Читать книгу Willard und seine Bowlingtrophäen - Richard Brautigan - Страница 6
Die Griechische Anthologie
ОглавлениеSchwerfällig drehte Constance sich auf dem Bett herum und sah ihn aus dem Zimmer gehen.
„Ich hab den ganzen Tag daran gedacht“, sagte Bob. „Ich möchte, dass du es hörst“, verklang seine Stimme im Flur auf dem Weg in ein anderes Zimmer.
Schwerfällig lag sie da und wartete auf seine Rückkehr. Sie dachte, er würde nur einen Augenblick weg sein, aber er blieb fast zehn Minuten weg.
Die Luft im Schlafzimmer war warm und unbeweglich. Es war ein ungewöhnlich warmer Septemberabend in San Francisco, aber das Fenster war geschlossen, und die Jalousien waren heruntergelassen.
Und das war gut so.
Er kann das Buch nicht finden, dachte sie.
Ständig verschusselte er was. Schon seit vielen langen Monaten hatte er große Mühe, irgendwas auf die Reihe zu bringen. Das machte sie traurig, denn sie liebte ihn.
Sie seufzte, was leicht schallgedämpft herauskam, wegen des Taschentuchs, das locker in ihren Mund gestopft war. Sie hätte das Taschentuch leicht mit der Zunge aus dem Mund drücken können, wenn sie gewollt hätte.
Bob brachte jetzt nichts mehr auf die Reihe.
Er konnte sie nicht mal vernünftig knebeln.
Aber natürlich hatte er ihr die Hände zu stramm gefesselt und die Füße zu locker, und sie gab noch einen Seufzer von sich, einen leicht schallgedämpften, während sie darauf wartete, dass er das Buch finden würde, das er verschusselt hatte, was typisch für alles war, was er jetzt machte.
Er war nicht immer so gewesen, und sie fühlte sich deswegen schuldig, weil es zum Teil auch ihr Fehler war, denn die Warzen hatte er von ihr und nachdem er die Warzen gekriegt hatte, fing das ganze Theater an.
Die Lampe, die von der Decke hing, hätte eine Hundertwattbirne haben sollen, aber stattdessen war es eine Zweihundertwattbirne. Auf sein Betreiben. Sie mochte es nicht so hell. Er ja.
Endlich kam er ins Zimmer zurück, mit dem Buch, und sie drückte den Knebel aus dem Mund und sagte: „Meine Hände sind zu stramm.“
„Ach“, sagte er und sah auf sie hinunter vom Buch in seiner Hand, das auf einer bestimmten Seite aufgeschlagen war, die er gleich laut vorlesen wollte.
Er legte das Buch auf das Bett, immer noch auf der Seite aufgeschlagen, von der er vorlesen wollte. Er setzte sich neben sie, und sie rollte sich schwerfällig auf den Bauch, so dass er an den Knoten im Seil kommen konnte. Sie hatte nichts an, und sie hatte einen hübschen Körper.
Er fesselte ihr die Hände neu, damit sie nicht so stramm waren, aber immer noch stramm genug, so dass sie sie nicht lockern konnte.
„Fessel mir die Füße neu“, sagte sie. „Sie sind zu locker.“
Wenn er schon Amateursadist sein will, dachte sie, kann ich wenigstens dafür sorgen, dass er’s richtig macht.
Sie war sehr enttäuscht von ihm. Selbst Perfektionistin in allem, was sie tat, ärgerte sie seine jüngst entdeckte Unfähigkeit sehr.
Schon seit Monaten, seitdem er auf diesem Amateursadistentrip war, dachte sie: Jemanden fesseln und knebeln kann doch jeder, wieso er denn nicht?
Warum bringt er nichts auf die Reihe und überwässert die Pflanzen und lässt Sachen aus der Hand fallen und stolpert über Sachen und macht Sachen kaputt und vergisst, wovon er redet, in etwa fünfzig Prozent aller Fälle mitten im Satz, den er gerade sagt, aber es macht wohl eigentlich nicht viel aus, denn er sagt ja sowieso nichts von Belang, und das geht jetzt schon seit Monaten so, seit sie ihn mit den Warzen angesteckt hatte, aber hatte sie nicht auch unter ihnen zu leiden gehabt, ist die ganze Zeit zum Arzt gegangen und hat die Warzen in der Scheide mit einer elektrischen Nadel abbrennen lassen und ist dann mit dem Bus nach Hause gefahren und hat die Tränen zurückgehalten an einem einsamen beweglichen Ort voller stummer Fremder? … ach Gott … ach, na ja … wir könnten tot sein. Vielleicht ist dies ja besser als tot sein. Keine Ahnung.
Nachdem er ihr die Füße neu gefesselt hatte, machte er Anstalten, das Buch aufzuheben, aus dem er eben hatte vorlesen wollen.
Dann merkte er, dass der Knebel nicht mehr im Mund steckte. Er legte das Buch wieder hin und beugte sich über sie. Sie wusste, was er wollte und was er tun würde.
Sie öffnete den Mund so weit sie konnte.
