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3.

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Das Gitter vor dem Schaufenster des Juweliergeschäfts von Dietrich Jonas stört kaum bei der Betrachtung der beiden wunderbar geformten Frauenarme aus Wachs, die zuerst ins Auge fallen. Die Arme sind rund und vollkommen, aber auch seltsam leblos. Vielleicht üben sie darum einen so geheimnisvollen Reiz aus, weil sie nur aus Wachs sind. Erst wenn man das erste Erschauern überwunden hat, Erschauern darüber, daß diese toten Arme und Hände, die die kostbaren Armbänder, Ringe und Armbanduhren tragen, daß diese leblosen Arme auch nicht durch die blitzenden Diamanten Wärme oder Bewegung erhalten, erst dann, allmählich, wendet man seine Aufmerksamkeit den Schmuckstücken selbst zu. Glutvolle Rubine hängen an den Händen. Wie lebendig diese Steine sind: Man fühlt sie an diesen toten Händen atmen, man ahnt ihre Seelen, die vielleicht verzaubert in den glänzenden Steinen ruhen.

Schweizer Uhren aus Gold liegen auf samtenen Kissen, Ohrgehänge, moderne und antike, rufen Erinnerungen an kleine, mattdurchblutete, zarte Frauenohren wach. Geschmackvolle Etuis für Zigaretten liegen neben silbernen Dosen mit aufgemalten Bildern: üppige Frauen oder die Entführung der Europa durch Zeus, oder Leda mit dem Schwan.

Zwischen diesen lebenden Steinen und den toten Armen, von Geheimnissen umstrahlt, erscheint eine rosafarbene Hand, bewegliche Finger halten eine spitze Pinzette, und diese Pinzette fingert einige Ringe aus dem Schaufenster. Jetzt öffnet sich das kleine Spiegelfenster, das das Schaufenster vom Laden abschließt, und man erkennt Ussis blonden Kopf. Madame Loup steht hinter ihr, eine Dame mit sehr weißem Haar, sehr soigniert, stark gepudert, und erteilt Anweisungen. Der Chef sitzt im Privatzimmer, das durch eine Tür mit Mattscheiben vom Laden getrennt ist, und schreibt.

Eine Kundin tritt ein. Madame Loup schließt das Schiebefenster zum Schaufenster und bedient. Ussi breitet ein schwarzes Seidentuch auf das Glas, und darauf werden die köstlichen Perlenketten zum Aussuchen gelegt.

„Sie wissen, Madame Loup, was ich suche“, sagt die Kundin. „Ich habe Ihnen das Kollier bereits gezeigt.“

„Ich weiß, gnädige Frau, ich weiß“, erwidert Madame Loup und gibt Ussi einen Wink. Die Perlen leuchteten matt und vornehm, unsagbar vornehm, auf dem dunklen Tuch. Wie Heiligtümer legt Ussi die Kostbarkeiten mit ehrfurchtsvollem Gesicht vor die Kundin hin. Diese Perlen sind noch viel vornehmer als die vornehmsten Menschen. Der Hauch ihrer Farbe ist diskret, sie haben Augen wie die letzten Sprossen unendlicher Ahnenreihen. Sie sind noch kostbarer als kostbar. Sie sind einfach der Adel selbst. Die manikürten Hände der Kundin gleiten mit zärtlichen Bewegungen über die Kolliers, während die Augen heiß und gierig funkeln. Es sind dunkle, schwermütige Augen, aber jetzt, im Herabsehen auf den Schmuck, schimmern sie lauernd, raubtierhaft, der kleine rote Mund ist halb offen, als wollte er den Atem der Perlen in sich einsaugen.

„Diese ist es“, sagt die Dame und weist auf die schönste der vorgelegten Ketten.

„Jawohl“, erwiderte Madame Loup mit einem ins Unendliche gezogenen Lächeln der Güte, des Verstehens und der Hochachtung.

„Sie müssen mir wieder zwei Rechnungen ausstellen“, fährt die Dame leichthin fort, sehr leise, aber Ussi kann es doch hören, wenn sie auch so tut, als sei sie mit dem Wegbringen der Kolliers vollauf beschäftigt. Sie wirft ihrer Kollegin Lotte einen schnellen Blick zu und kneift ein Auge zu. Lotte zieht als Antwort, sich umwendend, einen schiefen Mund. Lotte ist frech und herausfordernd, aber die Kunden lieben ihre kesse Art, und ihr Vater ist ein Professor.

