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2.

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Ursula saß in dem Wagen der U.-Bahn und fuhr nach Charlottenburg.

Was hatte sie getan? Dem Peter ein Rendez-vous versprochen?

Warum hatte sie das nur getan?

Aus Mitleid ...

So’n Quatsch! So ’ne hirnverbrannte Idee!

Was wollte sie denn noch mit Peter?

Hatte sie ihn jemals geliebt? O ja! Sie hatte ihn geliebt, und die Erinnerung an jene Zeit hatte ihre Kraft noch nicht verloren. Das war ihre schönste Zeit. Gedankenlos lebte man dem Heute, sie arbeitete damals in einem Kravattengeschäft als Lehrmädchen. Peter verdiente als Bankbeamter allerhand Geld, und die Sonntage gehörten ihnen. Das Leben war ja damals noch vor ihr, es war noch so weit bis zur vollen Verantwortung für alles, was man dachte, was man träumte. Sie hatte Peter lieb gehabt. Die echte, die große Liebe — die war es vielleicht gar nicht gewesen. Nein, die war es bestimmt nicht gewesen, sie hatte ihn bis zu dem heutigen Tage wahrhaftig vergessen. Vergessen war vielleicht zu viel gesagt. Sie hatte kaum mehr an ihn gedacht ... Warum hatte sie sich nun heute so weit mit ihm eingelassen? Was ist denn überhaupt geschehen? War sie verhext gewesen? Warum war sie mitgegangen? Sie senkte die Augen und betrachtete mit Mißbehagen die rostbraunen Flecken auf ihrem Mantel.

Draußen stoben Lichter vorbei. Arbeiter im Schacht. Ussis Blick ging unruhig über die Menschen in dem Abteil hinweg. Ein gutgekleideter jüdischer Händler saß ihr gegenüber, einen großen Teppich zwischen die Beine geklemmt. Unruhig strich seine Hand über den pechschwarzen Bart, sein Blick war zeitfremd. König Salomo in der Untergrundbahn, dachte Ussi und verbiß ein Lachen. Der feiste Herr neben dem blassen König schaute Ussi an. Wie ein Wüstenscheich, für dessen Harem ich bestimmt bin. Ne, Dicker, nich’ in die Lamäng!

Auch der Herr, der die Zigarettenspitze wie eine Fahnenstange im Munde hielt, fand keine Gnade vor Ussis kritischem Blick. Er las eine Illustrierte Zeitung, sein wuchtiges Kinn war vorgeschoben, ein kleines Ladenmädchen saß an seiner Seite, las ungeniert mit. Bei einer Kurve flog das schmächtige Ding an seine Schulter, er überschüttete sich das Knie mit Asche, die Kleine kroch in sich zusammen unter seinem mißbilligenden, harten Blick. Der Herr neben Ussi hatte einen breiten Karpfenmund, er schaute interessiert von dem Kreuzworträtsel auf, blickte Ussi an und lachte, weil sie auch lachte.

„Schuldigen, Frollein! Wie heißt die erste regierende Dynastie in Ägypten?“

„Die Mormonen“, antwortete Ussi, ohne sich zu besinnen. Eine Dame mit fliehendem Kinn in ferner Ecke wandte Ussi ihr stark geschminktes Gesicht zu und starrte sie verständnislos an.

„Die Mormonen?“ sagte der Karpfenmund. „Aber das sind doch die Wiedertäufer, so wat ähnliches —“

Der Zug hielt. Der Herr sprang hoch und stürzte, über seinen Schirm stolpernd, hinaus. Ussis Lachen klang hinter ihm her. Böse schaute er dem davonsausenden Zuge nach. Ein müder junger Mensch mit rotgeränderten Augen saß jetzt neben Ussi.

Da wanderten ihre Gedanken wieder zurück zu Peter, während ihre Augen auf der geschminkten Frau mit dem kleinen Kinn hafteten.

Also Peter erwartet sie morgen.

Aber das hatte doch gar keinen Zweck! Gar keinen Sinn hatte das! Wie konnte ich nur!

Ussi war ein gradlinig denkender Mensch. Sie ließ sich nie auf Unternehmungen ein, deren Ziel sie nicht kannte oder nicht einsah. Dem Leben gegenüber, der Zukunft war sie, wie sie sich ausdrückte, „freibleibend“. Aber nie würde sie etwas tun, was gegen ihre Natur verstieß. Sozusagen aus Bequemlichkeit. Oder aus Mangel an besserer Überzeugung.

