Читать книгу Selamün Aleyküm, Herr Schmidt. Ich liebe ihre Tochter! - Robert Cacic - Страница 3

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„Oğlum, aufstehen! Du kommst zu spät zur Uni.“ ruft meine Mutter aus dem Flur, fünf Minuten, bevor mein Wecker eigentlich klingeln sollte. > Oğlum< bedeutet mein Sohn. Ich ignoriere ihren Ruf, denn diese fünf Minuten kann sie mir doch gönnen, da habe ich aber falsch gedacht. Ich höre ihr Getrampel. Sie öffnet die Tür und fängt erneut an zu schreien.

„Sag mal, willst du etwa zu spät zur Uni kommen! Stehe jetzt auf du fauler Sack.“.

Für alle, die jetzt denken, dass dies ein komischer Umgangston für eine Mutter sei, da denkt ihr falsch. Bei uns Ausländern ist es die typische Sprache, etwas anderes kennen wir nicht. Meine Familie kommt ursprünglich aus der Türkei. Wir leben jetzt seit zwei Generationen in Deutschland. Meine Großeltern kamen damals als Gastarbeiter nach Hamburg. In der Türkei selbst gab es zu diesem Zeitpunkt nicht so viel Arbeit, vor allem nicht für die Leute aus den Dörfern. Eigentlich haben meine Großeltern vorgehabt, irgendwann wieder in die Türkei zurückzukehren, allerdings waren sie so sehr mit ihrer Arbeit und dem Geld verdienen beschäftigt, dass die Jahre vorübergingen und sie es nie getan haben. Damals war es anders als heute. Die ausländischen Arbeiter wurden willkommen geheißen. Heutzutage hat sich vieles geändert. Man fühlt sich als Ausländer nicht mehr erwünscht, obwohl man hier geboren und aufgewachsen ist und sogar die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Aber dein Aussehen, deinen Namen und deine Mentalität kannst du nicht hinter einer Staatsangehörigkeit verstecken. Mein Name ist Emre und ich bin offiziell deutscher Staatsbürger. Ich wiederhole es nochmal, ich heiße Emre und bin Deutscher. Ich fühle mich auch als Deutscher und ich sehe Deutschland als meine Heimat. Egal, wie oft ich es drehe und wende, für einige gibt es einfach keinen Emre der Deutscher ist. Das erlebt man auch im Alltag, angefangen in der Schule, bis hin zur Arbeit oder zum normalen Diskobesuch. Die Leute schauen dich an und bilden sich sofort eine Meinung über dich. Wie oft bin ich mit meinen Jungs nicht in die Diskothek reingekommen, obwohl wir feine Kerle sind. Alle besuchten wir das Gymnasium und studieren mittlerweile. Wir beherrschen die deutsche Sprache fließend, aber die Türsteher sehen in uns nur Stressmacher, was ja nach deren Meinung typisch ist für Ausländer. Als ob ich nur in die Disko gehe, um mit anderen Leuten Streit anzufangen. Wenn ich so scharf darauf wäre, dann würde ich mir irgendwo draußen jemanden suchen. Aber wo leben wir denn bitte, in der Steinzeit? Nein, dennoch haben viele diese Vorurteile und denken so über uns. Mein Onkel hat mir damals eine sehr lustige Geschichte über sich erzählt. Er ist der Bruder meines Vaters und heißt Ümit. Onkel Ümit hat eine deutsche Ehefrau. Meine Tante heißt Manuela. Tante Manuela wohnte damals mit ihren Eltern in Quickborn. Es ist ein Vorort von Hamburg. In Quickborn lebten früher hauptsächlich nur Deutsche, Ausländer fand man dort kaum welche. Onkel Ümit wollte seine Freundin und spätere Ehefrau ins Kino ausführen und hielt es für praktisch, das Kino in Quickborn mit ihr aufzusuchen. Ich habe aus dieser Zeit Bilder von ihm gesehen. Er war ein klassischer 80er Jahre Türke, lange schwarze Haare, Schnurrbart und immer sportlich angezogen. Sie gingen ins Kino. Er erzählte mir, dass ihn dort alle Leute komisch angeschaut haben. Nach seiner Aussage waren nur Deutsche anwesend, er war mithin der einzige Ausländer im kleinen Kinosaal. Es hat ihn niemand angepöbelt oder ähnliches, er sagte mir aber, dass die Blicke ihn durchbohrt haben und er sich den ganzen Film über sehr unwohl gefühlt hat. Manchmal muss man nichts sagen, oftmals reichen Blicke aus, um in jemanden ein Unwohlgefühl auszulösen. Einerseits ist die Geschichte meines Onkels witzig, da er als einziger Ausländer in einem Kinosaal war, andererseits widerspiegelt diese Geschichte den klassischen Alltag für viele Ausländer. Aber nun zurück zu mir. Wie ich bereits erwähnt habe, ich heiße Emre, bin deutscher Staatsbürger und 21 Jahre alt. Ich studiere Sozialökonomie im vierten Semester und meine Mutter hat mir soeben meine Bettdecke weggezogen.

