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Kapitel VI

Unterhalb der Würzburg, Mai 787

Der Burgberg der Würzburg oberhalb des Mainufers war genauso steil, wie Arnulf ihn in Erinnerung hatte. Hardrad hätte sich ein schlechteres Versteck suchen können, grunzten die Männer. Aber Arnulf war fest entschlossen, ihn nicht von dort oben entkommen zu lassen: Er legte Posten an den Fuß des Hügels und begann, unter den Menschen in den umliegenden Ufersiedlungen kampftaugliche Männer zu sammeln. Freie mit Landbesitz also, die im Kriegsfall mit dem fränkischen Heerbann zu marschieren hatten. Aber jeder suchte Ausreden und verwies auf den Bischof der Würzburg, ohne dessen Zustimmung man nichts unternehmen konnte, doch der Geistliche war noch auf dem Rückweg von Worms. Arnulfs Ungeduld wuchs. Dann, nach ein paar Tagen, dröhnte ein wild aussehender Reiterhaufen auf der Uferstraße heran. Die mit Planen bespannten Trosswagen hatten Bärenschädel über dem Kutschbock der Lenker – Schmuck und Einschüchterung zugleich. Ein schlanker, eher gut aussehender Kerl führte sie an, dessen silbrig gebürstetes Kettenhemd aus den löchrigen Schuppenpanzern seiner Männer hervorstach. Er zügelte sein Pferd vor Arnulf und lupfte eine Fellmütze: »Karl schickt Euch Heilsgrüße, Mann! Ich soll den Mist hier zu Ende bringen.«

»Was redet Ihr da, Heden?«

Mit einem Grinsen auf den Lippen sprang der königliche Hundertschaftsführer aus dem Sattel und umarmte den anderen. »Der Alte will Euch sehen, hamar ! Er hat was vor …« War da etwas wie Neid in Hedens Augen?

»Ist der Hof denn noch in Worms?«

Kopfschütteln. »Sie ziehen nach der Augsburg. Es geht gegen Tassilo, heißt es.«

Arnulf stutzte. »Dasselbe sagte Einhard, bevor er überhaupt wusste, was los ist.«

Heden feixte, helle Zähne leuchteten aus einem staubigen Gesicht. »Der gilerito liest die Gedanken des Königs, bevor Karl sie selbst kennt. Aber am Ende ist er auch nur ein Hofmann, zum Teufel!« Er schlug Arnulf auf die Schulter. Verlassen konnte man sich nur auf Waffenbrüder!

Arnulf zeigte zur Festung hinauf und erläuterte, wie die Würzburg abzuriegeln war. Und welche Häuser in der Siedlung auf dem anderen Flussufer für die Fleisch- und Bierversorgung der Truppe aufkommen mussten.

Heden nickte, ohne wirklich hinzuhören. »Dort drüben«, meinte er irgendwann, »in dieser hässlichen Kastenkirche, da liegt doch ein Heiliger?«

»Sankt Kilian«, sagte Arnulf.

»Kilian?« Heden pfiff durch die Zähne und warf Arnulf einen eigentümlichen Blick zu. »Ein ausgewachsener Heiliger in diesem Kaff friedlicher Menschen, ohne Bischof und ohne Mauern … kommen Eure Männer da auf Gedanken, hamar?«

Arnulf räusperte sich und spürte eine winzige Gewissensregung – wie einen Mäusebiss in die Stiefelsohle. Der Diebstahl von Heiligenreliquien wurde streng geahndet. Aber wo kein Richter, da keine Strafe … »Mir egal«, sagte Arnulf leichthin. »Wir brechen morgen bei Sonnenaufgang auf. Heute Abend leeren wir ein paar Krüge zusammen, einverstanden?«

* * *

Fünf Tage später stießen sie bei Cannstatt am Neckar auf den königlichen Tross. Die Pfalz Cannstatt bestand aus einem steinernen Hauptgebäude mit Holzaufbau und einer Handvoll barackenartiger Nebengebäude. Der Amtmann, der dort für den König wirtschaftete, galt als sehr sparsam. Die Feldsteine der Halle waren römischen Ruinen am Neckar entnommen.