Also wie sollte sie sich gegen Peter verhalten? Ihr Blick haftete auf zwei überlauten, überfröhlichen jungen Damen. Junge Mädels mit welken Gesichtern. Ihre Fröhlichkeit wirkte wie ein schmerzhafter Krampf.

Plötzlich faßte jemand Ussi an der Schulter. Entsetzt rückte sie zur Seite. Der junge Mensch neben ihr war eingeschlafen. Sein Kopf war auf ihre Schulter gesunken. Dann hob er mit einem Ruck sein vom Schlaf verschwommenes Gesicht Ussi zu. Zwei übermüdete Augen, von Schatten tief umrandet, starrten sie sekundenlang an, mit Traum und Bewußtlosigkeit ringend, endlich langsam begreifend. „Verzeihen Sie ... die Müdigkeit ...“

Ein kleiner Angestellter, der bis jetzt vielleicht gearbeitet hatte. Oder einer, der Nachtdienst hatte und jetzt schon vor Müdigkeit die Augen nicht offenhalten konnte.

Heißes Mitleid übermannte Ussi. Ihre großen Augen suchten in dem bleichen, zermürbten Gesicht nach irgendeinem Ausdruck der Kraft. Aber nur Sorge las man, Resignation, innere Versunkenheit.

Das Gesicht des Mannes rötete sich ein wenig: „Ich helfe bei einem Ingenieur aus, der nachts arbeitet. Er hat eine Erfindung gemacht. Aber er ist selber stellungslos ...“

„Ihre Arbeit ist sicher sehr anstrengend“, erwiderte Ussi, nur um etwas zu sagen. Sie dachte an ihr Bett, das auf sie wartete, an ihre gutmütige Wirtin, die morgens mit dem Kaffee kam und sie dreimal weckte: „Fräuleinchen ... es ist aber jetzt wirklich die al—ler—höchste Zeit! — Gott ne, die Jugend! Wie die schlafen kann!“ Ussi hatte so etwas wie Heimatsgefühl. Diese gute Frau Arlinger, die von Mütterlichkeit überfloß ...

„Haben Sie Familie?“ fragte sie den jungen Mann.

Er steckte den Kopf zwischen die Schultern. „Meine Frau arbeitet auch ... wir haben uns wieder getrennt ... das hat doch keinen Sinn, so ein Leben zu Zweien ... Sie verstehen?“

„Aber ging es Ihnen denn nie besser?“

„Doch. Einmal schon ... ich habe das Abitur ... eigentlich bin ich noch immer Student ...“

Student! — Wie kommt mir plötzlich diese Melodie durch den Kopf, dachte Ussi ... diese Melodie: Alt-Heidelberg, du feine ... Ach ja! Das hatte sie im Film gehört. Da war sie so gerührt von Karl Heinz, von seinem süßen Mädchen und den fröhlichen Studenten, die einen „Salamander“ um den anderen rieben ... Sie wollte noch etwas sagen, aber der junge Mann war wieder eingeschlafen. Jetzt erst fühlte sie den aufdringlichen Blick des schwammigen Gesichts, das ihr gegenüber in der Luft hing. Ihre Augen streiften seine Hände, die die Zeitung hielten, die dicken Finger, an denen die Ringe glitzerten. — Ussi verzog spöttisch den Mund.

Da schaute er auf die Gesichter der beiden Mädchen, die so jung taten und so früh alt waren, dann zurück zu Ussi.

Lächelte. Frech, herausfordernd. Was der Dussel sich dachte! Vielleicht: armes Mädel! Reicher Kaufmann. Leichte Liebe! —

Ussi stand achselzuckend auf und setzte sich in die gegenüberliegende Ecke. Im Vorbeigehen sagte sie: „Doofer Affe!“

„Frauenzimmer“, murmelte der beleidigte Herr. Die grell geschminkten kleinen Mädchen kicherten und stiegen aus. Der schlafende junge Mann fuhr mit einem Ruck hoch.

Wittenbergplatz.

Er stürzte hinaus. Sein heller fleckiger Mantel flatterte hinter ihm her.

Die Bahn ratterte weiter, jagte um die Kurven.

Woran hatte ich eigentlich gedacht? sann Ussi.

Ach ja: Peter!

Sonderbar: Plötzlich ist wieder alles ganz anders um Peter herum.

Peter stand in einer Flut von Licht, das sich um sein Haupt wie ein Heiligenschein verdichtete.

Peter! Armer, lieber, guter Peter!

