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DREI

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Als Lea am Montag zur Redaktionskonferenz ging, hätte sie am liebsten gesungen. Endlich hatte sie ihren Aufmacher: Titelblatt, drei Bilder, fette Überschriften. Eine halbe Seite über den Mord im Paradies.

Das Telefon hatte die letzten zwei Stunden nicht still gestanden. Bild-Zeitung, die Kollegen verschiedener Illustrierter und privater Fernsehsender hatten sie um Hintergrundinformationen angebohrt. Um zehn Uhr war der Badische Morgen ausverkauft.

Sobald klar war, wer die Tote war, deren Foto rechts oben auf der Seite prangte, würde sie mit ihrer Recherche richtig loslegen und versuchen, Polizei und Staatsanwaltschaft immer eine Nasenlänge voraus zu sein. Den Volontär der Lokalredaktion, Franz Abraham, hatte sie kurzfristig für sich abgezogen. Er konnte gut schreiben und noch besser fotografieren, und er war hungrig nach Storys. Aus ihm konnte etwas werden. Genau der Richtige, um sie zu unterstützen.

Kurz vor der Tür zur Chefredaktion klingelte ihr Handy. Lea dachte sofort an Trixi Völker. Die Frau hatte sich das ganze Wochenende nicht gemeldet und hatte ihr Gerät sogar so ausgeschaltet, dass nicht einmal die Mailbox ansprang. Aber es war Frau Campenhausen, die sich für die Störung entschuldigte und berichtete, dass sie ihr Mienchen gerade abgeholt hatte. »Keine inneren Verletzungen, so ein Glück. Stellen Sie sich das mal vor. Nur die rechte Vorderpfote ist geschient. Ich –«

Lea drückte die Türklinke nach unten. »Frau Campenhausen, das ist sehr schön. Ich komme heute bei Ihnen vorbei, und dann feiern wir das, in Ordnung? Aber jetzt ...«

»O ja. Ich koche Ihnen etwas Schönes.«

»Nein, lieber nicht. Ich weiß ja nicht, wie spät es wird. Ich rufe Sie später wieder an.«

Lächelnd stieß sie die Tür zum Konferenzraum auf. Sie freute sich für die alte Dame, dass der Unfall so glimpflich abgelaufen war. Mehr aber freute sie sich auf das, was gleich kommen würde. Einer der Kollegen mit den festen Sitzplätzen am großen Besprechungstisch würde aufstehen und den Stuhl für sie räumen und ihr dabei auf die Schulter klopfen. Reinthaler würde ihr anerkennend zunicken und sich erkundigen, wie es mit dem Fall weitergehe und was sie für die morgige Ausgabe einplanen sollten. Es würde so ähnlich sein, wie sie es fünfzehn Jahre gewohnt gewesen war. Mit der Zeit hatte sie gelernt, es zu genießen, obwohl sie eigentlich tief im Innern schüchtern war und sich unsicher fühlte, wenn alle sie anstarrten. Doch diese Schüchternheit hatte sie schon als Volontärin in den Außenredaktionen versteckt und überspielt, wenn sie quer durch voll besetzte Festzelte stapfen musste, um verdiente Feuerwehrleute oder Sangesbrüder auf der Bühne abzulichten.

Es war ein langer Prozess gewesen, dieses flaue Gefühl abzuschütteln. Kritischer Journalismus war ihr Leben. Es bereitete ihr Genugtuung, Fehlverhalten der angeblich unfehlbaren Obrigkeit aufzudecken, Willkür anzuprangern, und vielleicht mit einem Artikel oder Kommentar für Einsicht bei den Verantwortlichen zu sorgen. Dafür schloss sie ihre verletzliche Seele ganz fest weg. Im Laufe der Jahre hatte sich auch eine Portion Selbstvertrauen hinzugesellt, das es ihr leichter machte, mit diesen zwiespältigen Gefühlen umzugehen. Und so war sie in diesem Moment erwartungsfroh. Sie hatte sich am Morgen, als sie ihren Artikel sehr selbstkritisch durchgelesen hatte, noch einmal bestätigt, dass alles, was sie geschrieben hatte, fehlerlos und gut formuliert gewesen war. Sie würde Lob bekommen, und darauf war sie vorbereitet. Sie würde nicht, wie früher, rot werden und verlegen stammelnd abwehren, sondern sie würde freundlich lächeln und dann berichten, was sie als Nächstes zu recherchieren gedachte.

Doch es kam ganz anders.

Reinthalers Miene vereiste bei ihrem Anblick. »Lea, können Sie mir erklären, was das soll?« Er knallte das Blatt auf den Tisch. »Ich zitiere: ›Unbekannte Tote. Vielleicht aus dem nahen Ausland ...‹. Ja, sind Sie denn von allen guten Geistern verlassen? Ich dachte heute Morgen, ich bin im falschen Film! Kann man nicht mal ein freies Wochenende haben, ohne dass hier Murks gemacht wird?«

Lea sträubten sich die Nackenhaare. Was fiel Reinthaler ein, sie so herunterzuputzen! Das war eine supergute Story, exzellent geschrieben. Das ließ sie sich nicht kaputtreden.

