Читать книгу Bis dass der Tod euch vereint - R.J. Simon - Страница 6

4.

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Am folgenden, heutigen Morgen, als Brigitte die Augen aufschlägt, durch die hellen, freundlichen Strahlen der Sonne geweckt, fällt ihr erster Blick auf die Uhr. Die digitale Anzeige des Weckers zeigt bereits 11:43Uhr. Sie hat ziemlich lange geschlafen. Normalerweise liegt die Zeit, in der Brigitte erwacht zwischen 8.00 und 9.00 Uhr.

Mit dem zweiten Blick entdeckt Brigitte wie ihr Bett zugerichtet ist. Das Laken bedeckt kaum noch die Matratze und ist total zerwühlt. Die Steppdecke liegt quer, statt der Länge nach im Bett und das gesamte Bettzeug ist total durchgeschwitzt und feucht. In der vergangenen Nacht schlief sie ganz offensichtlich besonders unruhig und quälte sich augenscheinlich im Schlaf. So nach und nach kommen die Erinnerungen zurück und die letzten Minuten des vorherigen Tages laufen in ihrem Geiste ab.

Die Dämmerung setzte ein, als Brigitte von ihrem ungewollten Ausflug nach Nizza zurückkehrte. Das Haus lag still und dunkel in der anbrechenden Nacht und wirkte friedlich. Doch schon als Brigitte auf die Eingangstür zuging, befiel sie ein Gefühl des Unbehagens. Die Angst, die sie Stunden zuvor aus dem Haus verjagte, glomm erneut in ihr auf. Am liebsten wäre sie in diesem Moment sofort umgekehrt, um sich in der Ortschaft ein Zimmer zur Übernachtung zu mieten. Doch ihre verheerende finanzielle Lage schloss diese Alternative vollkommen aus.

Im nächsten Augenblick sagte sich Brigitte, um sich selbst zu beruhigen und um Mut zu schöpfen, dass diese Empfindungen und die gespenstigen Erlebnisse doch alles nur Hirngespinste und Einbildung seien. Brigitte schloss die Tür auf, ging mit sicherem Schritt in die Einganghalle und knipste das Licht an. Die Helligkeit der Lampen tat ihr gut und beendete die unbehaglichen Sinnesempfindungen von Brigitte. Sie fühlte sich sogleich irgendwie wohler und geborgener. Brigitte duschte gleich anschließend Melodien summend, ohne einen weiteren Gedanken an die verrückten Dinge zu verschwenden, die vorgefallen waren und sich noch ereignen könnten. Diese Halluzinationen, die ihr ihre Phantasie vortäuschten und ihr das Leben noch zusätzlich zu den anderen Problemen so schwer machten, versuchte sie zu verdrängen. Die Geschehnisse, die Brigittes Gewissen anscheinend erzeugten, nagten allmählich an der Substanz ihres Verstandes.

Nur mit dem Bademantel bekleidet begab sich Brigitte, nachdem sie das Wasser abfrottiert hatte, in ihr Schlafzimmer. Mit der Dusche erhoffte sie auch alle Unreinheiten, die an ihr und ihrer Seele anhafteten von sich spülen zu können. Die Lampen im Erdgeschoss schaltete sie nicht aus und wollte sie die Nacht hindurch brennen lassen, weil das Licht sie beruhigte.

Brigitte klopfte das Kopfkissen auf und stellte das Kopfende des Bettes hoch, um gemütlicher noch ein paar Seiten in ihrem Buch lesen zu können. Dazu schaltete sie zusätzlich zu der Deckenbeleuchtung die Nachtleuchte auf dem gläsernen Nachttisch neben dem Bett ein.

Noch keinen Abschnitt hatte Brigitte fertig gelesen, bis ihre Nerven ihr schon wieder anfingen, diesen furchtbaren und makaberen Streich zu spielen: „Brigitte! Brigitte! Du bist schön. Sehr schön!“

Dann weiter mit einer jammernden und flehenden Stimme: „Brigitte ich hab´ dich lieb! Ich habe dich immer geliebt. Weißt du das nicht? Das musst du doch gewusst haben!“

Da war sie also wieder die Stimme ihres toten Mannes. Geflüstert zwar, aber dennoch so gut verständlich, als würde er vor dem Schlafzimmer auf sie warten. Diesem langsamen, eindringlichen Gerede, das Brigitte durch Mark und Bein ging, traute sich Brigitte allerdings nicht auf den Zahn zu fühlen.

