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Vergänglichkeit

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Eines der Merkmale der ersten edlen Wahrheit ist die Vergänglichkeit. Das bedeutet, dass unser jetziges Dasein und alles, was dazu gehört, vergänglich ist.

Die Gesamtheit der existenten Objekte kann in zwei Gruppen unterteilt werden: in die zusammengesetzten und die nichtzusammengesetzten Objekte. Zu den zusammengesetzten Objekten gehören alle materiellen Dinge, alle Formen von Bewusstsein, und die sogenannten nichtzugeordneten Dinge. Nichtzugeordnete Dinge sind nichts anderes als Dinge, die zwar zusammengesetzt sind, aber weder als Materie noch als Geist klassifiziert werden. Ein Beispiel dafür ist Person. Eine Person ist ein zusammengesetztes Objekt, aber weder Materie noch Geist. Ebenso verhält es sich mit der Zeit. Die Zeit ist ein zusammengesetztes Objekt, aber weder Materie noch Geist. Zeit besteht in einer anderen Art als Materie oder Geist.

Zusammengesetzt bedeutet, dass ein Objekt aus Teilen zusammengesetzt ist. Materie ist eine Anhäufung von kleinsten Partikeln. Auch Geist setzt sich aus Teilen zusammen, und zwar aus den einzelnen geistigen Augenblicken. Ebenso setzt sich eine Person aus ihren Teilen zusammen, aus ihren Aggregaten, wie Körper, Geist, Empfindungen und so weiter. Zeit ist ebenfalls zusammengesetzt, und zwar aus Jahren, Monaten, Minuten, Sekunden, Momenten.

Alle zusammengesetzten Dinge haben die Eigenschaft, vergänglich zu sein. Die Wesen sind vergänglich. Unser Körper und unser Geist sind vergänglich. Die Person ist vergänglich. Unsere Leiden sind vergänglich, und unser Glück ist vergänglich. Alles Leben ist vergänglich. Vergänglichkeit heißt auf Sanskrit Anitya, was auch unbeständig bedeutet.

Unbeständigkeit wird im Buddhismus sehr subtil beschrieben. Jedes unbeständige Objekt verweilt nur einen Augenblick lang. Das bedeutet, es entsteht, und es vergeht sofort wieder, es dauert nur einen Augenblick lang an. Die Dauer eines Augenblicks wird als ein Fünfundsechzigstel der Dauer des Geräusches beschrieben, das beim Schnalzen der Finger einer gesunden Person entsteht. Das ist eine sehr kurze Zeitspanne. Unter subtiler Vergänglichkeit versteht man, dass alle zusammengesetzten Dinge während der Dauer einer so kurzen Zeitspanne verweilen, vergehen und in ähnlicher Art wieder entstehen. Das ist nicht leicht nachzuvollziehen, ist aber dennoch die Wirklichkeit. Subtile Vergänglichkeit ist in allen zusammengesetzten Objekten immer gegenwärtig. Diese Veränderungen gehen so schnell vor sich, dass wir sie mit unserem gegenwärtig sehr langsam funktionierenden Bewusstsein nicht wahrnehmen können. Was wir wahrnehmen, ist die Wirkung der subtilen Vergänglichkeit, nämlich die grobe Vergänglichkeit.

Die grobe Vergänglichkeit ist wie ein oberflächliches Zeichen der fortwährend stattfindenden subtilen Vergänglichkeit. Wir sehen zum Beispiel, wie eine Person langsam älter oder größer wird, wie Dinge langsam alt werden und eines Tages kaputtgehen, wie eine Blume wächst und verwelkt oder ein Baum langsam zerfällt. Was wir sehen, ist nur die grobe Form der Vergänglichkeit. Diese Vergänglichkeit, dieser Alterungsprozess setzt aber nicht von einem Tag auf den anderen ein. Er findet ständig statt, pausenlos: Entstehen, Vergehen, Entstehen, Vergehen, ohne Unterlass. Was bleibt, ist eine ähnliche Kontinuität der entsprechenden Objekte.

