Читать книгу Selamün Aleyküm, Herr Schmidt. Ich liebe ihre Tochter! - Robert Cacic - Страница 4
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ОглавлениеDiese verdammten Stufen. Leider wohnen wir im vierten Stock und haben keinen Fahrstuhl. Sich so früh am Morgen die Treppen hinunter zu schleppen, obwohl man noch im Halbschlaf ist, ist anstrengend. Auf dem Weg nach unten begegne ich unseren deutschen Nachbar Herr Koch aus dem zweiten Stock.
„Merhaba Emre.“ ruft mir Herr Koch zu. Da haben wir das, wovon ich euch erzählt habe. Es ist zwar eine nette Geste von unseren Nachbar, aber wenn Deutsche versuchen mit mir Türkisch zu sprechen, dann geben sie mir das Gefühl, als sei ich gestern erst aus den Bergen Ankaras, auf einem Esel sitzend, nach Hamburg gekommen und dass ich dementsprechend nicht die deutsche Sprache verstehe. Ich antworte ihm.
„Moin Herr Koch, ich hoffe sie sind gut in den Tag gestartet.“. Eine verkehrte Welt. Ein Deutscher spricht Türkisch und der Türke spricht Hamburger-Deutsch. Wenn es so weiter geht, dann werden die Deutschen bald Dönerläden eröffnen und die Türken Currywurstbuden. Tatsächlich war ich einmal in einem Dönerladen, welcher von einem Deutschen betrieben worden ist. Der Mann sah glücklich und zufrieden aus, aber sein Döner war nicht so meins. Zudem kommt hinzu, dass ich einen Döner von einem nicht-Türken einfach nicht ernst nehmen kann. Es ist so, als würde man in ein chinesisches Restaurant gehen und dort trifft man nur auf arabische Mitarbeiter. Es wäre nicht authentisch. Genauso wie bei dem vom Deutschen betriebenen Dönerladen. Der Döner fühlte sich nicht echt an. Ich glaube, dass ich nicht der Einzige war, der so dachte. Der Ladenbesitzer musste nach einigen Monaten sein Geschäft dicht machen, denn es lief anscheinend nicht so gut. So etwas tut mir natürlich leid. Ich gönne jedem eine finanziell abgesicherte Existenz, dennoch hätte er als Deutscher nicht einen Dönerladen eröffnen sollen. Eine Imbissbude, das wäre doch typisch Deutsch und authentisch gewesen.
„Ich wäre besser in den Tag gestartet, wenn meine Frau nicht da wäre. Die ist morgens immer nur am rumbrüllen.“ antwortet mir Herr Koch auf meine Frage und fängt an zu lachen.
„Genau dasselbe Problem habe ich mit meiner Mutter. Ich kann es nachvollziehen Herr Koch.“ füge ich hinzu und gehe dabei einige Stufen weiter in Richtung Ausgang, da ich sonst meine Bahn verpasse. Herr Koch und seine Ehefrau sind erst vor einigen Monaten in unser Gebäude eingezogen. Sie sind beide etwa 60 Jahre alt. Herr Koch und seine Ehefrau haben zwei erwachsene Söhne, diese wollten eigentlich den Umzug machen. Kurz vorher haben ihre Söhne abgesagt, da ihnen wohl etwas dazwischen gekommen ist. Für uns ist so etwas nicht verständlich. Bei uns Türken sind die Eltern das Heiligtum, man verspricht ihnen nicht etwas, um es dann zu brechen, es gleicht einem Mord. Als mein Vater mit Herr Koch ins Gespräch gekommen ist und von der spontanen Absage seiner Söhne gehört hat, da hat es ihn sehr getroffen. Auch Herrn Koch sah man seine Betroffenheit und Enttäuschung an. Kurzerhand rief mein Vater einige Bekannte zu uns. Noch am selben Tag kamen zehn Mann, um Herr Koch und seiner Frau beim Umzug zu helfen. Ich gehörte auch zu den Helfern. Wir haben den Umzug in zwei Tagen gemeistert. Herr Koch und seine Ehefrau waren darüber sehr glücklich. Am Ende boten sie jeden von uns 50 Euro an, welche wir natürlich nicht angenommen haben. So ist es bei uns. Man hilft nicht, um einen finanziellen Profit daraus zu schlagen, sondern einfach nur, um eine gute Tat vollbracht zu haben. Ein Danke vom Herzen hat dabei einen größeren Wert als Geld. Die Familie Koch war überrascht, sie kannten so etwas nicht. Es ist traurig zu sehen, wie kapitalistisch die Gesellschaft veranlagt ist. Tatsächlich kennen es viele nicht anders. Man denkt immer, dass die andere Person für seine Hilfstätigkeit Geld verlangt. Durch uns haben sie zum ersten Mal das Gegenteil kennengelernt. Als der Umzug fertig war hat mein Vater alle, die Familie Koch mit eingeschlossen, zu uns nach Hause eingeladen. Meine Mutter und meine Tante Manuela haben Essen zubereitet. Für die Männer gab es auch eine Flasche Yeni Rakɪ, ein türkisches Nationalgetränk. Herr Koch war sehr verwirrt, als er die Alkoholflasche gesehen hat, da er dachte, dass für Türken Alkohol verboten sei.
