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Robert Bloch: FANTASIE MUSS MAN HABEN (A Good Imagination)
ОглавлениеSicher habe auch ich meine Fehler, aber Mangel an Fantasie zählt nicht dazu.
Nehmen Sie doch nur zum Beispiel die Sache mit George Parker. Heute kam sie endlich zum Abschluss. Ich schmeichle mir, dass ich sie äußerst geschickt eingefädelt habe. In solchen Dingen kommt es eben nur auf die nötige Fantasie an.
Ich stand unten im Keller und rührte Zement an, als er an der Hintertür klopfte.
»Niemand zu Hause?«, rief er.
»Doch, hier unten. Ich bin schon so weit«, sagte ich.
Polternd durchquerte er die Küche und rumpelte die Kellertreppe herunter. So trampelte George sich durchs ganze Leben - feinfühlig wie eine Dampfwalze.
Im Keller musste er den Kopf einziehen, weil er so groß ist. Hochgewachsen und stämmig, mit dem Stiernacken und den breiten Schultern, die so typisch für Sportler, Filmstars und erwachsene Gorillamännchen sind.
»Ganz allein?«, fragte er. »Wo ist Mrs. Logan?«
»Louise?« Ich zuckte die Achseln. »Sie ist nach Dalton gefahren, um das Bankkonto aufzulösen.«
Sein Grinsen erlosch. »Oh. Eigentlich hatte ich gehofft, mich noch von ihr verabschieden zu können.«
Das kann ich mir vorstellen. Ihn traf fast der Schlag vor Enttäuschung. Wie ich ihn durchschaute! Ich wusste genau, warum er angeklopft und gefragt hatte. »Niemand zu Hause?« In Wirklichkeit wollte er damit sagen: »Ist die Luft rein, Süße?«
Wie oft hatte er sich während des Sommers wohl ins Haus geschlichen? Wie oft hatte er sie an den langen Wochentagen >Süße< genannt, wenn ich mich in der Stadt abgerackert habe und sie ganz allein in unserem Sommerhaus war?
Allein mit George Parker. Mit der Dampfwalze, dem Gorilla. Dem Affen im Polohemd.
Als wir im Juni einzogen, hielt ich es für ein Glück, hier einen Mann wie George zu finden, der alles zu reparieren versteht. Das Haus musste überholt, tapeziert und gestrichen werden. Auch der Rasen und der Garten brauchten Pflege. Und da ich selbst nur zum Wochenende herfahren konnte, gratulierte ich mir, einen arbeitswilligen Mann wie George gefunden zu haben.
Auch Louise hatte mir gratuliert. »Es war fabelhaft von dir, dass du diese Perle entdeckt hast. Das Haus braucht einen Bastler.«
Nun, George muss gut gebastelt haben. Den ganzen Sommer hindurch fand Louise neue Arbeiten für ihn. Die Nachbarn gewöhnten sich daran, ihn drei bis vier Tage in der Woche kommen zu sehen. Auch ich gewöhnte mich daran. Länger als zwei Monate war ich blind. Aber dann ging mir ein Licht auf. George und Louise. Tag um Tag allein hier draußen. Und vielleicht auch Nacht um Nacht.
Aber selbst dann war ich noch nicht sicher. Man muss schon sehr viel Fantasie besitzen, um sich vorzustellen, dass eine Frau sich in diesen Schwachkopf verlieben könnte. Aber wer weiß? Vielleicht haben manche Frauen etwas für Affen übrig. Vielleicht sehnen sie sich heimlich nach einem keuchenden Vieh mit behaartem Leib, das sich schwer auf sie stürzt. Louise hat immer beteuert, dass sie tierische Männer widerlich findet. Vor mir hat sie Hochachtung, weil ich zart und verständnisvoll bin und mich beherrsche. Zumindest hat sie mir das versichert.
Aber ich habe bemerkt, wie sie George ansah. Und ich sah auch, wie er darauf reagierte. Und wie die beiden sich verstohlen beobachteten, wenn sie glaubten, ich bemerke es nicht.
