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II.
Frankfurt. November 1853 bis Januar 1859.
ОглавлениеAm 2. November kam ich nach Frankfurt. In einem Hause der Gallusstraße, mit einem kleinen Garten dahinter, wohnte die Familie Bismarck in behaglichen Räumen, welche gelegentlich zu Ballfesten dienen und einige Wohngäste aufnehmen konnten. Ein Zimmer mit Gartenaussicht wurde mir angewiesen.
Frau von Bismarck und Frau von Puttkamer, ihre Mutter, empfingen mich mit anmutiger Herzlichkeit. Der Hausherr kam am folgenden Morgen von Berlin zurück.
Er schien von der Fahrt gar nicht ermüdet. Beim Frühstück sprach er von der Möglichkeit eines Konflikts der Westmächte mit Rußland, wegen türkischer Fragen, „die uns gar nichts angingen“, und sagte, daß es unverantwortlich sein würde, aus Liebedienerei gegen die Westmächte unsere Beziehungen zu Rußland zu verschlechtern. „Die Leute, die das befürworten, sind Phantasten, die nichts von Politik verstehen.“ Damit stand er auf, um in einer Sitzung des Bundestages, der ersten nach den Ferien, nicht zu fehlen.
Abends war eine Gesellschaft im Hause des damals mit der Oberleitung der Thurn- und Taxisschen Postverwaltung betrauten Freiherrn von Dörnberg. Die Honneurs machte Baronin Vrints, eine Schwester des österreichischen Ministers Grafen Buol-Schauenstein. Bundestag und Frankfurter Patriziat füllten die behaglichen Räume. Auffallend war mir die Entfaltung ungewöhnlich reichen Brillantschmucks bei den Damen.
Baron Prokesch-Osten, der österreichische Gesandte, beehrte mich mit einem würdevollen Vortrag über Paris und das südliche Frankreich, meine nächsten Reiseziele. Das Fest war kurz; man kam gegen halb zehn und ging gegen elf Uhr. Bei jeder Wagenfahrt beanspruchte Bismarck den Rücksitz für sich; ich mußte neben seiner Gemahlin Platz nehmen.
Zu Hause angelangt, blieb man noch bei einem Glase Punsch zusammen. Er sagte: „Ich bin von Damen öfters nach Ihnen gefragt worden und pflegte dann zu antworten: das ist ein schmählich reicher Lithauer, der nach Paris geht, um sein Geld totzuschlagen.“
Am folgenden Morgen mußte ich vieles vorspielen, während Bismarck rauchend auf und ab ging.
Beim Gabelfrühstück sprach er über die kaum erträglichen Verhältnisse am Bundestage; von Oesterreich geführt, versuchten die Mittelstaaten oft mit Erfolg, uns zu majorisieren.
Es drängte mich, Folgendes zu sagen: „Vor vier Jahren haben Ihre Kammerreden mir klargemacht, daß die damals beabsichtigte Unionsverfassung für uns nicht paßte. Dennoch glaube ich, daß der Grundgedanke der Union unter andren Formen in Norddeutschland einmal verwirklicht werden wird. Der Selbsterhaltungstrieb kann uns dahin drängen. Freilich wissen wir seit 1850, daß das ohne einen Krieg im Süden nicht abgeht. Diesen Kampf können wir vielleicht nur aufnehmen zu einer Zeit, in der Oesterreich noch anderswo beschäftigt ist; auch müßten wir darauf rechnen dürfen, nicht von Osten oder Westen her gestört zu werden. Dazu gehört viel Glück. Aber unser Staat ist noch jung; und warum soll ein junger Mensch nicht nach vielem Kummer auch einmal Glück haben? – Ich wenigstens hoffe das noch zu erleben. Der Anschluß Süddeutschlands mag vielleicht ein Menschenalter später kommen.“
Bismarck trank mir lebhaft zu und sagte: „Gewiß denke auch ich so etwas zu erleben. Solange Metternichs Grundsatz Geltung hatte, daß die beiden Großmächte am Bunde immer einig auftreten müßten, da mochte die Sache gehen. Aber das jetzige System der Vergewaltigung Preußens am Bunde ist für uns auf die Dauer nicht erträglich. Wie viele Jahre vergehen mögen, bis einmal die Waffen entscheiden, und unter welchen Umständen die Auseinandersetzung erfolgt, das kann heute niemand wissen; dahin kommen aber muß es, wenn man in Wien fortfährt, keine Vernunft anzunehmen.“
Er schlug vor, bei dem schönen Wetter hinauszureiten. Frau von Bismarck bestieg eine elegante Rappstute. Es ging in den noch mit rötlichem und gelbem Laube geschmückten Stadtwald. Auf guten Reitwegen wurde flott galoppiert.
