Читать книгу Die unbeschriebene Welt - Robert Hoffmann - Страница 6
ОглавлениеDie Schmiede
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Die Sonne blendet mich durch die Augenlider hindurch. Ein Moment von Orientierungslosigkeit. Ich bin ... in Memoria. Erinnerung — so fühlt sich das an. Ich verdränge meine Müdigkeit, stehe auf und tappe zum Balkon. Das Sonnenlicht ergießt sich über den Platz, taucht seine Strahlen in das Grün der Blätter, in das Beige der Säulen und in das Ocker der Häuser. Mitten in dem Farbenspiel erscheint vor mir wieder der rote Lichtreflex, ein Schmetterling, der sich im Blau des Himmels auflöst. In dem großen Baum zwitschert ein gelber Vogel. Ein älterer Mann fegt Laub zu einem Haufen zusammen, und eine Gruppe von Frauen schlendert, ins Gespräch vertieft, an den Säulen entlang. Auch wenn ich mich nicht damit abfinden mag, dass meine Erinnerung möglicherweise nie wieder zurückkommt, fällt es mir doch leicht, diesen Platz als mein neues Zuhause anzunehmen.
Ich denke, ich werde von der Honwurst probieren und den Sessel vom Karren holen. Wenn mein Aufenthalt hier von Dauer ist, benötige ich natürlich mehr als nur einen Sessel und eine Matratze. Ich sollte ins Bona-Fama zurück und überlegen, was ich noch gebrauchen kann. Vielleicht finde ich dort etwas zum Schreiben, um mir einige Notizen zu machen. Da fällt mir mein Notizbuch wieder ein. Ich gehe zu meinem Jackett und greife in die Tasche. Sie ist leer. Ich muss es oben am Wasserfall vergessen haben. Das Notizbuch ist meine einzige Verbindung zu dem Leben vor Memoria. Bei der Einsturzgefahr wäre es allein wohl zu gefährlich dort hinzugehen, besser ich frage Will.
***
Als ich mit dem Karren vom Bona-Fama zurückkomme, läuft mir Maria entgegen.
»Morgen Paul, allem Anschein nach kommst du schon gut zurecht. Benötigst du da überhaupt noch meine Hilfe?«
Ich nicke. »Ja, ich würde mir einige Notizen machen wollen, aber im Bona-Fama hab ich nichts zum Schreiben gefunden ... und diese Schmiede von der Will gesprochen hat ... kann ich sie mir mal anschauen?«
»Also, zum Schreiben«, meint sie und hilft mir, die Sachen von dem Karren ins Haus zu tragen, »sind Stift und Papier, nun ja, ein wenig aus der Mode gekommen. Wir benutzen dafür solch silberne Leuchttafeln. Wir nennen sie einfach nur: Q.«
»Ach so, dazu sind sie da. Ich glaube, ich habe welche im Bona-Fama gesehen.«
Sie nickt. »Richtig. Allerdings, wenn wir zur Schmiede gehen, kommen wir sowieso an meinem Haus vorbei, da kann ich dir gleich ein Q und eine Tasche geben.«
Sie lächelt und mir fällt auf, dass es dazu keines bestimmten Anlasses bedarf, es ist schlicht ihr Gesichtsausdruck, ihr Wesenszug.
»Wie geht es Sebastian? Konntest du gestern noch Jules finden?«, frage ich.
Maria erstarrt kurz in ihrer Bewegung und presst die Lippen zusammen.
»Sebastian ist ... gestern von uns gegangen.«
»Das tut mir leid!«
Sie schüttelt andeutungsweise den Kopf.
»Es ist nicht allein wegen Sebastian. Natürlich, er war ein warmherziger und immer fröhlicher Mensch. Ein großer Verlust. Aber es erinnert mich daran, dass wir in Memoria immer weniger werden ... wir sterben aus, Paul.«
»Will hat mir davon erzählt. Was denkst du, warum nur noch selten Neuankömmlinge hier aufwachen?«
»Das ist eine gute Frage. Hat dir Will auch schon erzählt, dass der Tag hier vier Stunden länger ist?«
»Ja, aber ich kann das kaum glauben«, entgegne ich, beuge mich über die Ladefläche und schiebe den Tisch nach vorn.