Doch ehe sie etwas erwidern konnte, traf sie der nächste Satz wie eine Keule. »Wenn Sie Ihre Arbeit ordentlich machen würden, dann hätten Sie gewusst, wer die Frau ist. Dann hätten Sie sich und unserem Blatt diese Blamage ersparen können!«

Sein Zeigefinger schnellte vor, als wollte er sie wie ein seltenes Insekt aufspießen. »Ich habe Ihnen schon vor zig Tagen gesagt, dass Sie sich um die Frau kümmern sollen. Jetzt stehen Sie nicht so da, als wüssten Sie nicht, von wem ich rede.«

Er pochte mit dem Finger auf das Bild auf der Titelseite. »Das ist Trixi Völker. Das ist die Frau, die ich zu Ihnen geschickt habe, weil sie uns eine Story über ein Komplott gegen ihren Onkel angeboten hat. Aber es sieht ganz danach aus, als wäre sich unsere Starreporterin zu fein gewesen, sich mit ihr zu treffen. Ich fass es nicht!«

Lea hatte keine Ahnung, wie sie sich aufrecht halten sollte. Die Tote war Trixi Völker? Verdammt, das war doch nicht möglich. Wenn dem tatsächlich so war, dann hatten sie ja kurz vor dem Mord miteinander telefoniert. Hätte sie Trixi Völkers Tod verhindern können, wenn sie einem sofortigen Treffen zugestimmt hätte? Das war ja entsetzlich.

Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, doch Reinthaler brachte sie mit einem Blick zum Schweigen. Er war noch nicht fertig mit ihr. Seine Haare fielen ihm ins Gesicht, als er sich mit wütenden Bewegungen seine Pfeife stopfte. Wer ihn zum ersten Mal sah mit seinem jungenhaften und doch kantigen Gesicht, dem Mittelscheitel und den glatten, halb langen dunkelblonden Haaren, der konnte leicht den Eindruck gewinnen, es mit einem eitlen, aber umgänglichen Spätachtundsechziger zu tun zu haben, der mit seiner stattlichen Pfeifensammlung manchmal auch ein anderes Kraut schmauchte als reinen, edlen Tabak. Doch dieser Eindruck täuschte. Hart, aber fair, das passte schon eher zu ihm. Korrekt nach außen, aber manchmal wie ein Stier, wenn es intern um den journalistischen Anspruch ging, den er dem Blatt verordnet hatte. Wie jetzt.

»Wir sind eine Tageszeitung, Lea. Wenn uns jemand eine Story anbietet, dann reagieren wir sofort. Vor allem, wenn wir nicht gerade mit Arbeit überlastet sind. Also, Starreporterin, warum haben Sie sich mit der Frau nicht getroffen?«

Lea schluckte. Das mit der fehlenden Arbeitsüberlastung war gemein gewesen. Aber sie konnte es Reinthaler nicht verübeln. Sie hätte an seiner Stelle genauso reagiert. Kurz berichtete sie, wie oft sie versucht hatte, Trixi Völker zu erreichen. Auch dass sie am Freitagabend miteinander telefoniert hatten. Allerdings verschwieg sie, warum sie sich nicht mit der Frau getroffen hatte. Die Geschichte mit Mienchen kam ihr plötzlich furchtbar banal vor.

Reinthaler hörte schweigend zu. Die Rauchwolken, die er gegen die Decke blies, nahmen weichere Konturen an.

»Ich habe einen kapitalen Bock geschossen«, endete Lea zerknirscht. Selbstvorwürfe wirbelten ihr durch den Kopf, und je länger sie sich die Situation vorstellte, umso schlimmer erschien sie ihr. »Ich hätte mich mit der Frau noch an dem Abend treffen müssen, weil sie es ziemlich dringend gemacht hatte. Aber ich dachte, es hätte auch noch Zeit. Das ist nicht zu entschuldigen. Das war in höchstem Maße unprofessionell. Mein Gott, vielleicht wäre sie ja noch am Leben.« Sie schloss die Augen, um die Tränen zurückzuhalten. Das hätte noch gefehlt, dass sie zu heulen anfing. Es war so schon alles schrecklich genug.

Reinthaler räusperte sich. »Kommen Sie, Lea, beruhigen Sie sich. Ja, Sie haben einen Fehler gemacht. Aber Sie sind nicht schuld am Tod der Frau.«

Lea schüttelte den Kopf. »Das weiß ich, Chef.« Sie straffte die Schultern. »Das mache ich wieder gut. Ich werde herausfinden, was dahinter steckt und warum die Frau sterben musste. Und ich werde ihren Mörder finden, das schwöre ich.«

*

Es war fast Mittag, als Lea mit gemischten Gefühlen das Tor des Polizeipostens Stadtmitte aufdrückte, in dem Kommissar Gottlieb mit seiner Soko residierte. Einerseits war es ihre Pflicht, Gottlieb persönlich von dem Telefonat mit Trixi Völker zu informieren, andererseits hoffte sie, er möge nicht da sein. Normalerweise traf man ihn um diese Stunde schräg gegenüber bei McDonald’s an. Den Spitznamen »Big Mäx« hatten ihm seine Kollegen nicht zu Unrecht gegeben. Ein kleiner Aufschub wäre ihr recht gewesen, denn ihr war klar, dass Gottlieb ihre Geschichte mit dem Telefonat nicht so einfach schlucken würde wie Reinthaler. Er würde genau nachfragen, und sie würde richtig ins Schwitzen kommen, um die Sache mit der Katze nicht zu verraten. Die klang für Außenstehende doch bestimmt dumm und sentimental. Trixi Völker könnte vielleicht noch leben, wenn sie anders reagiert hätte. Dieser Gedanke bohrte sich mit jedem Schritt tiefer in ihr Gewissen.