»Ich brauche Euch in meiner Nähe, Arnulf!« Die fast schon herzliche Begrüßung des Königs bei Arnulfs Rückkehr gefiel dem Kriegsmann – einerseits. Andererseits ließ sie Fragen offen. Und offene Fragen, das hatte Arnulf zur Genüge erfahren, konnten alles Mögliche bedeuten: Dass man sich wenig später im Krieg mit einem Freund befand. Oder Frieden mit einem Feind schloss … Der König war niemals ganz berechenbar, weder für sein Gefolge noch für seine Feinde. Er konnte einen Edelmann, mit dem er noch nicht einmal versippt war, zu höchsten Ehren erheben und mit riesigen Ländereien beschenken. Er konnte Bauern einen ganzen Wald überlassen, aus dem er nach der Jagd mit ihrer Hilfe wieder herausgefunden hatte. Und er konnte den Schlachtentod eines Hundertschaftsführers, der ihm seit Jahren diente, mit nichts als ein paar Bekreuzigungen abtun, um anschließend eine Runde Schach mit Einhard zu spielen oder zu einer Konkubine zu gehen.

Mehr als ein Dutzend Jahre im Königsdienst lagen hinter Arnulf; gute Zeiten wie schwere Zeiten, Trennungen auf Feldzügen, gemeinsame Zeit im Winterlager, Märsche bis vor die Küsten Afrikas, Kämpfe gegen verräterische Muselmanen und gegen Slawen in den Dickichten östlich der Elbe.

Dass Verdienst wichtiger sei als Abstammung, sagte der König gerne im Zwiegespräch – vor allem gegenüber Gefolgsleuten ohne alten Familiennamen, wie Arnulf oder auch Heden. Aber wenn dann später das Gebiet eines unterworfenen Heidenfürsten oder das Land einer rebellischen Sippe zur Verteilung anstand, dann schien es stets die zu treffen, die schon reichlich Land, Hörige und Vieh besaßen. Schon länger haderte Arnulf damit. Aber er wusste, dass der König ihn früher oder später belohnen musste … Geduld, mahnte Erika ihn immer einmal wieder. Aber niemand wusste besser als sie, dass dies keine Paradetugend von Arnulf war.

Irgendwann hatte er sich nach reichlich Wein im Zuge einer Siegesfeier einmal Einhard anvertraut, dem Gelehrten, mit dem Arnulf manches Abenteuer durchgestanden hatte. Einhard war der Sohn eines schlichten Amtmannes, der sich – wie Arnulf auch – aus eigener Kraft empor gearbeitet hatte. ›Ihr wart einst ein Holzhauer unter lauter Halbfreien im Hessengau, hamar‹, hatte der Ältere dem Kriegsmann gesagt. ›Schaut Euch heute an – Ihr könnt zufrieden sein!‹

Auch Erika wies Arnulf gerne auf das hohe Ansehen hin, das er am Hof genoss, wenn sie seine innere Unruhe spürte. Zumindest hatte sie das früher getan. Nun, als er sich mit wachsender Ungeduld im Gewusel der Menschenmenge zwischen den Pfalzgebäuden nach ihr und Arthur umsah, wurde ihm klar, dass sie seit Längerem nicht mehr für ihr Leben am Hof gesprochen hatte.