„Aufstehen! Du warst mal wieder die ganze Nacht wach und jetzt bist du zu kaputt. Es ist so typisch für dich.“ sagt meine Mutter und öffnet mein Zimmerfenster. Ich liege noch immer im Bett und versuche ihr Gerede zu ignorieren. Mit einmal überkommt mich die Kälte und ich schrecke auf. Das mit dem Fenster macht meine Mutter ständig, wenn sie mich wach bekommen möchte, schon von klein auf an. Es ist eine gute Taktik von ihr. Zuerst zieht sie einen die Decke weg, öffnet daraufhin das Fenster, geht aus dem Zimmer und lässt das Licht an und die Tür auf. Die Tür lässt sie mit Absicht geöffnet, damit ein Durchzug entsteht und es im Zimmer schneller kalt wird. Das geöffnete Fenster gibt einen dann den Gnadenstoß, sodass du aufstehen und dich anziehen musst, um der Kälte zu entkommen. Genau das tue ich auch. Ich schnappe mir schnell meine Klamotten, ziehe mich an und schließe das Fenster. Noch einmal werfe ich mich angezogen ins Bett, um wenigstens noch fünf Minuten Schlaf zu ergattern. Keine Chance, meine Mutter lässt nicht lange auf sich warten. Erneut stürmt sie ins Zimmer und reißt mich aus dem Schlaf. Ich gebe nach und stehe endgültig auf.

„Mama, warum weckst du mich denn früher, als ich überhaupt aufstehen muss.“ frage ich sie in einem wimmernden Ton.

„Weil du eine Ewigkeit benötigst, um aufzustehen. Ich plane diese Zeit mit ein.“ antwortet sie mir und macht nebenbei mein Bett ordentlich. Ich kann mein Gähnen kaum zurückhalten.

„Du bleibst auch jedes Mal die ganze Nacht wach und zockst an deiner Playstation. Schämst du dich denn nicht?“. Da hat sie einen Nerv getroffen, denn tatsächlich zocke ich in letzter Zeit bis spät in die Nacht Playstation. Ich würde mich selbst nicht als Spielsüchtig bezeichnen, aber welcher Süchtige gibt schon zu, dass er süchtig ist? Die Zeit vergeht einfach so schnell beim Zocken. Dort, wo es dir wie eine halbe Stunde vorkommt, vergehen in Wirklichkeit mehrere Stunden. Man ist so vertieft im Spiel und der Spaß ist enorm, sodass das Zeitgefühl verloren geht. Ich benötige einfach meine tägliche Dosis Zocken, um vom Alltag abzuschalten. So, wie der eine zum Golfen oder zum Bowling geht, genauso ist Zocken mein Hobby. Ja, als Hobby würde ich es bezeichnen und nicht als Sucht. Wobei, wenn ich sage, dass ich meine tägliche Dosis Zocken benötige, dann hört es sich schon verdächtig nach einer Sucht an. Ich ignoriere die Aussage meiner Mutter und suche meine Sachen für die Uni zusammen. Ich gehe in den Flur, stelle meinen Rucksack neben der Haustür ab und gehe daraufhin in die Küche, um noch eine Kleinigkeit zu frühstücken. Mein Vater sitzt bereits am Esstisch und trinkt seinen Mokka. Für alle, die nicht wissen was ein Mokka ist, es ist die türkische Variante eines Espressos, nur viel besser!

„Afiyet olsun“ sagt mein Vater und nippt an seiner Tasse.

