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Kapitel VII

Augsburg, Juni 787

Würde Tassilo tatsächlich auf dem Lechfeld erscheinen? Keine Frage wurde häufiger gestellt unter den reisenden Hofleuten. Die Augsburg selbst war Königsbesitz, der Lech bildete die Grenze zum Herzogtum. Der Augstgau, den die Königlichen durchquerten, war hingegen alemannischer Boden. Früher, vor Karls Geburt, waren auch die Alemannen noch Rebellen gewesen. Bis die Franken das rebellische Treiben irgendwann auf althergebrachte Weise beendet hatten: Die Edlen Alemanniens wurden nach Cannstatt geladen – und erschlagen.

Arnulf überquerte mit seinen Leuten ein breites Schotterfeld südlich der Burg. Auf den ebensten Stellen errichteten die Hundertschaften ihre Zelte. Der König, seine Familie und die Edlen nahmen in der Burg selbst Quartier. Auch Einhard konnte sich eine Kammer zusammen mit dem Kanzler in der aus Stein errichteten, zweistöckigen Kommandantur sichern, wie Arnulf feststellte. Eine Stunde vor Sonnenuntergang suchte er den alten Gefährten in seinem Quartier auf. Zuvor vergewisserte er sich, dass Erika und die Kinder eine anständige Unterkunft gefunden hatten. Der Kanzler saß zu dieser Zeit noch mit dem Hofkapellan zusammen, so hatten der Kriegsmann und der Gelehrte einen seltenen Moment der Privatheit, um sich über das Kommende auszutauschen. Obwohl sie manches gemeinsame Abenteuer miteinander verband, dauerte es immer eine Weile, bis ihr Gespräch zu fließen begann – zu unterschiedlich waren die Temperamente. Einhard bot ihm einen Becher mit sauberem Flusswasser an. Er selbst nippte an einem Töpfchen mit frischer Ziegenmilch. Sogar eine Schüssel Erdbeeren stand auf dem winzigen Tisch vor dem Fenster. Arnulf legte die Hände aufs Fensterbrett und sah hinaus. Dünne Rauchfahnen stiegen aus schindelgedeckten Holzbauten auf, von einer gemauerten Schmiede drang der scharfe Lärm von Hammerschlägen an sein Ohr. »Draußen am Fluss ist’s ruhiger«, grinste der Kriegsmann. Dann erst nahm er den schaurigen Geruch einer Färberei wahr, die irgendwo hinter der Schmiede liegen musste – der Wind stand schlecht!

»Gebt dem Sachsengrafen keinen Grund zum Streit«, sagte Einhard unvermittelt. Er hatte auf dem Stuhl am Tisch Platz genommen und schien Gehämmere und Gestank nicht wahrzunehmen.

»Ich bin froh, wenn er mich in Ruhe lässt«, gab Arnulf bedächtig zurück und betrachtete die tiefen Querlinien auf der Stirn des königlichen Ratgebers, die schmalen Wangen und die grauen Barthaare. Er ist alt geworden. Aber die Augen – blau? grau? – musterten Arnulf mit großer Konzentration. »Es bahnt sich etwas an, Hauptmann«, sagte Einhard eindringlich. »Dinge, die sonst festgefügt sind, geraten in Bewegung, wie Eisschollen auf einem Fluss im Frühjahr.«

Arnulf verschränkte die Hände vor der Brust. »Redet klarer, consiliarius! Ihr sprecht mit einem Krieger, nicht mit einem Hofmann.«

Aber Einhard ging nicht auf Arnulfs halbherzigen Humor ein. »Ad eins: Der König will die Sache mit Tassilo zur Entscheidung bringen. Stürzt der Herzog, dann tun sich riesige Möglichkeiten für uns im Osten auf.«

Arnulf kniff die Augen zusammen und schob die Finger hinter das Leder des Waffengurts. »Und zweitens?«

»Wenn es zum Krieg kommt, werden wir die Sachsen brauchen, zumal die Thüringer in Rebellion sind. Das verschiebt die Gewichte zugunsten Eures Freundes Graf Udalrich.«

Arnulf bleckte die Zähne. Keine nette Aussicht …

»Drittens«, fuhr Einhard fort und senkte die Stimme, »ist der Hofkapellan Fulrad kranker als er aussieht. Nachdem der Hof Worms verließ, erlitt er einen Schlagfluss, ich bin mir sicher. Er war zwei Tage nicht ansprechbar. Der König tat so, als bemerkte er es nicht, aber ich weiß, dass er es wahrgenommen hat.«

