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Kapitel III

Wormser Rheinufer, Mai 787

Die Wachen am Stadttor hatten Hardrad zum Rhein reiten sehen, zusammen mit einem halben Hundert Bewaffneter, die sich unterhalb der Stadt bereitgehalten hatten. Arnulf schlug mit seinen Leuten die Straße zur Rheinbrücke ein, einem sehr langen Bohlenweg, der sich wie auf hohen Stelzen über den mächtigen Strom dehnte. Doch was sie am anderen Ufer sahen, war wie ein Schlag in die Magengrube: Über dem Ende der Brücke hing eine dunkle Wolke. »Die Schweine haben Feuer hinter sich gelegt«, rief Sigfrid aus und zügelte sein Pferd neben Arnulfs Apfelschimmel. Er fuhr sich durch den Bart, fluchte und sah Arnulf herausfordernd an. »Vielleicht kommen wir trotzdem durch. Zu Fuß, die Pferde am Zügel?!«

Arnulf richtete sich in den Steigbügeln auf und kniff die Augen zusammen. Ein leichter Wind ging, die Rauchwolken trieben gen Osten. Die Flammen im Zentrum des Qualms waren mehr zu ahnen als zu sehen. »Versucht es, Sigfrid! Aber bringt Euch nicht um, hört Ihr?«

Der Sachse grinste, machte zwei Kriegern ein Zeichen und ritt mit ihnen im leichten Trab auf die Brücke. Ein weiterer Kampfgefährte Arnulfs brachte sein Pferd neben ihm zum Stehen, und allein durch den Weingeruch wusste Arnulf, dass es sein zweiter Truppführer war.

»Was macht der da?«, grunzte Gallo. Er war ein Westfranke aus Neustrien, ein Welscher also – so nannte man alle die, die nicht den ostfränkischen Dialekt sprachen.1 Er war nicht eben eine Schönheit: ein eher schmaler Kopf saß auf einem dicken Hals und fleischiger Schulterpartie, die Arme waren lang, die Beine etwas kurz, gerade im Sattel war das kein hübscher Anblick. Doch seine gute Laune war so zäh wie Büffelleder, und dafür schätzte ihn Arnulf. Ernst, das wusste der Offizier, wurde Gallo nur in völlig nüchternem Zustand. Und dies war auch an diesem Tag nicht zu befürchten. »Der Sachsenschädel will sein Pferd braten?«, lästerte Gallo. »Hätte er in der Pfalz machen können, am Feuer!«

»Schwätzer«, presste Arnulf hervor, was der Welsche in keinster Weise übel zu nehmen schien. Er wischte dicke, schwarze Haarsträhnen aus der Stirn und löste einen Trinkbeutel vom Sattelhorn. »Von hundert Leuten, hamar, kommen genau zwei auf so eine Idee: Sigfrid und Ihr selbst. Warum nicht die Fähre nehmen? Einen Trunk?«

Arnulf nahm den Beutel und trank einen Schluck: Ein Geschmack wie in Bier aufgeweichte Ziege. Schon machten die Reiter auf der Brücke kehrt – da war kein Durchkommen. Eilig ritten sie durch sumpfige Wiesen ein Stück flussaufwärts zum Fährplatz. Das Frühjahrshochwasser lag noch nicht lange zurück. Schwärme von Mücken stiegen auf. Einige Krieger brachen in lautes Fluchen aus, andere schlugen nach den Quälgeistern, die meisten aber zogen einfach die Halstücher über das Gesicht und gaben den Pferden die Sporen. Zwei Fähren setzten Arnulf und Sigfrid mit den ersten fünf Dutzend Mann über, während Gallo mit weiteren Leuten am Westufer wartete.

»Die Thüringer können noch nicht weit sein«, sagte Sigfrid und drehte den Donarhammer am Handgelenk.