Aber natürlich bemerkte ich es. Von Woche zu Woche deutlicher. Zuerst dachte ich daran, ihn hinauszuwerfen. Aber das wäre unklug gewesen, mitten im Sommer, wo noch so viele Arbeiten unerledigt waren. Und auf einen Krach mit Louise wollte ich es auch nicht ankommen lassen. Sie hätte doch nur geweint und geleugnet, und am Ende wäre ich das Scheusal gewesen, das sie den ganzen Sommer in ländlicher Einsamkeit gefangen hält. Beweisen konnte ich ihr ja schließlich nichts.
Deshalb beschloss ich zu verkaufen. Das war nicht schwierig. Durch die Reparaturen hatte das Haus an Wert gewonnen. Ich wandte mich an einen Makler in Dalton. Ende August lagen mir drei Angebote vor. Ich entschied mich für das beste und strich einen passablen Gewinn ein.
Louise war natürlich todunglücklich, als sie davon erfuhr. Es gefiele ihr so gut hier draußen, sie hätte sich endlich eingewöhnt und sich schon wieder auf den nächsten Sommer gefreut, ja, sie hätte mir sogar vorgeschlagen, einen Ofen aufzustellen, damit wir das ganze Jahr über hier wohnen könnten.
Sie hatte ihre Rolle gut gespielt. Bloß, dass wir für immer hier bleiben sollten, war eine dumme Übertreibung gewesen. Bildete sich der kleine Dummkopf wirklich ein, dass ich darauf eingehen würde? Die ganze Woche allein in der Stadt zu schuften und dann zum Wochenende durch Eis und Schnee hierher zu fahren, um mir ihre Ausreden anzuhören: »Ach, nein, mein Herz, ich bin einfach zu müde! Du hast ja keine Ahnung, wieviel Arbeit so ein Haus macht! Am liebsten würde ich tagelang schlafen.«
Ich hätte sie gerne angebrüllt und beschimpft und ihr ins Gesicht geschrien, was ich wusste. Aber zu Louise durfte man nicht brutal sein. Sie war ja so zart.
Also war ich auch zart mit ihr. Ich sagte ihr bloß, es sei vernünftig, mit Gewinn zu verkaufen. Und nächstes Jahr würden wir in ein anderes Haus ziehen. Ich wüsste schon eines, wenn es auch etwas abseits lag.
»Abseits?«, fragte sie mich mit großen Augen. »Wo denn? Weit von hier?«
»Ziemlich«, antwortete ich lächelnd.
»Aber ich - ich bliebe gerne hier, am Fluss.«
»Sieh dir's zuerst an, dann sprechen wir weiter. Und jetzt reden wir nicht mehr davon. Ich nehme an, du bist müde.«
»Ja. Wenn es dir recht ist, schlafe ich auf dem Sofa.«
Es war mir recht. Und wir sprachen nicht mehr davon. Ich schloss den Verkauf ab und ließ Louise unsere Sacheneinpacken. Viel war es nicht, weil ich die Möbel auch gleich verkauft hatte.
Und heute war der letzte Tag, und George stand bei mir im Keller und sah sich den Mischtrog an.
»Ist das das Loch, das ich zustopfen soll?«, fragte er. Damit zeigte er auf die Öffnung unter der Kellertreppe. Sie war etwa zwei Fuß hoch und ebenso breit und lag zwischen den Deckenbalken und dem oberen Rand der Kellerwand.
»Stimmt. Der Schacht reicht bis hinten zum Schuppen, glaube ich. Er hat mich schon, immer gestört, und ich möchte ihn gerne zumauern, ehe die neuen Besitzer einziehen.«
»Damit keine Mäuse reinkommen, wie?«
»Und keine Ratten«, sagte ich.
»Sie haben mir nie gesagt, dass Sie hier Ratten haben«, sagte George und sah sich das Loch in der Wand an. »L... - Mrs. Logan hat auch nichts davon erwähnt.«
»Vielleicht wusste sie nichts davon. Nun, das spielt ja jetzt keine Rolle mehr. Der Zement bringt das schon in Ordnung.« Ich trat zurück. »Übrigens ist das ein ganz neues Material, George. Ich weiß nicht, ob Sie schon mal damit gearbeitet haben. Ich habe es in der Stadt gekauft. Heißt Schnelldichtung. Soll in knapp einer Stunde trocken und hart sein.«
»Haben Sie die Gebrauchsanweisung?«, fragte George.