Arnulf zog die Brauen zusammen und massierte das kräftige Kinn. »Und das heißt, Ihr, gilerito, könntet dann den Hofkapellan als ersten Berater ablösen, oder?«

»Ihr steht am Fenster«, zischte Einhard, dessen Ohrläppchen sich rot färbten. Er beugte sich vor und sprach im Flüsterton weiter: »Der König hat seinen eigenen Kopf und er trifft seine eigenen Entscheidungen. Aber eins, lieber hamar, ist klar: In Zeiten großer Umbrüche ist es wichtig, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein!«

Arnulf nickte nachdenklich und sah eine Ratte unter dem Bett verschwinden. »Danke, consiliarius. Ich werd’ auf mich aufpassen.«

Ein Lächeln erschien auf Einhards Zügen. »In mir habt Ihr einen Verbündeten, das wisst Ihr. Wenn Graf Worad am Fieber stirbt, wer könnte dann der neue gundfanari, der Herr aller Hundertschaften, sein? Wer wäre dazu besser geeignet als Ihr, sax hamar?«

* * *

Am nächsten Morgen begann das Warten auf Tassilo, den Bayernherzog. Arnulf beschäftigte seine Krieger mit dem Üben von Reiterangriffen nahe ihrem Lager. In etwa fünfhundert Schritt Entfernung zum Ufer stand quer zum Fluss ein Doppelriegel von Nussbäumen, zwischen denen die Zelte der Schwarzen aufgebaut waren. Jeweils drei Dutzend Krieger ritten südlich davon Scheinangriffe auf ein paar querliegende Baumstämme, auf denen man die runden Scara-Schilde befestigt hatte. Zwanzig Schritt vor dem Hindernis mussten die Männer abdrehen und gleichzeitig ihre Speere werfen. Arnulf stutzte, als er beim dritten Durchgang seinen Sohn unter den Kriegern entdeckte.

»Arthur!«

Eilfertig kam der Bursche mit dem neuen Pferd angetrabt, mit einem Galopp zwischendurch, obwohl es keine hundert Schritt waren. Über Arthurs rechtem Auge verlief dunkelrot eine schorfige Linie bis zum Haaransatz, so auffällig, dass Arnulf sich grinsend an die Stirn tippte. »Du hast dir die Fransen geschnitten, was?«

»Kein bisschen, Vater!«

»Damit man’s besser sieht, klar.«

Auch Sigfrid grinste, der dazu gestoßen war. »Das gibt ’ne hübsche Kriegernarbe, wenn Ihr mich fragt«, verkündete er ungefragt. Und weil Arnulf noch heiter aussah, zurrte der Sachse am Zipfel seines schwarzen Halstuchs und fügte halb scherzhaft hinzu: »Wieviel gebt Ihr mir dafür, Arthur?«

»Lasst das, Mann«, schnappte Arnulf. Den Knaben auf dem Blutfeld sterben zu sehen, war eine üble Vorstellung, die Arnulf manchmal böse Träume bescherte. »Halt’ dich erstmal an Pfeil und Bogen, Junge!«, befahl er mit einem Blick, der grimmiger war als beabsichtigt. »Für einen guten Lanzenstoß sitzt du noch nicht fest genug im Sattel.«

Arthur machte eine Grimasse. »Gallo hat mir gezeigt, wie ich die Stoßlanze halten muss.«

»Ach wirklich? Dann pass mal auf …«

Er ließ ein Wildschwein herbeischaffen, das ihre Jäger kurz zuvor erlegt hatten. Die Männer banden den Kadaver an ein Holzgerüst, den Kopf nach unten. Dann nahm Arnulf die Lanze aus den Halteschlaufen am Sattel seines Pferdes, ritt einen Kreis und durchbohrte das Ziel im Vorbeiritt: ein hundertfach geübter Stoß! Blutige Fäden tropften aus dem Kadaver und bildeten einen dunklen Fleck auf dem Boden. Dann kam Arthur an die Reihe.

Die Männer verfolgten gespannt, wie der Junge mit der Lanze in der Rechten einen Bogen ritt, auf dem Königspferd, das jetzt Hasel hieß. Doch er ritt zu schnell auf das Ziel zu. »Langsamer!«, rief Arnulf. Mit nur einer Elle Abstand galoppierte Arthur am Ziel vorbei, mit schmatzendem Geräusch drang die Lanzenspitze ein. Dann bremste er das Pferd ein paar Schritt vor seinem Vater ab, mit einem Fluch auf den Lippen – die Lanze war nicht mehr in seiner Rechten, denn sie steckte noch im Schweinekadaver.