Gottlieb war entgegen ihrer winzigen Hoffnung sehr wohl im Dienst. Der halbe Gang roch nach seinen unvermeidlichen Zigaretten. Unwillkürlich zuckten ihre Hände zum Rucksack, aber da war keine Schachtel mehr. Sie hatte gedacht, längst über den Berg zu sein. In dieser Minute allerdings hätte sie ihren rechten Arm für einen einzigen Zug gegeben.

Bevor sie klopfen konnte, wurde die Tür von innen aufgerissen. Gottlieb prallte zurück, als sei er bei etwas Unrechtem erwischt worden. »Sie hier? Ich wollte gerade etwas zu essen ...«

Er machte eine einladende Handbewegung, wenn sich auch seine betretene Miene nicht erhellte. »Kommen Sie rein. Fast wäre ich schwach geworden. Haben Sie schon etwas gegessen? Himmel, was gäbe ich für einen Cheeseburger. Auch eine?« Er angelte sich eine Zigarette und hielt ihr das zerdrückte Päckchen hin.

Lea schüttelte mit aller Kraft den Kopf. »Nichtraucherin. Seit drei Monaten schon.«

Er grinste und ließ das Feuerzeug aufschnappen. »Und ich bin auf Diät. Seit zwei Wochen. Wollen wir tauschen? Nur einen Tag? Oder eine Stunde?«

Gottlieb war über einen Meter neunzig, und bei seiner Größe fiel es nicht besonders auf, dass er abnehmen müsste. Eher wirkte er in seiner honigbraunen Cordhose und dem weiten dunkelgrünen Poloshirt wie ein tapsiger Bär oder, wenn man seine grauen strubbeligen Haare und seinen Vollbart betrachtete, wie Rübezahl. Seine braunen Augen, die er hinter einer kleinen runden Brille versteckte, waren gutmütig und seine Hände eher die eines Pianisten oder Malers als die eines hart gesottenen Polizeibeamten. Seit vier Jahren war er als stellvertretender Kripochef in der Stadt. Bestimmt hatte er unter dem arroganten Schnösel Ingolf Säuerle zu leiden, aber das taten alle hier, hatte sie gehört. Gottlieb war, wenn man den Gerüchten glauben konnte, nach seiner Scheidung nach Baden-Baden gekommen. Das erklärte auch seine Vorliebe für Fast Food. Sie kannte außer Justus keinen Single, der für sich allein kochte.

Kurz, Gottlieb war ein netter Kerl, auch wenn sie in punkto Informationspolitik in grundverschiedenen Lagern standen. Manchmal brachte er sie auf die Palme, weil er wichtige Informationen für ihren Geschmack viel zu lange zurückhielt. Sie waren deswegen schon einige Male zusammengestoßen, und sie hatte schon ein paar giftige Kommentare darüber verfasst. Trotzdem behandelte er sie weiterhin fair und mit einer gewissen Portion Respekt. Das hatte sie in Würzburg ganz anders erlebt, und sie mochte diesen Zug deshalb besonders an ihm. Hoffentlich nahm er sie auch weiter ernst, wenn er gleich erfuhr, wie stümperhaft sie sich am Freitag verhalten hatte.

Gottlieb hörte ihr schweigend zu, dann holte er kommentarlos sein Diktiergerät heraus. »Was wissen Sie also über die Frau? Alter, Beruf, Adresse? Und was genau weiß Ihr Chef?«

Sie wiederholte die dürren Fakten, die sie kannte.

»Komplott gegen den Onkel. Aha. Dann wenigstens dessen Name, Adresse? Was für ein Komplott? Mord? Befindet sich die Tat im Planungszustand oder ist sie bereits ausgeführt? Ist er tot? Hat diese Trixi Völker etwas in der Richtung fallen lassen?«

Bei jeder Frage musste Lea passen und kam sich unsäglich dumm vor.

Schließlich schaltete Gottlieb das Gerät ab und zündete sich eine neue Zigarette an. »Viel ist das ja nicht. Aber wir haben einen Namen. Das ist ein Anfang, immerhin. Und Sie sind für mich im Augenblick die Letzte, die mit dem Mordopfer Kontakt hatte. Ich brauche Ihre Personalien. Haben Sie für die Tatzeit ein Alibi?«

Lea merkte, wie sie rot wurde. Ihr Alibi war Mienchen in der Tierklinik. »Wie meinen Sie das?«, stotterte sie.

Gottlieb zwinkerte ihr zu. »Sorry. Kleiner Scherz einer hungrigen Seele. Danke für die Information. Ich werde jetzt die Soko zusammentrommeln.«

»Und wann gibt es eine Pressekonferenz?«

»Morgen, frühestens.«

Eigentlich wäre diese Verzögerung ein neuer Streitpunkt für sie gewesen, aber diesmal verließ sie erleichtert das alte Gebäude. Sie hatte vor den Kollegen der Konkurrenz einen Vorsprung von einem Tag. Den galt es zu nutzen. Sie wollte alles über Trixi Völker herausfinden, und das nicht allein für die nächste Exklusivstory, sondern um die Geschichte der Frau aufzuklären und publik zu machen, genau so, wie Trixi Völker es sich gewünscht hatte.