„Danke Baba. Afiyet olsun“ antworte ich ihm. Afiyet olsun ist Türkisch und bedeutet so viel wie > Guten Appetit<. Baba bedeutet >Vater<, aber das wissen einige sicherlich bereits. Es ist erstaunlich, wie viele in Deutschland die türkischen Begriffe kennen. Die Türken sind schon seit so vielen Jahren ein Teil der deutschen Gesellschaft, sodass diese Begriffe geläufig sind. Manchmal wurde ich sogar von Deutschen mit einem Merhaba begrüßt, was so viel wie >Hallo< bedeutet. Die Deutschen lieben es ihre Fremdsprachenkenntnisse zu zeigen.

Sobald sie in irgendeiner Sprache etwas aufgegriffen haben, dann versuchen sie es bei jeder passenden Gelegenheit anzuwenden. Ich setze mich hin und nehme ein warmes Simit. Bei fast allen Türken gibt es zum Frühstück Simit. Es ist ein ringförmiges Gebäck mit Sesamkörnern obendrauf. Käse, Salami, Sucuk und eine Schale mit Olivenöl, Tomaten- und Gurkenstücken sind auf dem Tisch. Die Salami und der Sucuk sind Helal, es bedeutet, dass das Tier auf islamische Art und Weise geschlachtet worden ist. Mein Vater achtet sehr darauf, dass alles in unserem Haus Helal ist, da er ein gläubiger Moslem ist. Er war es nicht immer, aber vor ungefähr drei Jahren hatte er einen Sinneswandel gehabt, seitdem betet er fünfmal am Tag und hält sich an alle weiteren Vorschriften. Er trinkt kein Alkohol, raucht nicht mehr und vollzieht das Fasten, wie es sich gehört. Ich hingegen bin das Gegenteil. Ich sehe mich zwar als Moslem, aber daran halten tue ich mich wenig. Mein erstes Mal Sex habe ich im Alter von 15 Jahren gehabt und das ironischerweise auch noch mit einer Türkin, die zwei Jahre älter war als ich. Trinken tue ich nur zu besonderen Anlässen. Ein besonderer Anlass wäre hierbei schon ein Treffen unter Freunden. Es ist nicht so, dass ich den Geschmack von Alkohol toll finde, aber es macht die Atmosphäre entspannter und unterhaltsamer, erst recht in guter Gesellschaft unter Freunden. Rauchen tue ich selten, ich würde mich als Gelegenheitsraucher bezeichnen, vor allem wenn ich trinke, dann rauche ich extrem viel, ansonsten halte ich es in Grenzen. Ich habe viel zu große Angst davor von meinem Vater erwischt zu werden. Vermutlich halte ich es deshalb in Grenzen. Fasten tue ich nur scheinheilig. Ich bin der klassische Papier- Moslem, der elf Monate im Jahr Haram lebt -Haram bedeutet so viel wie >Verboten< oder >Sündhaft<- und im Monat der Fastenzeit nach außen hin der fromme Moslem ist. Kurzgefasst, ich sehe mich zwar als Moslem, halte mich aber so gut wie gar nicht an unsere Gebote. Ich trinke und rauche zwar gelegentlich und Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist für mich persönlich auch okay, aber Schweinefleisch würde ich dennoch nie im Leben essen. Das sehe ich weniger als muslimisch an, sondern vielmehr als ein kulturelles Verbot. So bin ich halt aufgewachsen. Es wurde uns von klein auf an eingetrichtert, dass Schweinefleisch schmutzig sei und es die größte Sünde ist, etwas davon zu essen. Genau deshalb hat es sich in mein Kopf eingebrannt, sodass ich es nie im Leben anrühren würde. Es gibt vielleicht nur eine Ausnahme und die wäre Bacon. Viele christliche Freunde von mir schwärmen so sehr von Bacon, dass es, um ehrlich zu sein, ab und zu mein Interesse geweckt hat, es auch zu probieren. Aber bis ich es tue wird noch eine sehr lange Zeit vergehen. Meine Mutter ist so ein Mittelding. Sie ist weder streng, noch gar nicht muslimisch. Es ist schwer zu erklären, aber ich versuche es mal. Sie isst zwar kein Schweinefleisch und fastet, ihr wäre es aber egal, ob sie Rindfleisch von Aldi oder vom türkischen Laden kauft. Anders formuliert, es wäre ihr egal, ob das Rindfleisch kein Helal- oder Helalfleisch ist. Mein Vater achtet eher darauf. Sie selbst trägt auch kein Kopftuch. Mein Vater drängt sie nicht dazu, auch wenn er strenggläubig ist. Er lebt es für sich selbst aus und nötigt keine anderen Menschen dazu es auch zu tun, denn er sagt immer -Jeder Mensch wird alleine vor Gott stehen, dementsprechend muss jeder für sich seinen eigenen Weg finden.-. Das finde ich persönlich sehr schön, denn ich kenne viele Familien, wo ein Elternteil streng muslimisch ist und es die ganze Familie zwangsweise auch sein muss. Ich tunke das Simit in das Olivenöl und fange an zu frühstücken. Nur mein Vater und ich sitzen am Esstisch. Meine Mutter frühstückt so gut wie nie mit uns, denn während wir essen, beginnt sie schon damit die Wohnung aufzuräumen. Sie isst erst, wenn mein Vater und ich nicht mehr da sind und sie soweit alles in der Wohnung erledigt hat. Meine Mutter ist eine wirklich sehr tolle Frau. Sie hat meinen Vater im Alter von 19 Jahren geheiratet. Kennengelernt haben sie sich auf einer türkischen Hochzeitsfeier. Und nein, es war keine Zwangsehe, wie viele, die unsere türkische Kultur nicht kennen, jetzt denken werden. Die Türkei ist ein sehr modernes Land, auch wenn einige den Eindruck haben, dass dort dorfähnliche Verhältnisse in den Städten herrschen. Betrachten wir mal die Stadt Istanbul, welche seit 2018 auf Platz fünfzehn unter den größten Metropolregionen der Welt steht mit ihren 15,06 Millionen Einwohnern. Diese Stadt ist nicht einfach nur vollgestopft mit Menschen, im Gegenteil, sie überzeugt durch die Verschmelzung von Moderne und Orient. Die Türkei hat viele wundervolle und moderne Städte. Es gibt natürlich auch in Deutschland türkische Familien, die so manche alte Tradition haben. Diese Familien kommen allerdings ursprünglich aus dem tiefsten Dorf der Türkei und haben dementsprechend ihre Traditionen und Sitten mit hierher gebracht. Einige haben sich mittlerweile dem modernen Deutschland angepasst und eine kleine Anzahl davon leider nicht. Genauso finden wir auch hier in Deutschland in den tiefsten Dörfern Familien, die auch noch altmodisch sind, es ist normal. Je ausgeschlossener von der Moderne, desto altmodischer die Familie und ihre Traditionen. Als sich meine Eltern auf der Hochzeit kennengelernt haben hat sich mein Vater sofort in sie verliebt. Ab diesen Moment an bezeichnet er sie überwiegend nur noch als seine Königin. Dass er sie so nennt hat auch einen besonderen Grund, denn der Name meiner Mutter ist Melike, was so viel wie >Königin< bedeutet. Ich nehme noch einen Bissen von meinem Simit und stehe auf, denn ich darf meine Bahn nicht verpassen.