„Herr Jonas!“ ruft Madame Loup mit flötender Stimme. „Bitte Herr Jonas. Frau Architekt Köhler ...“

Man hört das eilige Rücken eines Stuhles. Der Chef erscheint unter der Tür des Privatkontors. Er ist rund und gleitet förmlich die paar Stufen herab, die dicken, sauberen Hände vor sich haltend, als wollte er sie auf die Hüften der Kundin legen, die den Weißfuchs mit einer einstudierten Bewegung um den Hals legt. „Frau Architekt ... ich habe die Ehre, Gnädigste! Womit darf ich dienen?“

„Frau Architekt Köhler hat sich die Perlenkette ausgesucht“, antwortet statt der Dame Madame Loup. „Die gnädige Frau wünscht die Rechnung an ... darf ich bitten, gnädige Frau?“ Sie schiebt der Dame einen kleinen Block hin. Herr Jonas rollt seine Bonbonaugen hin und her und macht eine einladende Handbewegung nach seinem Büro. „Wollen Gnädigste die Angelegenheit vielleicht in meinem Privatzimmer ...?“

Aber Frau Architekt Köhler antwortet gar nicht auf diese schöne Geste. Sie schiebt mit einer ungeduldigen Bewegung den Pelz von der Schulter. Nun hängt er wie ein gefangenes Tier über ihren Rücken. Sie schreibt. Herr Jonas wirft einen flüchtigen Blick auf die Kette und dann auf den Preis. Der Preis stimmt! „Für Sie, Gnädigste, zehn Prozent Rabatt! Also rund zweitausend und drei!“ Er lächelt feist und demütig und hält den dicken Kopf zur Seite, während die Augen devot und diskret den entblößten Unterarm der Dame entlang gleiten. Er nimmt den Block entgegen. Inzwischen war ein neuer Kunde eingetreten, ein Herr in einem dunkelblauen Trenchcoat, mit einem billigen Hut, den er beim Eintreten abgenommen hat. Madame Loup, nach einem ganz flüchtigen taxierenden Blick, zu Ussi: „Bedienung!“

Ussi sagt süß: „Der Herr wünschen?“ Und der Herr sagt verlegen: „Ich möchte einen der billigen hübschen Ringe zu 3 Mark 50.“

Ussi bedient mit schnellen, schlanken Fingern, ein wenig zerstreut und nachlässig, aber das merkt der Kunde nicht. Er lehnt sich gegen das Glas, unter dem die kostbaren Armreifen ruhen, und prüft die Ringe. Er tastet einen um den anderen an und legt ihn gleich wieder zurück. Dabei schaut er Ussi an, ob sie auch sieht, daß er keinen der 3 Mark 50 Ringe heimlich verschwinden läßt. Ussi aber hat gar keine Sorge, daß der bescheidene junge Mann etwa klauen könnte. Sie schnappt schnell auf, wie Herr Jonas leise sagt: „Also die Rechnung über 2,3 an Herrn Romeo Steen und die Rechnung, die ich in die Wohnung der gnädigen Frau sende ...“

„Direkt an meinen Gatten“, sagt die Dame kühl und blickt gelangweilt auf die Straße.

„Sehr wohl, Gnädigste. Über achtzig Mark ...“

„Ja. Nicht höher. Bitte schreiben Sie ausdrücklich: Tekla-Perlen ...“

„Sehr wohl, gnädige Frau! — Fräulein!“ Er winkt Lotte heran: „Die Perlen werden heute an Herrn Architekt Köhler gesandt. Notieren Sie gleich: Bismarckstraße — ich habe die Ehre, gnädige Frau!“ Und an der Tür: „Darf ich mich nach dem Befinden des herrlichen Barsoi der Gnädigsten erkundigen? Wie? Eingegangen? Ach, wie ich das bedaure, gnädige Frau! Welch ein herrliches Tier! An Geflügelknochen verendet! Wie schrecklich! Habe noch nie gehört, daß Hunde kein Geflügel vertragen. Schade! Schade! Der Stil des Hundes paßte fabelhaft zur Erscheinung der Gnädigsten — bitte sehr, gnädige Frau!“ Er reißt die Tür auf. „Empfehle mich ...“ Ussi schreibt und schaut Lotte an. Ganz leise: „Haste gehört? Der Stil des Hundes — —“

Herr Jonas und Madame Loup gehen ins Arbeitszimmer. Beide lächeln, aber es ist ein Lächeln äußerster Zurückhaltung. „Jetzt müssen sie das Privatleben der Kundin erst richtig verdauen“, sagt Lotte. „Mensch! Stil des Hundes — paßt fabelhaft zur Erscheinung ... das muß ich mir aufschreiben! Das geb’ ich abends zum besten ...“

„Hast du gehört, Lotte? Herr Steen! Sie hat ’nen Neuen!“

„Wieso? Der andere ... ach richtig! Das war ja der Holzhändler Eichwald ... Tekla-Perlen ... Junge! Junge! Der Olle muß dumm sein wie ’n neugeborenes Kaninchen!“

Ussi notiert Preise. Es dauert lange, bis wieder ein Kunde kommt. Frau Architekt Köhler hat den Umsatz für die Woche garantiert ...

