Читать книгу Die hörige Frau - Robert Heymann - Страница 7
Sklavinnen
ОглавлениеWir haben gezeigt, daß Frauen zu allen Zeiten gehandelt wurden. Wir werden noch beweisen, daß das Weib auch heute in den zivilisierten Staaten Europas trotz seiner „Befreiung“ vielfach gehandelt wird. Die Form entscheidet nicht, sondern die Tatsache. Daß schwarze Frauen in der barbarischsten Weise wie Vieh eingefangen und verkauft wurden, daß weibliche „Kriegsgefangene“ zu allen Zeiten ein ähnliches Schicksal hatten, daß die Bordelle aller Länder noch immer auf teilweise illegalem und unmenschlichem Wege mit „Ware“ versorgt werden, wollen wir nur kurz erwähnen. In einem Werk des Amerikaners John R. Spears über den Mädchenhandel im 18. Jahrhundert heißt es u. a.:
„Es ist eine erwiesene Tatsache, daß der Liverpooler Sklavenhändler Fortune mit Kapitän Green 343 Sklaven auf einer Reise zu Markt brachte. Die Ursache dieser rapiden Zunahme an Zahl und Leistungsfähigkeit der Sklavenhändler ist leicht ergründbar. Die Pflanzer in Westindien fanden es vorteilhafter, die Sklaven und Sklavinnen in jungen Jahren zu Tode arbeiten zu lassen, als sie im Alter erhalten zu müssen. Der Mangel an Arbeitskräften konnte ja fortgesetzt durch den Import aus Afrika ersetzt werden. Überdies erlaubte die Moral der damaligen Zeit, auf den Profit die allergrößte Rücksicht zu nehmen. So stieg der Preis der Sklavinnen, je mehr gesucht wurden. Eine Sklavin kostete 35 Pfennige. 25 Jahre später wurde der Preis bis auf 70 Pfund erhöht, und das Liverpooler Schiffsunternehmen, das in Händen T. Leylands & Co. war, verrechnete eine Reise mit 24,430 Pfund 8 S. 11 d., wobei die Fracht aus 392 Sklavinnen bestand, d. h. 52 Pfund pro Kopf, ohne Rücksicht auf alt und jung.“
Von dem Augenblick an, da die Kapitäne ohne weiteres Sklavinnen, die offenbar gestohlen waren, kauften, wurde diese Art Handel bald gewohnheitsmäßig betrieben. Alexander Falconbridge, ein aus dem Sklavenhandel zu Ende des 18. Jahrhunderts bekannter Wundarzt, berichtete vor einem Komitee des britischen Parlaments Einzelheiten aus seinen eigenen Erlebnissen: „Eine Frau war bei einer Nachbarin eingeladen. Sie hatte die Hütte derselben kaum betreten, so fielen zwei Männer über sie her, knebelten sie und brachten sie an Bord des Sklavenschiffes.“
In der Nähe von Piccaninni Sestus an der Windseite sah William Dowe, wie ein bekannter Sklavenhändler Namens Ben Johnson ein geraubtes Mädchen an Bord brachte. Eben, als Johnson das Schiff auf der einen Seite verließ, legten zwei aufgeregte Männer auf der andern Seite an, um sich nach dem Mädchen zu erkundigen. Als sie ihr Schicksal erfuhren, jagten sie Johnson nach, erreichten und banden ihn, brachten ihn auf das Schiff zurück und boten ihn zum Verkauf an. „Ihr werdet mich nicht kaufen, Kapitän,“ protestierte Johnson, „denn Ihr wißt, daß ich ein bekannter Handelsmann bin!“
„Warum? Wenn sie dich feilbieten, werde ich dich kaufen, magst du sein, wer immer du willst“, antwortete der Kapitän, und Ben Johnson wurde selbst ein Sklave.
Man müßte Bände füllen, um den Leidensweg der Frauen in der Sklaverei zu schildern. Aber diese Schande war nicht etwa nur Privileg der „guten alten Zeit“. Erst vor einigen Jahren wurde ein indischer Radjah durch Beschluß des höchsten englischen und indischen Gerichtshofes abgesetzt, weil er einen Kaufmann ermorden ließ. Der Unglückliche hatte einer schönen Tänzerin Zuflucht gewährt, die dem Harem des Radjah entflohen war. Der Despot ließ das unglückliche Mädchen in der grausamsten Weise verfolgen. Im Anschluß daran berichtete die amerikanische Presse Einzelheiten aus dem Privatleben des Exmaharadschas.