»Nicht nötig. Man verwendet das Zeug genauso wie den herkömmlichen Zement.« Ich gab ihm die Kelle und die Bretter. »Da, fangen Sie gleich an. Ich montiere inzwischen die Schießscheibe ab.«
Er machte sich an die Arbeit. Ich ging zur anderen Seite des Kellers und nahm meine Zielscheibe ab. Dann holte ich die Pistolen aus dem Schrank und packte sie ein. Anschließend nahm ich die Revolver von der Wand, putzte sie und legte sie weg.
George arbeitete flink. Leuten wie George fällt körperliche Arbeit immer leicht, weil sie dabei nicht nachdenken müssen. Zeigt man ihnen ein Loch in der Wand, werden sie es zumauern, zeigt man ihnen eine Frau...
Rasch dachte ich an etwas anderes. Hingebungsvoll ölte ich den letzten Revolver. Dann hielt ich ihn hoch und sah Georges breiten Rücken gebannt an. Ich lud den Revolver und spannte den Hahn. Zehn Fuß vor mir stand ein ideales Ziel. Ein leichter Treffer.
Genau das war natürlich der Haken. George würde tot umfallen, ohne etwas zu begreifen,
Aber er sollte begreifen. Selbst in einem Schwachkopf wie George steckt die Fähigkeit zu denken und zu begreifen. Man musste nur dahinterkommen, womit sich seine Vorstellungskraft ankurbeln ließ.
Ich legte also den Revolver hin und ging zu George.
»Sie scheinen schon fertig zu sein«, sagte ich.
Er nickte und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Aus seinen Achselhöhlen stieg ein animalischer Geruch auf.
»Ja. Das Zeug ist prima. Sehen Sie nur, es wird bereits hart. Ich will es nur noch glattstreichen.«
»Ach, das reicht schon. Sie sehen aus, als könnten Sie ein Bier vertragen.«
Er grinste und ging mit mir zu dem tragbaren Eisschrank in der Ecke. Ich nahm eine Flasche Bier heraus und öffnete sie. Dankbar goss er das Bier hinunter. Die Hasche war leer, ehe er sich die Mühe nahm, aufzublicken und zu fragen: »Trinken Sie denn nichts?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nicht, solange Feuerwaffen in Reichweite liegen, George.« Damit zeigte ich auf die Kästen auf dem Tisch.
»Übrigens, Mr. Logan, was ich Sie schon immer fragen wollte: Warum sammeln Sie eigentlich Schusswaffen?«
»Warum nicht? Das ist ein sehr beliebtes Hobby.«
»Aber ich habe Sie noch nie schießen gesehen.«
Ich holte die nächste Bierflasche aus dem Schrank, öffnete sie und gab sie George.
»Vielleicht sammle ich sie nicht zum Schießen, George, sondern bloß als Symbole. Nehmen Sie nur zum Beispiel diesen Colt. Zu jeder Kugel, die aus ihm abgefeuert wurde, fällt mir sofort eine Geschichte ein. Ich sehe dramatische, gefährliche, blutige Szenen vor mir.«
»Verstehe. Das regt Ihre Fantasie an, wie?«
»Genau.« Ich gab ihm das nächste Bier. »Trinken Sie, George. Der Eisschrank muss leer werden. Außerdem ist heute unser letzter Tag, also wollen wir feiern.«
Er nickte. Aber er sah nicht so aus, als sei ihm bei unserem Abschied zum Feiern zumute. Das eiskalte, hastig hinuntergegossene Bier machte sich langsam bemerkbar. An einem heißen Tag, besonders nach schwerer körperlicher Arbeit, genügen schon ein paar Flaschen. Noch ehe er die letzte geleert hatte, schob ich ihm die nächste zu. Er trank rasch und geräuschvoll. Der breite Nacken bildete Falten, die dicken Lippen schlossen sich gierig um den Flaschenhals. Er hatte das selbstvergessene Aussehen eines Tieres, das seine animalischen Bedürfnisse stillt.
