Читать книгу Fear Street 32 - Bruderhass - R.L Stine - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеMeggie spürte, wie alles Blut aus ihrem Gesicht wich.
Gift?
In ihrem Zimmer?
Wie war das möglich?
Meggie sah ihre Schwester voller Verzweiflung an – Henrietta schien unter Schock zu stehen. Sie schüttelte nur den Kopf, immer wieder. Ihre Augen suchten die von Meggie.
„Henrietta!“, schrie Meggie und stolperte auf ihre Schwester zu. „Ich habe keine Ahnung, wer dieses Fläschchen in meine Schublade gelegt hat. Aber du weißt genau, dass ich Vater niemals etwas hätte antun können. Niemals!“
Rote Flecken erschienen auf Henriettas blassem Gesicht, als hätte ihr jemand eine Ohrfeige gegeben. „Ja, ja, natürlich“, sagte sie hastig. „Natürlich weiß ich das, Meggie.“
Sie steckte ein paar Strähnen ihres braunen Haars zurück in den straffen Knoten an ihrem Hinterkopf. Dann richtete sie sich kerzengerade auf und starrte den Polizisten ins Gesicht. „Jemand muss dieses Gift in Meggies Schublade gelegt haben. Jemand versucht, meiner Schwester diese furchtbare Tat in die Schuhe zu schieben.“
Die Polizisten hörten ihr nicht einmal zu. Beide sahen Meggie an. „Ich fürchte, wir werden Sie mitnehmen müssen, Miss“, sagte der ältere.
„Mich mitnehmen?“, wiederholte Meggie wie betäubt. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen.
„Nein!“, schrie Henrietta und legte Meggie einen Arm um die Schultern.
Meggie stand mit gesenktem Kopf da. Sie konnte sich nicht bewegen und auch nicht sprechen.
Die Polizisten zerrten ihre Schwester von ihr weg. Meggie hörte zwar, wie Henrietta weinte, doch sie war nicht in der Lage, ihr ins Gesicht zu blicken.
Jemand hatte es so aussehen lassen, als hätte sie, Meggie, ihren Vater ermordet. Dieser Gedanke drehte sich in ihrem Kopf. Immer wieder derselbe Gedanke.
„Kommen Sie“, befahl der ältere Polizist. Grob packte er sie am Arm.
Sie riss den Arm weg und schüttelte heftig den Kopf, um besser denken zu können. „Es besteht keine Notwendigkeit, mich abzuführen“, fauchte sie. „Ich komme freiwillig mit. Aber ich bin unschuldig. Und sobald meine Unschuld bewiesen ist, werden Sie wie zwei Dummköpfe dastehen.“
Plötzlich sah sie wieder klarer. Die Betäubung wich von ihr. „Henrietta, bitte setz dich sofort mit Hamilton in Verbindung“, fügte sie entschlossen hinzu. Hamilton war schon seit Jahren der Anwalt ihrer Familie. Er würde sie nicht enttäuschen.
„Oh, Meggie, ich …“, stieß Henrietta unter Schluchzen hervor.
„Tu, was ich sage“, fuhr Meggie sie an.
„Natürlich“, versprach Henrietta mit leiser, ängstlicher Stimme. „Ich werde sofort zu ihm gehen. Hoffentlich kann er uns helfen.“
Meggie wandte sich wieder den Polizisten zu. Sie hob das Kinn und musterte sie kalt. „Nun? Ich bin bereit.“
Ich bin bereit, hallten die Worte in ihrem Kopf nach.
Aber wie hätte sie jemals bereit sein können für das, was nun folgte? Die Polizisten sperrten sie in ein Abteil der vergitterten Kutsche, mit der Verbrecher ins Gefängnis befördert wurden.
Die Leute versuchten neugierig, einen Blick hineinzuwerfen, und zeigten mit dem Finger, als sie vorbeifuhren. „Hoffentlich sieht mich niemand, den ich kenne“, dachte Meggie. Sonst würde sich das bis zum Abend wie ein Lauffeuer durch die ganze Stadt verbreiten.
Doch dann wurde Meggie klar, dass es keine Rolle spielte, ob jemand sie sah. Ein Skandal wie dieser ließ sich nicht geheim halten. Die Erbin Meggie Alston – eine Mörderin.
„Meine wahren Freunde werden wissen, dass ich es nicht war“, sagte sie sich. „Außerdem habe ich Henrietta.“ Aber der Gedanke, dass auch nur ein einziger Mensch sie für die Mörderin ihres Vaters halten könnte, verursachte ihr Übelkeit.
Als die Polizisten sie schließlich der Gefängnisaufsicht übergaben, fühlte sich Meggie wie betäubt. Sie befolgte jede Anweisung der Wärterin, ohne darüber nachzudenken, und zog stumm ihre Gefängnisuniform an: ein sackartiges braunes Kleid und grobe blaue Strümpfe mit einem roten Streifen.