„Warum Brigitte? Warum?“

Es hörte sich an, als würde die Stimme nun aus allen Richtungen auf sie einreden, so dass sich Brigitte mehrmals umblickte und doch ständig nur die kahlen sonnengelben Wände sah. Die Worte ihres Mannes stießen ihr bis tief ins Herz. Brigittes Unruhe und Verwirrung stieg mit jeder gesprochenen Silbe stetig an. Unaufhörlich und ohne Gnade setzte sich das einseitige Gespräch fort.

´Ich bin doch nicht verrückt`, dachte Brigitte in ihrer gepeinigten Lage immer wieder. Gleichzeitig spürte sie aber, dass sie immer nervöser wurde, wie sich ihre Nerven mit jedem gehörten Wort mehr spannten und Brigitte hatte Angst davor, dass diese zerbersten würden. Eine extreme Gänsehaut überzog ihren gesamten Körper.

Irgendwann hielt Brigitte es einfach nicht mehr aus. Ihr Zeitgefühl war ausgeschaltet, so dass sie keine Ahnung hatte, wie lange sie sich dieses aufreibende Drama anhörte, bevor sie reagierte. Sie schlug sich die flachen Hände an die Ohren, presste sie schmerzend fest gegen die Gehörgänge, um diesen Wahnsinn nicht länger ertragen zu müssen. Während ihr Tränen der Verzweiflung aus den zusammengekniffenen Augen liefen schrie Brigitte, so laut sie konnte mit vibrierenden Stimmbändern in den Raum: „Hör auf! Hör doch endlich auf mich so zu quälen!“

´Ich bin verrückt, nicht mehr normal, irre`, wirrten Brigitte die peinvollen Gedanken wild durch den Kopf, die ihr zusätzlich Angst einjagten. Immer noch fest die Handballen auf die Ohren und Schläfen gedrückt, weinte und schluchzte Brigitte herzerweichend. Der seelische Druck, der in diesem Moment auf ihr lastete, war fast unmenschlich und nicht auszuhalten. Ihre Befürchtungen, wahnsinnig zu werden bauten sich dementsprechend weiter aus und zermürbten Brigitte.

Nach diesem Gefühlsausbruch, in dem sie ihre ganze Qual aus sich heraus schrie, war der Spuk aber tatsächlich vorbei. Brigitte hörte nichts weiter mehr von dieser geheimnisvollen Stimme, die ihr von ihren verstörten und überspannten Sinnen vorgespielt wurde. Erleichtert, aber dennoch angespannt, nervös und ängstlich zugleich, wollte Brigitte nun nur noch schlafen. Um weitere Zwischenfälle dieser Art für diesen Abend auszuschalten und um in Ruhe schlafen zu können, holte sich Brigitte aus der obersten Schublade des Nachttischschränkchens ein Röhrchen mit Schlaftabletten. Davon warf sie gleich, um sich die Wirkung auch voll zu garantieren, zwei Stück weit in den Rachenraum hinein und spülte für jede einmal mit einem großen Schluck Wasser nach. Das Mittel wirkte sofort und Brigitte fand unter Zuhilfenahme des Narkotikums ihren wohlverdienten und erholsamen Schlaf.

Dem zerwühlten Bett nach zu urteilen, schlief sie aber nicht besonders ruhig, sondern wälzte sich, wohl von Alpträumen gejagt, durch die Nacht. Welcher Art diese Angstschlaferlebnisse waren, kann sich Brigitte nicht erinnern, vermutete aber, dass deren Ursache mit dem Tod ihres Mannes zusammen hingen. Die sie verfolgende und zitterig machende Stimme ging ihr allem Anschein nach auch noch im Schlaf auf das Gemüt, überfiel und folterte sie. Selbst das betäubende Schlafmittel konnte das offensichtlich nicht verhindern.