Mein Vater saß, während die restlichen Männer den Rakɪ tranken, am anderen Tisch, da er als Moslem so etwas nicht unterstützen darf. Normalerweise dürfte er in seinem Haus erst gar keinen Alkohol zur Verfügung stellen, aber da ist mein Vater noch etwas locker.
Ich erhöhe mein Schritttempo, da die Zeit knapp wird. Zwei Freunde und ich wollen uns an der Bahnstation treffen, um gemeinsam zur Uni zu fahren. Ich besitze zwar einen Führerschein und ein eigenes Fahrzeug und könnte damit zur Universität fahren, allerdings ist es dort sehr schwer einen Parkplatz zu finden, man muss ziemlich viel Glück haben. Zu Beginn meines Studiums habe ich es noch versucht, daraufhin kam ich des Öfteren zu spät zur Vorlesung, da die Parkplatzsuche viel Zeit in Anspruch genommen hat.
Ich bin gleich beim Bahnhof. Aus der Ferne sehe ich meine zwei Freunde. Milan, Berkan und ich kennen uns schon aus Kindheitstagen. Milans Eltern kommen ursprünglich aus dem ehemaligen Jugoslawien. Seine Mutter ist Serbin und sein Vater Kroate. Ja, ich weiß. Es ist eine hochexplosive Mischung, da sich beide Länder, während des Jugoslawienkriegs, in den Haaren hatten. Seine Eltern sind da anders, sie haben ihr Verhältnis durch diesen sinnlosen Krieg nie beeinflussen lassen. Milan ist das zweitjüngste Kind seiner Eltern. Er hat einen kleinen und zwei ältere Brüder. Berkan ist auch Türke. Er lebt für den Fußballverein Galatasaray Istanbul. Deswegen haben wir schon oft eine kleine Auseinandersetzung gehabt, denn ich feuere den Verein Fenerbahçe Istanbul an. In der Türkei gibt es drei Top- Fußballklubs, alle drei sind aus Istanbul und konkurrieren miteinander. Jeder Türke entscheidet sich, im Laufe seines Lebens, für einen von diesen drei Vereinen. Oft ist es so ein Familiending. Wenn der Vater beispielsweise Galatasaray Fan ist, dann sind es die Kinder in der Regel auch. Aber es gibt Ausnahmen. Mein Vater zum Beispiel ist für den Verein Beşiktaş Istanbul und ich, wie bereits erwähnt, für Fenerbahçe Istanbul. Wenn diese Fußballklubs gegeneinander spielen, dann spricht man von einem sogenannten Derby, dann werden die Gemüter heiß und die Atmosphäre in dem Stadion ist unglaublich. Wenn es aber um die türkische Fußballnationalmannschaft geht, dann sind wir alle eins. Es gibt bei uns keine Liebe zu einem Verein die größer ist, als die zu der Nationalmannschaft. Unser größter Erfolg war die WM 2002 in Südkorea und Japan, dort haben wir den dritten Platz belegt. Seitdem schwächelt unsere Nationalmannschaft, ich bin mir aber sicher, dass wir bald wieder eine Top- Platzierung erreichen werden.
„Endlich hast du deinen Arsch in die Gänge bekommen. Wir verpassen wegen dir noch unsere Bahn.“ sagt Milan und wirft dabei seine Zigarette auf den Boden.
„Sorry Jungs, ihr kennt mich.“ antworte ich, strecke ihm meine Hand aus und gebe ihm einen Kuss auf die rechte und dann auf die linke Wange. Danach strecke ich Berkan meine Hand aus und begrüße ihn auch. Während wir uns begrüßen sagt Berkan „Kein Problem Kardeşim Benim, wir sind nicht sauer, dafür lieben wir dich zu sehr.“. > Kardeşim Benim< bedeutet >Mein Bruder<. Berkan ist schon immer ein verständnisvoller Junge gewesen. Er und ich sind immer auf einer Wellenlänge und teilen dieselben Interessen, vor allem Fußball ist unsere gemeinsame Leidenschaft. Wenn am Wochenende gute und interessante Fußballspiele stattfinden, ist es schon des Öfteren passiert, dass wir ab Vormittag bis zum Abend hin vor dem Fernseher saßen und uns alle Spiele angeschaut haben.