»Sie haben Verwundete dabei«, nickte Arnulf. »Wenn sie die mitschleppen, haben wir den Haufen bald eingeholt.«

Sigfrid grinste kriegerisch, als freute er sich auf jenen Moment. Er ritt seit nunmehr bald vier Sommern an Arnulfs Seite. Auf der Flucht vor einer blutigen Fehde in seiner sächsischen Heimat hatte er Arnulfs Schutz angenommen. Im Gegenzug hatte er ihm giniscaft geschworen, Kriegertreue.

»Wir warten nicht auf Gallos Trupp«, stellte Arnulf grimmig fest. Schon kam das östliche Ufer auf sie zu. Er musste an seinen Sohn denken und sah dabei so besorgt aus, dass Sigfrid seine Gedanken erriet. »Das war nur eine Fleischwunde, meine ich«, murmelte der Sachse unvermittelt. »Sein Schädelknochen war intakt … In ein paar Tagen prahlt er wieder mit seinem Schwert.«

Arnulf brummte etwas und biss sich auf die Unterlippe. Die Schwertspitze des Thüringers hatte Arthur über der Stirn getroffen, vom Haaransatz bis zur Braue. Er war nicht bei Bewusstsein, als der Vater die Wunde untersuchte, aber Arnulf wollte glauben, was Sigfrid sagte. Wäre dies auch passiert, wenn ich ihm nicht schon das Schwert gegeben hätte? Hat sein Bruder ihn gleich zum Arzt schaffen lassen?

»Der Junge ist reif für den Kampf«, sagte Sigfrid halblaut. »Ich hab’ schon Achtzehnjährige gesehen, die weniger reif waren.« Arnulf knurrte etwas wie Zustimmung. Die Worte des Gefährten taten ihm gut, auch wenn er es nicht zugegeben hätte. Sigfrid mochte etwa dreißig sein, ein paar Jahre jünger als Arnulf selbst. Eine Narbe, schräg über den Lippen, bildete eine schmale Schneise im blonden Vollbart.

»Woher habt Ihr eigentlich diese Scharte?«

Graublaue Augen starrten den Offizier an, nicht mehr freundlich. »Habe ich das noch nie erzählt?«, murmelte der Sachse.

Arnulf schüttelte den Kopf. »Das waren Panzerreiter, hm? Habt Euch mit Scarakriegern rumgeschlagen, vor meiner Zeit!«

»Nein.« Es war stillschweigende Übereinkunft zwischen Sachsen und Franken, nicht über die Kämpfe zu sprechen, die man einst gegeneinander ausgefochten hatte. Sie sahen wieder nach vorn: eine halbe Bogenschussweite bis zum Ufer. Menschen mit löchriger Kleidung und ein paar Ziegen am Strick blickten ihnen misstrauisch entgegen.

»Meine Mutter«, sagte Sigfrid endlich. »Ich war ein paar Jahre jünger als Euer Sohn … Meine Mutter erwischte mich, wie ich von der Blutwurst fraß, die für den Wodanspriester bestimmt war. Sie schlug sofort zu. Mit einem Topf, glaube ich.«

»Im Ernst?« Arnulf erlaubte sich ein Grinsen. »Gut, dass wir nie gegen Eure Frauen kämpfen mussten!«

* * *

Vorwärts!

Arnulfs Ahnung trog nicht: Ein halbes Dutzend Meilen östlich des Rheins stießen sie im Kloster Lorsch auf die ersten der Fliehenden. Einen rotgesichtigen Krieger, der noch ein ledernes Jagdwams trug, sahen sie unter den Torbogen des großen Eingangs stehen. Sie gaben den Pferden die Sporen, der Mann verschwand im Hof.

Keiner hatte Augen für das prächtige Torhaus mit der Front aus weinroten und weißen Steinen, und niemand nahm Anstoß daran, dass sie durch den mittleren der drei Torbogen galoppierten, der eigentlich König und Bischöfen vorbehalten war. Hinter einer Pferdetränke sah Arnulf Mönche in langer, mit Stricken zusammengehaltener Kutte, die dort in Deckung gegangen waren. Sie gestikulierten und zeigten auf einen mageren Kerl mit strubbligem Haar, der vor der Kirchentür Aufstellung genommen hatte.