»Es stimmt. Nun ja, dennoch fasse ich die Tage gerne in Jahren zusammen, auch wenn mich Sid immer damit aufzieht«, erklärt sie. »Die allermeisten sind hier vor über 5 Jahren aufgewacht, dann im Verlauf des ersten Jahres kamen über zweihundert dazu, darunter auch ich. Von da an endete es abrupt. Und vor einem Jahr tauchte Jules auf, ja, und nun du.«
Sie greift den Tisch am anderen Ende, und wir tragen ihn ins Haus.
»Hat jemand solch eine Ankunft beobachtet?«
»Nein, leider nicht. Alle wachen irgendwo am Wasserfall auf, meistens so wie du auf dem Plateau. Anfangs untersuchten wir die Gegend, konnten aber nichts Besonderes finden. Mittlerweile schaut nur noch Will gelegentlich vorbei.« Wir stellen den Tisch mitten im Wohnzimmer ab. »Versuche ihm das bitte auszureden, die Konstruktion dort ist zu instabil«, fügt sie an und zupft sich ihr Kleid zurecht. Ich nicke, obwohl ich mehr denn je motiviert bin, mir das Gebiet anzuschauen. Wenn dort die meisten aufgetaucht sind, muss es einen Grund dafür geben.
»Ich hab oben in der Kammer, hinter dem Wasserfall, so eine silberne Wand mit Symbolen gesehen.«
»Ja, die Konsole. Wir haben schon alles probiert, sie zeigt immer die gleiche Sequenz. Vermutlich ist sie einfach defekt.«
Auf dem Weg durch die Stadt wird Maria immer wieder in Gespräche verwickelt. Einige möchten ihre Häuser umbauen, andere fragen nach dem Ertrag der letzten Ernte. Je näher wir dem Brunnenplatz kommen, desto mehr füllen sich die Straßen. Mir fallen wieder die Häuser mit den geöffneten Erdgeschossen auf. In einem ist ein Friseur bei der Arbeit, in einem anderen bietet jemand Früchte an, daneben gibt es Brot, und ein weiterer malt an einem Gemälde.
»Der Brunnenplatz ist euer Marktplatz?«, frage ich.
»Gewissermaßen. Einige wollten ihre Fähigkeiten zur Verfügung stellen und fragten mich, ob ich ihr Haus, mithilfe des Brunnens, im Erdgeschoss öffnen könne. Mit der Zeit schlossen sich immer mehr an. Das war fraglos, eine unserer besten Ideen. Es gab uns ein ganz neues Gemeinschaftsgefühl.«
Mit einem Mal bleibt eine junge blonde Frau vor mir stehen.
»Oh! Das steht dir ausgezeichnet, ganz fantastisch!«, schallt es aus ihr heraus. Sie zeigt auf meine grüne Jacke aus dem Bona-Fama.
»Die gelben Nähte mit dem kurzen Kragen, das passt zu deinen braunen Haaren«, bekräftigt sie und streicht über die Jacke. »Du musst Paul sein. Will hat mir schon alles über dich erzählt. Der Held vom Wasserfall.«
Sie ist einen Kopf kleiner als ich und trägt ein blaues Kleid, das ihre weibliche Figur elegant betont. Ihre dunkelblauen Augen werden von einer geschwungenen Nase und kurvigen Lippen untermalt. Tatsächlich, Will hatte nicht übertrieben, sie hat etwas Engelhaftes.
»Du bist dann sicher Mina?«, erwidere ich.
»Richtig! Gut angezogen und auch noch blitzgescheit. Maria, da braucht er bald ein größeres Haus«, erwidert sie laut lachend.
Ich will antworten, doch sie fährt mit lauter Stimme fort.
»Du benötigst selbstredend mehr Kleidung, ich habe einiges auf Lager, für drunter und drüber. Kommt doch gleich mit zu mir, dann kann ich bei Paul sofort Maß nehmen.«
»Später vielleicht. Paul will sich die Schmiede ansehen«, wirft Maria ein.