Brigitte richtet sich nun auf. Sie versucht an allerlei Dinge, wie das Wetter, was sie heute zu erledigen hatte und was sie dazu anziehen würde zu denken, in der Hoffnung, sich von dem letzten Abend und ihren unverkennbaren Alpträumen ablenken zu können. Dann schwingt sie sich aus dem Bett, um sich ihr Frühstück zuzubereiten, weil sie mittlerweile tatsächlich hungrig wurde.

Mit erzwungen gemütlichen Schritten macht sich Brigitte auf den Weg die geschwungene, mit Teppichen ausgelegte Treppe hinunter in die Küche, um sich Kaffee aufzustellen. Das Bohnenpulver ist im Papierfilter und die Kaffeemaschine gerade eingeschaltet, da überkommt Brigitte die Idee, sie könnte doch zur besseren Zerstreuung Musik anmachen. Die würde doch sicherlich ein weiteres dazu beitragen sich abzulenken. Also lässt sie den Kaffee alleine vor sich hin brühen und tanzt mit einer poppigen Melodie auf den Lippen ans andere Ende des Raumes zur Stereoanlage hin, die Brigitte gleich so laut dreht, dass die Musik von Radio Monte Carlo durch das ganze Haus klingt.

Es tut Brigittes Psyche gut den rhythmischen Sommerhits zu lauschen und dazwischen die angenehme Stimme des Sprechers zu hören. Die meisten Lieder singt Brigitte mit, sofern sie den dazugehörigen Text einiger Maßen beherrscht. Den Rest summt, oder pfeift sie ganz einfach. Sie erweckt so einen fröhlichen und unbekümmerten Eindruck und von dem marternden Abend und der vergangenen Nacht ist ihr nichts mehr anzusehen.

Von den Songs aus den laut tönenden Boxen begleitet, springt Brigitte wieder leichtfüßig die Treppe nach oben ins Bad, weil sie dort ihren, von der Angstschweiß treibenden Nacht verschwitzen Körper, abduschen will. Bis der Kaffee durch die Maschine gelaufen ist, wird auch sie frisch wie der Morgen sein, rechnet sie sich aus.

Bevor Brigitte dann jedoch zu dem Kaffeetisch kommt, um gemütlich und ausgiebig zu frühstücken, läuft sie zuerst aus dem Haus, den Kiesweg entlang und zum Briefkasten. Angetrieben von der Hoffnung, dass die Post etwas gebracht hatte, das sie aufbaut und ihr neuen Mut einhaucht.

Brigitte kommt zurück, wirft die Flugblätter der mannigfachen Werbungen, ohne darauf wirklich zu achten oder sie überhaupt zu lesen, in den Mülleimer. Übrig bleibt bei der Sortierung nur ein Brief in neutralem Umschlag. Diesen öffnet sie gleich, sich dabei hin setzend mit dem Brotmesser, weil sie voller Spannung, Erwartung und Unruhe auf einen bestimmten Absender hofft. Einen ordnungsgemäßen Brieföffner zu holen hätte Brigitte zu lange gedauert.

Mit aufgeregten Fingern nimmt Brigitte die zusammengelegten Papiere heraus, entfaltet sie und liest mit leiser Stimme die oberste Zeile, die Überschrift: „Meiner lieben Brigitte!“

Ja, diese Zeilen sind von Pierre. Von ihrem Pierre! Diese Handschrift wirkt so vertraut auf Brigitte und erweckt eine so wohltuende Wärme in ihr, ohne dass sie jemals zuvor einen Schriftzug von Pierre gesehen hatte. Außer einem Brief, der eigentlich nicht zählt, weil Pierre dabei absichtlich versuchte eine weibliche Schreibweise zu imitieren.

Wenn ihr Pierre nur hier wäre, um ihr helfen zu können, sie zu trösten und um sie vorm Wahnsinn zu bewahren. Mit ihm an ihrer Seite konnte ihr die Welt nichts böses tun. In seinen starken Armen würde sie sich sicher fühlen. Brigitte versteht aber und weiß genau, dass er jetzt nicht bei ihr sein kann. Also liest Brigitte wenigstens seinen Brief, der sie über einiges hinweg tröstet.

Meiner lieben Brigitte!

Guten Morgen mein Täubchen. Ich schreibe guten Morgen, weil ich weiß, dass Du bestimmt jeden Tag als erstes zum Briefkasten eilst und diesen Brief erwartest.