Zwei Stunden später wusste sie, wo Trixi Völker gewohnt hatte, und fuhr mit Franz Abraham zu dem biederen vierstöckigen Mietshaus in der Briegelackerstraße. Zwei Polizeiwagen standen davor auf dem Parkplatz, daneben Gottliebs Auto. Zur Wohnung der Toten würde sie im Moment sicherlich nicht vorgelassen werden.

Vor dem Haus hatte sich ein kleiner Menschenauflauf gebildet. Lea schickte Franz zum Fotografieren ins Haus und mischte sich unter die Nachbarn. Trixi Völker hatte vor knapp eineinhalb Jahren eine möblierte Zwei-Zimmer-Wohnung im vierten Stock gemietet, erfuhr sie. Die Frau habe allein und zurückgezogen gelebt. Eine junge Mutter aus dem Mietsblock gegenüber, die ihren Säugling auf dem Arm schaukelte, hatte beobachtet, dass Trixi Völker das Haus anfangs sehr regelmäßig gegen sieben Uhr morgens verlassen hatte und frühestens gegen Mitternacht zurückgekehrt war.

Ein Hausbewohner aus dem dritten Stock vermutete, Trixi Völker habe seit ein paar Wochen einen neuen Job gehabt, weil sie plötzlich tagsüber zu Hause war und regelmäßig abends für ein paar Stunden wegging.

»Ich habe sie in letzter Zeit oft in dem kleinen Postladen um die Ecke gesehen, sie hat viel Post verschickt. Bewerbungsunterlagen, denk ich mal«, erinnerte sich ein anderer.

Lea notierte alles. Sie hatte schon oft erlebt, dass Nachbarn oder Passanten plötzlich zu kleinen, allwissenden Detektiven wurden. Sie musste genau aufpassen, um zwischen Fakten und Mutmaßungen zu unterscheiden.

»Aber geredet hat niemand mit ihr? So über Job oder Bewerbung?«

Kollektives Schweigen.

»Also, neugierig sind wir ja nicht«, meinte die junge Mutter schließlich und ging zu ihrem Haus zurück.

»Vielleicht weiß Frau Hefendehl mehr. Oder ihr Sohn, der wohnte ja Tür an Tür mit der Völker«, meinte der Mann aus dem dritten Stock.

»Wer ist Frau Hefendehl?«

»Die Hausmeisterin. Schon seit fünfunddreißig Jahren. Sie wohnt im Erdgeschoss, aber sie ist krank. Aus dem Haus geht sie nicht mehr. Was zu tun ist, macht jetzt ihr Sohn. Kehrwoche, Mülleimer und so. Die Genossenschaft drückt ein Auge zu und lässt sie trotzdem weiterhin in der Wohnung. Aber was im Haus vor sich geht, das weiß sie. Die kennt jeden hier, auch in der Nachbarschaft. Na ja, die hat nichts anderes zu tun, als den lieben langen Tag aus dem Fenster zu glotzen.«

Franz kam zu ihr, den Fotoapparat um den Hals. »Die Polizei lässt mich nicht in die Wohnung. Im Gegenteil, ich soll das Haus verlassen, hat unser Freund Gottlieb gemeint.«

»Hast du Fotos?«

»Treppenhaus, offene Wohnungstür, Spurensicherer bei der Arbeit.«

»Das ist okay. Noch eine Aufnahme vom Klingelschild, und dann ab in die Redaktion. Fahr du mit dem Bus. Ich brauche das Auto vielleicht noch. Besorg uns Platz, sagen wir mal hundertfünfzig Zeilen Text und drei große Bilder. Du kannst einen Zweispalter schreiben mit deinen Eindrücken. Was hast du von den Kripoleuten aufgeschnappt? Haben sie ihre weißen Schutzanzüge an? Mit welcher Begründung hat Gottlieb dich weggeschickt? Ruf den Dienstgruppenleiter im Revier an und frag penetrant nach, was es Neues gibt, wie alt Trixi Völker war, ob es Angehörige gibt, welchen Beruf sie hatte. Das Gleiche bei der Staatsanwaltschaft. Ich glaube, Pahlke hat heute Bereitschaft. Der ist ein harter Brocken. Versuch trotzdem, so viele Informationen wie möglich zu bekommen. Ich gehe jetzt zur Hausmeisterin und dann zu deren Sohn. Hast du den gesehen? Hefendehl? Die Tür neben Trixi Völker?«

Franz sah nach oben. »Gottlieb ist gerade bei dem. Da wirst du im Moment kein Glück haben.«

»Macht nichts. Ich wollte ohnehin erst zur Mutter. Ich hoffe, in zwei Stunden bin ich auch in der Redaktion. Ansonsten telefonieren wir.«

Franz trollte sich, und Lea klingelte bei Frau Hefendehl. Mehrmals. Dann klopfte sie an die Tür und rief, dass sie von der Presse sei. Von drinnen hörte sie eine Stimme antworten.