»Ach so, ihr seid auf einem Besichtigungsrundgang ... gut, gut. Paul, erwarte da nicht zu viel. Die Schmiede mag praktisch sein, aber sie ist unsagbar langweilig.«
»Will hat gemeint, ich soll sie mir unbedingt anschauen.«
»Sicherlich, schau sie dir an. Aber wie gesagt, dort gibt es nur Bänder, Röhren und Kontrolltafeln.«
»Und Sid«, meint Maria.
»Stimmt, Sid. Er ist ganz besessen von der Schmiede ... aber ich will mich nicht beklagen. Er versorgt mich mit feinstem Garn und Gewebe«, erklärt sie und streicht demonstrativ über ihr Kleid.
»Sid ist genauso begeistert von seiner Tätigkeit wie du von deiner, Mina«, bemerkt Maria.
Mina nickt. »Ja, ja, selbstredend und das zum Wohle aller, ansonsten wäre es ja eine Verschwendung. Denkst du an Kleidung, denkst du an Mina, sag ich immer«, erwidert sie und lacht herzhaft.
»Also, Paul, komm einfach vorbei, sobald du Zeit hast. Mein Haus ist dort drüben.« Sie zeigt auf eines der wenigen dreistöckigen Gebäude.
»Gerne, Mina.«
Als wir schließlich an Marias Haus ankommen, höre ich Mina über den gesamten Platz rufen: »Hallo Ingrid, hast du die Decken bekommen? Was sagst du zu den Blumenmustern? Sind die nicht fantastisch?«
Ich blicke zurück und sehe sie auf der anderen Seite des Platzes mit einer Frau überschwänglich diskutieren.
»Ja, sie ist schwer zu überhören«, meint Maria, »darum probt sie auch für dieses neue Theaterstück. Ich glaube, es heißt: Der Sonnenschirmmacher.«
»Das klingt sehr ... tiefsinnig«, erwidere ich.
Ihr Grübchen am Mund vertieft sich, und sie lächelt.
Vor der Tür fällt mir wieder der kunstvolle Türknauf auf.
»Das ist ein ungewöhnlich aufwendiger Knauf«, bemerke ich.
Sie nickt. »Es ist etwas verrückt ... ich habe es bisher noch niemanden erzählt. Aber eines Nachts träumte ich von einem Blumenfeld, und überall flogen Schmetterlinge herum. Als ich eine der Blüten berühren wollte, verwandelte sie sich in meiner Hand zu einem Türknauf.«
»Nicht gerade etwas, dass ich mit einer Blume verbinden würde«, erwidere ich.
»Na ja, am Tag zuvor hatte sich der alte Griff von meiner Tür gelöst, er fiel immer wieder ab, gewissermaßen ist er dann wohl in meinem Traum gelandet.«
»Und dann hast du ihn in der Schmiede anfertigen lassen?«
Sie greift den Knauf und drückt die Tür auf.
»So einfach war das nicht. Nahezu jede Fertigkeit aus Memoria war letztlich für die Umsetzung nötig. Ich wollte es schon einige Male abbrechen. Ich meine, es ist ja albern, so ein Aufwand für einen Knauf. Aber es war nicht mehr zu stoppen.«
»Wegen dem Traum?«
Sie schüttelt den Kopf.
»Nein, nein, das war mir nicht so wichtig. Sondern, weil die Leute so begeistert von der Aufgabe waren, sie es schlicht machen wollten. Sie sahen es gewissermaßen als eine Herausforderung an. — Das mit dem albernen Traum weiß niemand ... es bleibt natürlich unter uns«, meint sie und lächelt verlegen.
»Natürlich.«
»So, ich hole schnell das Q. Dann können wir weiter zur Schmiede«, sagt sie und geht ins Haus.
Als Maria zurückkommt, reicht sie mir eine silberne Platte, die nicht größer wie ein Buchdeckel ist. Es wirkt wie ein mattes Stück Metall, mit abgerundeten Kanten. Ich berühre die Oberfläche und verstehe, warum es Q genannt wird. Es erscheint ein Kreis, aus dessen Mitte — wie bei einem Q — eine schräge Linie nach rechts unten verläuft. Das Symbol leuchtet kurz auf und verschwindet wieder. An meinen Fingerspitzen entstehen kleine leuchtende Symbole. Eines davon erkenne ich sofort, es zeigt die Buchstabenfolge: ABC. Ich wähle es mit einem kurzen Antippen aus und bekomme eine Tastatur und ein Textfeld eingeblendet.