Wie er gleich losging auf diesen Kerl, der sie beleidigt hatt. Ja, so ist Peter immer schon gewesen! Sie sind doch nebeneinander aufgewachsen! Ein ganz kleiner Junge war er damals und sie ein noch viel kleineres Mädchen. Wehe aber, wenn ihr einer der Jungens etwas zuleide tun wollte. Peter war immer da. Peter schlug sich mit jedem, wenn es um die kleine Ussi ging!

Eigentlich war Peter gar nicht mutig. Peter raufte nie, und weil die Jungens das wußten, darum reizten sie ihn oft, indem sie Ussi hänselten.

Aber das gewöhnten sie sich plötzlich ab — nach jener Begebenheit. Jetzt noch schauerte Ussi zusammen, wenn sie daran dachte.

Der große Helmut mit dem sommersprossigen Gesicht — wie ein einziger gelber Butterfleck sah seine Visage aus! — Ussi lachte leise vor sich hin — was wohl aus dem langen Helmut geworden ist? Helmut Krawutke! Der Vater war polnischer Arbeiter. Helmut Krawutke stellte Ussi ein Bein. Sie spielten alle zusammen auf dem Bürgersteig in der Fruchtstraße, vor dem vornehmen Haus, das mit seinem veralteten Stuck so vorgestrig zwischen den Proletarierhäusern stand. In diesem vornehmen Hause wohnte Peters Vater. Der war Baumeister oder so etwas ähnliches. Ein sehr feiner Herr, aber plötzlich war er nicht mehr da. Tot. —

Also Helmut stellte Ussi damals ein Bein. Sie fiel hin, ihre Puppe flog im Bogen auf den Fahrdamm. Peter sah es — Peter sollte es ja sehen. Peter war einen Kopf kleiner als Helmut Krawutke, und der hatte zu seinen Kameraden gesagt: „Paßt mal uff, wie ick dem feinen Dussel auf seine Kotflügel trete, wenn er mir wat will!“

Da war Peter auch schon ran: eine Sekunde zauderte er, ehe er angriff. Der Krawutke stand breitbeinig da und grinste über das ganze Maul weg ...

„Mach’ dir flüssig, Peter, oder ick bring dir in Schwung!“ Im nächsten Augenblick hatten sie sich verbissen. Peter war viel schwächer, aber er stieß mit den Füßen und biß und tat wie toll. Der andre nahm ihn um die Hüften und warf ihn im Schwung auf den Fahrdamm, im gleichen Augenblick, als ein Lieferauto heranfuhr ... ein Schrei aus einem Dutzend Kinderkehlen ... atemloses Starren auf das unvermeidliche Unglück. Peter blutend und zerschunden auf dem Fahrdamm ... schon war das Auto da und über ihn weg ... Ussi sah noch jetzt im Geist die vor Entsetzen versteinerten Gesichter des Chauffeurs und seines Begleiters am Steuer ... dann eine heranrasende Menschenmauer und der davonrennende Krawutke. Aber Peter steht, nur leicht verletzt, auf. Die Menschen stehen da und schauen fassungslos auf das Wunder. Peter war so unter den Wagen zu liegen gekommen, daß das Auto über ihn wegging, ohne daß ihn ein Rad berührt hatte.

In diesem Moment sah der blutende Peter aus wie ein Heiliger. Ussis Mutter kam angestürmt, von allen Seiten faßte man nach dem kleinen Heiligen, an dem ein Wunder geschehen war ...

Ussi war dagestanden und hatte fassungslos geheult ... den ganzen Tag und die ganze Nacht, und am nächsten Morgen konnte sie nicht zur Schule gehen.

Armer guter Peter! Eigentlich hatte er immer Händel ... wegen der andern. Er, der stille und gütige Mensch. So das rechte Glück, das könnte Ursula ihm schenken. Ein Blinder konnte sehen, daß er sie noch immer liebte ... genau so wie damals, als sie zum erstenmal nach dem Werbellinsee hinausfuhren.

Das war Weekend! Glückselig hatte sie ihm im Wald ihre Liebe geschenkt ... den jung aufgeschossenen Körper ... Arm in Arm waren sie auf der Rückfahrt in der Bahn gesessen. Im Nebenabteil hatte einer das Grammophon angestellt ... „Ich küsse ihre Hand, Madame ...“

U. - Bahnh of Knie!

Ussi schnellte hoch.

Raus! Und schnell nach Hause!

O je!

Die paar Leute, die gleich Ussi aus der Tiefe der U.-Bahn nach oben strebten, stauten sich auf der Treppe. In Strömen prasselte der Regen über die Straße. Ussi machte einen schüchternen Versuch, durch den Regen zu laufen. Sie gab schnell auf. Ihr neuer Mantel konnte eine solche Wäsche nicht vertragen. Der neue Mantel war nur für schöne Tage bei sorgsamster Behandlung. Wenn er naß wurde, konnte sie ihn Frau Arlinger als Abspüllappen schenken. Zu mehr taugte er dann nicht mehr!