Die Franken sprangen von den Pferden. Der Magere wedelte mit den Armen und schrie laut »Asyl des Herrn!« und »Kreuz-Asyl!«, als müsste er den Verfolgern etwas erklären. Sie sahen Blut aus einem Hosenbein rinnen, der Stoff war aufgeschlitzt.

»Wo sind die anderen?«, herrschte Arnulf ihn an. Er antwortete mit neuen, noch lauteren Asylrufen. Arnulf mähte ihn mit einem Faustschlag nieder. »Asyl ist in der Kirche, nicht vor der Kirche!« Als er die Tür des Gotteshauses aufstieß, flatterten Schwalben auf. Fensteröffnungen in zehn Fuß Höhe ließen genügend Licht ein, um ein paar Gestalten am Altar zu erkennen. Eine war wimmernd zusammengesunken. Eine andere hatte die Hände vorgestreckt wie zur Abwehr. Der dritte Mann hielt ein Schwert in der Hand. »Gott ist mein Schild«, krächzte er, als Arnulf auf ihn zumarschierte. »Am Altar müsst Ihr uns verschonen!«

»Auf Gott beruft Ihr Euch?«, herrschte Arnulf ihn an. »Warum nicht gleich auf den König?« Er zog die Axt aus der Schlaufe, rechts am Gürtel, wo die meisten das Kurzschwert hatten. Schon klirrte das Schwert auf den Boden.

»Erbarmen!« Der Thüringer ging in die Knie. Arnulfs wuchtiger Tritt mit dem Reiterstiefel unterbrach sein Wimmern, keuchend krümmte der Kerl sich zusammen. Sigfrid packte ihn an den Haaren und zog seinen Dolch.

»Der Herzog ist längst weitergezogen, er hat uns hier zurückgelassen, verschont uns!« Sigfrid grunzte etwas und legte ihm das Messer an den Hals.

»Lasst ab«, sagte Arnulf eindringlich. »Nicht am Altar!«

»Weil Euer Heiland dann böse ist?«, fragte Sigfrid mit gerunzelter Stirn, die Klinge über dem Hals des Japsenden.

»Erraten.«

Sigfrid wedelte mit der Dolchhand, sein silberner Donarhammer baumelte am Handgelenk hin und her. »Sagt dem Heiland, dass ich ein Heide bin, dann drückt er ein Auge zu.«

»Schenkt Ihnen das Leben!« Eine schmächtige Gestalt eilte herbei, tauchte aus dem Halbdunkel auf wie eine Erscheinung.

»Einhard!?«, entfuhr es Arnulf. »Was treibt Ihr hier, gilerito?«

Der Gelehrte trug eine schmucklose Tunika mit einem hellen Überwurf, der vorne im Gürtel steckte; unter seinem linken Arm steckten einige Papierrollen. »Ich war in der Bibliothek, als diese … diese Burschen hier reinstürmten«, sagte der Gelehrte mit etwas angestrengtem Lächeln und fuhr sich durch das dünne, weit oberhalb der Stirn beginnende Haar. »Nun, wir sind erstmal in Deckung geblieben, was?« Die beiden schmalen, etwa zwanzig Jahre alten Burschen hinter Einhard wedelten mit weiteren Papierrollen. »Die hätten uns was antun können, Herr«, murmelten sie.

»Sie wollten dem König etwas antun, Leute«, sagte Arnulf kalt. »Es sind Meuchelmörder!«

Einhard zuckte zusammen und berührte Arnulfs röhrenartigen Unterarmschutz. »Der König lebt?«

Arnulf schilderte mit drei Sätzen, was passiert war. Einhard strich über sein Bärtchen, viele Linien durchzogen jetzt die hohe Stirn. »Sie werden es den Bayern anhängen«, sagte er, den Blick nach innen gerichtet.

