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Vorbemerkung des Herausgebers

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Mit einem großen Dirigenten zusammenzuarbeiten, ist immer ein Privileg. Bei jeder Begegnung lernt man etwas hinzu. Und je bedeutender der Dirigent, desto mehr Wahrhaftigkeit verströmt seine Musik. Oder, um es mit Tolstoi und seiner KREUTZERSONATE zu sagen: Vielleicht hat Musik ja tatsächlich vor allem die Aufgabe, den Menschen zu verstören. Und erst ein Dirigent von Rang ist in der Lage, ihre wahre Natur zu enthüllen …

Als Riccardo Muti, den ich nicht nur in meiner Eigenschaft als Musikkritiker all die Jahre auf dem Podium erleben durfte, sondern zu dem auch jenseits von Opernaufführungen, Rezensionen und Theaterbetrieb ein persönlicher Kontakt besteht, mich eines Tages bei einem Abendessen fragte, ob ich nicht Lust hätte, mit ihm zusammen ein Buch über seine Erfahrungen mit Verdis Musik herauszugeben, da konnte ich folglich gar nicht anders, als Ja zu sagen.

Die Zusammenarbeit mit dem Maestro zu schildern ist allerdings nicht einfach. Aber nicht etwa, weil er anstrengend oder schwierig im Umgang wäre – ganz im Gegenteil! Ihm ist noch immer die Fähigkeit des Staunens vergönnt, wenn er von Musik spricht, auch wenn er ihr sein ganzes Leben verschrieben und dabei weder Energie noch Leidenschaft gescheut hat. Wie ein Verliebter widmet er sich voller Hingabe hier einer kurzen Passage, dort einer vokalen oder instrumentalen Wendung, setzt sich mit dem Libretto auseinander oder beschäftigt sich mit den Briefen Verdis, bevor er eine musikalische Entscheidung trifft. Er probt ohne jede Ermüdungserscheinung, genau wie seine verehrten Vorgänger und Vorbilder. Wieder und wieder nimmt er sich die einzelnen Stimmen vor, korrigiert winzige Details, bittet darum, eine Stelle noch einmal zu wiederholen, oder zitiert wörtlich, was Verdi oder der entsprechende Komponist dazu geäußert hat. Ich weiß genau, dass er bisweilen Stunde um Stunde über dem Studium einer Partiturseite verbringt; und wenn er Zweifel hegt, dann macht er daraus keinen Hehl. Riccardo Muti gehört, wie man sieht, zu jener aussterbenden Spezies von Dirigenten, die jeden Takt einer Oper so lange proben, bis Sänger und Orchestermusiker die geforderte Übereinstimmung mit seiner interpretatorischen Vorstellung erreicht haben. Und so wie er alle Mitwirkenden aufs Äußerste fordert, so fordern Sänger und Orchester auch ihn. Wenn Muti am Pult steht, dann wissen alle sehr genau, dass von ihnen das Maximum abverlangt wird – so wie sie es auch von dem Maestro erwarten.

Ich erwähne bewusst diese Details, um ein wenig den Arbeitsstil Riccardo Mutis zu erläutern. Entstanden ist das vorliegende Buch zwischen Probe und Premiere, im Anschluss an ein Vorsingen oder an Tagen, die ganz dem Partiturstudium gewidmet waren. Mal trafen wir uns in seinem Haus in Ravenna, dann wieder in einer stillen Ecke in der Oper in Rom.

Die Gedanken Mutis haben wir aufgezeichnet und transkribiert, anschließend überarbeitet und geordnet, bis ein richtiges Buch daraus geworden ist. Der einzige Eingriff betraf die Zusammenführung der verschiedenen Anmerkungen des Maestros zu einer Oper oder zu einem Thema. So konnte es vorkommen, dass er im Zusammenhang mit AIDA plötzlich noch eine ergänzende Bemerkung über LA TRAVIATA machte; sinnvollerweise wurde sie dort eingefügt, wo diese Oper in größerem Umfang abgehandelt wird.

Ansonsten ist abgesehen von ein paar Erinnerungen an vergangene Zeiten nichts weiter ergänzt worden, denn dieses Buch soll explizit Mutis Blick auf »seinen« Verdi widerspiegeln, den er in den Jahren 2011/2012 gewonnen hat. Natürlich hätte man noch vielerlei hinzufügen, sich in tausenden von Details erschöpfen und einige der vielen bekannten und unbekannten Anekdoten zum Besten geben können – aber der Maestro hat anders entschieden. Meine Aufgabe war es dann noch, den roten Faden einzuweben, der sich durch das künstlerische Dasein des Dirigenten zieht.