Nach einer halben Ewigkeit öffnete sich die Tür.

Lea schätzte die Frau auf mindestens zwei Zentner. Ihre Kittelschürze spannte oben und klaffte an den Knien auf. Ein rosa Unterrock blitzte hervor. Die Beine der Frau waren unförmig angeschwollen. Man merkte ihr an, dass ihr jeder Schritt zu viel war. Aber die Wohnung war tiptop in Schuss. Es war so aufgeräumt und sauber, als habe jemand vor einer Stunde gesaugt und Staub gewischt und als würde er es in zwei Stunden wieder tun. Das konnte Frau Hefendehl unmöglich selbst besorgt haben. Ihr lief der Schweiß bereits nach dem kurzen Weg von der Tür zur Wohnzimmercouch herunter.

»’tschuldigung, ich kann Ihnen nichts anbieten«, keuchte sie, »diese Hitze!« Sie fächelte sich mit einer Programmzeitschrift Luft zu. Im Fernsehen lief eine Talkshow ohne Ton. Lea kehrte dem Apparat den Rücken zu.

»Ich würde gerne etwas über Trixi Völker wissen.«

»Die Polizei hat doch vorhin schon alles gefragt.«

»Dann wiederholen Sie bitte alles noch einmal für mich.«

»Viel ist es nicht. Ich bin nicht neugierig, wissen Sie?«

Das war ziemlich sicher gelogen. Wer im Erdgeschoss wohnte und seine Fenster mit Außenspiegeln gespickt hatte, der platzte doch vor Neugier. Selbst jetzt schnellten Frau Hefendehls Augen von Fenster zu Fenster. Lea folgte dem Blick. Man hatte tatsächlich den kompletten Überblick über den Eingang, den Mülltonnenplatz und die Grünfläche vor dem Haus. Hier kam niemand unbemerkt rein oder raus.

Allerdings knallte die Sonne unbarmherzig durch die Scheiben. Lea begann zu schwitzen. »Soll ich ein Fenster aufmachen?«, erbot sie sich. »Oder den Rollladen herunterlassen?«

»Nein, nicht die Rollläden. Das hat mein Sohn Gerhard die letzten Tage gemacht. Ich hasse das. Ich fühle mich wie eingesperrt. Aber die Fenster öffnen, das wäre nett. Ach, Gerhard fehlt mir an allen Ecken und Enden. Was meinen Sie, wie lange wird die Polizei ihn noch befragen?«

»Das wird sicherlich nicht lange dauern«, beruhigte Lea sie. »Inzwischen könnten Sie mir doch sagen, was Sie über Trixi ...«

»Ja doch, ja doch. Sie kam vor eineinhalb Jahren. Im vierten Stock war gerade Frau Ott gestorben. Herzinfarkt. Und das mit nur vierundsiebzig, stellen Sie sich das vor. Sie war so rüstig, jeden Tag diese vielen Treppen. Und dann das. Die Erben haben angeboten, dass der Nachmieter die komplette Einrichtung übernehmen kann. Die Erben, ha! Nie haben sie sich um ihre Tante gekümmert, gerade mal Weihnachten Geschenke abgeholt. Und jetzt das, sogar zu faul zum Ausräumen. So ein Pack. Na, das könnte mir mit meinem Jungchen nicht passieren. Haben Sie Kinder, junge Frau?«

Lea schüttelte den Kopf. Seit sie Justus kannte, hatte sich die Frage erübrigt. Er war verwitwet und mit seinen zweiundsechzig Jahren bereits dreifacher Großvater, und so waren eigene Kinder zwischen ihnen nie ein Thema gewesen. Sie hatte ihn vor zehn Jahren kennen gelernt, und war immer froh gewesen, dass er das Thema Kinder nie anschnitt. Etwas anderes, als Polizeireporterin zu sein, hatte sie sich nie für sich vorstellen können.

Es hatte ihr nie etwas ausgemacht, auf Kinder zu verzichten. Im Gegenteil. Sie konnte sich einfach nicht vorstellen, Tag und Nacht jemanden um sich zu haben, für den sie sorgen müsste. Selbst das Ritual, mit Justus jedes Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend zu verbringen, hatte sie zuletzt so eingeengt, dass dies sicher einer der Gründe gewesen war, den Job in Baden-Baden anzunehmen. Sie brauchte einfach Zeit und Raum für sich allein. Mehr als andere Menschen, schien ihr.

In letzter Zeit allerdings hatte sie sich manchmal dabei ertappt, wie sie einen Drang abschütteln musste, wildfremde süße Kinder auf der Straße zu knuddeln. Ganz zu schweigen von den verwirrenden Träumen, in denen sie kleine weiche Babys in den Armen hielt.

»Ich wüsste nicht, was ich ohne mein Jungchen machen würde«, plapperte Frau Hefendehl weiter. »Er ist so nett und hilfsbereit und fleißig und ordentlich. Eine große Stütze. Nie wird ihm etwas zu viel. Sehen Sie, da«, sie zeigte auf eine Fotogalerie in der Schrankwand, »da, das Bild mit dem großen silbernen Rahmen. Das ist er.«

Lea war verwirrt. »Wer?« Auf dem Bild waren ein gut aussehender Mann um die vierzig und ein schlaksiger Junge von etwa vierzehn zu sehen. Zwischen ihnen stand ein Rennpferd. Der Mann hatte einen Reithelm unter dem Arm und eine Gerte in der Hand. Der Junge starrte so entsetzt in die Kamera, als stünde er vor einer Kobra.

