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Mervyn Peake: MORGEN UM DIE GLEICHE ZEIT (Same Time, Same Place)

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An jenem Abend konnte ich Vater nicht ausstehen. Er roch nach Kohl. Seine Hose war voll Zigarettenasche. Sein ungepflegter Schnurrbart war noch unappetitlicher und nikotinvergilbter als gewöhnlich, und er nahm mich überhaupt nicht zur Kenntnis. Er hockte einfach in seinem hässlichen Lehnstuhl und brütete mit halb geschlossenen Augen über Gott weiß was nach. Ich hasste ihn. Ich hasste seinen Schnurrbart. Ich hasste selbst den Rauch, der aus seinem Mund quoll und über seinem Kopf in der dumpfen Luft hängen blieb.

Dann trat meine Mutter ein und fragte mich, ob ich ihre Brille gesehen hätte, und da hasste ich auch sie. Ich hasste ihr geschmackloses, aufgeputztes Kleid. Und noch etwas fand ich unausstehlich, was ich bisher nie bemerkt hatte: die Art, wie ihre Absätze an den Außenrändern abgetreten waren. Nicht stark zwar, aber doch genug, dass ich es sah. Sie machten einen schlampigen und ungemein menschlichen Eindruck auf mich. Ich hasste sie, weil sie menschliche Schwächen hatte. Genau wie Vater.

Sie begann wegen ihrer Brille und meinen durchgescheuerten Rockärmeln an mir herumzunörgeln, bis ich plötzlich mein Buch hinknallte. Ich ertrug das Zimmer nicht länger. Es erstickte mich. Schlagartig begriff ich, dass ich fort musste. Seit nahezu dreiundzwanzig Jahren lebte ich jetzt mit diesen beiden Menschen. War das ein Leben für einen jungen Mann? Dass er jahraus, jahrein jeden Abend zusieht, wie der Rauch aus dem Mund seines Vaters aufsteigt und den schütteren alten Schnurrbart beschmutzt? Dass er die abgetretenen Absätze seiner Mutter anstarrt oder die dunkelbraunen Möbel und die alten Flecken im schokoladebraunen Teppich? Ich wollte fort und das freudlose Kleinbürgertum dieser Wohnung abstreifen. Ich verzichtete auf meine Erbrechte. Was geht mich Vaters Laden an, den ich nach seinem Tod übernehmen soll? Hol ihn der Teufel!

Ich schlich zur Tür, aber auf der dritten Stufe verfing sich mein Fuß in einer Falte des schokoladebraunen Teppichs. Haltsuchend streckte ich die Hand aus und warf dabei eine rosa Vase zu Boden.

Hilfloser Zorn überfiel mich, und ich kam mir vor wie ein kleiner Junge. Ich sah, wie sich der Mund meiner Mutter öffnete. Er erinnerte mich an die Haustür und die wiederum erinnerte mich an meinen Wunsch zu flüchten. Wohin?

Ich wartete nicht ab, bis mir die Antwort auf diese Frage einfiel. Ohne recht zu wissen, was ich tat, stürmte ich aus dem Haus.

Die auf gestaute Langweile der letzten dreiundzwanzig Jahre schob mich fast ohne mein Zutun durch die Gartenpforte ins Freie.

Die Straße schimmerte schwarz im Regen. Ein Bus kam angefahren, und ich stieg ein. Hinter den Fensterscheiben flatterten hundert Gesichter vorbei, als würde jemand die Seiten eines dunklen Buches umblättern. Und ich saß da, mit einer Six-Penny-Münze in der Hand. Was tat ich eigentlich? Wohin fuhr ich?

Zum Mittelpunkt der Welt, sagte ich mir. Zum Piccadilly Circus, wo die wildesten Abenteuer beginnen konnten. Danach sehnte ich mich und hatte doch schon jetzt Angst davor. Ich wollte eine wunderschöne Frau finden. Unauffällig winkelte ich meinen Arm ab und betastete meinen Bizeps. Viel gab es da nicht zu betasten. »Verdammt«, dachte ich, »wie scheußlich ist doch alles.«

Angestrengt spähte ich aus dem Fenster. Vor mir lag der Circus. Seine Lampen blitzten mich herausfordernd an, und ich kletterte aus dem Bus. Nun war ich im Dschungel und völlig verlassen. Raubtiere umschlichen mich drohend. Wolfsrudel drängelten und schoben mich weiter. Wohin? Wie gut wäre es jetzt, eine freundlich beleuchtete Wohnung zu wissen; eine Tür zu kennen, die sich auf ein geheimes Klopfzeichen öffnete - dreimal kurz, einmal lang. Dahinter würde ein aschblondes Mädchen mit einer Tasse Tee auf mich warten; oder noch besser vielleicht, eine verehrungswürdige, noble, alte Dame, deren Absätze an den Außenkanten nicht abgetreten waren.