Ich griff wieder nach dem Colt und ging zu der frisch zementierten Stelle an der Wand. Mit der linken Hand rieb ich über die erstarrte Oberfläche. »Ausgezeichnetes Material«, sagte ich. »Ist bereits hart und trocken.«
Grunzend stellte er die leere Flasche nieder und griff nach der vollen, seiner fünften. Ich wartete, bis er einen kräftigen Schluck getan hatte.
»Was war das für ein Geräusch?«, fragte ich.
Er sah auf. »Ich höre nichts.«
»Mäuse«, sagte ich. »Hier drinnen.«
Er kam zu mir und bückte sich. »Ich höre noch immer nichts.«
»Ist auch egal. Der Zement schließt ja luftdicht ab, wie?«
»Klar.«
»Dann muss jedes Lebewesen dahinter binnen weniger Minuten ersticken.« Ich lächelte ihm zu. »Sie scheinen für die hohen Töne taub zu sein, George. Ich habe das Geräusch dauernd vernommen, während Sie die Wand zementierten.«
»Was ist denn mit Ihnen los? Kränken Sie sich etwa um die Maus?«
»Nicht besonders, George.«
»Außerdem wäre jetzt ohnehin nichts mehr zu machen. Die Wand steht wie Gusseisen.«
Er schlug mit der Faust dagegen.
»Saubere Arbeit«, sagte er selbstgefällig.
»Ja. Und Ihre letzte.« Ich ging wieder zum Eisschrank. »Da fällt mir ein, wir müssen noch abrechnen. Aber zuerst trinken wir noch etwas.«
George sah auf seine Uhr. »Ich weiß nicht so recht, Mr. Logan. Ich gehe lieber. Ich habe noch was in Dalton zu tun...«
Das stimmte. Er wollte Louise dort treffen. Vielleicht blieb ihnen noch genug Zeit für einen Abschiedskuss. So wie gestern Abend, als sie nicht wussten, dass ich bereits da war.
Nur mit größter Selbstüberwindung gelang es mir, das Bild aus meinem Gedächtnis zu drängen. Aber ich schaffte es und lächelte George sehr freundlich an. »Nur noch eine Flasche«, sagte ich. »Aus alter Freundschaft. Und wenn es Ihnen recht ist, schließe ich mich an.«
Ich nahm mir ebenfalls eine Flasche, öffnete sie und hob sie hoch. Mit der linken Hand ergriff ich wieder den Colt.
»Auf die Freiheit«, sagte ich.
Er setzte seine Flasche wieder ab. Auf seiner schwitzenden Stirn bildete sich langsam eine Falte. »Freiheit?«
»Warum sollte ich ein Geheimnis daraus machen«, sagte ich achselzuckend. »Schließlich gehören Sie ja in gewisser Weise zur Familie.«
»Das verstehe ich nicht.«
»Wird schon werden.«
»Was meinen Sie mit Freiheit?«
»Mrs. Logan.«
Er stellte die Flasche auf den Tisch. »Ja?«
»Wir haben uns getrennt.«
»Ge...«
»Ja, George.« Ich wandte den Kopf. »Hören Sie etwas hinter der Wand?«
»Nein. Aber wie ist das mit der Trennung. Haben Sie gestritten?«
»Nein, nein. Es kam ganz plötzlich. Gänzlich unerwartet, könnte man sagen. Zumindest was sie betrifft. Aber ich dachte mir, Sie würden es gerne erfahren.«
»Dann ist sie nicht in Dalton?«
»Leider nein.«
»Sie ist also schon fort?«
»So könnte man es auch nennen.«
»So reden Sie endlich vernünftig, Logan. Was soll...«
Ich legte den Kopf lauschend schief. »Hören Sie ganz bestimmt nichts, George?«
»Was soll ich denn hören?«
»Vielleicht will sie Ihnen noch Lebwohl sagen.«
Da begriff er.
»Allmächtiger! Nein! Logan, das ist nicht Ihr Ernst...«
Ich lächelte.
Die Augen traten ihm aus den Höhlen. Seine Hand krallte sich um den Hals der Bierflasche. Da hielt ich die Mündung des Colts hoch, bis er sie sah.
