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6. Das Glückskind und das Unglückskind

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Es war einmal ein stolzer Fürst, der hatte eine Tochter. Die Tochter aber war ein Unglückskind. Als die Zeit herangekommen war, da sie heiraten sollte, da ließ sie alle Freier sich vor ihres Vaters Schloss versammeln. Sie wollte einen Ball von roter Seide unter sie werfen, und wer ihn fing, der sollte ihr Gatte werden. Da waren nun viele Fürsten und Grafen vor dem Schloss versammelt. Mitten unter ihnen stand aber auch ein Bettler. Und die Prinzessin sah, dass ihm Drachen zu den Ohren hinein krochen und zur Nase wieder herauskamen; denn er war ein Glückskind. Da warf sie den Ball dem Bettler zu, und er fing ihn auf.

Erzürnt fragte ihr Vater: »Warum hast du den Ball dem Bettler in die Hände geworfen?«

»Er ist ein Glückskind«, sagte die Prinzessin, »ich will ihn heiraten, vielleicht bekomme ich dann Teil an seinem Glück.«

Der Vater aber wollte das nicht leiden, und als sie standhaft blieb, da trieb er sie im Zorn aus dem Schlosse.

So musste die Prinzessin mit dem Bettler ziehen. Sie wohnte mit ihm in seiner kleinen Hütte und musste Kräuter und Wurzeln suchen und selber kochen, damit sie nur etwas zu essen hatten, und oftmals hungerten sie auch beide.

Eines Tages sprach der Mann zu ihr: »Ich will ausziehen und mein Glück versuchen. Wenn ich’s gefunden habe, will ich wiederkommen und dich holen.« Die Prinzessin sagte ja, und er ging weg. Achtzehn Jahre blieb er weg. Und die Prinzessin lebte in Not und Kümmernis; denn ihr Vater blieb hart und unerbittlich. Wenn ihre Mutter nicht im Stillen ihr Geld und Nahrung zugesteckt, so wäre sie wohl gar Hungers gestorben in der langen Zeit.

Der Bettler aber fand sein Glück und wurde schließlich Kaiser. Er kam zurück und trat vor seine Frau. Die aber kannte ihn nicht mehr. Sie wußte nur, dass er der mächtige Kaiser war.

Er fragte sie, wie es ihr gehe.

»Warum fragt Ihr mich, wie es mir geht?« erwiderte sie. »Ich bin doch viel zu gering für Euch.«

»Und wer ist denn dein Mann?«

»Mein Mann war Bettler. Er ging hinweg, sein Glück zu suchen. Nun sind es schon achtzehn Jahre, und er ist immer noch nicht zurück.«

»Was tust du denn in dieser langen Zeit?«

»Ich warte auf ihn, bis er wiederkommt.«

»Willst du nicht einen anderen zum Manne nehmen, da er so lange ausbleibt?«

»Nein, ich bleibe seine Frau bis in den Tod.«

Als der Kaiser die Treue seiner Frau sah, da gab er sich ihr zu erkennen, ließ sie in prächtige Gewänder kleiden und nahm sie mit sich in sein Kaiserschloß. Da lebten sie nun herrlich und in Freuden.

Nach einigen Tagen sprach der Kaiser zu seiner Frau: »Wir leben jeden Tag so festlich, als wenn Neujahr wäre.«

»Sollen wir nicht festlich leben«, sprach die Frau, »da wir doch Kaiser und Kaiserin sind?« —

Die Frau war aber doch ein Unglückskind. Als sie achtzehn Tage Kaiserin gewesen war, da ward sie krank und starb. Der Mann aber lebte noch lange Jahre.

Märchen aus China

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