Aber ich kannte weder ein verführerisches Mädchen noch eine verständnisvolle alte Dame. Ich kannte bloß das Corner-House- Restaurant.

Dorthin ging ich. Es war weniger überfüllt als gewöhnlich. Ich musste mich nur kurz anstellen, ehe man mich in den berühmten Speisesaal im ersten Stockwerk einließ. Oh, dieser Prunk aus Marmor und Gold! Lautlos huschten die Kellner hin und her. In der Ferne spielte die Kapelle. Das war etwas anderes als vor einer Stunde, als ich noch den Schnurrbart meines Vaters anstarrte.

Ich fand nicht sofort einen freien Tisch. Dann aber erhob sich in der dritten Tischreihe ein alter Herr. Die Dame ihm gegenüber rührte sich nicht von ihrem Platz. Wäre auch sie gegangen, hätte ich jetzt keine Geschichte niederzuschreiben. Arglos nahm ich auf dem frei gewordenen Stuhl Platz, griff nach der Speisekarte, hob den Kopf und blickte in die nachtdunklen Seen ihrer Augen.

Meine ausgestreckte Hand stockte. Ich war von diesem herrlichen Kopf vor mir wie gebannt. Er war groß und blass und unbeschreiblich stolz. Was ich heute einen gierigen Zug nennen würde, erschien mir damals als Inbegriff von Selbstsicherheit und majestätischer Schönheit.

War das Liebe auf den ersten Blick? Warum hätte sonst mein Herz wie verrückt gehämmert? Warum hätte meine Hand über der Speisekarte gezittert? Warum war mein Mund wie ausgetrocknet?

Worte waren völlig unmöglich. Mir war klar, dass sie genau wusste, was in meiner Brust und meinem Kopf vor sich ging. Ihr Blick verströmte so viel Liebe, dass ich fast den Verstand verlor. Sie ergriff meine Hand und drückte sie auf die Tischplatte, wo sie wie ein lebloses Ding auf einem Teller liegen blieb. Dann reichte sie mir die Speisekarte. Die Buchstaben tanzten vor meinen Augen.

Was ich bestellte und was mir der Kellner brachte, weiß ich nicht mehr. Ich weiß bloß, dass ich nicht imstande war, etwas zu essen. Eine volle Stunde saßen wir dort. Wir sprachen mit unseren Blicken, mit dem Puls und unseren erregten Atemzügen und, gegen Ende dieses ersten Zusammentreffens, mit den Fingerspitzen, die einander im Schatten der Teekanne berührten.

Endlich wurden wir aufgefordert, das Lokal zu verlassen. Ich stand auf und sprach zum ersten Mal. »Morgen?«, flüsterte ich. Langsam nickte sie mit ihrem prachtvollen Kopf. »Hier? Um die gleiche Zeit?« Wieder nickte sie.

Ich wartete, bis sie aufstand. Sie aber verabschiedete mich mit einer freundlichen, aber bestimmten Handbewegung.

Das erschien mir merkwürdig, aber ich wusste, dass ich gehen musste. An der Tür drehte ich mich nochmals um. Reglos und sehr aufrecht saß sie auf ihrem Platz. Ich gelangte über die Treppe zur Straße und wandte mich zur Shaftesbury Avenue. Mein Kopf drehte sich, meine Beine waren schwach und zittrig, und mein Herz brannte lichterloh.

Mechanisch trat ich den Heimweg an, zurück zum schokoladebraunen Teppich, zu meinem Vater in dem hässlichen Lehnstuhl und meiner Mutter mit den abgetretenen Absätzen.