„Baba, ich wünsche dir einen schönen Tag“ sage ich zu meinem Vater und gebe ihm einen Kuss auf die Wange. „Danke Oğlum, ich dir auch“ antwortet mein Vater und klatscht mit seiner rechten Handfläche sanft auf meine Wange und lächelt dabei. Ich gehe zur Haustür. Meine Mutter steht bereits, mit meinem Rucksack in ihrer Hand, da. Ich nehme den Rucksack, gebe ihr einen Kuss auf die Wange und verabschiede mich. Sie ist eine sehr emotionale Frau. Jedes Mal, wenn ich die Haustür verlasse, verabschiedet sie sich mit einem Ausdruck der Sorge in ihrem Gesicht. Ich glaube einfach, dass ein Kind für eine Mutter nie erwachsen sein wird. Mütter sehen immer nur das kleine Baby vor sich, dabei spielt es keine Rolle wie alt du bist. Und wenn man das Haus verlässt, dann macht sich die Mutter natürlich große Sorgen. Des Weiteren bin ich das einzige Kind meiner Eltern. Ja, ihr habt richtig verstanden, das einzige Kind. Ich weiß, viele denken sich jetzt -Aber Türken haben doch normalerweise vier bis fünf Kinder-. Witzig, aber es ist nur ein Klischee. Wir kennen viele türkische Familien, die nur ein oder zwei Kinder haben. Ich verlasse die Haustür, drehe mich noch einmal um und lächle meiner Mutter zu.









Selamün Aleyküm, Herr Schmidt. Ich liebe ihre Tochter!

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