Diese Frauen — „zeitzaubernd, immer unterhaltend“, erregten immer von neuem durch ihre Schicksale das Interesse der westlichen Welt.
Eine der Frauen, Mumtez Begum, eine bezaubernde Tänzerin, entfloh aus dem Palast und kam nach Bombay. Sie suchte und fand dort Unterkommen bei einem reichen und angesehenen Großkaufmann.
Aber die Rache des Maharadschas spürte sie auf, und in der Folge fand der Kaufmann den Tod, während das junge Mädchen kaum einem gleichen Schicksal entging.
Dann kreuzte ein anderes, scheinbar ebenfalls bezauberndes Wesen seinen Weg, und wieder folgte der Exmaharadscha diesem Irrlicht.
Ein ungestümes Kurmachen, und Nancy Ann, ein wohlhabendes junges Mädchen der besten Kreise aus Seattle, Washington, folgte dem indischen Fürsten. Er brachte sie nach Indien, wo sie ihre Religion ablegte und Hindu wurde, um ihn heiraten zu können.
Die Hindupriester veranstalteten allenthalben empörte Versammlungen, in denen gegen das Eindringen einer Christin in ihre Kreise protestiert wurde. Das Volk des Fürsten war derartig aufgebracht, daß der Maharadscha es für besser hielt, nach der Hochzeit sofort mit der jungen Frau nach Paris abzureisen. Hier strengte Sowkabaia Pandarination Rajpurkar, eine vornehme Indierin, Klage gegen den früheren Maharadscha auf Herausgabe eines großen Teiles ihres Vermögens an. Die Affäre kam in Bombay zur Verhandlung, und es wurde behauptet, daß der Fürst sie und ihre Tochter elf Jahre hindurch gefangen gehalten hätte, daß in den Verließen des Palastes die beiden Frauen der unwürdigsten Behandlung ausgesetzt worden wären, und daß der Fürst, während er sie gefangen hielt, ihr Vermögen an sich gerissen hätte.
Eigenartig und fremd muten uns diese Geschichten an. Verschleierte Andeutungen von unglaublichen Greueltaten, die hinter den eifersüchtig bewachten Mauern der indischen Fürstenschlösser stattgefunden haben, laufen von Zeit zu Zeit durch die ganze Welt.
Die Geschichte, die die unglückliche Sowkabaia Rajpurkar erzählte, hört sich wie ein Märchen aus „Tausend und einer Nacht“ an. Im Jahre 1915 ließ der Maharadscha Einladungen zur Feier der Geburt des Kindes einer seiner Frauen ergehen — und unter den Eingeladenen befand sich Sowkabaia Pandarination Rajpurkar, eine indische Fürstin, die dieser Einladung mit Sorgen und trüben Vorahnungen Folge leistete. Hunderte von vornehmen Indiern nahmen an dem wundervollen, phantastischen Fest teil. —
Am nächsten Tage wurden Sowkabaia und ihre Tochter in den Kerker geworfen. Vergebens protestierte die Mutter und verlangte den Fürsten zu sprechen. Erst geraume Zeit später wurde sie vor diesen geführt, der ihr lächelnd den Preis ihrer Freiheit mitteilte.
„Ich wünsche deine Tochter. Sie ist schön, und ich muß sie haben. Fügt sie sich meinen Wünschen, so wirst du frei sein, und sie wird alle Reichtümer, alle Vergnügungen haben, die sie sich nur wünscht.“
Vergebens verlangte die Indierin freigelassen zu werden. Lange Jahre grausamer Kerkerschaft folgten, bis sich im Jahre 1926 die britische Regierung der Angelegenheit annahm. Der Vizekönig verlangte die sofortige Freilassung der beiden Frauen. Als Sowkabaia Rajpurkar mit ihrer Tochter nach mehr als zehnjähriger Abwesenheit in ihr heimatliches Schloß zurückkam, fand sie, daß alle ihre Kostbarkeiten, all ihr Vermögen verschwunden war — in die Hände des Maharadschas.