Die Wärterin übergab Meggie an zwei Kolleginnen, eine große und eine kleine. Meggie ließ sich widerstandslos eine enge Wendeltreppe hinab- und einen schmalen Flur entlangführen.
„Ich muss versuchen, das alles als eine Art Abenteuer zu betrachten“, beschwor sie sich. „Als etwas, von dem ich meinen Freunden noch jahrelang erzählen kann!“
Aber was, schoss es ihr durch den Kopf, wenn sich nicht aufklärte, wer das Gift in ihr Zimmer geschmuggelt hatte? Wenn sie sie nie wieder freiließen? Was, wenn sie den Rest ihres Lebens an diesem grauenhaften Ort verbringen musste?
Die beiden Wärterinnen führten sie durch eine schwere Holztür und hinaus auf einen eisig kalten, feuchten Innenhof.
Meggie blieb wie angewurzelt stehen. Ihre Knie begannen zu zittern.
Direkt vor ihr erhob sich das Holzgerüst, auf dem verurteilte Verbrecher in aller Öffentlichkeit gehängt wurden.
Die große hölzerne Plattform mit dem Galgen ragte im silbernen Licht des Mondes vor ihr auf wie ein Monster, das nur darauf wartete, sie zu verschlingen.
In Panik drehte sich Meggie zu ihren beiden Bewacherinnen um. „Wohin bringen Sie mich?“
Die kleinere der beiden grinste sie an. „Zu deiner Hinrichtung natürlich.“
„Meine … Hinrichtung?“ Meggie brachte die Worte kaum über die Lippen. „Aber ich bin unschuldig! Das ist alles ein Irrtum! Ich …“
Die Wärterinnen starrten sie kalt an.
Dann breitete sich ein gemeines Grinsen auf dem Gesicht der kleineren Frau aus.
Die größere prustete los.
Meggie sah verständnislos von einer zur anderen, bis ihr endlich klar wurde, dass sie sich nur einen grausamen Scherz mit ihr erlaubt hatten.
„Keine Angst“, sagte die größere. „Du wirst noch hängen – aber erst nach deinem Prozess.“
Beide Wärterinnen brachen wieder in Gelächter aus. „Komm jetzt“, befahl die kleinere der beiden.
Sie führten Meggie im Eiltempo durch eine Tür auf der anderen Seite des Hofs und eine weitere Wendeltreppe hinunter. Schließlich erreichten sie einen langen unterirdischen Flur mit Gefängniszellen. An den Wänden brannten Fackeln. Meggie konnte die anderen Gefangenen sehen, die sie durch die vergitterten Luken in den schweren Holztüren anstarrten.
„Schaut euch das Püppchen an“, rief eine Frau verächtlich.
„Sie muss Geld haben, seht doch nur mal ihre Hände!“, johlte eine andere Gefangene. „Die haben noch nie zupacken müssen.“
„Ruhe!“, schrie die größere Wärterin. „Es sei denn, ihr wollt so viele Peitschenhiebe haben, dass ihr es bis ans Ende eures elenden Lebens nicht mehr vergesst!“
Die Wärterinnen blieben vor einer Zellentür stehen. Hier war kein Gesicht an die Gitterstäbe gepresst. Die kleinere Frau wählte einen Schlüssel von ihrem riesigen Bund aus und schob ihn ins Schloss. Sie öffnete die Tür und stieß Meggie in die Dunkelheit.
Die Tür schlug hinter ihr zu. Meggie hörte die eisernen Schlüssel klirren, als die Wärterinnen hinter ihr zusperrten.
„Jetzt fängt der Albtraum richtig an“, dachte sie und sah sich in ihrer düsteren Zelle um. Eiskalter Steinfußboden, schiefe Wände. Gerade groß genug für zwei Betten. Obwohl – Betten waren es eigentlich nicht, sondern Pritschen, die nur aus ein paar Holzplanken bestanden, auf denen zerlumpte Decken lagen.
Und der Gestank! In einer Ecke stand ein Eimer für die menschlichen Bedürfnisse der Gefangenen. Wie oft der wohl ausgeleert wurde?, fragte sich Meggie. Erschöpft ließ sie sich auf eine der Pritschen fallen.
„Das ist mein Bett. Dir gehört das auf der anderen Seite.“
Meggie sprang erschrocken auf. In der Nähe der Tür lehnte eine große Frau an der Wand der Zelle. Meggie war in der Dunkelheit an ihr vorbeigestolpert, ohne sie zu bemerken!
Obwohl die Frau schon älter war, wirkte sie doch bullig und stark. Stark genug, um Meggie ihren Willen aufzuzwingen.
Die Frau kam langsam auf sie zu.
Meggie wich zurück.