Er wurde plötzlich nervös. Manchmal drückte er ihr, wenn er sie knebelte, einen Teil des Knebels mit dem Daumen gegen die Unterlippe und tat ihr am Mund weh, wenn er reinkam, und sie wurde dann richtig sauer auf ihn und fluchte: „ARSCHLOCH!“ Dann war der Knebel in ihrem Mund, und ihre Flüche waren gedämpft, unartikuliert, aber er wusste, was sie sagte, und er fühlte sich immer mies, und manchmal wurde er rot, und seine Ohren prickelten vor Scham.
Dann blitzte sie zu ihm hoch, aus wunderschönen grünen Augen. Er wandte sich von ihnen ab und wartete, bis sie sich beruhigt hatte.
Er war ungern ein Versager, aber er konnte nichts dagegen tun. Es ging schon seit Monaten so, und er fühlte sich dabei auch nicht sehr wohl.
Daran, wie weit sie gerade den Mund geöffnet hatte, merkte er, dass er seine Nervosität lieber in den Griff kriegen und ihr nicht wehtun sollte, wenn er ihr den Knebel in den Mund zurückschob.
Ihr Mund war zart, die Zunge starr und rosa. Der Knebel war schon sehr nass von ihrer Spucke. Er hatte ihn ihr behutsam in den Mund zurückgeschoben und darauf geachtet, ihr mit dem Daumen nicht wehzutun. Er nahm den Zeigefinger und drückte den Knebel in alle Nischen ihres Mundes zurück.
Sie lag auf dem Bauch, die Hände auf dem Rücken gefesselt, sie ruhten unmittelbar überm Arsch. Den Kopf hatte sie in den Nacken geworfen, auf dass er sie leichter knebeln könnte.
Das hatten sie viele Male gemacht.
Die Zimmerlampe brannte hell, und zwar zu grell.
Sie hatte langes blondes Haar.
Nur ein kleiner Zipfel vom Knebel lugte zwischen ihren Zähnen hervor. Ganz behutsam stopfte er ihr den Zipfel in den Mund. Dann beförderte er ihr den Knebel mit einem kräftigen Schubs mit dem Finger direkt in den Mund zurück, um ihre Zunge völlig unbeweglich zu machen, unfähig zum Rausdrücken des Knebels.
Er war sehr nervös und versuchte, sich zusammenzureißen, denn er wollte ihr nicht wehtun, aber er wollte auch, dass der Knebel fest im Mund steckte.
Sie stöhnte hinter dem Knebel, als er anfing, ihn mit dem Finger an seinen Platz zurückzuschieben. Sie wälzte den Kopf heftig hin und her, als ob sie dem Finger entfliehen wollte, der den Knebel gegen ihre Zunge drückte.
Er drückte noch ein paar Sekunden weiter, und dann wusste er, dass er an Ort und Stelle war und sie ihn nicht mit der Zunge austreiben konnte.
In etwa einem von zehn Fällen knebelte er sie richtig. Er packte es einfach nicht mehr. Er wusste, dass seine Fehlschläge sie irritierten, aber was hätte er tun sollen?
Sein ganzes Leben war ein elendes, klägliches Chaos.
Eine Zeitlang hatte er Klebeband genommen. Das Band hatte sie immer ordentlich geknebelt, aber sie hatte es nicht leiden können, wie weh es tat, wenn er es abriss. Selbst wenn er es ganz behutsam abriss, tat es noch höllisch weh, also musste das Klebeband weg.
„Nein“, hatte sie zum Klebeband gesagt, und er wusste, dass es nein bedeutete. Sie hatte vorher noch nie nein gesagt, also nahm er das Klebeband nicht mehr.
Er zog den Finger aus ihrem Mund und streichelte ihr Profil. Ihr Kopf entspannte sich. Er streichelte ihr Haar. Sie starrte stumm zu ihm hoch. Sie hatte wirklich sehr schöne Augen. Alle sagten das ständig zu ihr. Schwerfällig kroch sie zu ihm hin, bewegte den Körper Zoll um Zoll. Es war mühsam, aber sie brachte ihren Kopf auf seinen Schoß, und sie starrte zu ihm hoch. Ihr Haar ergoss sich über seinen Schoß wie blondes Wasser.
Sie liebte ihn wirklich.
Das machte alles so schlimm.
„Kannst du richtig atmen?“, fragte er.
Sie nickte leicht, zum Zeichen, dass sie richtig atmen konnte.
„Tut der Knebel weh?“
Sie schüttelte leicht den Kopf, zum Zeichen, dass der Knebel nicht wehtat.
„Möchtest du hören, was ich heute gelesen habe?“
Sie nickte leicht, zum Zeichen, dass sie hören wollte, was er heute gelesen hatte.
Er hob das Buch auf.
Es war ein sehr altes Buch.
Er las ihr vor: „,O Armut, du kummervolles und wehrloses Weh, die du mit deiner Schwester Hülflosigkeit ein gar großes Volk knechtest …‘“
Sie starrte zu ihm hoch.
„Das ist Alkäus aus der Griechischen Anthologie“, sagte er. „Das ist vor über zweitausend Jahren geschrieben worden.“ … ach Gott, dachte sie und gab sich große Mühe, nicht zu weinen, denn sie wusste, wenn sie zu weinen anfinge, würde er sich noch mieser fühlen, und er hatte sich schon lange ziemlich mies gefühlt.