Ich wäre sehr gerne bei Dir! Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als das. Dich brauche ich, wie eine Blume die hellen Strahlen der Sonne. Ohne ihr Licht würde sie jämmerlich und ohne jegliche Chance zu Grunde gehen.

In meiner Einsamkeit denke ich jede Stunde, Minute und Sekunde nur an Dich und deinen Liebreiz. Ohne Deine Anwesenheit fühle ich mich wie Romeo ohne Julia. Die Welt ist so leer und hoffnungslos ohne Dich, dass ich die Zeit herbeisehne in der wir, nicht um eine Sekunde getrennt zu werden, zusammen sein können.

Ich weiß, dass es nicht möglich ist Dich zu treffen, Dich nur kurz zu sehen. Aber manchmal bin ich der Versuchung so nahe, trotz aller Risiken zu Dir zu fahren, um Dich in meine Arme zu schließen und Dich innig fest zu halten.

Bedauernswerte Chérie! Dir ergeht es bestimmt nicht besser als mir. Deshalb verrate ich Dir aus Sicherheitsgründen nicht meinen Aufenthaltsort, weil ich weiß, dass Du noch schwerer der Verlockung widerstehen kannst mich zu sehen, als ich.

Meine Verbannung wird bald zu Ende sein und dann lasse ich Dich keinen Augenblick mehr aus den Augen. Wir werden uns lieben bis in alle Ewigkeit! Nie wieder werden wir uns trennen müssen und alles gemeinsam tun und erleben.

So vieles hätte ich Dir noch zu schreiben, aber ich mache jetzt Schluss, denn je mehr ich meine Sätze formuliere, umso dringender fühle ich den unbezwingbaren Drang zu Dir. Mein Herz, meine Seele und mein ganzer Körper gehören nur Dir. Bewahre sie gut auf bis zu unserem Wiedersehen meine geliebte Zaubernixe.

Bis bald, Kopf hoch und immer tapfer,

tausend heiße Küsse und alles Liebe,

Dein Pierre

P.S.: Verbrenne diesen Brief sofort, wenn Du ihn gelesen hast, damit ihn keine dritte Person in die Hände bekommen kann. Denke immer daran, wie sehr ich Dich liebe.

Vergessen ist der Kaffee und der Hunger. Brigittes Gedanken wirbeln nur noch um Pierre. ´Wo mag er sein und sich verborgen halten? `

Doch noch so intensives Überlegen bringt Brigitte zu keinem Ergebnis.

Zuerst muss alles überstanden werden, dann wird Brigitte ihn wieder sehen können. Kein Mensch, am wenigsten die Polizei, durfte von ihrem Verhältnis erfahren, sonst würde sich ein Mordverdacht automatisch ergeben, ja regelrecht aufzwingen. Das konnte den Untergang ihrer Beziehung für alle Zeiten durch den Richter bedeuten, wenn es ihnen nicht gelänge ihre Unschuld an dem Unfall zu beweisen.

Brigitte holt sich aus dem Wohnzimmerteil des Raumes den großen Ständeraschenbecher, um die Blätter zu verbrennen. Sie platziert ihn neben dem Esstisch auf dem Boden und stellt die Papiere wie ein Zelt hinein. Das Papier mit einem Streichholz angezündet, sieht Brigitte zu, wie die gelben Flammen es langsam zerfressen. Der brennende Brief wird zunächst zu rot glühender und dann nach und nach schwarzer Asche. Die schwarzen, undefinierbaren Flocken knistern noch nach und es ist wie ein Flüstern, das die geschriebenen Worte von Pierre in akustische umsetzen will.

Zu gerne würde Brigitte jetzt seine streichelnden Hände auf ihrem Körper spüren, seine Liebkosungen und Küsse genießen. Alles, was Brigitte besitzt, gäbe sie dafür her, Pierre bei sich zu haben. Pierre, ihr Pierre, ist in der Lage ihr in einer Minute mehr zu geben, als Dominik je vermochte.

Am Tisch sitzend, den bereits erkaltenden Kaffee zur Seite geschoben, den Kopf auf die Fäuste gestützt, schweifen Brigittes Gedanken ab in die Vergangenheit, als sie Pierre das aller erste Mal sah.

Bis dass der Tod euch vereint

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