So können wir uns fragen: Was bleibt von einer Person von heute bis morgen? Was bleibt von unserem geistigen Kontinuum, unserem Bewusstsein und was von den materiellen Dingen? Unser Körper bleibt von heute auf morgen nicht der gleiche, sondern er ist lediglich ein ähnliches Kontinuum. Die Ähnlichkeit in dieser Kontinuität verleitet uns dazu zu glauben, es handle sich immer um das gleiche Objekt. In Wirklichkeit aber bleiben die Dinge niemals gleich. Es ist wie bei einem Fluss: Der Strom zum Beispiel, der durch Westdeutschland fließt, scheint immer der gleiche Rhein zu sein. Er ist aber niemals der gleiche, denn laufend fließt anderes Wasser durch das Flussbett. Wenn wir aber in den Rhein blicken, scheint es sich immer um den gleichen Fluss zu handeln. Der Rhein scheint immer gleich zu sein, ist es aber zu keiner Zeit.

In Wirklichkeit bleiben alle zusammengesetzten Dinge, unser Körper, unser Geist, unsere Person ebenso wie ein Fluss niemals gleich. Die Person, die zum Beispiel diesen Vortrag gehalten hat, ist schon lange vergangen. Sie ist nicht mehr da. Was noch da ist, ist ihre ähnliche Kontinuität. Das trifft nicht nur auf den Vortragenden zu, sondern auch auf alle Zuhörer. Wenn wir uns jedoch ansehen, denken wir, es handle sich immer um die gleiche Person.

Der Grund dafür, dass wir das so betrachten, liegt an unserem Greifen nach Beständigkeit. Dieses Greifen nach Beständigkeit ist sehr tief in uns verankert, weil wir die subtile Vergänglichkeit nicht wahrnehmen. Wir können nur mit logischer Begründung verstehen, dass die subtile Vergänglichkeit eine Realität ist. Wir können sie aber nicht direkt wahrnehmen, so, wie wir etwa eine Flasche vor unseren Augen wahrnehmen. Aus diesem Grund können wir diese subtile Vergänglichkeit nicht erfassen und unterliegen einer Täuschung. Wir denken, alles bleibe gleich. Das Greifen nach dieser Beständigkeit ist eine grundlegende Fehlauffassung, die wir alle haben. Diese Auffassung ist nicht nur falsch, sondern kann auch sehr schädlich sein. Dieses Greifen nach Beständigkeit ist einer der Hauptgründe für unsere Anhaftung gegenüber Besitz, Geld, Freunden und so weiter. Ein starkes Hängen beruht auf einem Greifen nach Beständigkeit. Obwohl wir intellektuell wissen, dass wir ganz und gar nicht beständig sind, haben wir spontan die Auffassung: "Ich bin immer da; ich werde, wie auch alle anderen, noch lange Zeit da sein." Sowohl unsere Freunde wie auch unsere Feinde sind in unseren Augen beständig. Dadurch hängen wir an unseren Freunden und hegen Hass gegenüber unseren Feinden.

Manche Personen besitzen ein Vermögen, das so groß ist, dass es für mehrere Leben reichen würde. Dennoch haben sie oft den Eindruck, sie hätten nicht genug. Sie sammeln immer noch und haben Angst, etwas zu verlieren. Das führt zu unendlichen Problemen. Manche trachten danach, ihre Feinde zu töten, weil sie denken, diese Feinde seien sonst für immer da. In Wirklichkeit sind Freunde und Feinde, alle sehr vergänglich. Eines Tages wird von allen niemand mehr da sein. Auch die Feinde sterben ohnehin - ohne dass man sie tötet.

Wenn Buddha sagt, "alles Zusammengesetzte ist vergänglich", bezieht sich vergänglich auf die subtile Veränderung. Was wir von außen beobachten können, sind die groben Veränderungen. Wir können sehen, wie ein ganzes Land entsteht und zerfällt, ebenso wie Familien und einzelne Personen. In Wirklichkeit sind zu jeder Zeit alle materiellen und alle geistigen Dinge vergänglich, ebenso wie alle nichtzugeordneten Objekte, wie zum Beispiel Personen.

Vergänglichkeit ist ebenfalls eine Eigenschaft der edlen Wahrheit des Leids. Unser bedingtes Dasein ist leidvoll, denn es ist ein Dasein ohne wirkliche Freiheit, birgt viele leidvolle Erfahrungen und ist vergänglich.

Buddhas erste Unterweisung

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