Читать книгу DEAD MAN'S BADGE - STERBEN IN LANSDALE - Robert E. Dunn - Страница 7
Kapitel 3
ОглавлениеAls ich den Chevy seinem Schicksal überlassen hatte, behielt ich zwei Dinge: das Geld und die Pistole. In diesem Moment war ich dankbar, die Waffe zu haben. Ich zog sie aus dem Beutel und schlich durch den dunklen Trailer. Es war verschwendete Mühe. Ich war allein mit der Leiche meines Halbbruders.
Nichts war gestohlen worden. Abgesehen von der kaputten Lampe und dem Teppich, hatte niemand etwas angerührt. Bei der Gewalt war es nur um den Mord gegangen.
Irgendjemand war überraschend durch die Tür gestürmt. Sie hatten Paris erledigt, sichergestellt, dass er nicht wieder aufstand, und waren dann verschwunden. Es hatte wohl weniger als eine Minute gedauert. Ich war mir nicht sicher, aber vermutlich hatte der dünne Mann mit den Cartoonschädeln auf den Fingern sein Geld zurückgewollt.
Ich dachte an das Timing. Das letzte Mal hatte ich mit Paris vor zehn Stunden gesprochen. Die Killer des Kartells konnten leicht vor mir hier gewesen sein. Sie brauchten nicht einmal von El Paso herfahren. Ein Anruf hätte genügt, um eine lokale Gang anzuheuern. Genauso wahrscheinlich war, dass sie schon Leute in Houston hatten, die im Wohnwagen warteten, bis ich nach Hause kam.
Mir wurde leicht schwindlig von den keuchenden Atemzügen, seitdem ich Paris auf dem Boden gesehen hatte. Ich lief Gefahr, zu hyperventilieren. Für einen Moment kämpfte ich darum, den Atem zu kontrollieren und das Karussell im Kopf zu stoppen.
Paris.
Ich hatte mir nie so sehr gewünscht, mit ihm reden zu können.
Es blieb keine Zeit, darüber nachzudenken, was ich wollte. Keine Zeit für Trauer. Eine Frage baumelte wie ein Damoklesschwert über meinem Kopf. Würden sie zurückkommen? Wenn man uns beide nicht kannte und nur hier war, um den durchschnittlich großen Typen mit rotbraunen Haaren zu töten, der in einem Trailer lebte, glaubte man vielleicht, der Job sei erledigt. Jemand, der mich schon mal gesehen hatte, bemerkte aber möglicherweise seinen Fehler und wartete vor der Tür, bis das richtige Ziel zurückkam.
Ich drehte mich um, knallte die Tür zu und verschloss sie dann. Ich kniete mich neben Paris. Er hatte Jeans an, aber kein Hemd. Das bedeute, er hatte keine Dienstmarke getragen, als sie durch die Tür kamen. Seine Taschen waren leer. Hatten sie nach dem Ausweis gesucht und ihn mitgenommen?
Ich musste es wissen, bevor ich mich hier aus dem Staub machte.
Mein Schlafzimmer war ein einziges Durcheinander. Wenig überraschend. Es war schon so, als ich gegangen war. Neben dem Bett war ein kleines Eck auf dem Nachttisch freigeräumt. Paris hatte die Bierdosen in den Müll geworfen und sein Handy eingesteckt, um es zu laden. Sein Geldbeutel war unter dem Telefon. Hätte jemand danach gesucht, hätten sie ihn hinterher nicht wieder ordentlich unter das Handy gelegt. Ich öffnete ihn. Er hatte einen Einschub zum Ausklappen, in dem seine Texas-Ranger-Dienstmarke und der Ausweis vom Department of Public Safety steckten. Ein offener Briefumschlag ohne Anschrift lag in der Schublade des Nachtkästchens. Ich warf einen Blick hinein und sah, dass auf den Papieren US Justizministerium stand. Parisʼ Pistole lag ebenfalls in der Schublade. Es war eine Automatik vom Typ Colt 1911, Kaliber .45, aus dem Zweiten Weltkrieg in einem maßgefertigten Lederholster mit einem Gürtelclip. Ein Geschenk von Buick.