Als ich endlich den Schlüssel ins Schloss steckte, war es beinahe Mitternacht. Meine Mutter hatte geweint. Mein Vater war wütend. Es gab Worte, Drohungen und Vorstellungen von allen Seiten. Endlich ging ich zu Bett.

Der nächste Tag erschien mir endlos. Bald nach dem Tee bestieg ich den Bus. Es war zwar bereits dunkel, aber trotzdem traf ich viel zu früh am Circus ein.

Unruhig wanderte ich auf und ab, zog mir vor den Auslagenscheiben die Krawatte zurecht und feilte meine Nägel zum hundertsten Male.

Schließlich saß ich zum fünftenmal traumverloren auf dem Leicester Square. Ich sah auf meine Uhr und bemerkte, dass es bereits drei Minuten über die vereinbarte Zeit geworden war.

Keuchend vor Aufregung lief ich ins Restaurant. Meine Angst war unbegründet gewesen. Hoheitsvoll, wie der Inbegriff des ewig Weiblichen, saß sie an unserem Tisch in der ersten Etage. Bei meinem Anblick entspannte sich ihr großes, blasses Gesicht, und sie sah mich mit solch unverhüllter Freude an, dass ich beinahe gejauchzt hätte.

Ich will nicht von der wunderbaren Innigkeit jenes Abends sprechen. Es genügt zu sagen, dass wir erkannten, unsere Geschicke seien unlösbar mitsammen verbunden.

Es wurde Zeit aufzubrechen. Zu meiner Überraschung wiederholte sich der gleiche Vorgang wie beim ersten Mal. Das war mir unerklärlich. Wieder blieb sie allein am Tisch neben der Marmorsäule sitzen. Wieder trat ich allein in die Nacht hinaus. Ich hatte noch die berauschenden Worte auf den Lippen: »Morgen... morgen... um die gleiche Zeit.«

Die Gewissheit, dass ich sie und sie mich liebte, stieg mir zu Kopf. In jener Nacht schlief ich kaum, und am nächsten Tag ging ich mir und meinen Eltern auf die Nerven.

Ehe ich abends zu unserem dritten Rendezvous aus dem Haus ging, schlich ich mich ins Schlafzimmer meiner Mutter und wählte aus den wenigen Habseligkeiten in ihrem Schmuckkästchen einen Ring aus. Gott weiß, dass er nicht würdig war, am Finger meiner Angebeteten zu stecken, aber er sollte ein Zeichen unserer Liebe sein.

Auch diesmal wartete sie bereits auf mich, obwohl ich volle fünfzehn Minuten vor der vereinbarten Zeit erschien. Sooft wir beisammen waren, hatten wir das Gefühl, hinter einem Schleier der Liebe allein zu sein. Wir hörten nichts außer unseren Stimmen, sahen nichts als die Augen des anderen.

Sie steckte den Ring sofort an den Finger und drückte zärtlich meine Hand. Ihre Kraft war erstaunlich. Ich zitterte am ganzen Körper. Unter dem Tisch versuchte ich, meinen Fuß an ihren zu drücken. Ich konnte ihn nirgends finden.

Wieder kam der gefürchtete Augenblick heran und ich ließ sie aufrecht sitzend zurück. Ihr liebevolles, inniges Abschiedslächeln blieb mir wie ein phantastischer Sonnenaufgang im Gedächtnis haften.

Acht Tage lang trafen und verabschiedeten wir uns auf diese Weise. Mit jedem Beisammensein wuchs unsere Gewissheit, dass wir schleunigst heiraten mussten, solange uns der Zauber gefangen hielt.

Am achten Abend war alles entschieden. Sie wusste, dass ich die Hochzeit geheim halten musste, weil meine Eltern dieser überstürzten Heirat niemals zustimmen würden. Das verstand sie. Sie allerdings wollte ein paar Freunde einladen.

»Ich habe ein paar Kollegen«, sagte sie. Ich wusste nicht, was sie damit meinte, aber da sie mir gleich darauf erklärte, wo wir uns am nächsten Nachmittag treffen sollten, vergaß ich ihre Bemerkung wieder.

In der ersten Etage eines bestimmten Gebäudes am Cambridge Circus sei ein Standesamt, sagte sie. Dorthin sollte ich um vier Uhr kommen. Alle Formalitäten würde sie erledigen.