»Legen Sie das weg, George. Das nützt nichts. Ich habe eine Maus getötet. Warum sollte ich also Hemmungen haben, eine Ratte zu erschießen?«
Er stellte die Flasche nieder. Kaum ließ er sie los, begannen seine Hände zu zittern. »Logan, das können Sie nicht getan haben, Sie nicht, Sie würden doch nie...«
Ich hob den Revolver höher, und er zuckte zurück. »Eben. Sie und Louise haben sich ja so herrlich sicher vor mir gefühlt, wie? Ich würde niemals Verdacht schöpfen und nicht sehen, was vor meinen Augen geschah. Und wenn ich dahinterkäme, wäre ich auch machtlos dagegen, weil ich doch so ein erbärmlicher, schwacher Idiot bin. Tja, George, da haben Sie sich eben geirrt. Und Louise auch. Bin nur neugierig, ob sie mich jetzt hören kann.« Ich hob die Stimme. »Louise, hörst du mich?«
George wich zurück zur Wand. Sein Mund zuckte. »Sie lügen«, sagte er. »Sie haben sie nicht getötet.«
»Stimmt. Sie war springlebendig, als ich fertig war. Ich habe nur ihre Arme und Beine gefesselt, damit sie nicht um sich schlagen konnte, und ihr den Knebel fest in den Mund gedrückt. Dann hob ich sie in das Loch und habe auf Sie gewartet.«
Sein Gesicht war weißer als die Wand.
»Sie wissen ja, warum, George, wie? Selbst ein solcher Schwachkopf wie Sie kann sich das ausmalen. Ein guter Witz, was? Sie mauern emsig den Schacht zu, und ich weiß die ganze Zeit über, dass Sie sie damit töten. Und der beste Witz ist es, dass sie es natürlich auch wusste. Sie lag dort hinten in dem schwarzen Schacht und versuchte, nach Ihnen zu rufen, und Sie haben sie in ihr Grab eingemauert, in die Finsternis, die schlimmer als die Nacht ist - die Finsternis des Todes...«
»Sie sind wahnsinnig!«
Seine Nackenmuskeln spannten sich. »Ein Schritt näher und ich knalle Sie nieder«, warnte ich.
Da kam Bewegung in ihn. Er lief zur Wand und hämmerte verzweifelt dagegen. Der Zement hielt.
»Zwecklos«, sagte ich. »Sie kommen nicht durch. Das war saubere Arbeit, George. Ihre letzte und beste. Außerdem hätte es jetzt keinen Sinn mehr. So lange kann die Luft nicht gereicht haben. Sie ist schon tot.«
Schweratmend drehte er sich um. »Wahnsinnig!«, keuchte er. »Kein Wunder, dass sie Angst vor Ihnen hatte und Sie hasste. Kein normaler Mensch kann sich etwas derart Fürchterliches ausdenken. Aber man wird Sie dafür einsperren.«
»Wieso denn?«
»Weil ich es melden werde. Ich hetze Ihnen den Sheriff an den Hals.«
»Oh, nein, George. Sie sind nämlich mein Komplice. Vergessen Sie nicht, dass Sie sie eingemauert haben. Und wenn Sie zum Sheriff laufen, werde ich ihm erzählen, dass wir beide in der Sache stecken und ich Ihnen die Hälfte ihrer Versicherungssumme versprochen habe. Louise war ziemlich hoch versichert. Ich werde dem Sheriff sagen, dass Sie sie bei lebendigem Leib begraben haben, obwohl sie sich wehrte und um sich schlug und zu schreien versuchte, weil sie genau wusste, dass Sie sie ermorden. Sie haben es getan, George. Nicht ich.«
Da hätte er sich beinahe auf mich gestürzt. Ich trat einen Schritt vor. Beim Anblick des Colts machte er schlapp, und als ich lachte, hielt er sich die Ohren zu.