Paris war nicht das Ziel gewesen. Ich war es. Ich konnte ihm nicht mehr helfen. Vielleicht konnte ich seinen Tod nutzen, um selbst am Leben zu bleiben. Für diesen Gedanken hasste ich mich. Aber ich musste der Wahrheit ins Auge sehen.
Ich ließ die Unterlagen aus dem großen Umschlag fallen und steckte sein Handy, das Ladegerät und den Geldbeutel hinein. Die 45er klipste ich an den Gürtel. Als ich wieder im Wohnzimmer war, verstaute ich das Paket in einer Einkaufstüte. Erneut durchwühlte ich Parisʼ Taschen. Dieses Mal suchte ich nach seinen Schlüsseln. Ich fand sie und steckte den Bund in meine Jeans.
Was ich als Nächstes tat, fiel mir schwerer. Ich hob die Leiche an den Schultern und schleppte Paris den Flur entlang, wobei die Füße Blutspuren auf dem Teppich hinterließen. Das hätte ich nicht machen müssen. Ich wollte ihn nur nicht hier auf dem dreckigen Boden liegenlassen. Vieles von dem, was passiert war, hatte ich nicht gewollt. Also musste ich wenigstens diese Kleinigkeit tun.
Ich legte Paris in mein Bett und deckte ihn zu. Dabei war ich so behutsam wie möglich. Meinen eigenen Geldbeutel steckte ich in seine Tasche. Das war zwar ein erbärmlicher Trick, aber es sollte nicht für immer sein. Höchstens ein paar Wochen. Mein neues Hemd mit den Druckknöpfen war blutig und ruiniert. Ich zog es aus und nahm ein frisches aus dem Schrank. Damit hatte ich fertig gepackt. Das Bargeld würde reichen, um mich tausend Jahre lang einzukleiden. Ich glaubte nicht, dass ich so lange brauchen würde.
Auf den Nachttisch stellte ich eine Kerze. Es war eine dieser Duftkerzen, die eine Frau in der vergeblichen Hoffnung mitgebracht hatte, den Männergestank aus dem billigen gemieteten Trailer zu vertreiben. Die Kerze hatte länger durchgehalten als sie. Ich zündete sie an und stellte sie neben Paris.
»Auf Wiedersehen«, sagte ich zu ihm und blieb kurz an der Tür stehen.
Ich zog den Küchenherd vor, rückte ihn hin und her, bis der Schlauch sich von der Gasleitung löste. Es war nur ein kleiner Riss, kein großes Leck. Ich überlegte einen Moment, es noch zu vergrößern, aber meine Energie verließ mich langsam. Außerdem: Wenn sie meinetwegen zurückkommen wollten, wären sie schon aufgekreuzt. Auch wenn es nur ein kleines Leck war, konnte ich bereits das Propan riechen. Oder zumindest das Zeug, das sie mit hineinmischen, damit es so stinkt. Propan ist schwerer als Luft. Es ist unsichtbar, aber ich stellte mir vor, dass es auf den Boden sank und den Trailer wie Wasser füllte. Bis es bei der Kerze angelangt war, hätte sich eine ganze Menge Gas angesammelt.
Ich stieg in Parisʼ Pick-up-Truck und fuhr ziellos davon. Als ich zu müde war, um weiterzufahren, hielt ich bei einem Motel. Es war eines von denen, die früher an den Landstraßen so beliebt waren, bevor man einfach auf den neuen Interstate Highways daran vorbeifuhr. Das Texas Lodge Motel war ein langgezogenes Gebäude, das in zehn Zimmer aufgeteilt war. Daneben standen vier einzelne kleine Hütten. Die Sonne war schon aufgegangen, aber das rote Neonschild Zimmer frei leuchtete noch.