»Das Q kann unser Alphabet?«
»Nun ja ... sie können Symbole verarbeiten. Das Alphabet brachte ihnen jemand von uns bei. Er hatte eine ungewöhnliche Begabung, mit der Technik hier umzugehen.«
»Hatte?«
»Ja, er ist eines Tages verschwunden, aber das war noch vor meiner Zeit. Will kannte ihn, er kann dir sicher mehr erzählen. Ach, und hier nimm diese Tasche, die ist sehr stabil und praktisch.«
Sie reicht mir eine Umhängetasche mit einem breiten Riemen.
»Danke. Wie schalte ich das Q eigentlich aus?«
»Gar nicht. Die brauchen nur sehr wenig Energie, wir legen sie vielleicht einmal im Jahr auf die Ladeplatte. Die Bedienung ist selbsterklärend, aber wenn du mehr wissen möchtest, solltest du Jules fragen. Er kennt sich mit den Qs am besten aus.«
Ich nicke, hänge mir die Tasche um und stecke das Q hinein.
»Dann auf zur Schmiede. Wir müssen diesem Weg aus der Stadt folgen«, sagt sie und zeigt in eine Gasse neben dem Haus.
Der Weg verläuft an bewachsenen, steilen Hügeln vorbei. Nach einiger Zeit betreten wir eine Lichtung, in deren Mitte ein großes Gebäude steht. Es sieht anders aus als alle bisherigen Bauwerke. Die gelben Wände sind unterbrochen von silbernen Strukturen, Schächten und Rohrleitungen. Zudem bemerke ich ein tiefes Summen. So tief, dass ich es eher durch den Körper als durch die Ohren wahrnehme.
»Ich verstehe, warum die Schmiede sich nicht in der Stadt befindet«, sage ich.
»Ja, und gelegentlich riecht es auch etwas unangenehm«, meint Maria.
Vom Eingangstor des Bauwerks führt eine breite Rampe hinab zum Weg.
»Es sieht gar nicht aus wie eine Schmiede, eher wie eine ... Fabrik.«
»Genau das ist es auch. Eine automatische Fabrik. Wir geben Rohmaterialien in die Schächte und die Schmiede produziert das von uns zuvor in Auftrag gegebene Erzeugnis. So geben wir Erze aus der Umgebung hinein und können gewissermaßen jede Art von Metallteilen herstellen. Soweit funktioniert es wirklich wie eine Schmiede. Allerdings ist die Prozedur nicht nur auf Erze und die Metallgewinnung beschränkt. Aus dem Rohstoff Holz erzeugen wir Grundelemente für Möbel, aus bestimmten Pflanzen bekommen wir Textilien und aus Getreide gewinnen wir Mehl.«
Ich stehe mit offenem Mund vor dem summenden Gebäude.
»Erstaunlich! Jetzt wird mir klar, wie ihr diesen Wohlstand erreichen konntet.«
»Fraglos, die Schmiede ist eine wichtige Grundlage für Memoria«, erwidert sie und mustert das Bauwerk. »Obwohl wir immer mehr herausfinden, gibt es auch Grenzen. So können wir nur Rohmaterialien hineingeben und nicht — sagen wir — Holz und Stoff zu einem fertigen Stuhl verbinden.«
»Du meinst, die Schmiede erzeugt also nur die Rohprodukte?«
»Richtig, und in der Stadt bearbeiten wir sie dann weiter, so wie Mina Stoff und Garn zu Kleidung und Alex Holzteile zu Möbeln verarbeitet.«
Mit einem Mal quietscht es, eine Wand bewegt sich und Rohrleitungen schieben sich von unten nach oben.
»Ach ja, und wie du siehst, das Gebäude ändert sich ständig. Es passt sich damit an die jeweiligen Aufträge an.«
»Und wie erteilt ihr diese Aufträge?«
»Die geben wir an einer Konsole in der Schmiede ein oder übertragen sie mit den Qs. Sid ist dafür unser Experte. Er ist sicher grade drin, lass uns hineingehen.«
Wir laufen die Rampe hinauf. Maria schiebt das Tor auf, und wir gehen hinein. Das Innere der Schmiede wirkt wie eine Schaltzentrale und Fabrikhalle zugleich. An der Wand gegenüber des Eingangs befinden sich silberne Konsolen mit weiß leuchtenden Zeichen. Dahinter ermöglichen breite Fenster den Blick auf Förderbänder und Apparaturen. Davor steht ein Mann vielleicht um die dreißig mit kurzen roten Haaren. Er dreht sich um und ein Ruck geht durch seinen Körper.