»Ein Jammer, dass Louise gestern Abend nicht auf Sie gehört hat, George. Dabei haben Sie ihr so zugeredet, nicht auf mich zu warten. Sie wollten, dass sie alles liegen lässt und auf der Stelle mit Ihnen durchbrennen sollte. Sie hatten doch in Montana eine Stellung als Förster in Aussicht, nicht wahr? Und kein Mensch hätte euch beide jemals gefunden. Aber sie hat natürlich praktisch denken müssen. Sie wollte bleiben und zuerst das Geld von der Bank abheben. Heute. War es nicht so?«
»Sie - haben uns gehört?«
»Sicher. Ich habe unten an der Straße geparkt und mich unters Fenster gestellt. Dann holte ich den Wagen und fuhr in gewohnter Weise vor. Ihr hattet nicht mal mehr Zeit, Ort und Zeit für eure Flucht zu vereinbaren, stimmt's? Und verabschieden konntet ihr euch auch nicht richtig. Also sagen Sie ihr jetzt Leb- wohl, George. Vielleicht besteht doch eine winzige Möglichkeit, dass sie Sie noch hört.«
Seine Augen waren glasig. Daran war nicht die Hitze schuld, sondern das Bier. Er ächzte und bebte.
»Beeilen Sie sich, George. Sagen Sie der bezaubernden Dame adieu, bevor sie ihren letzten Rochier tut, bevor sie zum letzten Mal keuchend Luft in ihre Lungen pumpt und spürt, wie sie sich zusammenschnüren und brennen. Sie wird rasch sterben, George, falls sie nicht überhaupt schon tot ist. Und dann wird sie zu Staub zerfallen. Sie wird nicht verfaulen, weil es drinnen ganz trocken ist. Es wird keinen Leichengeruch geben. Sie wird einfach vertrocknen. Ihr Körper wird sich in braunes Leder verwandeln, ihr Haar wird brüchig werden und ausfallen, ihre Haut wird abblättern und die Augen werden in ihren Höhlen gerinnen und austrocknen. Aber das Wenige, das von ihrem Gesicht übrig bleibt, wird ihren Todeskampf widerspiegeln. Sie wird genauso aussehen wie in der Sekunde ihres Sterbens - mit dem letzten stummen Hilfeschrei auf den Lippen. Sie ruft nach Ihnen. Hören Sie sie nicht? Sie brüllt: Hilf mir, George! Hol mich hier raus, hol mich raus...!«
Ein Gurgeln drang aus Georges Brust. Dann zwinkerte er heftig und rannte zur Treppe. Ich hielt ihn nicht zurück. Seine schweren Schritte polterten durch die Küche, dann knallte die Tür ins Schloss.
Danach war es sehr still. Ich legte den Colt in seinen Kasten. Vorher aber entlud ich ihn und wischte die Fingerabdrücke ab.
Dann räumte ich die leeren Flaschen in die Ecke.
Ich trank Georges Bier aus und dann meines. Und dann ging ich nach oben.
Ich konnte jetzt nichts weiter tun als warten.
Um mir die Zeit zu vertreiben, holte ich mir noch zwei oder drei Flaschen Bier aus dem großen Eisschrank in der Küche und trug sie ins Zimmer, damit ich sie gleich zur Hand hatte, während ich las.
Es dunkelte schon, als es an die Tür klopfte.
»Herein«, sagte ich. »Hallo, Louise.« Ich lächelte ihr zu. »Hast du alles erledigt?«
»Ja.« Sie sah verstört aus.
»Was hast du denn?«
»Nichts. Aber auf dem Rückweg ist mir etwas Merkwürdiges passiert.«
»So?«
»Wie ich in den Hauptplatz einschwenke, zwingt mich ein Polizist zum Anhalten.«
»Bist du zu schnell gefahren?«
»Natürlich nicht, Dummchen. Du weißt doch, dass ich nie über achtzig fahre. Er wollte bloß meinen Führerschein sehen. Und dann tat er etwas Sonderbares. Er verlangte, dass ich aussteige und zu seinem Motorrad gehe. Und dort ließ er mich in sein Funkgerät sprechen. Zumindest glaube ich, dass das Ding so heißt.«
»Warum hat er das verlangt?«
»Das hat er mir nicht gesagt. Ich musste nur meinen Namen nennen. Dann hat er sich für die Kontrolle entschuldigt, aber ich hätte ihm eine überflüssige Ausfahrt erspart. Damit ließ er mich gehen. Natürlich wollte ich wissen, was das alles bezweckte, aber er hat nur die Schultern gezuckt und gesagt, es hätte ein kleines Missverständnis gegeben, das aber nun restlos aufgeklärt sei. Verstehst du das?«
»Schon möglich«, antwortete ich lächelnd. »Aber vielleicht sollten wir uns ein andermal darüber unterhalten. Kein Grund, dass du dich an unserem letzten Abend noch sinnlos aufregst.«
»Spann mich nicht auf die Folter. Erzähl' endlich!«
»Also schön. Bei uns hier gab es nämlich auch eine kleine Aufregung. Du weißt doch, dass George Parker noch das Loch im Keller zumauern wollte?«
»Ja, und?«, fragte sie unsicher. Ich beobachtete sie. Es war ein Vergnügen, sie zu beobachten und zu fühlen, wie sie auf meine Worte wartete. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich diesen Augenblick bis in alle Ewigkeit ausgekostet. Aber schließlich fuhr ich doch fort. »Er ist überhaupt nicht erschienen.«
Ich spürte förmlich ihr erleichtertes Aufseufzen.
