Читать книгу Die Narrentour der Liebe - Robert Heymann - Страница 7

Оглавление

Am nächsten Tage, als Mie gegen Abend ihre Einkäufe in der Stadt machte, hielt plötzlich haarscharf am Bürgersteig eine vornehme Equipage. Lichtensteig stieg aus. Er trat mit einem liebenswürwürdigen und etwas vertraulichen Gruss auf Mie zu, so, als wären sie alte Bekannte.

Sie blieb verblüfft stehen und starrte ihn an. Dann glitt ihr Auge von seiner eleganten Gestalt über das diskret ausgeschlagene Kupee und die rassigen Pferde, die unter den straff gezogenen Zügeln des Kutschers unruhig tänzelten und stiegen.

„Endlich also habe ich den Vorzug, Sie zu sprechen, nachdem Sie mich auf meine verschiedentlichen Briefe nicht einer einzigen Antwort würdigten!“

Verschiedentliche Briefe? dachte Mie. Sie begriff sogleich, dass Vallier die anderen Briefe unterschlagen hatte, wer weiss, wie viele schon, wohl auch Blumen und kleine Geschenke. Am gestrigen Abend war ihm in der Aufregung über den Besuch des berühmten Pierrots die Sendung entgangen.

Diese eigenmächtige Handlungsweise erregte Mies Zorn und Trotz. Trotz, weil Vallier durch diese Handlungsweise seine Feigheit verriet. Er fürchtete also den blonden Kavalier.

Nun wohl ...

Sie musterte ihn einen Moment mit ihrem berückenden Lächeln und empfand halb erstaunt, halb mit heimlichem Vergnügen, dass er unter dem Zauber dieses Mundverziehens jede Selbstbeherrschung verlor. Er stammelte etwas von ihren Füssen und dem Schmutz der Strasse.

Mie lachte nun und sah in die blaue Dämmerung hinein. Es war wirklich schmutzig in den Strassen, aber Mie wäre dies nie aufgefallen, wenn Lichtensteig sie nicht darauf aufmerksam gemacht hätte. Es war Herbst und Abend. Im Hofgarten standen die Kastanien mit gelben Lampen in den sinkenden Nebel hinein. Schon strömte die Flut der Lichter aus der Kunsthandlung am Odeonsplatz. Daneben, wie in einem Schmuckkasten, Nymphenburger Porzellan, schimmerndes Gebilde in aparter Stilisierung ... und auf dem Platz Automobile und Equipagen, die geräuschlos über den schimmernden Asphalt in die Ludwigstrasse gleiten, deren ferner Schlussstein, das Siegestor, sich in fahlen Umrissen noch aus der dunkelnden Tiefe hob.

Aber die Strassen waren schmutzig. Und Mie lachte und sagte:

„Es ist doch noch Herbst, Herr Baron ... ein Herbst mit blauem Himmel und Goldtrauben an den Bäumen ...“ und sie blieb sinnend stehen, während er auf eine geistreiche Antwort sann, und lauschte mit gespannten Sinnen auf die geheimnisvollen Lieder, die in den Lüften schwebten, dort, wo das eigentliche München beginnt, von dem aus der Strom immer neuen, künstlerischen Werdens sich in die Innenstadt ergiesst.

Schwabing ...

Lieder armer Harlekins und sehnsüchtiger Kolombinen, die an dem Brunnen der Kunst ewiges Leben suchen, und, o altes Münchner Lied! — die Liebe finden ...

In Mie regte ein dunkles Sehnen seine Schwingen. Sie war plötzlich ernst geworden, ihre Augen nahmen den suchenden Ausdruck eines Kindes an, die Pupillen wurden gross und dunkel. Sie suchte das Leben; ihre Sehnsucht flog mit den köstlichen Equipagen, die so leicht wie beschwingte Vögel dahinglitten, und ein tiefer Atemzug stammelte: reich sein ... reich sein ... reich sein! — — und das hämmerte in ihr weiter und ward zu einem stahlharten Wunsch. Sie wusste gar nicht, dass sie schon in der Equipage des Barons sass, der immer noch zu erklären suchte, dass die Strassen schmutzig seien, und Mie ihre Füsschen verderben könnte, diese Kolibris der Lust ...

Mie sah ihn an, erwachte und lachte ...

Ach, wie sie lachte!

Mit diesem Lachen voll der wilden Sehnsucht eines Rausches und voll bewussten Lasters betrog sie in dieser Nacht ihren Geliebten Vallier.