Er entdeckte seine Frau endlich mit allen drei Kindern in einem Trubel aus Weibern und Halbgaren am Rande der Anlage, aus dem Arthur mit einem weißen Kopfverband und der gelangweilten Haltung des Fastkriegers hervorstach: die Jüngeren und Jüngsten ritten auf Ponys kleine Kreise, und von Ferne sah es aus, als säße Arnulfs Tochter Gerswind auf einem der Zwergpferde. Ein plötzliches Glücksgefühl durchströmte ihn, am liebsten hätte er Erikas Namen gerufen und gewunken. Doch schon trat ihm der Marschalk in den Weg. »Wie viele Pferde habt Ihr unterwegs verloren, Hauptmann?« Dann waren da die Krieger des Grafen Worad, die ihn offenbar gesucht hatten: Er solle den schwerverletzten gundfanari des Königs auf dem Krankenlager aufsuchen, baten sie ihn. Arnulf musste der Bitte sogleich nachkommen. Der Kriegsmann war seit dem Attentat ein fieberndes Wrack mit einem fauligen Armstumpf, der bereits einmal amputiert worden war. »Jesus ist mir im Traum erschienen, hamar, ich werde wieder gesund … sagt das dem König, hört Ihr?!« Die unversehrte Linke griff nach Arnulfs Hand, eine heiße Fieberkralle, die sofort wieder erschlaffte. Bewegt drückte Arnulf die Hand des Mannes, der als Herr der Hundertschaften bisher zwischen ihm und dem König gestanden hatte. Dem Arnulf, wie die anderen Offiziere auch, Kriegertreue geschworen hatte!

»Ich sage es Karl, aber …« Er fand nicht den Mut, den Satz zu vollenden: Müsste dieser Unglückselige sich nicht auf seine Güter zurückziehen? Wen wird der König zum Nachfolger bestimmen?

Am Nachmittag trat der Kronrat zusammen. Es war ein milder Frühsommertag Ende Mai, die Mücken nicht allzu zahlreich, und so fand man sich auf einer Wiese zwischen Obstbäumen ein. Unter einem großen Sonnensegel schilderte Arnulf den Edlen und Einflussreichen die Lage vor der Würzburg: Hardrad war eingeschlossen auf der Bergfestung.

»Das wird sein Berg Golgatha«, feixte jemand, was grimmige Lacher erntete. Der Sachsengraf aber lachte nicht: Udalrich saß zwischen Einhard und dem König. Er verstand den Golgatha-Vergleich nicht, wurde Arnulf klar. Als ihre Blicke sich zufällig kreuzten, ging die Hand des Sachsen zur rotleuchtenden Flechte, als müsste er sich jucken. Arnulf verspürte etwas Kaltes unter dem Bauchnabel. Er ist geschmeidiger, als er aussieht – das hatte Einhard Arnulf in einem vertraulichen Moment mitgeteilt. Damals hatte Arnulf es belanglos gefunden, wusste er doch aus eigener Erfahrung, wie gefährlich dieser blutgierige Mann war. Doch nun verstand er, dass Einhard mit geschmeidig schlicht »hinterhältig« gemeint hatte: Wer konnte hinterhältiger sein als ein Heide, der die Taufe nimmt, um dann in König Karls Namen das Blutgericht in Fardi an der Aller abzuhalten? Das »Ausmerzen der letzten Rebellen« hatte den Fluss rot wie einen Färbertrog gemacht. Hunderte waren geköpft worden, weil sie auf Land saßen, das Udalrich mit eigenen Gefolgsleuten besetzen wollte.

»Wir müssen uns der unbedingten Treue der Edlen versichern!« Mit leisem Ächzen hatte Hofkapellan Fulrad sich erhoben. Er erklärte, dass man deshalb den Bayernherzog zu einem Treffen auf dem Lechfeld geladen habe. »Er mochte bisher sein Haupt nicht vor dem König beugen. Trotzdem will der Herrscher ihm in seiner Milde entgegenkommen, um seinen Treueschwur zu erhalten. Fortan, Ihr Herren, werden wir den Weg zu einem neuen Reiche Davids gemeinsam mit den Bayern zurücklegen!«