»Ach, mein Herz«, hatte sie gesagt und dabei langsam den großen Kopf geschüttelt, »wie soll ich es bis dahin aushalten?« Und dann schickte sie mich mit ihrem bezauberndsten Lächeln fort.

Zum achten Mal ließ ich sie an unserem Tisch zurück. Ich wusste, dass jede Frau ihr kleines Geheimnis hat, das man ihr nicht entreißen darf, also schluckte ich die Frage, die ich ihr so gern gestellt hätte: Warum musste ich sie jedes Mal allein lassen, und weshalb war sie immer schon vor mir da?

Am nächsten Tag durchstöberte ich den Toilettentisch meines Vaters und fand einen goldenen Ring. Kurz nach drei, nachdem ich mein Haar gebürstet hatte, dass es wie Seehundfell glänzte, schlich ich aus dem Haus. In meinem Knopfloch steckte eine Blume, und ich trug einen Koffer mit meinen Habseligkeiten bei mir. Es war ein strahlender, windstiller Tag.

Der Bus fuhr viel zu langsam für meinen Geschmack. Endlich bogen wir in den Cambridge Circus ein. Da ich eine genaue Beschreibung des Standesamtes erhalten hatte, erkannte ich das Haus sofort. Unmittelbar davor musste der Bus wegen des dichten Verkehrs anhalten, und ich hätte bequem aussteigen können.

Ich saß auf dem Dach des Busses, bückte mich nach meinem Koffer und warf dabei einen Blick zu den Fenstern im ersten Stockwerk.

Deutlich sah ich das Innere eines Raumes, der direkt in meiner Augenhöhe lag. Keine vier Meter trennten mich davon. Ich weiß noch, dass der Bus wie verrückt hupte, weil er rettungslos im Verkehr eingekeilt war. Ich hörte das Hupen wie im Traum, denn ich war in einer anderen Welt versunken.

Meine Finger umklammerten den Koffergriff. Durch meine aufgerissenen Augen strömte ein Bild in mein Gehirn. Das Bild des Raumes im ersten Stock.

Ich wusste sofort, dass es sich um den Raum handelte, in dem ich erwartet wurde. Woher ich das wusste, kann ich nicht sagen, denn zuerst hatte ich sie noch gar nicht gesehen.

Auf der rechten Seite der Bühne (ich hatte nämlich das Gefühl, in einem Theater zu sein) stand ein blumenbeladener Tisch. Dahinter saß ein kleiner Standesbeamter in gestreiftem Anzug. Außer ihm befanden sich noch vier andere Leute im Raum. Drei davon gingen auf und ab. Die vierte, eine riesige Dame mit Bart, saß auf einem Stuhl beim Fenster. Einer der Männer neigte sich vor, um ihr etwas zu sagen. Er hatte einen unwahrscheinlich langen Hals. Sein steifer Kragen war so lang wie ein Spazierstock. Der kleine, knochige Schädel saß wie ein Vogelkopf obenauf. Der zweite Mann war völlig kahl. Gesicht und Schädel waren mit blauen Tätowierungen überzogen. Er hatte Goldzähne, die wie Feuer aus seinem Mund blitzten. Der dritte und letzte schließlich war ein gut gekleideter junger Mann, der einen durchaus normalen Eindruck machte, bis er einen Moment näher ans Fenster kam. Da sah ich, dass aus seinem linken Ärmel anstelle der Hand ein Bocksfuß ragte.

Und dann ging alles ganz schnell. Die Tür schien sich geöffnet zu haben, weil sich alle Köpfe in die gleiche Richtung drehten. Im nächsten Augenblick hüpfte ein Etwas in Weiß durch den Raum. Wie ein Hund.

Aber es war kein Hund. Es lief aufrecht. Zuerst dachte ich an eine mechanische Puppe, weil sie so knapp vom Boden entfernt war. Das Gesicht konnte ich nicht sehen, aber ich staunte über die lange Seidenschleppe, die das Wesen auf dem Teppich nachschleifte.