Kurz vor dem Diner saß ich am Klavier, als Bismarck leise ins Zimmer kam und hinter meinen Stuhl trat. In einem Spiegel sah ich, daß er seine ausgestreckten Hände über meinen Kopf hielt, nur einige Sekunden lang. Dann setzte er sich an ein Fenster und blickte in die Abenddämmerung hinaus, während ich weiterspielte.
Beim Mittagessen (5 Uhr) erzählte er von seinem Anteil an der Bildung des Ministeriums Brandenburg-Manteuffel genau so, wie die „Gedanken und Erinnerungen“ diese Begebenheiten des Spätherbstes 1848 darstellen.
Die Sitzung dauerte bei Wein und Cigarren ziemlich lange. Dann gab es wieder etwas Musik. In der Nacht fuhr ich nach Mainz, um das Dampfboot zu erreichen, das am frühen Morgen nach Köln abgehen sollte.
* * *
In Paris erfuhr ich, daß das Gesandtschaftsarchiv für mich nicht zugänglich und daß die erwähnte Zusage Usedoms eine unbegreifliche Abweichung von den bestehenden Grundsätzen gewesen sei.
Frau v. Bismarck schrieb mir (22. Januar 1854) nach Paris:
„Am 19. November war bei uns der erste Ball. Der Vortänzer war in der hiesigen Gesellschaft noch nicht sehr bekannt, aber dennoch endigte der Kotillon, wie mir schien, recht heiter. Anfangs Januar hat man wieder bei uns getanzt unter der Leitung unsers ehemaligen Attaché des Grafen Theodor Stolberg, der von den Frankfurter Damen unaussprechlich geliebt wird, und das Vergnügen war deshalb ohne Grenzen. Wahrscheinlich wird noch ein kleines Zauberfest in den nächsten Tagen bei uns stattfinden und zum Schluß ein ganz großes, wozu wir den jugendlichen Grafen wieder entloben möchten, weil wir dann gewiß sind, daß alle Gemüther befriedigt davongehen, wenn der Reigen verhallt ist. Man ist unendlich aufgeregt in diesem Winter, fast jeder Tag bringt eine neue Lustbarkeit mit sich – und wenn ich mich dabei auch wenig anstrenge, so ermüdet’s mich doch schließlich sehr. Ich werde mich deshalb nächstens ein wenig zurückziehen, um nicht ewig dasselbe zu sehen und zu sprechen. Ich finde, man wird schrecklich langweilig durch so viele Vergnügungen und träge dazu. Trotz aller guten Vorsätze spiele ich fast gar nicht, will mich aber ganz gewiß bessern.“
Als ich nach Rom kam, war Usedom auf viele Monate beurlaubt. Meine geschäftliche Neugierde konnte ich daher auch hier nicht befriedigen.