»Und wenn er nicht schwört? Rufen wir dann den Heerbann gegen ihn auf?«

»Die Bayern liegen mit den Thüringern im Bett – warum noch mit Tassilo reden?«

Der Hofkapellan tupfte mit einem Tuch Schweiß von der Stirn. »Weil wir den Ölzweig reichen, bevor wir zum Schwert greifen. Ist das so schwer zu verstehen?« Und damit es wirklich jeder verstand, richtete der König sich auf und erhob die Hände wie ein Priester. »Unter euch sitzt der Gelehrte Einhard, der die Geschichte meiner Väter aufschreibt und auch meine Geschichte schreiben wird! Wie stünden wir da in der Erinnerung der fränkischen Christenheit, wenn wir wie Gewalttäter im Herzogtum einfielen?«

* * *

Die Sonne verschwand rot am Horizont und das Lärmen der Pfalz ebbte ab, als Arnulf endlich mit Erika allein war. »Arthur hat mir sein Pferd vorgeführt«, sagte Arnulf und setzte sich auf den Rand des Bettes. Der Wein, den der König nach dem Kronrat ausschenken ließ, begann zu wirken. Er schwärmte von der Bewegung des Tieres und seiner Verständigkeit und meinte mit schiefem Grinsen, dass er eigentlich neidisch sein müsste. Aber nichts davon verfing bei seiner Frau. Sie legte die Hände übereinander und sah auf ihren Mann hinab. »Er ist keine fünfzehn, und du willst ihn zu einem Krieger machen!«

»Und wenn?« Er hob den Kopf, nicht ohne wieder den Schmerz im Nacken zu spüren. »Steh doch nicht so herum, Liebes!«

Sie seufzte und ließ sich auf einem winzigen Hocker nieder, ihm unmittelbar gegenüber. Über ihnen raschelte es im Dachgebälk. Es roch nach Stroh, Lehm und dem schweißigen Leder des Schuppenpanzers, den Arnulf am Kopfende abgelegt hatte. Er löste sein Halstuch und berührte die verschorfte Stelle mit den Fingerspitzen. »Kann ihm schlecht das Schwert wieder wegnehmen, oder?«

»Es reicht, dass ich jedes Mal um dich zittern muss, Mann!« Sie beugte sich so weit vor, dass er ihren Atem riechen konnte. »Wie viele Feldzüge willst du noch für den König gewinnen? Wie viele Wunden soll ich noch flicken, bevor einer seinen Stahl in dein Herz stößt?«

Im Halbdunkel glänzten ihre Augen feucht. Er nahm ihre Hände. »Hör zu, magad … Ich bin ein Krieger des Königs. Ich war’s immer, anders hast du mich nie erlebt. Und jetzt …« Und dann wusste er nicht mehr weiter. Konnte er denn ein Leben ohne sein Schwert führen? Er wusste, dass das niemals passieren würde. Und er hatte zu viel Respekt vor seiner Frau, um es ihr vorzugaukeln. Frauen lieben das Leben – Männer den Ruhm und die Gefahr. Bei einem grauhaarigen Krieger hatte er diesen Satz gehört, Jahre zuvor. In der folgenden Schlacht war der Mann getötet worden. In diesem Augenblick, im Halbdunkel mit seiner Frau, fühlte sich dieser Spruch wahrer an denn je.

Hundegebell ertönte unweit ihrer Baracke; Rufen, Pferdewiehern, der Gesang von Kriegern. Und Arnulf ahnte, woran Erika jetzt dachte: an ihre Flussburg in der sächsischen Grenzmark, am Weserknie, wo das Flusstal durch den Osning bricht. Diesen befestigten Edelhof hatte der König ihnen gegeben, zusammen mit einer Abteilung Panzerreiter und der nötigen Befehlsgewalt, um sächsische Aufstände zu unterdrücken. Es war eine Zeit des Aufbauens, des Wachsens und der Ruhe gewesen, die freilich immer wieder mit Kämpfen abwechselte.

»Wir hätten in der Weserburg bleiben können«, sagte er langsam. »Aber du wolltet, dass Einhard die Jungen unterrichtet, Erika. Du wolltest eine Schule, vergiss das nicht.«

»Es war nicht nur die Schule«, sagte sie nach einer kurzen Pause. Und erinnerte ihn an den ersten Zusammenprall mit dem Blutgrafen Udalrich. »Er wurde immer mächtiger. Du hast seine Rache gefürchtet!« Die Erinnerung war wie ein stachliger Klumpen in seinem Kopf, der anfing, sich zu bewegen.

