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2. Kapitel
Die Zeugen

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Zu Hannibal gibt es weder Zeitzeugenberichte noch Darstellungen aus karthagischer Sicht. Das ist für eine Bewertung Hannibals ein entschiedener Nachteil, sowohl in Hinblick auf seinen Charakter als auch auf seine militärischen Leistungen, da er auch selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat. Die einzige Ausnahme ist eine zweisprachige Inschrift auf einem Altar, den er 205 in der Nähe des Juno Lacinia (oder Licinia)-Tempels am Kap Colonna im Südosten Italiens errichten ließ. Schenkt man dem römischen Geschichtsschreiber Livius Glauben (28,46,16), so fungierte diese Inschrift als res gestae, das heißt als Tatenbericht über seine Leistungen, ähnlich wie ihn Augustus nach seinem Tod im Jahr 14 n. Chr. setzen ließ. Eine lateinische Inschrift aus Brindisi zur Erinnerung an die Einnahme Tarents durch Quintus Fabius Maximus ist das einzige zeitgenössische Zeugnis, das Hannibal namentlich nennt. Archäologische Funde beschränken sich auf Überreste mehr oder weniger befestigter Lager aus dem späten dritten Jahrhundert v. Chr. und sagen entsprechend wenig über Hannibal selbst. Obwohl Massengräber in der Nähe des Trasimenischen Sees entdeckt wurden, besteht in der Forschung kein Konsens darüber, ob diese tatsächlich etwas mit Hannibals traumatischem Sieg über die Römer zu tun haben.

Auch über die Meinung seiner Landsleute wissen wir faktisch nichts: Unterstützten sie seinen Zug nach Italien? In welchem Ansehen stand er nach der Niederlage bei Zama oder bei seiner Flucht ins Exil? Hat sein Selbstmord sie getroffen? Wurde er als Vorbild für karthagische Schulkinder zitiert, der Mann, der seine ganze Genialität und Ausdauer auf die Zerstörung Roms richtete und sein Ziel fast erreichte? Oder galt er als unberechenbarer und undisziplinierbarer Abenteurer, den seine zerstörerischen Machtgelüste in den Abgrund trieben?

Mindestens drei griechische und ein lateinischer Bericht wurden noch zu seinen Lebzeiten über den Italienfeldzug verfasst, doch ist keiner von diesen erhalten. Zwei der griechischen Berichterstatter fanden sich in seinem Gefolge – ein Sizilier namens Silenus aus dem sizilischen Kalakta und der Spartaner Sosylos. Der spätere Historiograph Polybius bewertet sowohl den Bericht des Sosylos als auch einen dritten, eines sogenannten Chaereas, als »Geschwätz, wie Barbiere und Leute vom Pöbel es führen« (3,20,5). Es ist unmöglich, seine Meinung zu bestätigen oder zu widerlegen, doch werden die Berichte des Sosylos und Silenus ihren Patron natürlich in einem überaus günstigen Licht gezeichnet haben; dieser Umstand mag den außerordentlich römerfreundlichen Polybius (hierzu mehr im weiteren Verlauf der Darstellung) dazu verleitet haben, ihre Schriften entsprechend abzuwerten. Silenus und Sosylos nahmen an Hannibals Feldzug in Italien vermutlich explizit als Berichterstatter teil, um dem karthagischen Volk und Senat glorreiche Darstellungen der Taten Hannibals zukommen zu lassen. Diese Vorgehensweise findet sich bereits bei Alexander dem Großen, der den Geschichtsschreiber Kallisthenes in seinem Heer nach Persien mitziehen ließ, damit dieser für Griechenland bestimmte Berichte von der Front verfassen konnte. Hannibal wird es dabei darauf angekommen sein, seinen Feldzug vor allem gegenüber den griechisch-stämmigen Völkern Süditaliens und Siziliens im bestmöglichen Licht erscheinen zu lassen. Bis wann die Berichte des Silenus und Sosylos reichten, wissen wir nicht, doch werden sie kaum noch über die Niederlage bei Zama berichtet haben. (Das letzte Ereignis, das für Silenus belegt ist, erfolgte im Jahr 209.)

Der zeitgenössische römische Bericht stammt aus der Feder des Senators Quintus Fabius Pictor, der am Zweiten Punischen Krieg aktiv teilnahm. Seine in Griechisch verfasste Geschichte beginnt mit der Gründung Roms und schildert mindestens noch die Schlacht am Trasimenischen See, wenn nicht sogar noch das Ende des Krieges. Doch ist sein Werk nur noch in Fragmenten erhalten und liefert kein detailliertes Bild des karthagischen Feldherrn. Pictor schrieb Griechisch für Griechen und gebildete Römer, die dieser Sprache – als Bildungssprache – mächtig waren. Manche Forscher argumentieren durchaus nachvollziehbar, dass Pictor bewusst die griechische Sprache für sein Werk wählte, um den Darstellungen des Silenus und Sosylos entgegenzuwirken. Sowohl Polybius als auch Livius griffen auf Pictors Schrift als Quelle zurück, Livius vermutlich jedoch nur indirekt.