„Achtzig Mark ins Hauptbuch“, sagte Herr Jonas im Privatbüro. „Tekla-Perlen für die Steuer. Da kann gar nichts passieren. Die Kette mit den Tekla-Perlen müssen wir natürlich abschreiben. Ich schenke sie Ihnen, Madame Loup.“

„Merci‘, sagt Madame. „Merci, Herr Jonas!“

Madame heißt eigentlich Wolf, einfach Wolf, aber sie hat mit ihrem Mann lange in Paris gelebt, dann starb er und ließ sie mit zwei Kindern unversorgt zurück. Da sie eine praktische Frau ist, nannte sie sich Madame Loup und trat in ein großes Modenhaus ein, von wo sie zu Jonas kam. Sie arbeitet wie ein Pferd und läßt ihre Kinder tadellos erziehen. Im Geschäft trägt sie eine Bluse mit Stehkragen, letzten Schrei der Moral, wirkt sehr schick und sozusagen aus dem Leben ausgeschaltet. Sie hat das Vertrauen aller Kundinnen und auch der verheirateten Männer, die ihre Freundinnen bei Jonas beschenken.

Dies alles weiß Ussi. Das sind Dinge, die nie zu beweisen sind, aber Ussi weiß es. Sie findet das alles sehr interessant und die Gesellschaft, mit der sie hier bekannt wird, sehr schick. Die Leute wissen zu leben, die Frauen wissen sich anzuziehen. Die Mehrzahl der Männer sind Verbrecher, findet Ussi. Frauen muß man entschuldigen. So ist das Leben, aber es ist bunt und voller Abwechslung, das Leben, wie Ussi es kennt und zu verstehen glaubt.

Der Chef trudelt mit einer dicken Zigarre im Mund heraus. Das kommt sehr selten vor, er geht auch gleich wieder, um nicht den Laden zu verqualmen. Er schenkt Ussi ein sattes Lächeln und haucht Lotte an, weil sie so dumm herumsteht. „Oder zahl’ ich dafür, daß Sie hier Monument stehen?“

Lotte macht sich eifrig zu schaffen. Sie putzt mit einem feinen Lederlappen herum und haucht auf die Ringe, während Ussi das joviale Lächeln des Chefs sehr zurückhaltend erwidert und die Glasplatte blank poliert.

Draußen scheint die Sonne, es ist ein schönes und zufriedenes Leben. —

Da fällt Ussi plötzlich ein, daß sie sich abends mit Peter treffen will. Eine ärgerliche Geschichte! Wenn Lotte das wüßte. Lotte predigt täglich: ein Auto ... aber nur Markenauto! Nicht etwa so ’n billiger Serienwagen! Also das ist das erste. In Amerika schaut ein Mädel einen Mann, der kein Auto hat, überhaupt nicht an. In Amerika holen sich die Mädels die Männer, und wenn einer nicht will, macht sie ihm schöne Augen und sagt hinterher, er hat mir die Ehe versprochen. Dann muß er, oder er wird eingesperrt. Das ist ein feines Land, Amerika!

Nein, ist das herrlich, denkt Ussi. Lotte hat eine Kusine, die war lange in USA., aber sie hat die Amerikaner nicht leiden können, sonst hätte sie an jedem Finger ...

Also Peter! Schön wird es gerade nicht werden. Man kann sich doch wahrhaftig mit Peter nicht zeigen! Aber kann er denn dafür? Ist es nicht eine Schande, daß die größten Idioten am elegantesten sind und ein Mann wie Peter nicht mal ein sauberes Hemd anhat?

Wieder geht die Tür. Draußen ist ein Wagen vorgefahren. Ein rassiger Bugatti, rot lackiert, die Sonne brennt darauf, obgleich es doch schon Herbst ist.

Ein eleganter Herr kommt herein. Er trägt eine prachtvolle seidene Kravatte in der Farbe seines Wagens, wie Lotte feststellt, die zur Bedienung an den Ladentisch geht. Ussi dreht sich nicht um, sie putzt rückwärts die Fenster der Glasvitrinen. Aber der Herr schaut gleich über Lotte weg, mustert den Nacken Ussis, verfolgt jede ihrer Bewegungen.

„Der Herr wünschen?“ sagt Lotte und zieht das Näschen hoch.