»Wir saßen am Flussufer«, fuhr sie nüchtern fort. »Du sagtest: Der Graf wird auch auf uns losgehen, früher oder später. Weil wir seinen Feinden Schutz gewährt haben.«

»Ja«, presste Arnulf hervor, »ich habe Sigfrid Unterschlupf gewährt! Udalrich wollte seinen Kopf. Verdammt, hätt’ ich den Burschen von meiner Tür wegschicken sollen?«

Sie schwieg für einige Atemzüge. »Wie gefährlich ist er für uns, hier am Hof?«

»Unter den Augen des Königs wird er nichts wagen«, raunte Arnulf. »Manchmal glaube ich …« Ihre Finger berührten einander.

»Sprich weiter!«

»Der König und ich, wir haben aus denselben Pfützen gesoffen, wir haben uns zusammen aus Hinterhalten rausgekämpft … Sowas fühlt sich wie Freundschaft an. Aber im Grunde sieht der König nur auf den Nutzen eines Gefährten. Der Blutgraf hat ihn Glauben gemacht, dass er jeden Aufstand der Sachsen niederwerfen kann, bei den Westfalen wie bei den Ostfalen. Also, wer nutzt dem König mehr?«

Nun endlich fiel es ihm ein. Aus seinen Taschen am Kopfende kramte er ein Stück Stoff hervor. Vorsichtig schlug er es auseinander. »Eine Fingerspitze vom Heiligen Kilian. Die beschützt dich vor allem und jedem, wenn ich auf die nächste Fahrt gehe.« Sie entzündete ein Öllicht und besah die Reliquie von allen Seiten. »Wie hast du …« Er legte einen Finger auf ihre Lippen. Ob er jemanden dafür getötet hatte? Er schüttelte den Kopf.

Sie ließ die Fingerkuppe in einem kleinen Beutel verschwinden, küsste ihn und drückte ihn auf das Bett nieder.

Später – es war dunkel, sie nahmen einander nur noch als Schemen wahr – lauschten sie auf die nächtlichen Geräusche des Hofes. Ein letztes Brüllen der Zugochsen, dann das kräftige Gebell der königlichen Meute, gefolgt von hellem Kläffen der Pfalzköter; Stille.

»Wir könnten Pferde züchten«, sagte er irgendwann. Seine Finger strichen um ihren Nabel. »Pferde für den Hof, für die Scara.«

»Wenn du dabei nicht dauernd zum Schwert greifen musst …«

»Die Wesergaue sind gutes Pferdeland«, brummte er. »Und Sigfrid und seine Leute verstehen sich auf Rösser – Sachsen eben!«

»Du sprichst mit einer Sächsin.« Ihre Finger ziepten an seinem Ohrläppchen. »Schon vergessen?«

»Nein. Aber du hast Kinder, die lesen und schreiben können und betest die Jungfrau Maria an«, lächelte er im Dunkeln. »Sächsinnen tun das nicht.«

Seine Finger waren jetzt südlich des Nabels unterwegs, im krausen Haar ihres Gärtchens. Sie machte ein Geräusch, wie ein kleines Schnappen nach Luft. Draußen, in der Ferne ertönte ein besoffener Fluch. »Hör nicht auf«, flüsterte sie. Er erreichte die Stelle. Erkundete die warme Feuchtigkeit. Spürte ihren Schauder, der seine eigene Erregung befeuerte. Dann schob er sich auf sie und ächzte, als sein Hals ihn an die Schwertspitze des Thüringers erinnerte.