In Sicilien erhielt ich Anfang Juni von Frau von Bismarck die Nachricht, ich würde sie und ihren Gemahl bei meiner Rückkehr (Ende Juli) nicht mehr in Frankfurt finden. Sie schrieb:
„Es ist im Rath der Weisen beschlossen und hundertfach beschrieben und besprochen worden, daß ich Ende Juni mit Sack und Pack, d. h. mit drei Kindern, drei Bonnen, einem Diener und Frl. v. Rekow2, nach Pommern aufbrechen soll, wo ich drei Monate lang durch alle Tonarten hindurch Freundschaft zu schwärmen gedenke. Bismarck3 kann mich leider noch nicht begleiten, aber ich hoffe, er folgt mir im Juli, wo er Ferien zu erpressen hofft, die ich ihm von Herzen gönne, weil er augenblicklich so europa- oder bundesmüde ist, daß seine Klagen einen Stein erbarmen könnten, um wie viel mehr nun mich, sein getreues Ehegemahl. …
„Von unserem Leben läßt sich wenig sagen. Spiel und Tanz sind verklungen und ein Tag geht wie der andre hin ohne bemerkenswerthe Abwechselung, aber sehr angenehm still und ruhig; d. h., nur auf die letzten 8 Tage paßt dies, wo Bismarck wieder einmal fort ist, sonst haben wir gerade auch in diesen Monaten viel Trubel gehabt. Besuch aus Kurland, oder eigentlich aus Italien, aber Kurländer waren es doch, die in ihrem kalten Norden mit manchem Sehnsuchtsseufzer nach italienischem Himmel zurückkehrten. Es tauchen seit zwei Jahren hin und wieder sehr liebenswürdige Universitätsfreunde von Bismarck auf, deren Bekanntschaft mir viele Freude macht; so auch die von Graf und Gräfin Keyserling, die eben vor 8 Tagen einige Zeit hier und immer mit uns zusammen waren … Wenn Sie bei Ihrer Rückreise einen Tag in Frankfurt bleiben, wollen Sie dann nicht Frau v. Eisendecher besuchen, die Sie ja schon kennen? Sie ist sehr liebenswürdig und geistvoll.
„Vielleicht macht es Ihnen auch Vergnügen, die Familie des Malers Professor Becker aufzusuchen, welche sehr intim mit Mendelssohn gewesen sind und mir in diesem Winter, wo ich sie kennen lernte und herzlich lieb gewann, recht viel und oft von Ihrem Freunde erzählt haben. Frau Becker hat für mich eine sehr anziehende Stimme. Ich mag mitunter recht gern die weichen, sanften Melodien ohne Leidenschaft, und solche singt sie sehr hübsch, recht hell und klar und herzerfreuend wie ein stiller, warmer Frühlingsabend. Beckers sind sehr liebe Leute, die ich viel öfter sehen möchte, wenn ich nur könnte.“
Außer zwei damals noch unerwachsenen Kindern bestand diese Familie, die ich 1855 kennenlernte, aus dem Elternpaar und zwei Töchtern, deren einefrüh verstarb (1859), die andere 1861 Herrn Meister heiratete, einen Mitbesitzer der bekannten Höchster chemischen Fabrik.
Für Frau Marie Meister hat seit jener Zeit Frau von Bismarck eine innige Zuneigung bewahrt und auch von Berlin aus vielfach bethätigt.
Mit der erwähnten Frau von Eisendecher, Gemahlin des damaligen Oldenburgischen Bundestagsgesandten und Mutter des heutigen preußischen Gesandten in Karlsruhe, ist Frau von Bismarck ebenfalls lebenslang in heimlicher Freundschaft verbunden geblieben.
Ueber ihre Auffassung der Freundschaft schrieb sie gelegentlich (Mai 1856):
„Wenn ich einen Menschen lieb habe und ihm vertraue – was schadet’s, wenn „falsche falsche Zungen“ ihn verdächtigen wollen – ich laß’ sie reden, solange sie Lust haben, sie mögen erfinden, was ihr schlechtes Herz ihnen eingibt – mich stört’s nie und nimmer – ich freue mich, wenn ich Gelegenheit finde, meine Zunge zur Vertheidigung zu wetzen und wenn man nicht darauf hört – ist’s mir auch gleichgültig, ich weiß doch, was ich weiß – und wo ich einmal Vertrauen gefaßt, da ist’s auch niemals zu erschüttern und wenn eine ganze Welt mit Schmähreden aufstände … Wenn ich einmal Freundschaft zugesagt, so ist’s nicht für einen Tag oder einen Monat oder ein Jahr, sondern für’s ganze Leben – through glory and shame, through sorrow and joy.“
Diese Worte sind Jahrzehnte hindurch buchstäblich bewahrheitet worden. Noch heute leben Frauen und Männer, welche dankbar bezeugen, daß das ihnen geschenkte Wohlwollen der Fürstin durch nichts zu erschüttern gewesen ist.
