Читать книгу Sing-Sang der Liebe - Robert Heymann - Страница 29
Der tote Hund
ОглавлениеKurfürstendamm.
Dicht am Bürgersteig liegt ein toter schwarzer Hund. Überfahren. Eine alte Frau steht weinend bei dem Kadaver, mitleidige Menschen sammeln sich und sprechen ihr Trost zu. Die wenigen ziehen mehrere an. Jeder läßt sich die Geschichte von dem (toten) Hund, den ein Autobus totgefahren hat, wiederholen. Das Interesse verwandelt sich unter dem Eindruck der phantasievollen Schilderungen in Mitleid. Aus Mitleid wird Empörung. „Diese Ausländer!“ sagt ein dicker freundlicher Herr. „Fahren wie die Verrückten, ist ihnen ja egal, ob sie einen Hund totfahren. Bei den heutigen Preisen!“ „Das arme Tier,“ fährt die sehr reich gewordene Frau Kommerzienrat fort und läßt ihre Brillantboutons mitfühlend zittern. „Das arme, arme Tier! Man sollte die Rohlinge ein paar Monate einsperren! Das ist auch ein Mord, wenn’s auch nur ein Tier ist.“
Sie hat eine Träne in den Augen und drückt der Besitzerin des Hundeleichnams die Hand. Ich gehe. Seitwärts sitzt ein Mensch auf der Erde. Aus den feldgrauen Uniformfetzen steht ein dünner Armstumpf steif gegen den grauen Horizont. Seine Füße sind gelähmt. Er blickt mit heißen, zornigen Augen auf die Menschen und auf den toten Hund. Sie gehen an ihm vorbei, ohne ihn zu bemerken, denn ihre Herzen sind noch erfüllt von Empörung über die Roheit des Automobilisten. Die Frau Kommerzienrat wirft einen schnellen Blick auf den Mann auf der Erde. Sie schaudert vor seinen flammenden Augen und sagt zu ihrer Begleiterin: „Man liest den Leuten die Auflehnung gegen das Gesetz aus dem Gesicht. Nein, dem gebe ich nichts.“
Ich höre, wie der Krüppel in einem furchtbaren Tonfall sagt: „Dertote Hund.“
In diesen drei Worten drückte sich die ungeheuerliche Lüge unserer sentimentalen Kultur aus.