Ich zahlte bar und niemand stellte Fragen. Ich bat um die Hütte, die am weitesten von allen entfernt lag. Das einzige andere Auto auf dem Parkplatz war ein heruntergekommener Minivan, bei dem das gefälschte Holz an den Seiten abblätterte. Im Fenster des Vans war ein Schild, auf dem stand: »The Sweet By and By Gospel Music Hour«. Ich war nicht in der Stimmung für Musik.
Nachdem ich den halben Tag verschlafen hatte, stand ich auf. Der Schlaf hatte meine Erschöpfung nicht wirklich vertrieben. Ich aß etwas aus einem der Automaten. Dann versuchte ich ein wenig Fernsehen zu schauen. Ich schlief bei einer Wiederholung von Law and Order ein. Etwa um vier Uhr früh wachte ich erneut auf. Es lief noch immer eine Folge Law and Order.
Alte Fernsehwiederholungen interessierten mich nicht und ich konnte nicht mehr schlafen. Ich holte Parisʼ 45er raus. Sie war sauber und geölt und brauchte keine weitere Pflege. Ich legte sie zur Seite und fischte dann das Telefon aus der Einkaufstüte. Es war eingesteckt und lud auf, als ich es aus dem Schlafzimmer mitgenommen hatte, aber ich hatte es ausgeschaltet, bevor ich es mitnahm. Ich hatte genauso viel Angst davor, dass man mich damit tracken konnte, wie dass es klingelte. Was sollte ich sagen, wenn jemand anrief?
Ich drückte den Power-Button und das Handy spielte den typischen Jingle beim Hochfahren. Der Bildschirm zeigte die Passworteingabe. Mist. Keine Ahnung, was das Passwort war. Und es war die Sorte von Handy, die einem nur ein paar Chancen gaben, ein Passwort korrekt einzugeben, bevor es dauerhaft gesperrt blieb.
Ein Ratespiel, das mich ablenkte. Ich saß mit dem Handy auf dem Boden und dachte über Paris nach. Er hätte kein Passwort aus irgendeiner finsteren Assoziation gemacht. Das hieß, ich musste über ihn und all die Dinge nachdenken, von denen ich wusste, dass sie ihm lieb und teuer waren. Diese glücklichen Gedanken fühlten sich an, wie ein kleines Geschenk.
Beim ersten Versuch hatte ich das Telefon entsperrt. NCC-1701 war die Registriernummer der Enterprise. Es stellte sich heraus, dass Paris doch nicht so tiefgründig oder komplex war, wie ich mir gern einbildete.
Ich hätte mich fast ein wenig für ihn geschämt, wäre ich nicht gleichzeitig von einem merkwürdigen Stolz überwältigt gewesen, ihn so gut gekannt zu haben. Ich vermisste ihn.
In den frühen Morgenstunden erforschte ich mithilfe des Handys das Leben meines Bruders. Es war ein Eindringen, eine Vergewaltigung, die ich ohne Zögern beging. Die Informationen waren wie eine Schutzschicht. Der Plan war, Paris zwischen mir und den Killern zu positionieren, die mich suchten. Vielleicht konnte ich mich darin wie in eine Decke einwickeln. Zweifellos würde jemand herausbekommen, dass die Leiche in dem Wohnwagen nicht meine war. Wenn Paris noch am Leben wäre und seinen Geschäften nachging, dauerte es länger, bis irgendwer Verdacht schöpfte.
Ich blätterte durch die Textnachrichten. Am meisten Angst hatte ich, Nachrichten von einer Frau zu finden, mit der er eine Beziehung hatte. Das Letzte, was ich brauchte, waren irgendwelche verliebten Anrufe. Es gab keine. Nicht nur keine romantischen Texte – gar keine Texte. Paris hatte alle gelöscht und seitdem war nichts neu angekommen. Ich überprüfte die Anrufliste. Das war was anderes. Vielleicht war er kein Vielschreiber. Ich dachte darüber nach und mir fiel ein, dass ich auch nie eine Textnachricht von ihm bekommen hatte. Allerdings hatte ich ihm ebenso nie eine geschickt. Meine eigene Liste war also genauso leer. Das war gar nicht so seltsam, wie ich zuerst gedacht hatte.