„Hab keine Angst“, sagte die Frau freundlich. „Ich tu dir nichts, kleines Mädchen.“
Meggie brachte kein Wort heraus. War das nur wieder ein übler Scherz – wie ihn die Wärterinnen noch vor wenigen Minuten mit ihr gemacht hatten?
Die alte Frau lächelte, und ihr Lächeln war warm. „Willkommen in meiner Wohnung“, sagte sie zu Meggie und streckte ihr eine Hand entgegen. „Wie es scheint, werden wir eine längere Zeit miteinander verbringen.“
„Ja, es scheint so“, bestätigte Meggie und schüttelte der Frau die Hand. „Wie seltsam“, dachte sie, „sich an einem Ort so förmlich und höflich zu begrüßen.“
„Ich bin Elizabeth“, sagte die alte Frau. „Elizabeth Samuels.“
„Meggie Alston“, stellte Meggie sich vor.
Die alte Frau sah ihr prüfend ins Gesicht. „Kind, was hast du nur an einem so gottverlassenen Ort wie diesem zu suchen? Du bist doch noch so jung.“
„Ich … ich habe nichts verbrochen“, stammelte Meggie. „Ich bin unschuldig! Mein Vater ist tot – und nun glaubt man, ich hätte ihn … ermordet …“
Elizabeths Augen weiteten sich. „Armes Kind“, murmelte sie. „Du siehst nicht aus, als ob du zu so etwas fähig wärst.“
„Oh, ich danke Ihnen!“, stieß Meggie hervor. „Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie gut es tut, dass Sie mir glauben …“
Sie konnte nichts dagegen tun – sie begann zu weinen. Die Trauer um ihren Vater, der Schock der Verhaftung … und nun die Freundlichkeit der alten Frau …
Jetzt kamen all die Tränen, die sie zurückgehalten hatte, seit die Polizisten sie mitgenommen hatten.
Durch ihre Tränen sah sie, wie Elizabeth ihre knorrigen Hände betrachtete und sie dabei hin und her drehte. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich.
„Wo ist mein Ring?“, fragte sie Meggie eisig.
„Ihr was?“
„Spiel hier nicht die Unschuldige, du gemeine Diebin! Du bist also doch eine Verbrecherin, und du hast meinen Ring gestohlen!“
„Ich weiß gar nicht, wovon Sie reden“, verteidigte sich Meggie. „Ehrlich nicht!“
„Du hast ihn! Du hast ihn!“
Elizabeth stürzte sich auf sie. Meggie sprang zur Seite. Dabei blieb sie mit dem Fuß am Toiletteneimer hängen. Der Inhalt des Eimers ergoss sich über den Steinboden.
„Gehen Sie weg!“, kreischte sie Elizabeth an. „Oder ich werde …“
Ja, was würde sie tun?, überlegte sie hektisch. Was konnte sie schon tun? Wer würde sie jetzt noch beschützen?
Es gab keinen Fluchtweg und kein Versteck. Die große alte Frau packte sie an den Haaren und stieß sie grob gegen die Wand.
Meggie versuchte zu schreien, aber die Frau presste ihr den Arm so hart gegen die Kehle, dass sie kaum Luft bekam.
Während sie Meggie gegen die Wand drückte, durchsuchte sie Meggies Taschen. „Wo ist er? Wo hast du ihn versteckt?“
„Ich sage doch, ich habe Ihren Ring nicht!“, keuchte Meggie und versuchte, sie wegzuschieben. „Haben Sie mich verstanden? Ich habe Ihren Ring nie gesehen!“
Elizabeth ließ Meggie los. Sie ging zu ihrer Pritsche und ließ sich auf die Kante fallen. Vor Wut verengten sich ihre Augen zu Schlitzen. „Du hast ihn verschluckt, hä? Das wird mich auch nicht daran hindern, ihn zurückzuholen. Ich werde dich aufschlitzen wie einen Fisch. Sobald du eingeschlafen bist, werde ich dich in tausend Stücke schneiden! Das glaubst du wohl nicht? Ich habe ein Messer in meiner Zelle versteckt!“
Auf der Suche nach der Waffe wanderte Meggies Blick unruhig durch die Zelle. Die Frau lachte meckernd. „Da, wo ich es versteckt habe, findest du es nie. Du wirst es erst sehen, wenn es zu spät ist!“
Meggie stand immer noch schwer keuchend an der Wand. „Henrietta wird mit unserem Anwalt reden“, dachte sie. „Dann komme ich morgen hier raus. Ich brauche nur eine Nacht an diesem grauenvollen Ort zu verbringen.“
Während die alte Frau sich auf ihrer Pritsche vor- und zurückwiegte und in einen seltsamen Singsang verfiel, wiederholte Meggie im Stillen immer wieder dieselben drei Worte, als spräche sie ein Gebet.
Nur eine Nacht.
Nur eine Nacht.
Nur eine Nacht.