»Du sitzt noch oben, immerhin«, knurrte Arnulf belustigt. Verärgert sah der Jungkrieger sich um. Fast waagerecht ragte seine Waffe aus dem Schwein.

»Sehnen und Knorpel können eine Spitze festhalten«, erklärte der Vater. »Nicht alles geht so leicht raus wie rein. Sag, wo ist dein Bruder?«

Die Frage traf Arthur zwischen die Augen; als Älterer hatte er nach dem Jüngeren zu sehen, wenn sie außerhalb der Mauern schweiften. Und manchmal sogar nach der kleinen Schwester, etwas, das Arthur mittlerweile als Entwürdigung empfand.

Man hatte Grimbald mit einem der Kanzleischreiber zum Bootsplatz oberhalb der Furt gehen sehen, erzählten schließlich zwei Halbgare, die mit Arthur fischen gehen wollten. Aber das war schon länger her. Arnulfs Blick ließ den Sohn leise murrend losreiten. Arnulf selbst ritt ein Stück flussaufwärts, auf die Furt zu. Keine Spur von seinem jüngeren Sohn, doch von rechts schob sich nun mit lautem Hufgetrappel und dem eindeutigen Klirren von Metallteilen eine Doppelreihe Krieger aus einem Buschfeld ins Freie. Unter den vordersten Kriegern stach eine schmächtige, schlecht im Sattel sitzende Figur hervor, ohne Schild und Speer: Einhard gilerito! Zügig ritt die Kavalkade in das knietiefe Wasser. Arnulf verspürte einen Stich: Hatte Einhard eine geheime Mission vom König bekommen? Und wenn ja, warum hatte er ihn, den alten Freund, nicht beim abendlichen Zwiegespräch eingeweiht?

Am Hof hat man keine Freunde, sondern Verbündete. Auch das hatte Einhard ihm einmal gesagt. Aber gleichzeitig durch sein Gebaren deutlich gemacht, dass sie mehr waren als Verbündete.

Aber vielleicht war das nur in Arnulfs Einbildung so. Nachdenklich wendete der Offizier sein Pferd. Milchige Wolken schoben sich vor die Sonne. Ein kühler Wind kam auf, frischer, als es morgens den Anschein gehabt hatte. Arnulf fröstelte.

* * *

Dann kam Tassilo.

Herolde unter Leitung eines weißhaarigen Grafen kündigten den Herzog der Bayern an. Das Angebot von Karls Marschalk, den Herzog mit Gefolge in der Burg unterzubringen, lehnte der Bayer mit kaltem Lächeln ab. Im Lech, auf der Furtinsel, wollte Tassilo dem großen Karl gegenübertreten.

Hofleute und Knechte des Burggrafen begannen, einen Platz auf der etwa hundert Schritt langen und fünfzig Schritt breiten Insel herzurichten. Kalbsfelle wurden ausgelegt, darauf hochlehnige Holzstühle gestellt. Als Tassilo schließlich einen Tag später die Insel erreichte – die Bayern setzten mit Kähnen über, um trockene Füße zu behalten – wehte dort bereits das Banner von Karl mit dem Adlerkopf und dem Kreuz. Besser gesagt, es flappte lustlos am Fahnenstab: Der kalte, nicht mehr sommerliche Wind frischte immer wieder auf, das Inseltreffen würde keine warme Sache werden.

Tassilo trug unter einem schweren blauen Mantel einen silbrig glänzenden Kettenpanzer, auf der massiven Brust prangte die Herzogskette aus Gold. Sein rötliches Gesicht wirkte, als hätte er kurz zuvor getrunken. Unruhig musterten seine dunklen Augen die Reihen um den König und die Königin, während seine Leute das Herzogsbanner aufpflanzten: Ein schwarzer Steinbock mit gebogenen Hörnern prangte auf der ockerfarbenen Fahne.

Arnulf stand mit verschränkten Armen hinter der Stuhlreihe der fränkischen Edlen, zusammen mit anderen Offizieren, Edelleuten und einigen Priestern. Während Tassilos Hofkanzler und der Hofkapellan Geschenke austauschten, musterte Arnulf Leutberga, die Herzogin. Dass sie dabei war, wirkte versöhnlich. Ihr Prunk jedoch, was sollte der bedeuten? Eine aufwendige Kette mit mehreren waagerechten Strängen schmückte ihre Brust, Perlen und Juwelen in Hülle und Fülle waren auf diesen Strängen verteilt. Fast zu prächtig wirkte das alles. Hier saß offensichtlich die Tochter eines Königs, des Langobardenkönigs Desiderius! Die Königin Fastrada wiederum zeigte dieser Königstochter nur ein tiefgefrorenes Lächeln: Es gibt nur eine Königin, und das bin ich!