»Da habe ich es schließlich selbst gemacht.«
»Du Ärmster. Bestimmt bist du jetzt sehr müde.«
Wieder ließ ich sie warten und genoss den Augenblick. Aber ich wusste, dass mir noch ein bedeutend köstlicherer Moment bevorstand, und sagte: »So gegen vier Uhr hat Sheriff Taylor angerufen und sich erkundigt, wo du bist. Ich habe es ihm natürlich gesagt. Deshalb werden dich die Polizisten vermutlich gesucht haben.«
»Ja, aber warum denn?«
»Ach, eine sehr betrübliche Geschichte. Es scheint, dass unser guter George einen Nervenzusammenbruch erlitten hat.«
»George?«
»Klingt fast unglaublich, nicht wahr? Er machte doch einen ganz ausgeglichenen, nüchternen Eindruck. Du hast ihn ja häufiger gesehen als ich und würdest ihn doch bestimmt nicht überspannt nennen, oder?«
»Sag mir schon endlich, was geschehen ist...«
»Wie du willst. Wenn ich richtig verstanden habe, platzte Freund George mit einer haarsträubenden Geschichte ins Büro des Sheriffs. Zuerst dachten die Polizisten, er sei betrunken, aber es scheint sich um einen richtigen hysterischen Anfall gehandelt zu haben. Er soll behauptet haben, ich hätte dich ermordet und deine Leiche im Keller eingemauert.«
»Das ist doch ein Witz!«
»Genauso hat der Sheriff anfangs auch reagiert. Aber dann sah er, dass der arme George halb verrückt vor Angst war. Natürlich hat mich der Sheriff angerufen, und ich habe ihm gesagt, wo du dich vermutlich aufhältst. Ich bin nur froh, dass dich der Polizist gleich gefunden hat. Nur jetzt keine umständlichen Einvernahmen, wo wir doch ausziehen wollen.«
Die Dämmerung verbarg mir ihr Gesicht. Deshalb stand ich auf und ging zu ihr. Sie wollte sich abwenden, aber ich hielt sie fest und tätschelte ihre Schultern.
»Wie geht es George?« Sie hatte ihre Stimme kaum in der Gewalt.
Ich seufzte. »Der Sheriff spricht von einem richtigen Tobsuchtsanfall. Er hat sofort Doc Silvers verständigt. Falls George nicht wieder zu sich kommt, wird er wohl in ein Irrenhaus eingeliefert werden. Armer Teufel. Dabei habe ich gehört, dass er als Förster nach Montana gehen wollte.«
Louise zitterte, aber sie fragte mit fester Stimme: »Hat er sonst etwas gesagt?«
»Nein. Was gäbe es noch zu sagen?«
»Warum hat er denn gedacht, dass du mich ermorden willst?«
»Keine Ahnung. Ganz merkwürdig ist das mit diesen kräftigen, schweigsamen Typen. Kommt ihre Fantasie erst mal in Schwung, dann galoppiert sie mit ihnen davon, bis sie plötzlich durchdrehen. Ein Glück, dass das nicht passiert ist, solange er mit dir im Haus war. Wer weiß, was er dann alles angestellt hätte.« Ich lachte. »Vielleicht klingt es weit hergeholt, mein Schatz, aber am Ende hätte er sogar versucht, dich zu belästigen. Kannst du dir vorstellen, in den Armen eines Wahnsinnigen zu liegen?«
Ein Schauer überlief sie, und sie vergrub den Kopf an meiner Brust.