„Na, gnädiges Fräulein, darf ich Sie beschirmen?“

Sie schaute auf. Ein ganz netter Kerl, groß, tadellos angezogen. Ein gesundes Gesicht, das die Sonne über Norderney oder den Dolomiten gebräunt haben könnte. In dem lachend geöffneten Mund zwei Reihen gesunder starker Zähne. Dunkle Augen, lebhaft und glänzend, Heißhunger nach Leben stand in ihnen und Unbekümmertheit.

Ussi wandte sich ab. Langsam, schweigend, indigniert, bewußt wie eine Dame. Was dachte er sich? Aber er hatte eine angenehme Stimme, und dann redete er so viel dummes Zeug durcheinander, daß Ussi lachen mußte.

„Ich muß ja ohnedies ein Taxi nehmen“, sagte er. „Ich bring’ Sie heim ...“

„Ich habe nur ein paar Schritte“, erwiderte Ussi, ohne ihn anzusehen. „Knesebeckstraße ...“

„Aber bis Sie dahin kommen, sind Mantel und das Kleid futsch. Der Regen dringt durch bis zur Haut, und Sie haben dann die Grippe weg. Wär’ schad’! So ein süßes Mäderl ...“

Sie kehrte ihm von neuem den Rücken. „Frecher Mensch“, sagte sie halblaut. Aber sein Lachen steckte sie an.

„Nicht bös sein, junge Dame! Ich bin ein ganz anständiger Kerl! Ich kann Ihnen doch das Taxi nicht ohne meine Begleitung anbieten! Das wär’ dumm. Sie täten mich für verrückt halten, und dann will ich doch auch trocken nach Hause kommen. Ich wohne beim Kurfürstendamm, Ecke Bleibtreu ... schauen’s, wir haben fast einen Weg ...“

„Sie reden, als wenn Sie aus Wien wären!“ sagte Ussi und schaute ihm zum erstenmal richtig ins Gesicht.

„Beinah erraten!“ lachte er und nahm ihre Hand, die er schnell an die Lippen führte. „Nicht Wiener, schöne Dame, Münchner! Bayer! Hoffentlich sind Ihnen die auch so sympathisch wie die Wiener?“

„Wer hat Ihnen denn gesagt, daß mir die Wiener sympathisch sind?“

„Das haben Sie schon verraten, das fühlt man! Wissen’s was, Sie müssen Vertrauen zu mir haben! Übrigens hab’ ich fabelhafte Beziehungen zum Film ...“

Ussi ging neben ihm die Treppe hinauf.

„Den Dreh kenn’ ich“, sagte sie, aber gar nicht böse. „Wenn einer ein Mädel dumm machen will, dann hat er Beziehungen zum Film!“ Dann mußte sie wieder lachen, weil er sie so dumm anschaute. „Ja, die Kavaliere“, sagte sie, immer wieder lachend, und kostete so recht die Lust aus, daß sie dem da über ist. — Er hatte ein Taxi angehalten, sie stieg ein, während er seinen Schirm über sie hielt.

„Wohin?“ fragte er. „Zur Zigeunerkapelle? Oder wissen’s was? Im Resi ist noch allerhand los — kennen Sie Resi? Da wird getanzt —“

Sie stieg wieder aus, der Regen schlug ihr jetzt ins Gesicht.

„So war es nicht gemeint!“ Und schnell will sie fort.

Aber er hat sie ebenso rasch gepackt und in den Wagen geschoben.

„Verzeihung! Net bös’ sein. Also Knesebeckstraße! Nummer?“

Ussi nennt die Hausnummer. Der Herr sagte dem Chauffeur: „Und dann gleich weiter nach Ecke Kurfürstendamm-Bleibtreustraße ...“

Dann setzte er sich neben Ussi. Sie schaute zum Fenster hinaus. Er bat sie nochmals um Entschuldigung. Die Regenflut peitschte gegen die Scheiben. Sie konnte nichts sehen.

„Die Männer denken immer, ich sei auch so eine ...“ sagte Ussi, ohne sich umzudrehen.

„Aber deswegen muß man doch nicht gleich auch so eine sein, wenn man mal mit einem Herrn in ein Tanzlokal geht!“ erwiderte der Herr neben ihr.

Jetzt reißt Ussi ihr Gesicht zu ihm herum.