Wir werden noch eine Reihe von Fällen moderner weiblicher Sklaverei bringen können. Hier möge ein kurzer Rückblick in das Mittelalter gestattet sein, um eine Form der weiblichen Hörigkeit zu zeichnen, für die die heutige Zeit ebensowenig Verständnis mehr besitzen dürfte wie für den despotischen Maharadscha.
Hörigkeit kann unter dem Einfluß der Geschlechtlichkeit ungeheure Formen annehmen. Aber hier, im Unnatürlichen, müssen wir die Begriffe der einzelnen Zeitalter auseinanderhalten. Ewig ist das Lob von der Tugend der Frau. Gestern las man für Tugend Treue, restlose Hingabe — heute liest man Selbstherrlichkeit und (oft genug) baren Unsinn für einen Begriff, der alt ist wie das Menschengeschlecht.
Nachfolgend das Beispiel eines ideellen weiblichen Masochismus.
„Der Markgraf Gualtieri liebte ein einfaches Mädchen, er war bereit, es zu heiraten. Doch er wollte ihre unbedingte Unterwerfung (lies: Hingabe) erproben.
Er fragt Griseldis, ehe er um das arme, schöne Bauernmädchen wirbt, ob sie immerdar bestrebt sein wolle, nur ihm zu Gefallen zu leben, und über nichts, was er auch sagen und tun möge, erzürnen, sondern ihm immerdar zu gehorchen. Als sie ihm Demut und Unterwürfigkeit gelobt hat, läßt er sie vor ihres Vaters Hütte „in Gegenwart seiner ganzen Begleitung und aller übrigen Personen“ völlig nackend auskleiden und in neue köstliche Gewänder hüllen. Obwohl die junge Mutter dann ihr erstgeborenes Kind hergeben muß und glaubt, es werde dem Tode geweiht, lebt sie mit dem Markgrafen Gualtieri jahrelang in glücklicher Ehe und gebiert ihm das zweite Kind, den Sohn. Auch nach dessen gleichartiger Entfernung bleibt sie des Gatten getreues und liebevolles Eheweib. Als sie schließlich von ihm verstoßen wird und so, wie sie gekommen ist, das Schloß verlassen muß, ist sie bereit, völlig nackt sich zu entfernen, wenn Gualtieri es verlangt. Aber zum Lohne für ihre ihm zugebrachte Jungfräulichkeit, die sie nicht wieder mitnehmen kann, bittet sie, ihr ein einziges Hemd zu belassen, was der Gatte gewährt. Schließlich verlangt er, daß Griseldis seiner vermeintlichen jungen Braut das Hochzeitsfest in seinem Schlosse zubereitet, wozu die Herrichtung des ehelichen Beilagers gehört, und daß die verstoßene Gattin in grobem Gewande die Nebenbuhlerin als ihre Gebieterin willkommen heißt, ja auf Gualtieris Fragen ihre Schönheit und ihren Anstand preist, sogar für sie bittet, es möchten ihr die Stiche im Herzen, die sie selber erlitten hat, erspart bleiben. Griseldis liebt ihren Mann vom ersten Blick bis zuletzt mit größter Zärtlichkeit. Aus hingebender Liebe zu ihm erträgt sie alle Leiden ohne Murren und mit heiterer Seele. Trotz aller Qualen, die sie überstanden hat, wird sie schließlich für ihr ganzes künftiges Leben die glücklichste Frau. Auch der Markgraf liebt Griseldis von ganzem Herzen. Nur aus Liebe zu ihr fühlt er sich getrieben, ihre Zuneigung zu ihm auf diese seltsame Weise zu erproben.
Griseldis sagt:
„Was mein herr tut, ist wolgetan,
da hab’ ich keinen Zweifel an.
alles, was er von mir begert,
wirt frölich er von mir gewert,
wolauf, nun wöllen wir hinein
zum allerliebsten herren mein!“
Masochismus der Frau?
Sicher.
Die Frau ist eben masochistisch veranlagt, sie muß es sein, wie könnte sie sonst das ungeheuerliche Martyrium der Mutterschaft ertragen?