Beim blumengeschmückten Tisch hielt es an. Es gab Begrüßungslächeln und Verbeugungen. Dann stellte der Mann mit dem längsten Hals der Welt einen hohen Hocker vor den Tisch. Mit Hilfe des jungen bocksfüßigen Mannes hob er das weiße Ding hoch, dass es auf dem Hocker zu stehen kam. Das lange Seidenkleid wurde sorgfältig über dem Hocker drapiert, dass es auf allen Seiten den Boden berührte. Nun sah es aus, als stünde eine große, elegante Frau vor dem Tisch.

Und immer noch hatte ich das Gesicht nicht erblickt, obwohl ich wusste, wie es aussehen würde. Mir wurde todübel. Ich sank auf meinen Sitzplatz und verbarg mein Gesicht in den Händen.

Wann sich der Bus wieder in Bewegung setzte, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, dass ich immer weiter und weiter fuhr, bis ich endlich die Endstation erreicht hatte. Mir blieb nichts übrig, als mit dem nächsten Bus wieder umzukehren. Inzwischen war mein Schreck einer merkwürdigen Erleichterung gewichen. Dass dieser Bus mich an die Schwelle meines Geburtshauses brachte, erfüllte mich mit seligem Heimweh. Noch stärker allerdings war meine Angst. Ich betete, dass der Bus nicht wieder am Cambridge Circus aufgehalten würde.

Diesmal hatte ich meinen Platz zu ebener Erde gewählt, weil ich kein Verlangen verspürte, in Augenhöhe mit einem Menschen zu sein, den ich verlassen hatte. Zwar fühlte ich mich ihr gegenüber nicht schuldig, aber trotzdem hatte ich sie verlassen.

Endlich näherte sich der Bus dem Circus, und ich spähte in die Dämmerung. Direkt vor dem Standesamt brannte eine Straßenlampe. Ich sah sofort, dass es im Büro finster war. Als der Bus vorbeirollte, wanderte mein Blick zu einer Gruppe unter der Bogenlampe. Eiseskälte kroch mir ins Herz.

Fünf Gestalten, die entschlossen schienen, Rache zu üben, standen dort. Ich sah sie nur sekundenlang, aber nie werde ich diese Köpfe vergessen, die grell von der Lampe beschienen wurden. Da war der Mann mit dem irrsinnig langen Hals und dem Vogelkopf, in dem die Augen wie Glassplitter glänzten. Rechts von ihm stand der kleine Kahlköpfige. Er streckte den tätowierten Schädel vor, und das Licht spielte auf den blauen Zeichnungen. Links neben dem Langhalsigen stand der Jüngling. Seine Haltung war entspannt, aber seine entsetzliche Grimasse treibt mir noch heute den Schweiß auf die Stirn. Seine Hände steckten in den Taschen, aber durch den Stoff hindurch sah ich den Umriss des Bocksfußes. Ein Stück vor ihnen stand drohend die vierschrötige Frau mit dem Bart. Und in ihrem Schatten sah ich im letzten Sekundenbruchteil, als der Bus langsam vorbeifuhr, einen großen, bleichen Kopf knapp über dem Pflaster.

In der Dämmerung schien er wie ein blasser Ballon mit einem rot aufgemalten Mund über dem Bordstein zu schweben. Der Mund war eine einzige satanische Krümmung und ähnelte mehr dem Fang eines Raubtieres als dem Mund einer Frau.

Lange noch, nachdem ich die Gruppe hinter mir gelassen hatte, die wie eine unbewegliche wächserne Gruppe aus einem Gruselkabinett aussah, verfolgte mich ihr Bild. Es breitete sich in meinem Gehirn aus. Dort ist es noch heute.

Als ich endlich zu Hause ankam, warf ich mich schluchzend aufs Bett. Meine Eltern wussten nicht, warum ich weinte, aber sie haben mich niemals danach gefragt.

Seit damals sind sechs Jahre verstrichen, aber ich erinnere mich noch genau, wie ich an jenem Abend nach dem Essen in meinem Stuhl saß, der auf dem schokoladebraunen Teppich steht. Ich erinnere mich, mit welcher Zärtlichkeit ich die Asche auf der Weste meines Vaters anstarrte, seinen fleckigen Schnurrbart und die abgetretenen Absätze meiner Mutter. Ich saugte den Anblick voll Liebe in mich ein. Ich brauchte ihn.

Seit damals habe ich unser Haus nie wieder verlassen. Ich weiß, wo ich am besten aufgehoben bin.

TERROR

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