Die Anrufliste reichte ein paar Wochen zurück. Die meisten der Kontakte waren eingehende Anrufe von einem M. Janssen JM. Er hatte neunmal angerufen, seitdem ich das Telefon ausgemacht und in der Tasche verstaut hatte. Das waren zu viele Anrufe für ein beiläufiges Interesse. M. Janssen hatte wohl einen Grund, damit zu rechnen, dass Paris abnehmen würde. Es gab auch Anrufe von jemandem namens Heck – eine ganze Menge. Das war die Nummer, die Paris am häufigsten angerufen hatte.
Ich hörte die Mailbox ab, um noch ein wenig mehr herauszubekommen. Nichts. Ich sah mir erneut das Anrufer-Log an. Seitdem ich das Handy besaß, waren elf Anrufe hereingekommen, neun von M. Janssen und zwei von Heck. Keine Textnachrichten. Was auch immer Paris vor mir verheimlichen wollte, ich war mir sicher, diese beiden hatten damit zu tun. Das bedeutete, das JM nach dem Namen M. Janssen stand für Justizministerium.
Das Telefon klingelte und ich machte mir fast in die Hosen.
Auf dem Display stand M. Janssen JM. Natürlich. Es wurde kein Foto zusammen mit der Nummer eingeblendet. Es klingelte erneut und ich sah das Telefon an, als würde gleich die Stimme eines Dämons und nicht die eines Menschen daraus erklingen.
Es klingelte ein drittes Mal und ich versuchte, mir klarzumachen, dass das Teil meines Plans war.
Nach der Hälfte des vierten Klingelns tippte ich auf das »Abheben«-Symbol.
»Wo zur Hölle waren Sie?«, fragte ein Mann. Ich ging davon aus, dass es der M. Janssen war, der unter der Nummer gespeichert war. Aber sicher war ich nicht. Dann fragte er: »Was machen Sie verdammt noch mal in Oklahoma?« Ich hatte recht gehabt, das Telefon wurde getrackt.
»Wer ist da?«, fragte ich.
»Milo Janssen – wer zur Hölle dachten Sie denn?«
»Sie haben mich geweckt«, log ich und versuchte, schläfrig zu klingen. »Ich konnte das verdammte Display nicht lesen.«
»Wer sagt eigentlich, dass Sie Zeit zum Schlafen haben? Sie sollten doch auf dem Weg nach Lansdale sein.«
»Bin ich ja. Ich wurde nur aufgehalten.«
»Ja«, sagte er, und ich merkte, wie er einen Gang runterschaltete. »Ich habe von der Sache mit Ihrem Halbbruder gehört. Ziemliche Scheiße.«
»Was haben Sie gehört?«
»Was glauben Sie denn – das ich über so was nicht im Bilde bin? Alles, was mit Ihnen zu tun hat, landet auf meinem Radar. Und wenn der Trailer Ihres Bruders in einem Riesenfeuerball hochgeht, dann erfahre ich das auf jeden Fall.«
»Sie beschatten meine Familie?«
»Nicht wirklich«, sagte er.
Ich konnte das Achselzucken beinahe hören, ohne ihn zu sehen. Aber da war noch etwas anderes. Wenn ich ihn vor mir sah, stellte ich mir einen Schwarzen vor. Irgendetwas in seiner Stimme. Manchmal kann man den Straßenslang nicht völlig abschütteln. Manche wollen es auch gar nicht.