Weitere römische Geschichtsschreiber, die über den Zweiten Punischen Krieg berichten, sind Lucius Cincius Alimentus, Praetor in Sizilien in den Jahren 210/209, der von Hannibal gefangen genommen wurde; der ältere Cato (234–149), der die erste römische Geschichte in Latein verfasste, und Gaius Acilius (flamen 155), dessen griechische Geschichte auch einen Bericht über die Schlacht von Cannae enthält (Cicero De officiis 3,115). Die Person des Alimentus ist hierbei besonders hervorzuheben, da er mit Hannibal in Verbindung trat und ihm durchaus großen Respekt entgegenbrachte (Livius 21,38,2–5). Er mag daher vielleicht auch der kathargischen Seite der Auseinandersetzung etwas mehr Gewicht verliehen haben.

Die älteste und zuverlässigste Quelle ist jedoch die Schrift des Polybius (ca. 200 bis ca. 118). Der Autor, ungefähr vierzig Jahre jünger als Hannibal selbst, bezeichnet es als seine Aufgabe zu beschreiben, »wie und durch welche Staatsform beinahe die ganze bewohnte Welt in nicht ganz 53 Jahren überwältigt und unter die alleinige Herrschaft der Römer gebracht worden ist« (1,1,5) und umfasst damit einen Zeitraum vom Ausbruch des Zweiten Punischen Krieges bis zum Ende der makedonischen Unabhängigkeit im Jahr 167. Die Formulierung »beinahe die ganze bewohnte Welt« verleiht seiner Darstellung besondere Bedeutung. Von den ursprünglich einmal 40 geschriebenen Büchern sind jedoch nur die ersten fünf erhalten. Seine Darstellung des Zweiten Punischen Krieges, beginnend in Buch 3, ist nach der Schlacht von Cannae im Jahr 216 nur noch fragmentarisch überliefert. Bekannt ist aber ein Großteil des sechsten Buches, in welchem Polybius mit einiger Bewunderung über die Vorteile der römischen Verfassung spricht, die eine Überwindung der karthagischen Krise überhaupt erst ermöglichte. Die weiteren 34 Bücher sind nur noch in Fragmenten vorhanden, doch glücklicherweise ist der Bericht über die Schlacht von Zama in Buch 15 erhalten geblieben.

Natürlich muss man auch Polybius gegenüber die Einschränkung machen, dass er die Dinge überaus römerfreundlich schildert und darüber hinaus in einem Klientelverhältnis zu den Scipionen stand (d.h. im technischen römischen Sinn war er ein Abhängiger der Scipionen), also der Familie, die sich im Kampf gegen Hannibal besonders hervortat – und das vor der Nachwelt auch verewigt wissen wollte. Beide Einschränkungen stehen in engem Zusammenhang. Sein patronus, der etwa zwanzig Jahre jüngere Publius Cornelius Scipio Aemilianus (der später den Ehrennamen Africanus trug) war der adoptierte Enkel des älteren, gleichnamigen Scipio, Sieger von Zama. Polybius war einer von etwa eintausend Griechen, die 167 aus dem Nordosten der Peloponnes nach Rom zitiert wurden, um ihr Verhalten in der Auseinandersetzung der Römer mit dem Makedonenkönig Perseus zu erklären. Die nächsten sechzehn Jahre sollte er unter Hausarrest in Rom verbleiben. Ebenso wie Fabius Pictor schrieb auch Polybius griechisch und an ein griechisches und griechisch-sprachiges, also gebildetes, römisches Publikum gerichtet. Innerhalb der griechischen Geschichtsschreibung ist er eine durchaus ungewöhnliche Figur, da er der Vorherrschaft der römischen Macht um das Mittelmeer das Wort redete.