In einem prunkvollen Schlafzimmer mit lüsternen Farben und Tönen lag sie in den Armen des Barons und machte ihn rasend, verstandslos, tobsüchtig vor Vergnügen, und lockte ihm ein Märchen ab ... „eine Wohnung von vier, nein, fünf, nein, sieben Zimmern, ja? mit Eisbärfellen und tomatenroten Tapeten und schweren Möbeln ... nein, solchen mit goldenen Kränzen ...“

„Empire also?“

„Empire ... und Brillanten ... und einen Diener ... und Italien ... oh, ich möchte Italien sehen ... in einer Gondel fahren und dem Heiligen Vater die Hand küssen ... ich möchte reisen ... nur erster Klasse ... und ich möchte ... ich möchte ...“

Es war ein Märchen ...

Am nächsten Tage wurde es Wirklichkeit.

Es war für Mie wirklich ein Wunder. Sie handelte weder mit Berechnung noch mit vorbedachtem Raffinement. Nun stand sie erstaunt und betroffen vor einer goldenen Wirklichkeit, die ihre heissesten und verschwiegensten Träume erfüllte.

Mit einer Mischung von Scheu und Bewunderung lernte sie in dieser Nacht, die ihr die Tore zu einem mondänen Leben öffnete, die Kraft kennen, die ihrem Körper innewohnte.

Sie begriff, dass die geheimnisvolle Circe-Macht, mit der sie die Individualität des Barons auszog, bis nur der nackte Adam übrigblieb, in ihrem Leibe begründet war.

Sie empfand dunkel das Animalische ihrer Reize und gleichzeitig etwas wie Begeisterung und Anbetung, die sich auf ihren Körper als etwas Universelles bezogen.

Mies Klugheit und reflektorischer Geist hatten ihre Wurzeln in einer tiefen Sinnlichkeit. Ihr erotischer Nervenapparat glich den feinen Fühlern, mit denen winzige Käfer und Schnecken sich an die Dinge herantasten. Metaphysische Betrachtungen lagen ausser ihrer Natur. Sie übte die Liebe aus mit einem dunklen, köstlichen Trieb, ohne zu ahnen, wie sehr eine Erscheinung von ihr Besitz ergriff, die sie völlig zu beherrschen wähnte.

So lernte Mie auf Umwegen die physische Schönheit finden und lieben. Der Weg zum Begreifen des Schönen an sich führte sie über die Erkenntnis der Harmonie ihres eigenen Körpers. Aber die Anbetung war keine rein persönliche mehr, und der Kultus, den sie von jetzt an mit ihrer Schönheit trieb, galt in Wahrheit dem Ewiglichen und führte sie so langsam und über manche Erkenntnis hinweg zum Geistigen. —

Es war ein kühler, klarer Morgen, als Mie sich in dem prunkvollen Schlafzimmer des Barons wiederfand. Sie stieg aus dem breiten Bett und öffnete die Vorhänge. Der Himmel war tiefblau. In der Ferne aber lag eine grüne Helligkeit, die von pfirsichfarbenen Streifen umsäumt war. Eine blaue Dämmerung spannte sich über die Bäume, und über der Akademie stand eine Untiefe mit einem goldenen Segel.

Lichtensteig hatte Mie bereits verlassen. Aber zu ihrem Entzücken sah sie hinter einer offenen Tapetentüre ein reizendes Boudoir, das wie für sie aus der Erde gezaubert schien. Sie war noch zu naiv, um Schlüsse aus dieser Überraschung zu ziehen. Mit Hilfe einer diskreten Zofe kleidete sie sich an und nahm zwischen gestickten, seidenen Polstern das Frühstück, dessen Wahl und Zubereitung sie von neuem in den Himmel aller Illusionen versetzte.

Sie erinnerte sich kaum mehr der Zugeständnisse, die ihr der Baron in der Nacht gemacht. Sie hatte die Empfindung einer traumhaften, überwältigenden Lust, die in ihrem Körper nachzitterte und ihre Nerven wie ein matter, elektrischer Strom durchrann.

Eine französische Stutzuhr schlug zehn. Sie erschrak, denn nun erinnerte sie sich, dass für diese Zeit im Intimen Theater Probe angesetzt war und dass sie weder zur gestrigen Vorstellung noch heute zu dieser Probe erschien. Sie dachte mit geheimer Furcht an Vallier, der sie sicher die Nacht hindurch überall hatte suchen lassen. Ihre Angst bewahrte etwas Kindliches; sie dachte schaudernd an die Wutanfälle ihres Gebieters und dass er sie sicher halb tot prügeln würde, wenn er die Wahrheit erfuhr.