»Longview Moody ist was anderes«, fuhr Milo fort. »Er hat für eine Reihe übler Typen gearbeitet, die sich mächtig in die Haare gekriegt haben. Ich musste ein Auge auf ihn haben.«
»Und?«
»Und ich habe ihn unter die Lupe genommen. Das heißt, ich habe mir angesehen, was die Jungs vor Ort so treiben und mit wem sie es zu tun hatten.«
»Okay. Und haben Sie was gefunden?«
»Er hat sich mit den falschen Leuten abgegeben. Das wissen Sie.«
»Also keine Verbindung zu irgendwas …«
»Etwa nervös?«
»Möglicherweise«, antwortete ich ehrlich. »Vielleicht sollten wir uns treffen und reden, bevor ich den Ort betrete.«
»Wenn ich mich je mit Ihnen Auge in Auge treffen muss, heißt das, es ist etwas gewaltig schiefgelaufen und dann wollen Sie mich lieber gar nicht sehen. Ich bin wie der Typ aus dem Comic: Sie würden mich nicht mögen, wenn ich wütend bin.«
»Wieso denken Sie, dass ich Sie jetzt mag?«, fragte ich und versuchte nicht zu erleichtert zu klingen. Sie hatten sich nie gesehen, also kannte er Paris auch nicht besonders gut. Das vereinfachte die Sache. Ich würde nicht drauf bestehen.
»Und wieso glauben Sie, dass mir das nicht meilenweit am Arsch vorbeigeht? Um aber Ihre Frage zu beantworten, und das war auch meine erste Frage – nein, wir haben keine Verbindung zwischen dem Tod Ihres Bruders und Ihrer Arbeit in Lansdale gefunden. Ich habe sogar das Gefühl, die Jungs vor Ort wollten es auf sich beruhen lassen und unter Tod durch Alkohol und typischen TIW verbuchen, wenn ich nicht nachgebohrt hätte.«
»TIW?«
»Tod-im-Wohnwagen.«
»Verstehe.«
»Ist so ein Redneck-Ding.«
»Zweifellos.«
»Standen Sie in Kontakt mit Ihrem Vater?«
Die Frage warf mich aus mehr als einem Grund aus der Bahn. Ich wollte gerade etwas Wütendes loswerden, als mir einfiel, dass der Typ mit dem ich redete, dachte, er spräche mit Paris.
»Nein«, sagte ich und zwang mich, ruhig zu bleiben. »Ich hielt lieber Funkstille. Nur für den Fall.«
»Er wird die Leiche identifizieren.«
»Was?«
»Ihr Vater. Er wird die Identität der Leiche mit den örtlichen Behörden klären.«
Ich hatte darüber nachgedacht. Lange. Die Frage war unvermeidlich: Wenn er wusste, dass es Paris war, würde er sich wünschen, ich wäre es gewesen? Und was, wenn er es herausbekäme? »Ich dachte, das Feuer hätte das unmöglich gemacht?«
»DNA. Er wird nicht hingehen und sich … das ansehen. Sie haben recht, das Feuer war … na ja, soweit ich weiß, wird es keine visuelle Identifikation geben. Ihr Vater stellt seine DNA für einen Abgleich zur Verfügung.«
Daran hatte ich gar nicht gedacht.
»Wo waren Sie?«, fragte Milo.
»Ich hab mich rar gemacht. Wie gesagt, nur für den Fall.«
»Okay. Das ist in Ordnung, aber Sie müssen ein wenig besser in Kontakt bleiben. Ich sollte immer wissen, wo Sie sind. Das sind miese Typen.«
»Welche?«, fragte ich und fischte ein wenig im Trüben.
»Alle«, antwortete er und ignorierte den Köder. »Wann können Sie in der Stadt sein?«
»Mindestens noch ein paar Tage. Ich …«
»Zwei Tage.« Er schnitt mir das Wort ab. »Sie haben zwei Tage und Sie sollten nicht zur Beerdigung gehen.«
»Wieso?«
»Wissen Sie, warum er tot ist?«
»Nein.«
»Okay. Aber Sie haben den Verdacht, dass es kein natürlicher Tod war, sonst hätten Sie sich nicht auf den Weg gemacht, richtig?«
Ich gab keine Antwort. Es gefiel mir nicht, dass Milo cleverer war, als sein Name vermuten ließ. Wer hatte überhaupt je von einem Schwarzen gehört, der Milo hieß?
