle Nass. Er sank schnell hinab, bis er schließlich ganz in der Tiefe verschwunden war. Keiner würde ihn so ohne weiteres finden können. Erleichtert setzte er seinen Weg fort. Er wollte unbedingt noch in Erfahrung bringen, was mit den Kindern geschehen war, bevor er sich wieder auf seinen Heimweg machen konnte.

Als er schließlich nach einiger Zeit und etwas Mühe das Haus der Besenbinderfamilie erreicht hatte und ihn die beiden Kinder überglücklich begrüßten, war er froh und erleichtert zugleich. Er drückte sie, und als den verdutzten Eltern nun langsam dämmerte, wer dort eigentlich vor ihrer Türe stand, fingen sie an sich bei ihm zu bedanken. Kaspar musste ihnen alles berichten und dies tat er auch. Natürlich nur das, was er ihnen auch erzählen wollte und konnte. Und die Kinder erzählten ihm, wie sie ganz alleine den restlichen Weg zurückgelegt und außerdem dabei auch sein Säcklein mitgebracht hatten. An jenes hatte Kaspar gar nicht mehr gedacht. So wurde der fremde Mann ein Freund der Familie, und er verbrachte noch einige erholsame Tage im Haus der armen, aber sehr gastfreundlichen Besenbinderfamilie. Sie waren einfache Leute, und zum Dank für ihre Gastfreundschaft und weil er selber ja genug besaß, jedenfalls mehr als er eigentlich benötigte, überließ er ihnen all die Juwelen und Goldstücke, die er in der Hexenhütte eingesammelt hatte. Die Besenbinderfamilie brauchte fortan nie mehr Hunger leiden. Jedoch mussten sie ihm im Gegenzug versprechen, dass niemand davon erfahren durfte, dass eigentlich er es gewesen war, der die Hexe zur Strecke gebracht hatte. Dies versprachen sie ihm, und so ersannen sie gemeinsam ihre ganz eigene Version des Geschehenen. Diese erfuhren dann auch die neugierigen Leute, die alles genau wissen wollten, denn das ganze Dorf freute sich darüber, dass die Knusperhexe nun für ewig besiegt war.

So wurde die Mär über Generationen hinweg weitererzählt. Und so wie es bei solchen Dingen meist geschieht, dabei ein wenig verändert, noch etwas hinzugefügt oder gar ganz weggelassen. Die beiden Kinder, die Hütte und auch die Hexe wurden schließlich zur Legende, zum Märchen, doch Kaspar kam darin nicht mehr vor, und darüber war er sehr froh.

Die goldene Kette des Hexensteins tauschte er schließlich gegen ein sehr gutes Pferd, mehr als genug Proviant und einiges an Kleidung ein und machte sich dann alsbald daran den Rückweg anzutreten. Die beiden Kinder und ihre Eltern winkten ihm zum Abschied, während er seinem Pferd die Sporen gab.

Kaspar hatte sie vor dem sicheren Tod bewahrt und den Namen des Dämons erfahren, somit konnte er eigentlich recht zufrieden mit sich sein. Eng war es gewesen, ja, aber dies war es ja meist! Und auch nur eine weitere, kleine Etappe auf dem noch weiten Weg hin zum großen Finale. Hier war die Welt jedoch von einem Übel befreit worden, und er seinem großen Ziel einen weiteren, sehr wichtigen Schritt näher gekommen. Dies munterte ihn dann doch noch ein wenig auf, während er allmählich den Harz hinter sich ließ und weiter gen Süden ritt.

Doch war das Übel in diesem sagenumwobenen Teil des Mittelgebirges nicht gänzlich vernichtet, nein! Es sollte weiterleben, bis in die heutige Zeit hinein. Und so ist manchmal, meist in kalten und dunklen Abendstunden und nur wenn man sehr still lauscht, leise noch ein unheimliches Fluchen aus der Tiefe zu hören, jedoch so undeutlich, dass es auch nur als Plätschern des Wassers gedeutet werden könnte.

Kaspar's sagenhafte Abenteuer

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