* * *

In einer deutlich bequemer ausgestatteten Kammer unter dem Dach des Hauptgebäudes – dort schliefen normalerweise der Amtmann und seine Familie – klagte eine andere Frau über ihr Schicksal. »Ich habe Kopfschmerzen, ich leide, seit Tagen schon«, stieß die Königin mit halbgeschlossenen Augen auf einem Hügel von Kissen aus. »Und meine Kammerfrau? Vergnügt sich irgendwo mit ihrem Mann!« Fastrada drückte die durchgestreckten Finger gegen ihre Schläfen und schoss einen bösen Seitenblick auf den König ab, als obliege es ihm, die Betreuung seiner Gattin durch die Hofdamen zu überwachen.

Karl stand, das Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagernd, neben ihrem Bett und strich sich gleichmütig über den Bart. Schließlich brummte er etwas und machte den beiden Zofen, die Arzneien in Glastiegeln aus einer Kiste hervorgeholt hatten, ein Zeichen. Geräuschlos verschwanden sie. »Dass Erika ihrem Mann zu Willen ist, ist nichts Schimpfliches«, sagte er langsam und setzte sich auf den Rand ihres Kissenbettes. »Ehefrauen sollten das bisweilen tun. Ihr auch.«

Fastrada öffnete die Augen. »Kommt Ihr deshalb zu mir? Ich habe Euch zwei Kinder geboren, wie es sich für ein Frankenweib gehört, und davon bin ich ganz unförmig geworden!«

»Das seid Ihr nicht, Fastrada.« Seine Handfläche berührte ihre Wange, obwohl er sie lieber geohrfeigt hätte. Irrsinnige Übertreibungen waren Teil ihrer Wesensart, wusste er. Das Üble war, dass sie oft mit List vorging und selbst ihn, den König, täuschen konnte, zumindest eine Zeit lang.

Als ahnte sie seine Gedanken, richtete sie sich auf einen Ellenbogen auf. »Einen lebenden, gesunden Sohn habe ich Euch geschenkt, wie es von einer Königin erwartet wird. Ich flehe zur Jungfrau Maria, dass er nicht so ein Tollpatsch wird wie Euer Hildegard-Sohn Ludwig. Der ist wie ein Esel, dem man die Beine zusammengebunden hat!«

»Hört auf damit, Weib!«, entfuhr es ihm. Nie erwähnte sie ihre Stiefkinder, ohne sie herabzuwürdigen. Und sie war noch nicht fertig. »Ist Euch klar, mein König, dass alle Eure Kinder diesen halbgaren Kriegersohn namens Arthur bewundern oder gar beneiden? Und ausgerechnet den behandelt Ihr wie einen Kriegshelden!«

Karl schüttelte entnervt den Kopf. »Ich schmeichle damit lediglich seinem Vater, liebes Weib – und den brauche ich noch!« Damit erhob Karl sich und murmelte, dass er in der Nachtmesse für ihre Gesundheit beten würde.

»Bleibt!«, rief sie und richtete sich in eine sitzende Stellung auf. »Tassilo – Ihr werdet ihn zerstören, nicht wahr?«

Der König lächelte freudlos. »Das hängt von ihm ab. Schwört er Heerfolge, darf er seinen Thron erstmal behalten. Aber seine Söhne werden wir als Geiseln an unseren Hof holen, sicher ist sicher.«

»Zur Hölle mit seiner Brut!«, entfuhr es Fastrada. »Ihr wollt das Herzogtum, Mann, also warum noch mit diesem Ochsen Tassilo herumplänkeln?« Schaudernd spürte Karl erstmals seit Längerem wieder das Raubtierhafte in seiner Frau – nur in vertraulichen Momenten kam es zum Vorschein.

»Wollt Ihr mir etwas sagen, Weib?«

»Ich will den Herzogsthron für meine Kinder!« Sie funkelte ihn an, doch dann schien sie sich selbst wahrzunehmen und die Lippen formten sich zu einem falschen Lächeln. »Auch sie müssen etwas erben können, wenn Ihr zum Allmächtigen auffahrt. Sonst werden Eure Hildegardsöhne und der bucklige Kerl aus Eurer ersten Ehe alles an sich reißen!«

Arnulf. Kampf um Bayern

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