Arnulf verzog das Gesicht. »Tassilo? Der Herzog war nicht in Worms.« Dazu nickte Einhard nur, als würde es seinen Gedanken bestärken. Dann fragte er noch beiläufig, ob der Hofkapellan wohlauf sei.

Arnulf kratzte sich an den Kinnstoppeln. »Bischof Fulrad war nicht bei der Hatz dabei, dem kann nichts passiert sein.«

»Gelobt sei der Herr!«, seufzte der Gelehrte. Fast klang es aufrichtig.

* * *

Als Arnulfs Männer durch das Klostertor preschten, um die Verfolgung wieder aufzunehmen, stieß Gallo mit seinen Leuten zu ihnen. Halbernst gemeinte Worte flogen den Ankömmlingen entgegen: dass die Westfranken gerne zu spät kamen, und wenn, dann betrunken.

Im straffen Galopp ging es weiter. Die Spur führte nicht nach Norden, wie Arnulf zuerst erwartet hatte, sondern ostwärts: Die von vielen Hufen aufgewühlte Straße schlängelte sich die Höhen des Odenwalds hinauf. Die Straße wurde zum Weg, bald streiften die Zweige der Bäume ihre Schultern. Vorbei ging es an aus dem Wald geschlagenen Gehöften. Sie sahen Frauen hinter Zäunen verschwinden, riefen halbnackte Arbeiter auf dem Feld an, die sofort mit der Hand nach Osten zeigten: Zum Main sind sie!

Am frühen Abend hielten sie auf einem kleinen Plateau mit einem Steinkreuz. Von hier ging der Blick weit nach Osten, und Arnulf konnte das Maintal im grünen Gewoge erkennen. Wollen die Attentäter auf ein Schiff? Sie würden gegen die Strömung segeln müssen …

Sie ritten weiter bergab, schließlich tauchte noch eine letzte Höhe vor ihnen auf, über die der Weg zum Ufer hinabzuführen schien. Arnulf befahl Halt. Rechts von ihnen war der Hang überzogen mit einem Filz aus Brombeeren, Kletterpflanzen und jungen Bäumen, zwischen ihnen sah man noch die schwarzen Stümpfe eines Waldbrandes. Dort war kein Durchkommen.

Da kam ein einzelner Krieger aus der Kolonne an den anderen Pferden vorbei nach vorn. Ein drahtig wirkender Kerl mit wettergegerbtem Gesicht und Linien um die Augen, die etwas Düsteres hatten – einer von Sigfrids Wesersachsen, die er in Arnulfs Dienst mitgebracht hatte. »Ich kann sie riechen, Herr«, sagte der Mann, ohne die Stimme zu heben. Er hielt Arnulfs Blick für die Dauer eines Herzschlags. »Sie warten auf uns!«

Arnulf folgte dem Blick, starrte wieder auf die bewaldete Höhe vor ihnen. »Ein Hinterhalt?«, grunzte Arnulf und zurrte an seinem Halstuch, um Luft an die Haut zu lassen. »Keine schlechte Stelle.« Er befahl abzusitzen. Der Hagere murmelte noch etwas zu Sigfrid und verschwand wieder nach hinten in die Kriegerkolonne.

Misstrauisch sah Gallo ihm nach. »Ist das ein Seher oder was? Der sagt doch sonst nie was!«

»Deshalb nennen wir ihn auch Schweiger«, entgegnete Sigfrid und ließ den dünnen Zopf durch die Finger gleiten. Auch er war angespannt.