Von diesen Einschränkungen abgesehen, verdient Polybius aus verschiedenen Gründen dennoch Beachtung. Zunächst war er alles andere als nur ein Freizeithistoriker und seine Beschreibungen historischer Schlachten zählen zu den besten der klassischen Antike. Er machte sogar den Versuch, auf den Spuren Hannibals die Alpen zu überqueren, doch ist unklar, welche Erkenntnisse ihm dieser Versuch einbrachte (3,48,12). Er war offensichtlich fasziniert von Roms großem Gegner und sein historischer ›Tourismus‹ darf als Hommage an den Punier gewertet werden. Des Weiteren sprach Polybius direkt mit Zeitzeugen und konnte auf Augenzeugenberichte, vermutlich auch von Karthagern, zurückgreifen (3,48,12; vgl. auch 4,2,2). Während seines Romaufenthalts wird er auch mit römischen Veteranen gesprochen haben, von denen viele durchaus bereit waren, ihre Kriegserlebnisse zu teilen. So konnte er mündliche Berichte als Primärquellen nutzen, die aber wahrscheinlich häufig ungenau und parteiisch waren, zumal Polybius selbst erst kurz nach Ende des Zweiten Punischen Krieges geboren wurde, sodass seine Augenzeugen bereits alte Männer waren, als sie mit dem Historiker sprachen (12,4c,2–5). Dennoch ist es löblich, dass er diesen Aufwand für erstrebenswert hielt. Ein dritter Punkt, welcher Polybius als Historiker durchaus glaubwürdig macht, ist, dass er Zugang zu Roms Archiven hatte und so vor allem auf die verschiedenen Verträge zurückgreifen konnte, die zwischen den Städten geschlossen wurden (z.B. 3,22–8). Die Inschrift am Kap Colonna nahm er persönlich in Augenschein und zitiert sie als Primärquelle für Größe und Zusammensetzung des Hannibalischen Heeres beim Auszug aus Spanien, Dauer des Zuges nach Italien und Truppenstärke nach Überquerung der Alpen (3,33,18; 3,56,1–4).

Unsere wichtigste römische Quelle ist Livius (59 v. Chr. – 17 n. Chr.), dessen römische Geschichte in 142 Büchern von der Gründung der Stadt bis ins Jahr 9 v. Chr. reicht. Nur 35 dieser Bücher sind komplett überliefert, unter ihnen die Schilderung des Zweiten Punischen Krieges (Buch 21–30) und die Berichte über Hannibals Schicksal nach der Schlacht von Zama (Buch 31–35). Die Tatsache, dass gerade diese Bücher erhalten geblieben sind, liegt an dem besonderen Interesse, das der Figur Hannibals schon in der Antike entgegengebracht wurde. Und obwohl Livius ein überaus patriotischer Römer ist, zeichnet er Hannibal doch in einem durchaus ausgewogenen Licht. Er fand an der Figur des Karthagers einiges bewundernswert und war auch an seinem weiteren Geschick im Exil interessiert. Die Ambivalenz, die aus seinen Worten spricht, wurde wohl von vielen seiner Leser geteilt.

Wir wissen sehr wenig über das Leben des Livius außer der Tatsache, dass er von Augustus zum Lehrer des späteren Kaisers Claudius berufen wurde. Da er weder Soldat noch Politiker war, fehlten ihm die von Polybius so sehr geschätzten Voraussetzungen als Geschichtsschreiber. Er stützte sich stattdessen stark auf seinen Vorgänger und schrieb dabei zum Teil ganze Passagen, wie etwa den Alpenzug Hannibals, wortgetreu ab, allerdings mit gelegentlichen Übersetzungsfehlern. Dennoch wird Polybius nur einmal namentlich erwähnt (30,45,5). Für die Zeit nach 216 ist Livius unsere einzige Quelle und so müssen wir uns, obwohl er mehr als ein Jahrhundert nach dem Krieg schrieb, auf seine Darstellung der Ereignisse einlassen.

Auch wenn Livius sicherlich seine Defizite hatte, so war er doch nicht bar aller kritischen Genauigkeit. Er schien zum Beispiel Kopien aller vorhandenen Berichte älterer Schriftsteller über den Zweiten Punischen Krieg besessen oder zumindest konsultiert zu haben; wo die Berichte nicht mehr verfügbar waren, griff er vermutlich auf kürzere Zusammenfassungen zurück und machte dabei durchaus den Versuch, kritisch mit seinen Quellen umzugehen. So gesehen steht er der modernen historiographischen Methode der Quellenforschung näher als jeder andere antike Historiker. Als Geschichtsschreiber zitiert er unter anderem Fabius Pictor, Lucius Coelius Antipater (spätes zweites Jahrhundert v. Chr.), Valerius Antias und Claudius Quadrigarius (beide erstes Jahrhundert v. Chr.). Diese führt Livius immer dann namentlich an, wenn sich ihre Darstellung der Ereignisse oder ihre Präsentation der Dinge unterscheiden, wie etwa bezüglich der Route Hannibals über die Alpen, der Größe seines Heeres beim Einfall nach Italien oder der Marschweg nach Rom im Jahr 211 v. Chr. An manchen Stellen greift er auf die allgemeine Meinung als gültige Tatsache zurück (»man sagt« heißt soviel wie »die Römer sagen«). Und manchmal hat seine Geduld auch ein Ende, sodass unterschiedliche Darstellungen ihn einmal zu dem Ausruf verleiten, »Die Lügen der Historiker nehmen einfach kein Ende!«