Fulrad begann mit bleichem Gesicht und etwas japsender Stimme die großen Taten von Karls Vater, König Pippin, und dem Großvater Karl Martell zu erzählen. Über Karls Bekehrung der Sachsen, der Befriedung der Aquitanier und der Zähmung der Friesen arbeitete er sich schließlich zu dem »unerhörten Ereignis« vor: dem Mordanschlag. »Schändlicheres hat sich niemals bei uns ereignet!«

Die Bayern stimmten dem mit Nicken und Raunen zu, selbst Leutberga machte ein trauriges Gesicht. Dann stand der kahlköpfige Hofkanzler Tassilos auf, ein Mann mit krächzender Stimme, der die Würde und Getragenheit eines Priesters ausstrahlte. Er pries das Herzogsgeschlecht, die Abkömmlinge des legendären Herzogs Agilo, die älter waren als die Stammväter Karls. Natürlich erwähnte der Kanzler die Blutsbande, die sie einten: König Pippin war der Bruder von Hiltrud gewesen, Tassilos Mutter. Hier saßen sich Vettern gegenüber! Als der Bayer auf diesem Punkt herumritt, begann Karls Rechte auf die Armlehne zu trommeln, wobei die Ringe das Geräusch zu lautem Klackern verstärkten.

»Wir wissen um die Blutsbande«, unterbrach der König schließlich den Bayern. »Für Euch wird im neuen Gottesreich folglich auch ein wichtiger Platz an meiner Seite sein!« Damit war Fulrad wieder im Spiel, der nun Karls Führungsrolle im neuen Reich ausmalte und die notwendige Heerfolge der Bayern, Alemannen, Sachsen, Friesen und Langobarden.

Arnulf hatte Zeit, das Mienenspiel der Bayern zu betrachten. Immer wieder blieb sein Blick dabei an einem Kerl hängen, der zwei Plätze rechts von Tassilo saß: ein sehnig wirkender Mann mit bronzefarbenem Gesicht, hohen Wangenknochen und einer bis über die Brauen reichenden Fellmütze. Der Kaghan der Awaren, so war er vom Hofkanzler genannt worden, musterte die Franken vor ihm auf eine selbstbewusste, fast unverschämte Weise. Arnulfs Nackenhaare richteten sich auf, als seine Blicke die des Awarenfürsten kreuzten.

Dann kam Spannung auf: Tassilo tat mit robustem Selbstbewusstsein sein Interesse an den mainfränkischen Gauen kund. Wer die Stirnfalten des Herrschers kannte, wusste, dass die Zeit der Höflichkeiten abgelaufen war. »Bevor wir über dergleichen sprechen können, Herzog«, sagte Karl laut und vernehmlich, »brauche ich Euren Treueschwur. Hier und jetzt, vor Gott und unseren Edlen!«

Ein Geraune setzte ein, Leutbergas Lächeln erstarb. Verlegenheit hing wie eine übelriechende Wolke zwischen den Parteien – dann aber stand Fulrad auf. Mit jovialem Lächeln verkündete er, dass es Zeit für eine Unterbrechung sei. Aus flachen Kisten holten Diener die vorbereiteten Leckereien und gingen mit Weinkrügen zwischen den Anwesenden herum. Fast konnte man das Aufseufzen der Herren hören … Arnulf nutzte die Zeit, um ein spektakuläres Geschenk Tassilos zu betrachten, das man am Nordende der Insel abgestellt hatte: einen Löwen, der in einem etwa acht Fuß langen Käfig aus Bambusrohr steckte. Der Geruch der Speisen schien das Tier zu erregen, weit dröhnte sein Gebrüll über den Strom. Arnulf machte endlich seine Augen von dem gewaltigen Tier los und versuchte zu schätzen, wie groß Tassilos Lager auf dem östlichen Ufer war. Eine Vielzahl achteckiger Zelte war nahe dem Wasser emporgewachsen, längst kräuselte sich der Rauch vieler Kochfeuer in die Luft. Eine Horde Awaren in Flatterkaftanen tauchte in diesem Moment ein Stück weiter flussabwärts auf, unterhalb der Zelte. Sie tränkten ihre Gäule im flachen Wasser ohne abzusteigen. Diese Menschen seien mit ihren Tieren verwachsen, sagte man.

Er spürte ein Pochen hinter dem Ohr.

Arnulf. Kampf um Bayern

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