»Ach, wirklich?«, murmelte Gallo. »Wie gut, wenn man Wodansanbeter dabei hat, die sprechen mit den Bäumen und den Käfern.«

Sigfrid schnaubte etwas Verächtliches und schlüpfte mit dem linken Arm in die Griffringe des Schildes, das er vom Sattel gelöst hatte. Erwartungsvoll sah er Arnulf an. Der hatte sein Tuch wieder straff um den Hals gebunden und prüfte die Axt in der Halteschlaufe am Gürtel. Ein harter Blick glitt über seine Krieger.

»Die wollen uns überraschen. Drehen wir den Spieß um!«

Kopfnicken und das Grinsen narbiger Gesichter antworteten ihm. Sie zogen die Kinnriemen der Helme fest, bekreuzigten sich und ließen die Schwertspitzen aneinander klirren: Kriegertreue, giniscaft, verhieß dieses Geräusch. Dann gab sax hamar seine Befehle.

* * *

Gallo würde mit seinen gut dreißig Mann in Richtung der Hügelkuppe weiterreiten. Als ahnten die Franken nichts … Die anderen mussten sich durch das Unterholz links des Weges auf die Kuppe zubewegen. Ihr Lärm war der einer Rinderherde im Wald – so kam es Arnulf vor, als er mit großen Schritten vorweglief. Doch nichts tat sich vor ihnen. Als das Gelände kaum noch anstieg, verharrte er einen Augenblick, sah sich nach

Sigfrid um und zog die Axt. Bei einem Kampf im Unterholz war sie handlicher.

»Und jetzt?«, raunte Sigfrid und zerquetschte eine Mücke am Hals. »Geht mit Euren Leuten weiter, geradeaus, auf die andere Seite der Kuppe«, murmelte Arnulf, einer Eingebung folgend. »Ihr fangt dort alles ab, was vom Kampfort flieht.«

Sigfrids Blick ging nach vorne, versuchte das dichte Grün zu durchdringen. Schweigend nickte er. Doch ausgerechnet jetzt kam Arnulf sein ganzer Plan tollkühn und halsbrecherisch vor. Ist dieser Schweiger denn ein Hellseher? Aber einfach weiterzureiten, das wäre genauso riskant gewesen. Er drückte Sigfrids Oberarm, kurz und kräftig. Der Sachse grunzte, machte seinen Leuten Handzeichen und arbeitete sich weiter vor.

Arnulf zählte langsam bis dreißig. Er spürte die Blicke der Krieger auf sich, wusste, dass er nicht eine Spur von Zweifel zeigen durfte. Von den Sachsen war nichts mehr zu sehen, auch nichts zu hören. Vorsichtig setzten sie sich wieder in Bewegung, hielten jetzt direkt auf die Kuppe zu. Äste knackten, Krieger zischten wütend, wenn sie in Erdlöcher traten. Nichts regte sich vor ihnen. Doch Spechte arbeiteten über ihren Häuptern. Das Geräusch erinnerte Arnulf an den Vormittag, den Marsch zur Jagdstellung. Rasch verdrängte er die Gedanken wieder. Dann tauchte zwischen dem Grün vor ihnen das Rotbraun einiger Pferde auf – die Thüringergäule?! Angebunden an jungen Bäumen. Wo bleibt Gallo?

Sie warteten mit klopfendem Herzen … Endlich: Hufgetrappel! Lärmend kam Gallos Truppe die Höhe hinauf. Arnulf sprang auf. Die Lichtung auf der Kuppe hatte eine birnenartige Form, der breitere Teil lag in Gallos Richtung. Der Welsche mit seinen Männern ritt geradezu in einen Pfeil- und Speerhagel hinein! »Unter den Buchen!«, brüllte Arnulf, denn die ersten Bogner der Thüringer lösten sich jetzt aus dem Schutz der Bäume. Arnulfs Axt fegte einen von ihnen mit blutigem Schädel zur Seite, dann stand da einer mit Speer, der sofort reagierte. Die Spitze krachte in Arnulfs Schild. Der Offizier sah die schreckgeweiteten Augen und trat dem Mann in die Körpermitte, sodass der Mann zusammenklappte. Ein Schildstoß gegen den Kopf schickte ihn ins Reich der Träume. Irgendwen muss man noch befragen können!