Der Herr sagt: „Das ist doch das kleine Fräulein, das gestern —“

Ussi dreht sich brüsk um.

Natürlich! Seine Stimme hat sie doch sofort wiedererkannt! Wie kommt der hierher? Und wie siegessicher er sie anfeixt! Ekelhaft ist das einfach — und da steht Lotte und läßt ihre grünen Augen — grün sind sie vor Neid! — von ihr zu dem Herrn und von dem Herrn zu ihr wandern. Ussi ist eine Aufklärung schuldig.

„Guten Tag“, sagt sie spitz, im Diskant. „Guten Tag! Ja, ich bin das ‚kleine Fräulein‘, das gestern im Regen im Untergrundbahnhof stand, und Sie sind der Herr, der so freundlich war, das Fräulein nach Hause zu fahren!“

Lotte denkt: Ussis Frechheit ist nichts weiter als Unsicherheit. Da ist doch was los zwischen den beiden!

„Das nenn’ ich ein glückliches Wiedersehen“, sagt der Herr, der scheinbar gar nicht merkt, wie patzig Ussi sich benimmt. Aber bei ihm ist das Sicherheit, stellt Lotte fest. Inzwischen mustert der Herr Ussi mit einem raschen Blick.

Kleidchen — ganz billiger Stoff — Ausverkaufsware! Die Halskrause oft gewaschen — billige Halskette — und dabei sieht das Mädl aus! — — Das sanft verschleierte Auge — und im Profil: dieses süße Gekräusel des Haaransatzes im Nacken!

„Ich werde Sie Herrn Jonas melden“, bemerkt Lotte.

„Nein! Bitte, ganz unnötig, junge Dame! Ich kenne Herrn Jonas persönlich. Privatangelegenheit! Hat Zeit!“

Ussi starrt ihn entgeistert an. So ein Zufall! Sie weiß nicht, daß der Kavalier am frühen Morgen in die Knesebeckstraße kam und den Portier, die Milchfrau und den Zeitungshändler vor ihrem Hause in Unterhaltungen verwickelte, die nur eine gewisse blonde Dame zum Mittelpunkt hatten. In zehn Minuten hatte er alles erfahren: wie sie hieß, in welches Geschäft sie ging, und was man über sie redete — Gutes und Schlechtes, je nachdem ein Mann sich äußerte oder eine Frau.

Der Herr ist dicht an den Ladentisch getreten. „Na, sehen wir uns wieder?“ sagt er. Die Lehren vom vergangenen Abend hat er wieder vergessen. Er will Ussi sogar unters Kinn fassen.

„Gehen Sie von der Theke weg“, sagt Lotte. Ussi zieht hochmütig die Brauen hoch. Ihre Augen gleiten vom Kopf des Herrn bis zu seinen Füßen und wieder zurück.

„Fehlt mir ’n Westenknopf?“ fragt der Herr.

„Der Kavalier verlangt wohl Dank?“ sagt Ussi von oben herab.

„Dank? Wofür?“

„Für die Autofahrt.“

„Aber liebes Fräulein! Auch ohne die Autofahrt würde ich Sie fragen —“

„Auch mit Autofahrt sage ich: Nein! Wiedersehen ausgeschlossen!“

„Nanu?“ Diesmal ist es der Chef, der den Kopf zur Tür des Privatbüros herausstreckt und sein Erstaunen äußert.

„Nanu? Nanu?“

Sein Blick streift mißbilligend die Mädchen, dann den Herrn.

Der Herr macht eine Verbeugung und sagt lachend: „Tag, Herr Jonas!“

Jonas erkennt ihn erst jetzt: „Donnerwetter! Vogel! Unser lockerer Vogel! Natürlich, die Herren Künstler! Das fährt am hellen Morgen, wenn andere Menschen in den Büros schuften, im neuen Wagen spazieren! Komm’se rein, junger Mann!“

Ussi schaut und hält den Mund offen.

„Du! Lotte! Ein Künstler!“

„Wenn schon! ’n Filmfritze vermutlich!“

„Was heißt da Filmfritze! Weil du vielleicht nicht für den Abel schwärmst. Und der ist wirklich keiner von den Jüngsten mehr!“

Lotte stemmt die Hände in die Hüften.

„Kieck einer die Lütte an! Ich schwärme für Abel! Wer sagt denn überhaupt, daß deiner vom Film ist? Vielleicht ist er ’n Hochstapler. So schaut er aus.“

„Das ist gemein von dir!“ erwidert Ussi. „Bloß, weil er mich im Auto heimgebracht hat, nich’?“

Lotte lacht kichernd.