»Das ist Gerhard mit meinem Mann.« Sie lachte, als sie Leas Blick auffing. »Das Bild ist natürlich schon alt. Fast dreißig Jahre. Mein Mann war Reitlehrer in Iffezheim. Das ist die letzte gemeinsame Aufnahme von den beiden. Eine Woche später hat sich mein feiner Herr Gemahl abgesetzt, mit unseren Ersparnissen und der Kasse vom Reitverein. Ich hab nie mehr was von ihm gehört. Er hat uns sitzen lassen, und das kurz nach Gerhards Mofaunfall.«

Lea hatte eigentlich kein Interesse an der Lebensgeschichte der Frau und deren Sohn. Sie brauchte ganz andere Informationen. »Frau Hefendehl, haben Sie mitbekommen, ob Trixi Völker einen Job hatte? Ohne Arbeit kriegt man doch sicherlich keinen Mietvertrag, oder?«

»Die schon. Die hat einen Vorschuss gezahlt, in bar. Und den Erben von Frau Ott eine kleine Ablöse. Ich glaube, tausend Euro. Den Rest hat die Genossenschaft geregelt, davon weiß ich nichts.«

»Hat sie mal von einem Job geredet?«

»Nicht mit mir. Aber die Kehrwoche hat sie pünktlich gemacht. Alle zwei Wochen. Das war eine Erleichterung für Gerhard. Was meinen Sie, für wie viele Leute er hier im Haus die Kehrwoche übernimmt. Dabei fällt ihm das auch nicht leicht, bei seinen Kopfschmerzen, die er seit dem Unfall hat.«

Das Leben dieser Frau bestand ja wirklich nur aus ihrem Sohn. Hoffentlich wusste wenigstens der mehr über Trixi Völker.

Lea stand auf. »Ich gehe hoch, vielleicht ist die Polizei fertig, und ich kann mit Ihrem Sohn reden.«

»Aber nicht zu lange, bitte. Er muss mir noch die Wäsche aus der Maschine nehmen und einkaufen fahren. Richten Sie ihm aus, dass er das Auto nehmen darf?«

Auf der Treppe begegnete sie Gottlieb. Kopfschüttelnd stellte er sich ihr in den Weg. »Unterstehen Sie sich, in die Wohnung zu gehen. Lassen Sie die Spurensicherung ihre Arbeit tun.«

»Und lassen Sie mich meine machen. Gibt es Neuigkeiten?«

»Das werden Sie zu gegebener Zeit erfahren.«

»Herr Gottlieb, bitte. Nur eine Kleinigkeit für meinen nächsten Bericht.«

Gottlieb schüttelte den Kopf.

»Auch keine Andeutung ohne Nennung der Quelle?«

»Ich kann Sie nicht besser behandeln als die anderen. Ich lasse es Sie wie üblich wissen, wenn ich eine Pressekonferenz einberufe.«

Lea begann sich zu ärgern. In Würzburg hätte der Chefermittler ihr längst ein kleines Detail oder einen Tipp zugeraunt. Natürlich nichts, was den Lauf der Ermittlungen in Gefahr brachte, aber eben doch das kleine exklusive i-Tüpfelchen, das ihr einen Vorsprung vor der Konkurrenz einbrachte.

»Wirklich nichts zu machen?«, versuchte sie es ein letztes Mal.

Doch Gottlieb verschanzte sich hinter seiner offiziellen, zugeknöpften Miene. »Sorry, Frau Weidenbach. Die Staatsanwaltschaft hat strikte Nachrichtensperre angeordnet, bis wir ein Stück weiter sind.«

»Dann muss ich es eben auf meine Weise versuchen«, sagte sie und setzte sich in Bewegung.

»Sie kommen da nicht rein«, rief er ihr nach, während sie die Stufen nach oben stürmte.

Trotzdem versuchte sie, einen Blick ins Innere zu erhaschen. Die Tür war nur angelehnt. Vorsichtig probierte sie, sie aufzudrücken, aber da stand der Polizeibeamte, der am Samstag auch den Leichenfundort gesichert hatte. Er hatte sein Handy am Ohr. Offenbar warnte Gottlieb ihn gerade vor ihr. »Ein Anschiss reicht mir, Frau Weidenbach. Über diese Schwelle kommen Sie nicht«, grummelte er und knallte die Tür zu.

Also klingelte sie nebenan.

Gerhard Hefendehl öffnete mit einem Staubtuch in der Hand.

Sie stellte sich vor.

Er zögerte. »Ich weiß nicht. Ich müsste längst bei meiner Mutter ...«

»Ich komme von Ihrer Mutter. Sie hat mich geschickt, weil sie nicht sehr viel über Ihre Nachbarin weiß. Kannten Sie Frau Völker gut?«

Er ließ sie eintreten und schob seine rechteckige Hornbrille hoch. »Ich habe gar nicht aufgeräumt. Der Kommissar hat alles zerdrückt«, murmelte er und eilte voran, um auf der beigen Ledercouch die Paradekissen zurechtzuschütteln.