Mit Verdi hat sich Riccardo Muti Zeit seines Lebens am meisten und am intensivsten beschäftigt, als beständige Herausforderung und von bleibendem Erfolg gekrönt. Was nicht heißt, dass seine Liebe zu Mozart oder Cherubini oder sein Engagement für die Komponisten der Neapolitanischen Schule außer Acht gelassen werden sollten! Die legendäre Aufführung des DON GIOVANNI 1987 an der Mailänder Scala in der Regie von Giorgio Strehler wird für immer unvergessen bleiben, genauso wie die Konzerte mit den neun Sinfonien Beethovens unauslöschlich in die Annalen jenes Theaters eingegangen sind. Doch Verdi ist sozusagen zu Mutis geistigem Leitstern geworden.

Er verdankt diesem Komponisten viel, aber man kann es auch umgekehrt formulieren: Verdi hätte in den letzten Jahrzehnten wahrlich Anlass genug gehabt, sich immer wieder bei Muti zu bedanken. Die folgenden Seiten geben eindrucksvoll Aufschluss, welche Fähigkeiten ein Dirigent einsetzen muss, um gewissenhaft den Vorgaben des Komponisten zu folgen und dabei den Unarten der heutigen Aufführungspraxis die Stirn zu bieten.

Nicht selten hat der Maestro mutwillige Veränderungen oder Ergänzungen von Sängern gekippt und ihnen unangemessene Gesten abgewöhnt – etwa dem Bariton, der sich mit der Hand am Herzen in Richtung Olymp verneigte, oder der Sängerin, die allzu exaltiert auf der Bühne herumturnte. Er hat Verdi seine rechtmäßige Würde wiedergegeben und Unsitten abgeschafft, die sich seit über einem halben Jahrhundert auf der Bühne eingeschlichen haben, ohne dass Verdi sie jemals vorgesehen hätte. In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts grassierte beispielsweise die furchtbare Angewohnheit der arie di baule, der »Arien aus dem Koffer«, die von den reisenden Sängerstars ohne Sinn und Verstand in die jeweilige Oper hineingepfropft wurden, nur um den Beifall des Publikums hervorzukitzeln. Und auch im zwanzigsten Jahrhundert wie in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends hat man sich nicht von gewissen theatralischen Auswüchsen befreien können. Muti dagegen ist es ein Anliegen, immer direkt zu Verdi, zum Ursprung des Werkes zurückzukehren und ohne zu zögern all das zu beschneiden, was nicht der Kunst und dem künstlerischen Willen des Komponisten entspricht.

Ich habe, wie gesagt, enorm viel bei meinen Begegnungen mit dem Maestro gelernt. Mir ist klar geworden, dass ohne ein intensives Partiturstudium, ohne langwierige Proben und ohne die beharrliche Arbeit am Werk in der Musik gar nichts geht. Die Kunst der Muse Euterpe gleicht einem Parcours mit vielen Hindernissen, den man mit harter Disziplin und ohne Zaudern zu absolvieren hat. Die Zeit, die ein Musiker in die Interpretation und Darbietung einer Komposition investiert, wird von der Musik selbst auf verschiedenste Weise belohnt. Ich denke dabei nicht an etwas so Äußerliches wie den Applaus – auch wenn er dazu gehören mag –, sondern an eine Art metaphysische Belohnung. Früher oder später nehmen das auch die Zuhörer wahr, selbst wenn heute der Grad der Ablenkung viel höher ist als noch vor einigen Jahren. Doch wie heißt es so schön: Jede Zeit empfindet das, was sie zu empfinden vermag, und sie versteht so viel, wie sie zum Leben braucht. Oder zum Überleben – was wohl die bessere Formulierung für eine Zeit wie die unsere wäre.

Beinahe überflüssig zu sagen, dass für die interessanten Entdeckungen, die sich in den nachfolgenden Kapiteln machen lassen, der Dank an Maestro Muti geht, der fraglos der Spiritus rector dieses Buches ist. Sollten Sie dagegen auf den einen oder anderen Fehler stoßen, dann liegt die Schuld ganz sicherlich bei dem, der das Buch – unter Wahrung des ursprünglichen Geistes der Gespräche – herausgegeben hat.

Mein Dank gilt auch der Redaktion des Verlages Rizzoli, Lydia Salerno und Caterina Soresina Stoppani, den beiden Schutzengeln dieses Unternehmens.

Armando Torno

Mein Verdi

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