Da ist noch der Roman Genovefas, wie Gustav Schwab ihn überliefert. Genovefa hatte erfahren, daß sie (auf Befehl des Gatten, der an ihre Untreue glaubte) sterben sollte. Da erschrak die arme Gräfin so, daß sie fast in Ohnmacht sank. Als sie wieder zu Sinnen gekommen, fing sie laut an zu weinen und zu beten und rief: „Ach, mein Gott, hilf mir! Erlöse mein Kind und mich vom grimmigen Tode!“ Dann sprach sie zu dem Mägdlein: „Mein liebes Kind, geh doch schnell in mein Zimmer und bring mir Papier, Feder und Tinte. Für deine Mühe nimm dir von meinen Kleinodien, so viel dir beliebt. Da hast du den Schlüssel zu Allem!“ Das Mädchen brachte das Verlangte, und nun schrieb Genovefa einen Brief des folgenden Inhalts: „Gnädiger Herr, herzgeliebter Gemahl! Da mir zu Ohren gekommen ist, daß ich auf Euren Befehl sterben soll, so wollte ich Euch mit diesen Zeilen noch Gute Nacht sagen und einen freundlichen Abschied von Euch nehmen. Ich will gern sterben, wenn Ihr es befehlt, obgleich es mich bitter kränkt, daß Ihr mich, die Unschuldige, zum Tode verurteilt. Die Ursache, warum ich sterbe, ist die, daß ich meine Euch gelobte Treue nicht brechen und dem schändlichen Golo, Eurem Hofmeister, nicht willfahren wollte. Doch messe ich Euch, meinem Herrn, keine andere Schuld zu, als daß Ihr meinen Anklägern zu leichten Glauben geschenkt und mir zur Verantwortung keine Gelegenheit gegönnt habt. So kann ich nur vor Gott bezeugen, vor dessen strengem Gericht ich morgen schon erscheinen werde, daß ich mein Leben lang an keinen Mann gedacht habe, als an Euch. Mein Trost bleibt, daß dereinst ein Tag aufgehen wird, an dem meine Unschuld hervorkommen und meiner Ankläger Falschheit offenbar werden wird. Gute Nacht, gnädiger Herr, liebster Freund! Ich verzeihe Euch von Herzen. Ja, noch nach meinem Tode will ich Gott bitten, daß mein unschuldiges Blut keine Rache über Euch, noch über meine Ankläger schreie. Dies schreibe ich mit zitternden Händen und fließenden Augen, denn in meinem Herzen wohnt der Tod und erfüllt mich mit Schrecken. Eure bis in den Tod getreue und um der Treue willen zum Tode verdammte Genovefa.“
(Nachdem die Unglückliche alles Leid der Aussetzung, der Einsamkeit und der bittersten Not tapfer ertragen hatte, kam ihre Unschuld zu Tage. Der Gatte eilte, sie zurückzuführen. Es ist zu spät. Sie fühlt den Tod in sich.)
Doch sagte sie ihrem Gemahl nichts davon, damit er sich nicht vor der Zeit betrüben möchte. Aber die Erfüllung zögerte nicht lange. Denn bald darauf wandelte die fromme Gräfin ein Fieber an, das sie zuletzt aufs Krankenbett warf. Und gegen diese Krankheit fruchtete kein Mittel, so daß Siegfried und sein Sohn Schmerzenreich bald in trostloses Leid versanken. „Ach, geliebte Genovefa,“ rief der Graf an ihrem Lager aus, „wollt Ihr denn, kaum gefunden, so bald von mir scheiden und mein ganzes Herz wieder betrüben? Habt Mitleid mit meinem Jammer und bittet den lieben Gott, daß er Euch noch eine Weile bei mir lassen wolle!“
Genovefa sprach freundlich darauf: „Betrübet Euch nicht so sehr wegen meines Todes, lieber Gemahl. Ihr richtet damit nichts anderes aus, als daß Ihr mich mit betrübt. Ihr seht ja wohl, daß es nicht anders sein kann. Darum gebet Euch von freien Stücken in den göttlichen Willen. Was mich in meinem Tode am meisten bekümmert, ist, daß ich Euch und meinen lieben Schmerzenreich in solcher Bekümmernis sehen muß. Wenn ihr beide getrost wäret, so wollte ich freudig sterben und dies elende Leben mit einem besseren vertauschen.“
*
Es muß zu denken geben, daß die Genovefafìgur nicht als eine außergewöhnliche Erscheinung, daß ihre Handlungsweise nicht etwa als (im Sinne unserer aufgeklärten Zeit) krankhaft angesehen wurde.