»Also«, fuhr er fort, »deswegen will ich nicht, dass Sie dort sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Egal welcher Art. Kein mitgefangen, mitgehangen.«
»Das ist …«
»So sieht es eben aus. Beschissen, aber das müssen Sie wohl einfach schlucken.«
Ich wollte widersprechen, aber es war sehr viel leichter, es nicht zu tun. Nicht, dass überhaupt viele Leute auf der Beerdigung sein würden. Aber irgendjemand bemerkte vielleicht den Unterschied zwischen Paris und mir. Meine Mutter und Paris waren beide tot. Ich hätte nie gedacht, das könnte ein Vorteil sein. Da war Buick, aber ich hatte so eine Ahnung, der alte Mann hatte Angst, dass ihn jemand dort bitten würde, etwas beizusteuern.
»Wie auch immer«, sagte ich.
»Ja, wie auch immer«, echote Milo.
»Wir sollten die Sache noch mal durchgehen«, sagte ich und fischte nach mehr Informationen.
»Wieso?«
Mir fiel kein Grund ein. Ich wusste nicht genug, um mir was einfallen zu lassen. Milo rettete mich erneut mit seinen Spekulationen und weil er mir helfen wollte.
»Ich kenne das Gefühl«, sagte er. »Ging mir auch immer so, bevor ich im Irak einen Einsatz hatte. Aber wir haben darüber geredet. Es ist alles okay. Sie müssen einfach nur ein Cop sein. Sie brauchen sich nirgends einschleusen. Die werden zu Ihnen kommen.«
»Danke«, sagte ich. »Klar wie Kloßbrühe. Wem bin ich eigentlich auf die Füße getreten, damit mir das passiert?«
Er lachte. Das sollte er auch. Es war ein beiläufiger, nichtssagender Kommentar. Ich musste lernen, den Mund zu halten.
»Komisch, das aus Ihrem Mund zu hören«, sagte Milo. Sein Lachen klang nicht sehr belustigt. Der scharfe Unterton richtete meine Nackenhaare auf. »Sie wissen genau, wem Sie auf die Füße getreten sind und wie«, sagte er. »Und Sie haben Glück, dass wir hier nicht bei den Texas Rangern sind.«
»Kommt mir nicht so vor, als hätte ich Glück gehabt.«
»Das gilt wohl für uns alle. Schlafen Sie ein wenig – wie spät ist es bei Ihnen? 4:45 Uhr?«
»Ja.«
»Und bleiben Sie in Kontakt.« Er beendete den Anruf.
Danach war ich nicht mehr in der Stimmung noch mal einzuschlafen. Aber ich hatte einen Plan.
Eine Stunde später hatte ich geduscht, mich angezogen und gepackt und trat in den frischen Morgen hinaus. Meine wenigen Habseligkeiten lud ich in den Pick-up.
Ich fuhr mit der aufgehenden Sonne im Rücken in den nächsten, winzigen Ort. Es gab dort nicht viel, aber wenigstens eine Western-Union-Filiale und ein Restaurant der Kette Waffle House. Ich hatte vor, beiden einen Besuch abzustatten.
Wirklich hungrig war ich nicht. Es ging mehr darum, ein wenig Zeit totzuschlagen, und um die Vorstellung, dass ich mich auf den Weg machen und eine ganze Weile nicht anhalten konnte, um etwas zu essen. Die lange Fahrt ins Nirgendwo hatte mich irgendwo in den Norden von Durant, Oklahoma, verschlagen. In zwei Tagen sollte ich in Lansdale sein, das am Rio Grande lag. Es waren nur etwa 700 Meilen, aber ich fuhr besser nicht durch Dallas oder irgendeine andere große Stadt. Die Interstate wollte ich ebenfalls vermeiden. Paris kannte jede Menge Leute bei der Polizei, und eine Menge Leute bei der Polizei kannten mich. Das hieß, nur die kleinen Highways und Städte kamen infrage. Die Strecke war vermutlich nicht viel länger, aber es waren einige Stunden mehr Fahrzeit. Zeit zum Nachdenken. Zu viel? Zu wenig? Das würde sich zeigen.