»Nicht weinen«, sagte ich. »Morgen ziehen wir wieder zurück in die Stadt. Nur du und ich. Du brauchst dich nicht vor George zu fürchten. Der ist versorgt. Du wirst ihn nie mehr zu sehen bekommen. Und nach kurzer Zeit wirst du ihn ganz vergessen haben.«
»J-ja...«
»Wir werden uns köstlich miteinander amüsieren«, murmelte ich. »Das verspreche ich dir. Ich habe mir schon alles ausgedacht.«
Und das stimmte natürlich.
Ich schwindelte ihr nichts vor.
Ich habe die Absicht, mich heute Abend ganz köstlich mit Louise zu amüsieren. Während ich das niederschreibe, liegt sie im Schlafzimmer. Ich habe ihr ein sehr starkes Schlafmittel gegeben, aber die Wirkung wird höchstens noch eine halbe Stunde anhalten. Dann wird sie wieder ganz munter sein. Und das will ich auch so haben.
Sie soll völlig wach sein, wenn ich sie in die Arme nehme. Und auch nachher soll sie hellwach sein, wenn ich ihr ganz freundlich - aber unerbittlich - sage, was sich wirklich zugetragen hat. Sie soll wissen, wie schlau ich bin und wie stark und klug. Dann wird sie endlich einsehen, dass ich stärker und klüger bin, als George es jemals war.
Es wäre kindisch gewesen, beide zur Rechenschaft zu ziehen. Was hätte ich dadurch gewonnen? Genauso dumm wäre es gewesen, George zu ermorden und das Risiko einer Entdeckung auf mich zu laden. Ich habe alles bestens durchdacht, und George ist für immer erledigt. Ich habe ihn auf Lebensdauer hinter den Mauern einer Irrenanstalt begraben. Er wird weiterleben und leiden, weil er glaubte, dass Louise tot ist und er sie ermordet hat. Und natürlich werden der Sheriff und die Nachbarn wissen, dass das nicht stimmt. Sie wissen, dass sie lebt und dass sich nichts hinter der Zementwand verbirgt. Sie werden sich daran erinnern, mit ihr und mir gesprochen zu haben, und auch daran, dass wir die Absicht hatten, die Gegend zu verlassen. Weder sie noch die neuen Besitzer noch sonst jemand werden jene Wand jemals niederreißen.
Das alles werde ich Louise anschaulich erklären. Ich werde ihr genau sagen, was geschehen ist. Nur deshalb schreibe ich diese Zeilen.
Ich werde sie lesen lassen, was ich geschrieben habe.
Hast du so weit gelesen, Louise?
Verstehst du jetzt? Begreifst du, was ich getan habe?
Und weißt du auch, was ich jetzt gleich tun werde?
Richtig, Louise.
Ich werde dich fesseln und knebeln, Louise. Dann trage ich dich in den Keller und stemme die Wand wieder auf. Ich werde dich in die Finsternis stoßen, damit du schreien kannst, solange noch ein Funken Leben und Verstand in dir ist, während ich dich mit frischem Zement einmauere; für immer, bis dein Körper genauso verfault ist wie deine Seele.
Ich werde hinter dir stehen, wenn du bis hierher gelesen hast, damit du gar nicht erst zum Schreien kommst. Und du wirst keine Gelegenheit haben, zu bitten und zu betteln oder es mit einer deiner lächerlichen weiblichen Listen zu versuchen. Obwohl sie dir ohnehin nichts nützen würden. Und sag mir gar nicht erst, dass man mir auf die Schliche kommen wird. Du weißt genau, dass das unmöglich ist.
Mein Alibi ist nicht zu erschüttern. Morgen früh fahre ich allein von hier fort. Und du bleibst für alle Zeiten da.
Und das alles ist nur möglich, weil ich einen klugen Plan hatte, Louise. Siehst du jetzt ein, wie überlegen ich George bin? Er war ja doch nichts weiter als ein Tier.
Und weißt du auch, was den Menschen vom Tier unterscheidet? Dass er Fantasie hat.