Nein, Genovefas Unterwerfung unter den Willen des Mannes und später des Schicksals ist nur ein leuchtendes Beispiel für ungezählte Erscheinungen ihrer Zeit.
Ganz eigenartig — oder natürlich? — war die Anschauung über die Liebe und über die Stellung der Frau zur männlichen libido in der Renaissance. Es gibt nichts Erschütternderes als jene Stelle aus dem „ Gastmahl in der Villa Borghese“ von Francesco Grapputo (in der Übersetzung Semeraus). Nachdem ein gewisser Cecchino die Liebe eines jungen Mädchens gewonnen hatte, wurde er durch den Widerstand seiner Eltern gezwungen, sich längere Zeit von ihr fern zu halten. Inzwischen erkaltete die Liebe jener Emilia, und als er sich eines Tages zu ihr begab, wies sie ihn mit Hohn von sich.
Als er nun sah, daß er weder mit Bitten noch mit Klagen die Grausamkeit jenes Herzens bewältigen konnte, versuchte er mit Gewalt Sieger zu bleiben. Emilia stieß ihn zurück, aber vergebens. Als sie sich so bedrängt sah, wollte sie die Diener zu Hilfe rufen. Das brachte Cecchino aufs höchste auf, und da er daraus mit Sicherheit erkannte, daß Emilia ihn wahrhaft haßte, kam er ganz von Sinnen und griff wütend nach einem Messer, das auf einem nahen Tischchen lag und bohrte es tief in die weiße Brust seiner wortbrüchigen, unseligen Geliebten.
Diese verabscheuungswürdige Tat ließ ihn nicht sofort erbleichen und in Entsetzen erstarren, er suchte vielmehr mit Händen und Augen jenen schönsten und geheimsten Teil ihres Leibes, als wäre sie nicht tot, und genoß mit ihr das Liebesvergnügen.
Nachdem er seiner Leidenschaft freie Bahn gelassen (die Leiche also nach unseren Begriffen geschändet hatte, d. Verf.) und sein fleischliches Gelüst geschwunden war, und er das erst rosige Antlitz bleich und die anmutsvollen und glühenden Augen erblaßt gesehen, richtete er sich auf ihren noch warmen Schenkeln auf und, als wäre er völlig von den Furien ergriffen, begann er laut zu rufen:
„O, du verbrecherischer Mensch, der du jede Liebe vergaßt und den unmenschlichen Arm antriebst, soviel Schönheit der Welt zu rauben! Ich Unseliger glaubte, mit ihrem Tode müßte jenes unselige Feuer erlöschen, das mich verzehrt, und jetzt erkenne ich, daß ich noch Holz in das Feuer geworfen und siedendes Öl in die ruhelosen Flammen geschüttet habe.“
Eine Dienerin Emilias, die zufällig in dem benachbarten Kabinett weilte, hatte alles gehört. Sie hatte sich, da sie das Zimmer nicht verlassen und auch nicht um Hilfe rufen konnte, aus Furcht, wenn sie entdeckt würde, selbst angefallen zu werden, ruhig verhalten.
Nun sah sie durch einen Spalt, wie der verzweifelte Cecchino sich von neuem über Emilias Leiche warf und nachdem er das engelsgleiche Gesicht geküßt hatte, sich das Eisen, das kurz vorher der Unglücklichen den Tod gebracht hatte, selbst tief in die Brust stieß.
Bei diesem grausigen Anblick begann sie laut zu rufen. Darauf eilten alle Diener herbei, die, über die Tat rasch unterrichtet, viele, viele Tränen über den unglücklichen Liebenden vergossen und beide in einem Grabe betteten. Es heißt auch, daß alle Liebenden jener Gegend hinter der Bahre gingen und sich in Trauergewänder kleideten, um länger das bittere Andenken zu bewahren, das der Tod jener in ihren Herzen wachgerufen hatte.
Das Mitgefühl aller Männer und Frauen (aller „Liebenden“) wandte sich also einem Manne zu, der die Geliebte nicht nur gemordet, sondern auch noch im Tode vergewaltigt hatte! So groß war der Glaube an die Unwiderstehlichkeit eines Triebes, der durch die Liebe sanktioniert wurde! Niemand dachte an das schreckliche Schicksal Emilias. Treffender kann das Hörigkeitsschicksal eines Weibes nicht gezeichnet werden als durch diese naive Geschichte des Grapputo.