Lansdale lag unmittelbar an der Grenze an einer breiten Stelle des Flusses, mitten in der Einöde zwischen El Paso und Laredo. Außerdem direkt am Rand des Big-Bend-Nationalparks, knapp 1100 Quadratmeilen Texas, die so unberührt waren, wie zu Zeiten des Wilden Westens. Dorthin zu kommen, war aber gar nichts, verglichen mit der großen Frage: Wieso zur Hölle tat ich mir das an? Die Welt schien sich immer wieder auf diese Wieso-Fragen zu reduzieren. Ich sollte mich lieber um das Was kümmern. Was würde ich dort vorfinden? Und was verdammt noch mal sollte ich deswegen unternehmen?
Mein Aufenthalt im Waffle House zog sich ein paar Stunden hin, ich aß Steak und Eier und trank Unmengen Kaffee. Punkt acht Uhr zahlte ich meine Rechnung und ging hinaus zum Pick-up. Das Handy von Paris war viel besser, als die Prepaid-Handys, die ich immer benutzte. Es hatte eine Navi-App und Internetzugang. Ich nutzte beides, während ich beim Frühstück saß. Ich hatte den Namen und die Nummer eines Beerdigungsinstituts in Houston. Das war der Anruf, den ich bisher aufgeschoben hatte. Die meisten Geschäfte öffneten um neun. Das Institut hatte acht Uhr auf seiner Homepage angegeben. Liegt wohl in der Natur der Sache, dachte ich. Leute, die eine Beerdigung arrangieren müssen, tun das gern so schnell wie möglich. Sie stehen früh auf, wenn sie überhaupt geschlafen haben, und tätigen einen Anruf, den sie nie machen wollten.
Beim dritten Klingeln hob jemand ab. Ich sagte dem professionell mitleidig klingenden Mann, für wen ich eine Beerdigung brauchte. Nachdem das Grundlegende geklärt war, fragte ich nach den Kosten. Er versuchte mir das Ganze ein wenig teurer zu verkaufen, aber strengte sich nicht besonders an. Ich kam ihm bei der Hälfte des Preises entgegen, aber bot beim Grabstein ein wenig mehr. Ich fragte, ob man ihn später ändern konnte, falls nötig. Er nahm zuerst an, dass ich davon sprach, einen Namen hinzuzufügen. Den der Ehefrau. Als ich ihm erklärte, ich wollte den ursprünglichen Namen ändern lassen, herrschte lange Stille. Es war wohl keine gebräuchliche Frage.
»Die Sache ist die«, erklärte ich ihm, »ich mache das, ohne meine Familie ins Spiel zu bringen. Wir sind nicht immer einer Meinung.«
»Keine Erklärung nötig«, sagte er und hörte sich an, als sei ihm eben das buchstäbliche Licht aufgegangen. »Ich kann eine flache Gravierung auf einer polierten Oberfläche in Auftrag geben. Wenn sich was ändert … na ja, dann können wir den Granit sandstrahlen und eine raue Oberfläche erzeugen, die neu graviert werden kann.«
»Hört sich an, als wären Sie der Mann mit dem Plan.«
»Heikle Probleme zu lösen ist mein täglich Brot«, sagte er.
Daran hatte ich keine Zweifel.
Nachdem ich also ein heikles Problem gelöst hatte, ging ich zum Büro von Western Union und schickte dem Beerdigungsunternehmen 9.300 Dollar. Ich hatte sorgsam darauf geachtet, die Kosten unter 10.000 Dollar zu halten. Banken und Geldtransferunternehmen mussten Transaktionen dieser Größe an die Bundesbehörden melden.