Lea folgte ihm neugierig. Ihre Vorurteile wurden bestätigt, dies hier war die Wohnung eines ausgemachten Muttersöhnchens. Blank polierte Oberflächen, Schondeckchen, die Gardine an Ort und Stelle, die Gläser in der Vitrine nach Größe geordnet.

»Likörchen?«, fragte Hefendehl höflich und verschwand in der Küche, ohne ihre Antwort abzuwarten.

Sie ging zum Fenster. Gottlieb stieg gerade in sein Auto und brauste los. Aus der Wohnung nebenan konnte sie jedes Wort verstehen. Einer der Spurensicherer beschwerte sich, dass er zu spät zum Fußballtraining kommen würde, wenn sie sich nicht beeilten. Schubladen wurden geräuschvoll zugeschoben, Schranktüren knallten.

Lea ging zurück zum Sofa und nahm vorsichtig Platz, um ja die Zierkissen nicht zu berühren. Über dem Fernseher hing die gleiche Fotografie wie bei Hefendehls Mutter. Nur ein Kaktus auf einer Anrichte sorgte für etwas Leben in diesem sterilen Raum.

»Sie haben es sich schon bequem gemacht«, stellte Hefendehl mit einem jungenhaften Lächeln fest, als er mit zwei halb vollen Gläschen zurückkehrte. Er stellte sie auf Untersetzer und ging zum Fenster, um die Gardine wieder gerade zu rücken.

Ein Pedant.

Sie hatte es sich schon gedacht, als sie ihn in der Tür gesehen hatte, das langarmige Jerseyhemd trotz der Hitze bis obenhin zugeknöpft. Wahrscheinlich hatte seine Mutter ihm dazu geraten.

Als hätte er ihre Gedanken erraten, tippte er auf seine Armbanduhr. »Sehen Sie es mir bitte nach, aber ich muss vor sechs einkaufen. Die Läden hier in der Weststadt machen schon früh zu, und meine Mutter hat sich für heute Abend Spiegelei mit Spinat gewünscht.«

Am liebsten hätte sie die Augen verdreht. Hoffentlich hatte Hefendehl junior ein anderes Gesprächsthema als seine Mutter.

»Prösterchen«, sagte er und hob das zierliche Glas hoch.

Lea schüttelte den Kopf. »Erst die Arbeit, wenn es Ihnen nichts ausmacht.«

»Selbstverständlich«, antwortete er und stellte das Glas zurück. »Ich helfe Ihnen gerne, wenn ich kann. Ich finde Ihren Beruf aufregend. Wie lange sind Sie schon bei der Presse?«

»Seit fünfzehn Jahren. Und seit einem Jahr hier in Baden-Baden.«

»Wie gefällt Ihnen die Stadt? Ist sie nicht schrecklich spießig und langweilig?«

Lea war überrascht. Das hätte sie von Hefendehl nicht erwartet. Er schien ja richtig nett zu sein. Aber sie war nicht zum Plaudern hier.

»Eigentlich wollte ich mit Ihnen über Trixi Völker reden.«

»Ich weiß«, antwortete er und steckte mit hochgezogenen Schultern seine Hände zwischen die Knie. »Ich schäme mich ein bisschen, wissen Sie? Ich weiß ja gar nichts über sie. Dabei haben wir über ein Jahr Wand an Wand gelebt. Hören Sie mal.«

Drüben wurde ein Möbelstück verschoben. Dann ein überraschter Aufruf. »Sieh dir das an. Lauter Flohmarktzeug. Bis wir das katalogisiert und fotografiert haben, ist der Abend rum.«

Schweigen. Dann sagte eine andere Stimme: »Lass gut sein, morgen ist auch noch ein Tag.« Sie hörten ein kratzendes Geräusch, wenig später fiel die Wohnungstür ins Schloss.

»Sie wissen, was ich meine?«, fuhr Hefendehl fort. »Ich hätte so viel über sie wissen müssen. Aber es ist so wenig. Der Kommissar hat auch schon mit mir geschimpft. Aber ich kann es nicht ändern. Ich weiß, dass sie seit ein paar Wochen oft vor dem Fernseher saß. Tiersendungen, Politmagazine und so. Keine Liebesfilme. Früher, als sie immer erst spät heimkam, lief manchmal ein alter Hollywood-Film drüben, Videos vermutlich. ›Ben Hur‹, ›High Noon‹, ›Casablanca‹, so was in der Richtung.«

»Haben Sie sie reden hören?«

»Mit wem denn? Ich habe nicht mitbekommen, dass jemals Besuch bei ihr war. Telefon? Ich bin gar nicht sicher, ob sie einen Anschluss hat.«

»Hatte sie einen Job, regelmäßige Gewohnheiten?«

»Sie fragen genauso wie der Polizist, alle Achtung. Sie sind bestimmt eine richtig gute Journalistin.«

»Ist Ihnen etwas aufgefallen?«

»Ich bin ja oft unten bei meiner Mutter, ich hänge also nicht mit meinem Ohr an der Wand. Aber anfangs, da habe ich bei mir gedacht, die Frau braucht eigentlich keine Wohnung, sondern nur ein Bett. Da macht man sich Gedanken. Aber mir fiel nichts ein, was sie wohl den ganzen Tag bis nach Mitternacht treiben könnte, jedenfalls nichts Anständiges. Nein, nein, nicht dass Sie jetzt denken, die Frau sei vielleicht, nun ja, Sie wissen schon. Das will ich damit nicht sagen. Dazu sah sie auch zu nett aus.« Er hob die Hände und sah zur Uhr. »Schon halb sechs, ich glaube, ich muss langsam los. Wie schade, Sie haben ja gar nichts getrunken.«

Lea war enttäuscht. Sie hatte so gut wie nichts Wichtiges über Trixi Völker erfahren. Das reichte weder für einen Aufmacher noch für ihren Vorsatz, zur Aufklärung des Mordes und dieses Komplotts beizutragen.