Am 16. Januar 1855 schrieb Frau v. Bismarck aus Frankfurt:
„Als ich im November hierher zurückkehrte, feierte ich meinen Einzug mit einem großen Ball, der ja scheinbar die allgemeine Zufriedenheit erlangte. Dann war tiefe Stille in der Gesellschaft bis nach Weihnachten, wo sich nur hin und wieder ein Haus durch Geigenstriche und Tanz bemerkbar machte. Aber im Ganzen scheint’s mir, als sei die Lust zu dergleichen Vergnügungen in diesem Winter nicht sehr groß, und ich finde es sehr begreiflich, daß man endlich müde wird, wenn man so viel gesprungen hat, wie ich’s hier drei Winter angesehn. Meine Kräfte würden wahrscheinlich schon nach den ersten zwei Monaten erlahmt sein, wenn ich mich jemals mitwirkend dabei betheiligt hätte. – Ich bin glückselig über diese Gesellschaftsstille, weil ich mich jetzt so viel mehr meinen kleinen Trabanten hingeben kann wie bisher und weil wir überhaupt ein so ruhiges häusliches Leben führen, wie’s nur im einsamen Schönhausen sein könnte. Das hat mir ja, wie Sie wissen, stets mehr zugesagt als der ewige Trubel unter vielen fremden Menschen, wobei doch nie etwas anders herauskommt, als im besten Fall einige oberflächliche Phrasen und im schlimmsten (und häufigsten) zahllose Klatschgeschichten, Empfindlichkeiten u. s. w. …
„Bismarck jagt heute, ich weiß nicht wo, bei Berlin mit Seiner Majestät. Er ist seit 8 Tagen zwischen Berlin und Potsdam in ewiger Bewegung hin und her und gedenkt am 19. wiederzukommen, hoffentlich mit ganz sicheren Friedensnachrichten.“4 …
Frankfurt, August 1855.
… „Bismarck war wirklich recht krank, ich nur etwas, an wehen Augen, und wir sollten beide durchaus nach Kissingen, wozu wir nicht die mindeste Lust hatten, weil ich Eltern und Kinder nicht verlassen mochte und Bismarck durchaus keine Diät halten wollte. So wurde er denn zur Erholung von allem Bundesärger auf Reisen geschickt und ich dazu verurtheilt, hier Brunnen zu trinken, was ich nun auch ganz artig seit drei Wochen vollführe und dabei das Haus- und Kinderwesen in Ordnung zu halten mich bestrebe, im unaussprechlichsten Tugendgefühl! – Bismarck hat in Paris den königlich englischen Einzugs- und Abzugs-Trubel mitgemacht und ist jetzt nach Ostende; wo er verschiedene Bekannte sehen will und dann heimkehren, vielleicht in 8 Tagen. Wenn der Herbst dann nicht schon in seiner ganzen Rauheit über uns gekommen ist, so möchten wir noch sehr gern auf kurze Zeit etwas Studentenleben am Rhein führen.“ …
5. September.
… „Bismarck und ich sind eben 8 Tage in der Rheinregion gewesen auf Anlaß der königlichen Herrschaften, die sich ja einige Zeit in Stolzenfels aufhielten. Wir sind auf hohen Befehl bis Remagen mitgereist, wo Graf Fürstenberg seine wunderschöne Apollinaris-Kirche zeigte und später ein großes Frühstück auftischte.
„Dann fuhren König, Königin und Prinzen mit sämtlichem Gefolge zu Schiff gen Köln, wir aber zogen landeinwärts durch das wundervolle Ahrthal, dessen Stille und Frische uns nach allem Trubel der letzten Tage sehr wohlthat. Den andern Tag schwärmten wir am Laacher See und im Brohlthal umher und schlossen mit St. Goar, von wo wir gestern früh heimkehrten, um von allen Freuden in stiller Zurückgezogenheit auszuruhen.“
* * *
Im Oktober besuchte ich die Pariser Weltausstellung und blieb auf der Rückreise drei Tage in Frankfurt.