Wir gehen in Richtung Bahn. Ich war sehr spät dran. Laut Anzeige kommt die Bahn in zwei Minuten.
„Hey Jungs, schaut mal dort drüben, die Schwarzhaarige!“ sagt Milan so, als sehe er zum ersten Mal in seinem Leben eine Frau. Dort, einige Meter von uns entfernt, stehen drei Mädels. Die, welche Milan ins Visier genommen hat, sieht ganz okay aus. Mir selbst fällt nur eine von den drei Mädels besonders auf. Sie hat langes dunkelblondes Haar, leicht wellig. Aus der Ferne stechen ihre Augen hervor. Obwohl wir relativ weit voneinander entfernt stehen erkenne ich ihre Augenfarbe, sie ist Blau wie das Meer an einem Strand in der Karibik. Mir geht nur ein Wort durch den Kopf -Wow!-. Ihre Schönheit ist unglaublich. Milan ist ein Draufgänger.
Nachdem er uns auf die Schwarzhaarige aufmerksam gemacht hat geht er auch schon in ihre Richtung, um sie anzusprechen. Ich kenne ihn und ich weiß ganz genau, dass er es vermasseln wird. Ich beginne langsam damit mich fremdzuschämen. Berkan ahnt auch schon, was passieren wird. Beide drehen wir uns mit dem Gesicht in die andere Richtung, damit die Mädels bloß nicht mitbekommen, dass wir zu Milan gehören und damit wir diese peinliche Situation nicht mit ansehen müssen.
„Tat der Aufprall eigentlich sehr weh?“ fragt Milan die Schwarzhaarige. Sie schaut ihn nur verwundert an.
„Was für ein Aufprall?“. Jetzt geht Milan in die peinliche Offensive.
„Als du wunderschöner Engel vom Himmel auf die Erde gefallen bist.“. Er hat doch nicht allen Ernstes diesen typischen Google- Anmachspruch gebracht, den jeder schon seit Jahren kennt. Aber irgendwie schien es der Schwarzhaarigen nicht bekannt zu sein, vielleicht kann er doch punkten. Sie schaut ihn mit ernster Miene an, wartet einige Sekunden, fängt dann an zu lachen und sagt „Aus welcher Trickkiste hast du diesen Spruch denn her?
Ich werde des Öfteren angebaggert, aber so einen billigen Anmachspruch habe ich schon lange nicht mehr gehört.“. Ihre Freundinnen fangen an zu lachen. In diesem Moment drehe ich mich um und schaue hinüber. Die, welche mir so sehr gefällt, lacht auch mit. Ihr Lachen ist so süß, es stimmt einfach alles an ihr. Ich will nicht behaupten, dass es Liebe auf den ersten Blick ist, aber dass in mir einige Gefühle aufgekommen sind, kann ich nicht leugnen. Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Ihr dürft mich aber auch nicht falsch verstehen. Es ist nicht so, dass ich jetzt am liebsten vor ihr auf die Knie fallen würde, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Es ist einfach Interesse mit einem Hauch von Zauber. Milan kommt enttäuscht zu uns rüber.
„Mach dir nichts draus, du findest schon die Richtige.“ sagt Berkan und klopft dabei auf Milans Schulter. Milan ist ein wirklich sehr hübscher junger Mann, mit seinem Aussehen kann er Frauen auf jeden Fall überzeugen, nur versaut er es sich immer wieder mit seinen dummen Anmachsprüchen. Er selbst ist von der Genialität seiner Sprüche sehr überzeugt. Manchmal klappt es auch, das will ich nicht abstreiten, aber die Mehrheit der Frauen findet es absurd. Die Frauen, bei denen es klappt, finden seine Sprüche und seine Art in diesem Moment einfach nur süß statt albern, von daher klappt es auch manchmal. Milan selbst verfolgt da seine eigene Theorie. Nach seiner Auffassung kann man schon von einen Erfolg sprechen, wenn von zehn angesprochenen Frauen mindestens eine darauf anspringt. Er findet, dass die Männer zu viel Aufwand in eine Frau investieren, anstatt mit wenig Aufwand viele Frauen anzusprechen, das macht das Ganze nicht so anstrengend.
Die Bahn fährt in den Bahnhof Altona ein. Wir steigen in denselben Wagon wie die drei Mädels. Vor uns befindet sich ein freier Vierersitz.