Über Hannibal gibt es noch weitere historische Darstellungen. Diodorus Siculus (ca. 80 – ca. 29 v. Chr.) ist der Autor der sogenannten Universalgeschichte auf Griechisch in vierzig Büchern und deckt damit den Zeitraum von den mythologischen Ursprüngen bis ungefähr ins Jahr 60 v. Chr. ab. Seine Darstellung ist besonders für das Verständnis der Ereignisse auf Sizilien wichtig, welche in den erhaltenen Teilen der Bücher 25 bis 27 Diodors festgehalten sind. Pompeius Trogus, ein wohl in augusteischer Zeit lebender romanisierter Gallier, war Verfasser der verlorengegangenen Schrift mit dem Titel Philippische Geschichte, in der Informationen über die letzten Jahre Hannibals zu finden sind. Durch Justinus (einem Autor des zweiten, dritten oder sogar vierten Jahrhunderts n. Chr.) ist er zusammengefasst überliefert. Appian von Alexandria (ca. 95 – ca. 165 n. Chr.) schrieb eine Römische Geschichte in griechischer Sprache in 24 Büchern, welche auch einen Bericht über den Zweiten Punischen Krieg umfasst, der in Hannibalica, Punica, Iberica und Libyca unterteilt ist. Appian ist oft sehr ungenau und unzuverlässig im Vergleich zu anderen Quellen. Doch finden sich in seinem Bericht Details, die sonst nicht überliefert und zum Teil durchaus wertvoll sind. Darüber hinaus bemüht er sich um eine ausgeglichene Darstellung Hannibals, indem er ihn für seine Brutalität verurteilt und für seine Leistungen lobt. Schließlich verfügen wir noch über das breviarium Eutrops, einen Überblick über die römische Geschichte in zehn Büchern, welche der Autor, der Kaiser Julian während dessen Persienfeldzugs diente, im Jahr 363 n. .Chr. verfasste. Das dritte Buch beschäftigt sich mit dem Zweiten Punischen Krieg, wobei der Autor in seiner Darstellung hauptsächlich auf Livius zurückgreift.

Was uns leider fehlt, ist eine würdige Biographie. Eine Darstellung des Cornelius Nepos (ca. 110–124 v. Chr.) ist äußerst kurz geraten. Er verfasste ebenfalls eine noch kürzere Lebensbeschreibung des Hannibal-Vaters Hamilkar. Seine Schilderungen stützten sich auf durchaus hannibalfreundliche Quellen. Die Jahre nach Zama werden nur in sehr groben Zügen behandelt. Unglücklicherweise versuchte sich Roms größter Biograph nie an Hannibal: Plutarch (vor 50 bis nach 120 n. Chr.), der reihenweise parallele Lebensdarstellungen großer Römer und Griechen verfasste. Man kann nur spekulieren, mit wem er Hannibal eher verglichen hätte, mit Griechen oder mit Römern. Seinen Gegenspielern Quintus Fabius Maximus – dem berühmten ›Zauderer‹, der nach der Niederlage von Cannae zum Diktator ernannt wurde – und Marcus Claudius Marcellus (der den Karthagern Syrakus abnahm) widmete Plutarch jeweils ein eigenes Buch. Seine Berichte lassen Rückschlüsse auf die Ereignisse während des Zweiten Punischen Krieges zu, doch wird Hannibal nur am Rande erwähnt.

Schon in der Antike waren die Historiker von Hannibals Weg über die Alpen fasziniert. Sowohl Polybius als auch Livius, der römische Antiquar Marcus Terentius Varro und der griechische Historiker Timagenes von Alexandria sowie der griechische Geograph Strabo machen sich unterschiedliche Gedanken zu diesem Thema.

Winston Churchill hat einmal gesagt, »Die Geschichte wird mir freundlich gesonnen sein, da ich selbst sie schreibe.« Obwohl Hannibal alles getan hatte, um seinen Namen und seine Leistungen nicht nur der römischen Historiographie zu überlassen, scheinen die Darstellungen der beiden Männer, die ihn bei seinem Feldzug begleiteten und die »mit ihm dort lebten, solange das Schicksal es zuließ« (Nepos, Hannibal 13,3), nämlich Silenus und Sosylos bereits im ersten Jahrhundert n. Chr. verloren gegangen zu sein. Somit ist sein Bild für uns nur verschwommen erkennbar.

Hannibal

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