Am ersten Morgen erzählte Bismarck, wie er einem polizeilich verfolgtem jungen Manne zur Flucht verholfen hatte:
„Ich erhielt vor Kurzem von Berlin den Auftrag, die hiesige Polizei zu veranlassen, einen politisch kompromittierten Jüngling zu verhaften. Nun ist es wirklich nicht wohlgethan, einen fähigen jungen Menschen, der auf einen falschen Weg geraten ist, durch Verfolgung und Bestrafung als Umstürzler abzustempeln. Es ist sehr möglich, daß er von selbst zur Vernunft kommt, wie es manchen Achtundvierzigern ergangen ist. Ich erstieg also frühmorgens die drei Treppen zu der Wohnung des jungen Mannes und sagte ihm: „Reisen Sie so schnell als möglich ins Ausland.“ Er sah mich etwas verwundert an. Ich sagte: „Sie scheinen mich nicht zu kennen; vielleicht fehlt es Ihnen auch an Reisegeld. Nehmen Sie hier einige Goldstücke und machen Sie, daß Sie schnell über die Grenze kommen, damit man nicht sagt, daß die Polizei wirksamer operiert als die Diplomatie.“ Am folgenden Tage hat die Polizei ihn natürlich nicht mehr gefunden.“
Diplomaten oder Patrizier habe ich weder bei diesem noch bei späteren Besuchen in der Gesandtschaft kennengelernt. Man benutzte die sonnigen Herbsttage zu weiten Spazierritten. Zwei Abende wurden durch die Anwesenheit der Familie Becker verschönert.
Bismarck erzählte gern von den Eindrücken der in Paris verlebten Augustwochen. Der Kaiser Napoleon galt damals in der öffentlichen Meinung Deutschlands als einer der klügsten Männer der Welt, dem wie durch Zauber alles zu gelingen schien, was er unternahm, und dessen geheimen oder offenbaren Einfluß man bei allen Vorkommnissen in Europa als selbstverständlich zu betrachten gewohnt war. Bismarck aber schilderte ihn anders, auf Grund mehrfacher Beobachtungen. Sein Verstand, meinte er, sei keineswegs so überlegen, wie es die Welt glaube, und sein Herz nicht so kalt. Manche gemütliche Saiten klängen bei ihm an und er sei im Grunde gutmütig. „Es könnte unter Umständen recht nützlich sein, mit ihm politische Geschäfte zu machen.“
Die „Gedanken und Erinnerungen“ geben (Band I, Seite 149 bis 155) dieselben Mitteilungen über die im J. 1855 in Paris erhaltenen Eindrücke, wie sie mir damals in Frankfurt gewährt wurden.
* * *
Frau von Bismarck schrieb am 30. Dezember 1855:
… „Um die Weihnachtszeit war Bismarcks Herz unglaublich großmütig liebend gestimmt, so daß er mir zu meiner unendlichen Ueberraschung einen herrlichen andreeschen Mozartflügel unter dem Weihnachtsbaum aufbaute – wirklich und wahrhaftig – und sehr wunderschön, nicht den, welchen Sie versucht, der war verkauft; aber dieser ist reichlich ebenso gut und ich strenge ihn täglich so viel an, daß es meiner Mama schon zu viel wird. Der Eifer wird sich später auch wohl wieder legen, aber jetzt bin ich wirklich in einer glückseligen musikalischen Entzückung.
… „Wir leben unendlich eingezogen in diesem Winter. Durch den plötzlichen Tod der Frau von Vrints ist eine so trübe und gedrückte Stimmung in die Gesellschaft gekommen, deren belebendes Prinzip sie seit langer Zeit gewesen, daß niemand an Feste denken wird. Diese Frau wurde so mitten in der vollen Lebenskraft und Lebensluft hingerafft; sie wird von vielen sehr betrauert, von allen sehr vermißt werden. – Beckers sehen wir hin und wieder und Frau von Eisendecher, sonst fast niemand.“
Frankfurt, Mai 1856.
… „Gestern fuhren wir mit Beckers nach Wilhelmsbad, um Schatten unter Ur-Eichen zu suchen in dieser gewaltigen Hitze. Sie sangen vierstimmig „Der Schnee zerrinnt, der Mai beginnt“ – mir ganz neu, aber reizend wie alle Mendelssöhne – und draußen und drinnen ist’s so herrlich, daß man gar nicht weiß, was man beginnen soll vor ausgelassener Freude. Die heißen Vormittagsstunden vergräbt man sich in dunkle Gartenzimmer und nachmittags wird geritten und gefahren in den unaussprechlich wundervollen Wald oder in’s nicht minder schöne Gebirge. So geht’s alle Tage. Und dieser Mai ist schöner wie alle zuvor.“
Frankfurt, 7. Februar 1857.