Reich zu sein war teuer, ich hatte mehr Geld ausgegeben, seitdem ich das Geldbündel an mich genommen hatte, als je zuvor in solch kurzer Zeit. Der Packen Geldscheine sah aus, als sei er nicht angerührt worden. Im Pick-up blätterte ich ihn durch und überschlug den Betrag.
Der Streifen mit Hundertern hatte insgesamt einen Wert von 10.000 Dollar. Es waren ursprünglich zehn davon in jedem Bündel. 100.000 Dollar. Es gab fünf Bündel in einer Reihe. 500.000 Dollar. Und es waren drei Reihen. Anderthalb Millionen Dollar. Ich schätze, deswegen war das Bündel nicht kleiner geworden. Es war schwerer, eineinhalb Millionen Dollar für Unterwäsche und Beerdigungen auszugeben, als ich gedacht hatte.
Prokrastination – selbst notwendige Prokrastination – lässt sich nicht ewig ausdehnen. Bevor ich mich auf den Weg machte, ging ich ein wenig einkaufen. In einem Waffenladen kaufte ich zwei Schachteln Munition, jeweils eine für die Pistole, Kaliber .40, und für die 45er von Paris. Ich nahm auch für beide ein zusätzliches Magazin mit. Ein Reinigungsset rundete den Einkauf ab. Ich dachte für einen Moment, der Kerl hinter dem Tresen würde Fragen stellen. Aber das waren nur meine Nerven. Die Waffenhändler in Texas wissen, wann sie die Klappe halten müssen.
Als Nächstes hielt ich an einer Tankstelle, machte den Tank voll und überprüfte Öl und Reifendruck. Der Pick-up besaß eines dieser Ersatzräder, die man an einem Stück Stahlseil ablassen kann. Ich ließ es herunter und tat so, als würde ich beim Ersatzreifen Luft nachfüllen. Unter dem Wagen steckte ich die 40er und einen Großteil des Geldes, in Mülltüten verpackt, in den Hohlraum der Felge. Ich schraubte das Ersatzrad wieder sorgfältig fest. Die 45er behielt ich im Wagen. Schließlich war ich nicht mehr Longview Moody, verurteilter Straftäter. Ab sofort war ich Paris Tindall, ehemaliger Ranger und jetzt Polizeichef von Lansdale, Texas.
Im grünen Farmland nördlich von Lake Texoma, einem riesigen Wasserreservoir, das vom Red River gespeist wurde, fuhr ich los. Die Luft war klar. Es war heiß, aber nicht drückend. Ich fuhr auf Landstraßen in Richtung Westen und dann nach Süden und drehte das Radio an. Willie Nelson.
Mir kam ein Gedanke und ich zog Paris’ Handy aus der Tasche. Ich bin kein großer Techniker, aber es gibt etwas, das jeder weiß, der begründete Sorge hat, getrackt zu werden. Wenn dein Handy dir anzeigen kann, wo du bist, kann es das ebenso jemand anderem zeigen. Man wusste nicht, wie tief sich Milo Janssen in das Handy gehackt hatte. Ich nahm an, dass er es Paris gegeben hatte. Aber wie tief es auch war, ich wollte nicht, dass er jeden Schritt verfolgte, den ich tat. Ich wusste noch etwas. Es abzuschalten hatte nicht immer die erwünschte Wirkung.
Während der Fahrt war das nicht so leicht. Wenn ich vernünftig gewesen wäre, hätte ich kurz angehalten. Tat ich nicht. Ich steuerte mit den Knien und Ellbogen und schaffte es, den hinteren Deckel des Handys anzuheben und die SIM-Karte herauszunehmen.
Nachdem das Handy wirklich tot war, entspannte ich mich ein wenig und trat aufs Gas. Die grüne Landschaft, die vorbeizog, verwandelte sich langsam in trockenes Braun.