„So? Und was ist denn dann, wenn ich ordentlich getrunken hab’? Wenn’s so recht fidel war, wenn der Herr Kavalier leicht angetrunken ist, überhaupt, wenn die Stimmung so richtig ist? Na, Kleine, kommst mit? Ich hab’ eine fabelhafte Wohnung ... aber nein, Kindchen, die mußt du dir bloß anschaun ... eine Tasse Tee ... zum Abkühlen ... Und dann mußt du meine Photos ansehen, Pola Negri und Hans Albers, Bassermann, die Ossi Oswalda — alle mit persönlichen Widmungen! Jannings ist ein Jugendfreund von mir, es kostet mich nur ein Wort, und du bist Filmstar ... und so weiter! Ach, die Mädels sind ja so dumm, und wenn dann eine noch einen Rausch hat, dann ist alles weitere ja so einfach!“

Da hielt der Wagen.

„Aber Kleines!“ stammelte der Herr verdutzt. Was hatte die nur?“

Ussi schaute ihn nicht an.

Er war ausgestiegen, stand im Regen und hielt den Hut in der Hand.

„Auf Wiedersehen, gnädiges Fräulein!“

Sie nickte zurück, toternst, die Moralpredigt hatte sie schon vergessen. Es regnete jetzt in Strömen, es regnete Gießbäche, er hielt den Schirm über sie, bis sie das Tor aufgeschlossen hatte. Wie vor einer Dame der Gesellschaft steht er da, denkt Ussi. Aber mich macht der nicht dumm ...

Nun war die Tür offen, sie schlüpfte ins Haus. „Vielen Dank!“ Das Tor fiel zu. Langsam stieg der Herr wieder ins Auto. Der Chauffeur grinste, gab Gas.

Regen klatschte nieder, der Wind rüttelte an den Häusern, daß die Fensterscheiben klirrten ...

Frau Arlinger war noch wach, als Ussi die Wohnungstür aufschloß. „Na, Fräuleinchen, so spät?“ sagte die mütterliche Stimme aus dem Dunkel heraus.

Ussi öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. Aus einer Kneipe drang noch Lärm herauf. Da war Krach unten. „Das Theater hatte endlos gedauert, Frau Arlinger, dann hatte ich noch einen Bekannten getroffen!“

Frau Arlinger antwortete mit einem leisen Seufzer. Sie versteht nun mal diese Zeit nicht! Und es kommt ja immer auf das gleiche heraus, denkt sie. Ihre Mieterin wird ein Kind bekommen oder sich mindestens die Gesundheit ruinieren ... und ist doch so ein liebes Ding ... aushalten kann sie auch nichts ... und die Männer denken doch gar nicht daran, so ein Mädel zu heiraten.

„Gute Nacht, Frau Arlinger“, sagte Ursula und schloß ihre Zimmertür. Nun aber rasch den Mantel runter, fein säuberlich über den Bügel gehängt — das Kleidchen, den Schlüpfer mit flinken Händen ab! — Von der Wand her schaut der Postassistent Arlinger zu im dunklen Gehrock, mit aufgezwirbeltem Schnurrbart und schief sitzendem Kneifer, Frau Arlingers Seeliger.

Ussi stößt die nackten Arme in die Luft wie ein ungeduldiger kleiner Vogel, der seine Schwingen prüft.

Das Nachthemd will nicht so, wie Ussi will. Dieser Herr Postassistent Arlinger macht sie nervös! Was waren das bloß für Männer früher! Mit dem schief sitzenden Kneifer und dem unmöglichen Bart! Sie dreht, das Nachthemd bis zur Schulter niederziehend, das Photo gegen die Wand. Nun kann sie sich Peter an die Stelle des Herrn Arlinger denken. Peter mit seiner scharfen vorspringenden Nase und den versonnenen Augen. Einen schmalen Mund hat er. Einen klugen Mund!

Warum hatte sie ihn eigentlich vergessen?

Gott, man vergißt so schnell. Das Leben rennt. Man muß mitrennen. Und man möchte doch nicht ewig mit einem Mantel für zweiundzwanzig Mark herumlaufen. Wo die reichen Männer eigentlich so dumm sind! Und ein Auto — es gibt Autos, die gleiten auf dem Asphalt dahin wie im Traum. — Eben noch schaut man in den aufsteigenden Nebel der Großstadt, und auf einmal sind da Sonne und Landschaft, Bäume und rauschende Quellen, Seen rundum, kleine nette Häuschen ... man ist reich ... man ist im Himmel. Alles durch ein Auto! — Ussi war schon im Himmel. Sie schlief fest und tief.

Jeder Mann liebt Ursula

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