Ein Schlag aus dem Nichts: Im letzten Moment konnte Arnulf die Waffe heben, ein Schwert kreischte über die Axtklinge. Ein heftiger Schildstoß ließ Arnulf nach hinten stolpern. Er fing sich, schlug mit einem wilden Hieb ein paar Späne aus dem Schild des anderen. Der Kerl brüllte etwas, entblößte eine riesige Zahnlücke und schlug wieder zu. Arnulf wehrte ihn mit dem Schild ab, fasste die Axt am untersten Schaftende, fiel auf ein Knie und zertrümmerte dem anderen mit einem sichelartigen Schlag das Schienbein. Arnulf spürte den Knochen nachgeben, doch der Kerl fiel nicht um. Er schrie einen Schmerzenslaut hinaus wie ein Ochse und stach irgendwie mit der Schwertspitze nach unten. Glühend heiß glitt der Stahl über die Knochen und Knorpel seines Nackens.

»Verzeihung!« Ein dumpfes Aufschlaggeräusch, dann fiel der Kerl mit Würgen und Krächzen nach hinten über. Senkrecht ragte der Schaft einer Stoßlanze aus seiner Brust. Arnulf richtete sich zitternd auf und sah in die Ich-kann-auch-anders-Fratze Gallos. Auf der Lichtung, am Waldsaum erklang noch das Geräusch von Waffen, doch kein Kampfgetöse mehr. »Habt Ihr Hardrad?«

»Pfeile im Arsch haben wir, sonst nichts«, knurrte der Westfranke und wischte die Lanzenspitze am Hosenbein des Toten ab.

Die Enttäuschung überdeckte für einen Moment den Schmerz in Arnulfs Nacken. Zwei ihrer eigenen Männer lagen blutüberströmt und reglos auf dem Waldboden. Ein paar hielten sich zerschmetterte Gelenke, ein halbes Dutzend Mann war damit beschäftigt, Pfeile aus den Pferden und Kriegern zu zerren. Die rasch angefertigte Panzerung der Tiere aus zusammengeknüpften Satteldecken hatte die meisten Geschosse aufgefangen.

Im Laufschritt und mit klappernden Waffengürteln kamen Sigfrid und seine Leute herbei. Arnulf wrang schwarzroten Saft aus seinem Halstuch. »Wen habt Ihr gefangen?« Der Schweiger stieß zwei junge, picklige Kerle mit leeren Schwertscheiden nach vorn: Die Pferdewachen?!

»Verdammt!«, zischte Arnulf. Nichts war gewonnen, Hardrad womöglich über alle Berge! Da blieb sein Blick an dem Speerkämpfer hängen, den er niedergeschlagen hatte. Eine kleine Hoffnung … »Der Kerl lebt!«, rief einer. Man klatschte dem Verwundeten Wasser ins Gesicht und schrie ihn an, wohin Hardrad sich wenden wollte. Blinzeln, Röcheln und schließlich flehte der Mann: »Zur Würzburg. Schont mein Leben, Herr!«

Am Main?! Wo genau? Alle sahen Arnulf an. »Eine Festung mit Holz-Erde-Wall, hoch über dem Fluss«, sagte er langsam und drückte das feuchte Halstuch wieder in den Nacken. »Leicht zu verteidigen.«

»Schwerer zu nehmen als eine Sachsenbraut!«, rief einer der Krieger.

»Abwarten, Mann«, stieß Arnulf aus und brachte ein schiefes Grinsen zustande. »Ich bin mit einer Sachsenbraut verheiratet – sehe ich aus, als hätte ich Angst?«

1 Neustrien: Der Westen des Frankenreichs, also der Rumpf des späteren Frankreichs

Arnulf. Kampf um Bayern

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