Während sie noch beschäftigt war, sich ein Märchen zusammen zu dichten, überbrachte ihr die Zofe, die kein Wort sprach, weil sie nur der französischen Sprache mächtig war (und da nur den Pariser Jargon beherrschte), einen Brief.

Mie las:

„Liebste! Da ein schnell erfülltes Versprechen doppelten Wert erhält, so bitte ich Dich, den heutigen Tag dazu zu verwenden, die Wahl, die ich für Deine Wohnung und deren Einrichtung getroffen, nachzuprüfen. Jeanette wird Dir einige Roben vorlegen, unter denen Du nach Deinem Geschmack wählen sollst. Dann benutze meinen Wagen, der Dich erwartet, und fahre zu Pössenbacher, wo ich Deiner harre.

Bodo.“

Mie klatschte in die Hände, nicht nur aus Entzücken. Eine dunkle Erinnerung stieg in ihr auf: sie hatte einmal in einem Märchen gelesen, dass ein begnadetes Wunderkind nur in die Hände zu klatschen brauchte, um alles vorzufinden, was es sich wünschte.

In der Tat kam bereits Jeanette in Begleitung einer kleinen Probiermamsell in das Boudoir. Die Mamsell begrüsste Mie, als sei sie eine Gräfin, und Mie antwortete mit einem steifen Nicken, das sie auf dem Theater gelernt. Jeanette warf ihr einen schnellen, prüfenden Blick zu. Sie wunderte sich, wie rasch sich das Kind in ihre Rolle fand, aber schon nach wenig Augenblicken war Mie wieder Mie, als ein Bildnis in mattgrüner Seide und fliessenden Spitzen den jungen Körper umhüllte. Ihr Figürchen reckte sich und dehnte sich und wuchs ... wuchs immer noch mehr, als Mie, vor Staunen schweigend, eine junge Dame in dem hohen Spiegel sah, die sie mit fremden, grossen Augen anblickte, so, wie ein kleiner Vogel sich in einer fremden Umgebung umsieht, von der er noch nicht begreift, dass sie ihm trotz gefüllter Futternäpfe, weissen Sandes und goldener, schlanker Bäumchen ein Gefängnis sein wird, aus dem es sich alsbald mit ohnmächtigen Flügelschlägen nach der Freiheit hinaussehnen wird.

Mie zwitscherte vor Entzücken, und die Mamsell, die das missverstand, schälte mit unnachahmlicher Geschicklichkeit die kleine Gräfin geschwind aus der fliessenden Hülle und zauberte ein Strahlenmeer von Purpur um sie, das feines Pelzwerk säumte. Mie sah wieder eine neue Dame in dem Spiegel, die sie diesmal schon mit etwas kritischeren Augen musterte. Sie fand für ihr Persönchen die Robe zu schwer, und die Mamsell beeilte sich, den kapriziösen Geschmack sogleich durch eine mattlila Toilette zu befriedigen, an der kostbare Valenciennes zitterten, die Mies Hals wie Lilienblätter umgaben und ihre Augen wie Perlen aus einer Kristallvase hoben. Mie war zufrieden. Sie bekam einen wunderlichen Hut mit einem schillernden Kolibri, so einem süssen Vogel aus dem Zauberland, der eigens um dieser kleinen Prinzessin willen sein Leben hatte lassen müssen. Dann schlüpften ihre Füsse in ein paar winzige Schuhe, die wie Handschuhe um die zerbrechlichen Knöchel schlossen. Jetzt noch schmerzten ihre Füsse unter den Küssen des Barons. Aber sie lächelte darüber, klatschte von neuem in die Hände und fand vor dem Tore des eleganten Hauses in der Leopoldstrasse, das wie ein italienisches Schloss der Renaissance anmutete, bereits einen Wagen und einen breitschulterigen Kutscher, der grüssend die Peitsche vor ihr senkte, und einen Groom, der eilig wie eine Maus in einem grauen Rock mit goldenen Tressen hin und her lief und ihr die Türe in das Kupee öffnete.

Mie sah ihn lächelnd an und dachte, er sei reizend; der Knabe errötete bis unter die schwarzen Haarwurzeln und neigte den runden Kopf bis zu den blitzenden Knöpfen.

Dann rollte der Wagen mit Mie fort, einem neuen Leben entgegen.

Die Narrentour der Liebe

Подняться наверх