»Wie war Trixi Völker denn zum Schluss? Haben Sie sie in letzter Zeit gesehen?«

«Ende März, da war sie mal für ein paar Tage ganz zu Hause. Sie ging nicht aus dem Haus, sondern saß nebenan und heulte sich die Augen aus dem Kopf. Ich habe sie auf ein Gläschen eingeladen, aber sie wollte nicht.« Hefendehl wurde rot und schluckte. »Dabei habe ich es nur nett gemeint. Die letzte Zeit ging sie wieder regelmäßig weg, abends, von fünf bis zehn. Sie muss einen neuen Job gehabt haben und brachte sich offenbar auch viel Arbeit mit nach Hause. Ich habe sie ein paar Mal mit großen Umschlägen in der Hand kommen und weggehen sehen. Tja, tut mir Leid.« Er sah noch einmal auf seine Uhr. »Herrje, jetzt muss ich aber laufen.«

Lea wollte nicht aufgeben. Vielleicht gab es noch eine winzige Chance.

Sie kramte in ihrem Rucksack nach ihrer Brieftasche. »Haben Sie vielleicht einen Zweitschlüssel für die Wohnung? Ihre Mutter ist ja Hausmeisterin. Ich meine, Sie machen das auch nicht umsonst. Ich rühre nichts an, und niemand erfährt, wer mich reingelassen hat!«

Den Rest schluckte sie herunter, als sie Hefendehls wütende Miene sah.

»Sie wollen in die Wohnung einer Toten eindringen? Nur wegen einer Sensationsmeldung? Gott, das ist ekelhaft. Ich hatte Sie anders eingeschätzt. Bitte gehen Sie.«

Mit seinen Popelinblouson über dem Arm hielt er ihr angewidert die Tür auf, und im Stillen gab sie ihm Recht. Diese Art von Informationsbeschaffung war sonst überhaupt nicht ihr Stil. Aber sie wollte ja gar nicht wegen eines Sensationsartikels in die Wohnung, sondern weil sie hoffte, dort etwas über das Komplott zu finden, von dem Trixi Völker gesprochen hatte. Die Frau hatte von einem Beweis geredet, den sie während des Telefonats in Händen hielt. Er musste drüben sein.

Sie wusste, wann sie verloren hatte, und hielt Hefendehl die Hand zum Abschied hin. Er ignorierte sie. Draußen im Flur sah sie, dass Trixi Völkers Tür versiegelt war. Sie wäre also ohnehin nicht hineingekommen.

Wie ein begossener Pudel ging sie zum Auto, doch als sie die Tür aufschließen wollte, fiel ihr etwas ein. Sie holte das Handy aus dem Rucksack und rief Franz an.

»Geh sofort ins Archiv. Kram alle Todesanzeigen der letzten Zeit heraus. Es gibt einen Bruch im Leben der Frau, vor circa sechs oder sieben Wochen. Da soll sie Nächte durchgeheult haben. Vielleicht ist ihr Onkel gestorben. Vielleicht findest du eine solche Anzeige. Ich weiß ja nicht, wie der Onkel hieß, den sie bei Reinthaler erwähnt hat. Aber ihr Name könnte unter den Angehörigen auftauchen. Ich bin in einer Viertelstunde da. Wie viele Zeilen kriegen wir?«

Als Franz zweihundert sagte, sank ihr der Mut. Hoffentlich kamen sie mit dieser Idee von der Todesanzeige weiter. Sonst würde es schwer sein, den Platz mit den vagen Aussagen der Nachbarn zu füllen.

Doch als sie sich auf dem überfüllten Redaktionsparkplatz aus ihrem Mini schlängelte, trippelte Franz Abraham ihr schon aufgeregt entgegen.

»Lea, super, tolle Idee! Woher wusstest du das? Es ist der Kracher, bingo!« Er klopfte ihr auf den Rucksack, dass sie einen Satz nach vorne stolperte.

»Was ist los?«

»Die Todesanzeige! Ich hab sie gefunden. Weißt du, wer der Onkel von der Völker war? Mennicke!«

»Wer?«

»Mennicke. Horst Mennicke. Der Mennicke.«

»Keine Ahnung, von wem du redest.«

»Mensch, der Kunstmäzen! Dem die Alleevilla gehört, mit unschätzbaren Werken aus der Renaissance und Romantik. Dazu Folianten und echte Handschriften und Urkunden aus den letzten Jahrhunderten. Nein? Die Mennicke-Schenkung für das Festspielhaus und das Stadtmuseum? Nein? Gott, Lea, so buchstabiert man Geld: M-e-n-n-i-c-k-e.«

Die Leiche im Paradies

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