»Hey Maria, ich denke, ich hab‘s rausgefunden!«, platzt es aus ihm heraus, dann blickt er zu mir. »Ah, und du musst Paul sein?«
»Ja, das hat sich schnell herumgesprochen«, erwidere ich.
»Du erinnerst dich nicht zufällig noch an dein vorheriges Leben und könntest mir einige Fragen beantworten?«, sagt er mit einer Stimme, die erkennen lässt, dass er es nicht ernst meint.
»Tut mir leid, da muss ich dich wohl enttäuschen.«
Er nickt. »Tja, unsere Gehirne sind hier sozusagen einmal von irgendwas geröstet worden, ... ist wohl so ne Art Eintrittsbedingung«, erwidert er, wischt sich die Hand an der Hose ab und streckt sie mir entgegen.
Maria stellt sich zwischen uns und blickt ihn an.
»Du hast es? Das heißt, wir können wieder Nahrung produzieren?«
»Also ... ich müsste noch einige Tests machen, aber wenn wir nicht gleichzeitig schmelzen ... dann sollte es klappen.«
»Was hat das Schmelzen damit zu tun?«, fragt Maria.
»Möglicherweise ist es ein Schutzsystem der Schmiede. Bei der Verflüssigung des Erzes kann es zum Ausstoß von Strahlung kommen, welche eventuell die Nahrungsmittel belasten könnte.«
»Welche Strahlung?«, bricht es aus Maria heraus.
»Ja, das war sozusagen auch meine Reaktion, wo ich hier doch so viel Zeit verbringe. Die Schmelzkammern sind von hier aus weit genug entfernt. Aber nicht die Verarbeitungskammer für die Nahrung.«
Maria stellt sich vor eines der Fenster und blickt auf die Förderbänder.
»Sie würde verstrahlt werden?«
»Die Strahlungsdosis ist gering, sodass nur eine Dauerbelastung ein Problem wäre«, erklärt er.
Maria setzt sich vor eine der Konsolen und beugt sich nachdenklich nach vorne.
»Darum schaltet die Schmiede die Produktion ab. Und wir dachten immer, es sei ein Energieproblem. Wir müssen es einfach zeitlich abstimmen.«
»Genau, nur wird das nicht einfach. Wir brauchen ein Zeitfenster von bis zu drei Tagen nach dem letzten Schmelzen. Und du weißt ja, dass unser Bedarf steigt. Wenn wir keine Lösung finden, wird es sicher zu Engpässen kommen«, erwidert Sid.
Maria lehnt sich zurück und wendet ihren Blick wieder auf eines der Förderbänder.
»Warum tritt dieses Problem erst jetzt auf? Die letzten Jahre funktionierte es noch reibungslos.«
Sid nickt. »Zuerst dachte ich, es lag an der geringeren Auslastung. Dann schaute ich mir die alten Protokolle an ... also einige Male waren beide gleichzeitig in Betrieb. Ich weiß nicht, ... vielleicht war da das Schutzsystem noch nicht aktiviert?«
Da ich nichts Wesentliches zur Diskussion beitragen kann, löse ich mich von beiden und fange an die Halle etwas zu erkunden.
»Aber ... das heißt doch, wir haben damals allem Anschein nach verstrahlte Nahrung gegessen?«, höre ich aus der Entfernung Maria fragen.
Sid räuspert sich.