„Du — soll ich dir was sagen? Verliebt bist du! Und er ist doch ’n Hochstapler. Mindestens, wenn sich eine in ihn verliebt. Der hat jeden Tag ’ne andere. Die Sorte kenn’ ich, kann ich dir sagen!“

„Wohl von der eigenen Familie her?“ erwidert Ussi spitz.

„Was heißt eigene Familie? Vater ist krank, seine Bücher kauft heute niemand, wissenschaftliche Arbeit wird ja kaum bezahlt! Mein Bruder studiert, der muß sich als Werkstudent das Brot zum Studium verdienen, er hat keine Zeit, als Fatzke durch die Welt zu laufen. Das ist unerhört von dir, Ussi! Ich rede über deine Familie auch nicht, und die Fruchtstraße ist gerade keine Gegend, auf die man stolz sein kann. Mindestens soll man anständige Familien ungeschoren lassen.“

„Fruchtstraße! Fruchtstraße!“ keucht Ussi und wird ganz bleich. „Es kann nicht jedes Mädl bei Kommerzienrats geboren werden. Die feinen Familien! Die können mir schon gestohlen bleiben.“

„Überhaupt wohnen die anständigen Leute nur im Norden und im Osten, und die im Westen leben von Einbrüchen, wenn sie nicht eben in Moabit zu tun haben“, ergänzt Lotte, hochrot im Gesicht. Dann schauen sich beide Mädels an und lachen.

Lotte gibt als erste Ussi die Hand, die Freundin greift schnell zu. „Frieden! Du bist rot und ich bin weiß, aber Schafe sind wir alle beide.“

Sie nicken sich zu und horchen nach dem Arbeitszimmer. Die Herren sprechen sehr laut, aber man kann nichts verstehen, weil Madame Loup immer dazwischen redet. „Die olle Ziege“, sagt Lotte. „Was hat sie denn da drinnen zu suchen?“ Und nach einer Weile: „Du, er sieht doch gut aus. Man sollte sich ja nicht ansprechen lassen — aber wenn du den richtig behandelst, kannst du ihn um den Finger wickeln.“

„Will ihn gar nich’“, erwidert Ussi, ohne die Freundin anzusehen.

„Man sachte mit die jungen Pferde! So siehst du g’rad aus!“

Ussi nimmt hastig den Spiegel mit dem Silbergriff vom Tischchen. Darin besehen sich die Damen, ob die neuen Ohrringe oder die Halsketten mit dem Teint, der Haarfarbe, dem Lippenrot harmonieren.

„Seh’ ich so aus? Ich seh’ nicht so aus, Lotte! Er ist mir ganz gleichgültig. Es hat geregnet, er bot mir sein Auto an (warum soll ich sagen: ’ne Taxe? Grade nich’!) — Also — und dann fuhr er mich — fuhr er mich nach Hause.“

„Vorher seid ihr noch schnell zu Kutschera ’reingegangen und habt einen Sherry Brandy zusammen getrunken.“

„Ehrenwort! Nein!“

„Dann bist du dumm gewesen, Ussi. Da ist nichts bei. Ein Sherry Brandy vor dem Schlafengehen beruhigt und verpflichtet zu nichts.“

Ussi schweigt. Lotte hält den Zeigefinger hoch, Madame Loup stört nicht, man hört deutlich, weil eben kein Auto draußen vorbeifährt, die ölige Stimme des Chefs: „Die Blonde? Ussi heißt se ... Ursula Erler ... aber ich bitt’ mir aus, daß Se mir die Mädels in Ruhe lassen! Die Kleine paßt doch gar nich’ ...“

Hier bricht das Gespräch wieder ab, weil Madame Loup ihren Senf dazu gibt.

Ussi ist noch bleicher geworden, als sie nach dem Streit mit Lotte war. Lotte wirft die Oberlippe auf.

„Hast gehört? Der Herr Chef! Er liebt nicht, daß in seinem Revier gewildert wird. Da macht er die Mädels schlecht! Paßt nicht für Sie, Herr Oberflimmermeier! Nicht elegant genug! Da empfehle ich Ihnen die Frau Architekt. Sehr rassig. Sehr nobel! Und die weiß Bescheid!“

„Sei still! Sei still!“ ruft Ussi und hält sich die Ohren zu.

Der Freund des Chefs kommt aus dem Zimmer. Er geht schnell durch den Laden, denn eben tritt wieder ein Kunde ein. Nur im Vorbeigehen wirft er Ussi einen Blick zu. Sie schaut gar nicht auf, und Lotte zuckt verachtungsvoll die Achseln.

Jeder Mann liebt Ursula

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