„Jungs, lasst mich in entgegengesetzter Fahrtrichtung sitzen, ich möchte nicht zu den Mädels schauen müssen. Die Abfuhr, so früh am Morgen, macht mir grade richtig schlechte Laune.“ sagt Milan und setzt sich auf seinen gewünschten Platz hin.
„Bruder, sowas darfst du doch gar nicht ernst nehmen. Eine Frau kommt und eine geht, das sagst du doch selber jedes Mal.“ sagt ihm Berkan, um ihn wenigstens etwas zu trösten.
Ich fühle mich dazu verpflichtet, ihn auch aufzumuntern. Er sieht tatsächlich sehr mitgenommen aus, obwohl Frauen ansprechen für ihn wie ein Hobby ist.
„Mach dir nichts draus Bruder. Wie Berkan bereits sagte, eine Frau kommt und eine geht. Bei der Nächsten wird es klappen.“ füge ich hinzu. „Ja Jungs, ihr habt Recht, aber dieses Mädel sieht fantastisch aus. Es ist einfach nur ärgerlich, diese Gelegenheit verpasst zu haben. Des Weiteren tut so ein Korb am frühen Morgen richtig weh.“ antwortet Milan und schaut dabei betrübt aus dem Fenster. Berkan klopft Milan mit der Hand gegen sein Knie und sagt „Ach Kopf hoch, vielleicht wollte sie einfach nur vor ihren ganzen Freundinnen eine harte Dame sein. Mag sein, dass sie anders reagiert hätte, wenn sie alleine wäre.“. Milans Augen öffnen sich vor Freude.
„Du hast Recht! Es kann gut möglich sein. Ich will mich nicht umdrehen. Schaut ihr mal kurz hin, ob sie zu mir rüber guckt! Und, schaut sie her?“. Noch im selben Moment schauen Berkan und ich an die ganzen Köpfe vorbei hinüber zu den Mädels. Sie sitzen auch auf einen Vierersitz. Das Mädel, welche ich so besonders finde, sitzt mit dem Gesicht in unsere Richtung, ihre Freundin und die Schwarzhaarige hingegen sitzen mit dem Rücken zu uns. Berkan und ich schauen uns gegenseitig an, beide haben wir denselben Gedanken. Innerlich fragen wir uns – Wer wird Milan die schlechte Nachricht überbringen? -.
„Und, schaut sie her? Sagt schon Jungs, bevor ich mich selber umdrehe und es albern aussieht.“ fragt Milan ungeduldig. Berkan gibt mir mit seinem Blick zu verstehen, dass ich es Milan sagen soll.
„Ehm, Bruder… Verstehe es jetzt nicht falsch, aber sie sitzt mit dem Rücken in unsere Richtung. Vielleicht wird ihr einfach nur schlecht beim Rückwärtsfahren. Es ist alles möglich.“ antworte ich ihm. Milan springt kurz auf und setzt sich dann wieder hin. Er ist sichtlich enttäuscht und verärgert darüber, dass sie mit dem Rücken zu uns sitzt.
„Da habt ihr jetzt die Bestätigung. Sie hat einfach kein Interesse, ich wusste es. Egal, wie ihr es bereits erwähnt habt, eine Frau kommt und eine Frau geht. Und danke für eure Schönrederei. Ich weiß, ihr tut es mir zuliebe, aber erspart es euch Jungs. Ich bevorzuge lieber die knallharte Wahrheit. Sie denkt, sie sei etwas Besseres, dann soll sie gehen und glücklich werden.“ antwortet er und schaut erneut aus dem Fenster, wie zu Beginn unserer Fahrt. Ich bin darüber erstaunt, wie ihm diese Sache mit dem Mädel ans Herz geht. Ein Korb stört ihn normalerweise nicht. Ich glaube einfach, dass sie nicht nur eine zum Zeitvertreib werden sollte, sondern, dass er sie schon als potenzielle feste Freundin gesehen hat. Wir Männer unterteilen da gerne die Frauen. Es gibt einmal die Kategorie Frauen, mit denen man einfach nur seinen Spaß haben will und es gibt die Kategorie Frauen, mit denen man sich etwas Ernstes vorstellen kann. Und ich glaube für Milan gehört sie einfach zur zweitgenannten Kategorie. Wir stehen von unseren Sitzen auf. Die Bahn fährt jetzt in den Bahnhof Dammtor ein. Von dort aus haben wir einen zehn Minuten Fußweg bis zur Universität. Aus der Ferne sehe ich, dass sich die Mädels für den Ausstieg bereit machen. Ich freue mich innerlich sehr, da die dunkelblonde Hübsche anscheinend auch hier studiert. Mir kam nur ein Gedanke in den Kopf.
Vielleicht laufe ich ihr auf dem Campusgelände nochmal über den Weg.