»Das ... also ... als ihr rein kamt, war ich grad die Protokolle am Prüfen ... also, ob das Sicherheitssystem jemals aus war. Bisher hab ich nichts dazu gefunden, aber du kannst mir an der Konsole dort drüben gerne helfen.«
Am anderen Ende der Halle mischen sich ihre Stimmen mit dem Summen der Schmiede. Ich frage mich, wo die nötige Energie zum Betreiben einer solchen Anlage herkommt, da sehe ich eine große Tonne, randvoll mit Globen. Anscheinend wird hier wirklich alles mit diesen blauen Kugeln angetrieben. Dennoch verblüfft es mich, dass ein so hoher Energiebedarf, wie er für das Schmelzen von Erz nötig ist, von diesen kleinen Kugeln kommen soll. Die Halle ist etwas verwinkelt, überall ragen Leitungen und kleinere Luken hervor. Die Außenwände sind fensterlos, aber das Dach ist großflächig verglast. In der Ecke der Halle gibt es einen kleinen Raum. Ich blicke durch das runde Fenster in der Tür. An diversen Haken hängen verschiedene Werkzeuge. Auf dem Boden liegen ein paar Reifen. Vermutlich eine Art Werkzeugraum für das Vehikel. Ich folge für einige Meter einem Bündel von Rohrleitungen und gehe dann auf der gegenüberliegenden Seite zurück in die Mitte der Halle. Einige Kanister stehen auf einer Palette herum, daneben befindet sich ein Anhänger — sicher für den Tog, um die Rohstoffe zu transportieren. Das allgegenwärtige Summen schwillt ab und ich kehre zu Maria und Sid zurück.
»So, das war die letzte Schmelzung für heute«, bemerkt Sid.
»Vielleicht liegt es am Erz«, höre ich mich überrascht sagen.
Sid streift sich mit der Hand über den Mund.
»Interessant!«
Ich schaue durch die Fensterscheiben auf die angehaltenen Förderbänder.
»Das könnte erklären, warum es früher keine Probleme gab. Das Erz war nicht belastet, vielleicht kam es von einem anderen Ort«, bemerke ich.
»Das ... ja ... das kam es ganz sicher. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen? Das alte Erz ... davon hab ich noch was, ... aus der dritten Charge ... ja ... «, murmelt er und wendet sich der Konsole zu. Seine Hände fliegen über die Oberfläche und die leuchtenden Symbole flimmern auf.
Maria beugt sich zu mir herüber.
»Na, da hast du ihm was zum Grübeln gegeben. Nun ist er wieder in seinem Modus, ... wir nennen ihn den Sid-Modus. Er vergisst dann zu essen und zu schlafen, ja und vermutlich sogar zu atmen«, erklärt sie. »Nicht wahr, Sid?«
»Was? Ja ... ich muss die Schmelzung kurz starten, ist nur für ne Probe von Charge drei, okay?«, erwidert er, ohne seinen Blick von der Konsole zu lösen.
»Sicher, Sid«, meint Maria und das Brummen setzt wieder ein.
Sie zeigt zum Ausgang.
»Lass uns zurück gehen, ich denke, das reicht wohl für eine erste Besichtigung.«
Auf dem Rückweg erklärt mir Maria, dass es bisher eigentlich keine Schwierigkeiten mit der Schmiede gab, bis kurz vor dem letzten Gründungsfest die Getreideverarbeitung stoppte.
»Erz schmelzen, Holz verarbeiten, Mehl erzeugen ... und das könnt ihr alles über die Konsole eingeben?«
»Gewissermaßen, aber es dauerte, bis wir das alles herausfanden. Übrigens, Will hat mir erzählt, dass er dort in diesem Werkzeugraum die Qs gefunden hatte.«
»Ach so, die gab es auch schon wie den Tog und den Brunnen?«
»Richtig.«
Wir laufen eine Weile den kurvigen Weg entlang, dann tauchen wieder die ersten Häuser auf.
»Wie hat dir eigentlich meine Suppe geschmeckt?«, fragt sie plötzlich.
Ich schmunzle.
»Es war die beste Suppe, an die ich mich entsinnen kann.«
»Was ... ja hier nicht so viel heißt«, entgegnet sie.
Ihr Grübchen kündigt wieder das Lächeln an.
»Ich fand sie sehr lecker.«
»Ich mache sie aus Karmonknollen und Lauchkraut. Ohne Beihilfe der Schmiede. Also sollte es zumindest bei der Suppe zu keinen Engpässen kommen«, erwidert sie.
»Ich verstehe. Denkst du an Suppe, denkst du an Maria!«, erwidere ich.
Sie lacht lauthals.