… „Anfangs des Jahres ging’s sehr lustig bei uns her – all überall – jetzt ist es still wie in der Wüste Gobi und ich lebe deßhalb in sehr glücklichem Verkehr mit meinen lieben Beckers, die mir recht „je länger je lieber“ geworden sind.“
Zu Ostern 1857 verlebte ich einige Tage in Frankfurt. Bismarck war, einem vom Kaiser Napoleon kundgegebenen Wunsche folgend, kurz vorher nach Paris gereist und seine Rückkehr wurde täglich, aber vergebens erwartet. Ich mußte, ohne ihn gesehen zu haben, nach Potsdam zurück. Dort erhielt ich folgende Mitteilungen:
Frankfurt, 20. 4.
… „Bismarck schließt jeden Brief mit dem Wunsch, Sie zu sehen. Ich schrieb ihm von der Möglichkeit Ihrer Wiederkehr zu Pfingsten, was er aber gar nicht berücksichtigt, vielleicht weil er wieder allerhand gütige allerhöchste Absichten bis dahin voraussieht. Der Stümper ist nun einmal zum königlich-preußischen Irrwisch bestimmt. Er schreibt nur: mache, daß Keudell bleibt oder wiederkommt, wenn ich da bin.“ …
Den 22. 4.
„Er ist gekommen, endlich – und bleibt für’s Erste doch 8 Tage hier – und da das Gewisse immer besser ist wie’s Ungewisse, so geben wir Diest5 auf, um Sie sicher zu haben. Wer weiß, was Pfingsten ist und wo wir vielleicht alle miteinander zerstreut sind. Deshalb, bitte, nur schnell lieber Freund. Wir erwarten Sie mit innigster Freude und heißen Sie herzlich willkommen zu jeder und jeder Stunde.“ …
Am Morgen nach Empfang dieses Briefes war ich wieder in Frankfurt. Am Frühstückstisch saßen wir trinkend und rauchend von zwölf bis drei Uhr.
Dann ging’s zu Pferde in den Wald. Der Mittagstisch dauerte von fünf bis neun. Bismarck war unerschöpflich in Erzählungen über seine Erlebnisse in Frankreich. Die Familie Becker war inzwischen in das Musikzimmer eingetreten und erwartete uns da.
Am andern Morgen spielte ich vieles; Bismarck ging dabei in einem hellgrünen geblümten Schlafrock rauchend auf und ab, die Damen saßen.
Dann erzählte er ausführlich von seinen Gesprächen mit Napoleon; von Bündnisanträgen des Kaisers, die er verschweigen müsse, weil sie sonst wahrscheinlich von Berlin aus nach Wien verraten werden würden; auch von den Mitteln, durch die er das offenbare Annäherungsbedürfnis des Kaisers für unsere Politik auszunutzen versuchen wollte. Er hielt für richtig, wenigstens den Schein, daß wir zu Frankreich in sehr freundschaftlichen und unter Umständen bis zu gemeinsamer Aktion zu entwickelnden Beziehungen ständen, hervorzurufen, um in Wien einen gewissen Druck ausüben zu können und die österreichische Politik von ihrer jetzigen verhängnisvollen Richtung abzulenken.
Im Laufe seiner Erzählungen erwähnte er einen Gedanken des Kaisers, von welchem in den veröffentlichten Briefen an Gerlach und Manteuffel keine Andeutung zu finden ist.
Napoleon hatte gelegentlich geäußert, die Verhältnisse in Frankreich seien doch immer unsicher; es komme vor allem darauf an, Unzufriedenheit in der Armee zu verhüten. „Pour moi l’essentiel c’est toujours l’armée.“ Er wünsche deshalb etwa alle drei Jahre une bonne guerre außerhalb der Grenzen Frankreichs.
Dieser Worte gedachte ich, als drei Jahre nach dem Pariser Frieden der italienische Krieg ausbrach und drei Jahre nach diesem das mexikanische Abenteuer unternommen wurde. Auch kam drei Jahre nach der Rückkehr Bazaines aus Mexiko der deutsche Krieg, welchen der Kaiser jedoch nur widerwillig, dem Drucke anderer Personen folgend, beschloß.
Nach einem Aufenthalt von nur 30 Stunden mußte ich die Rückreise antreten.
Zu Pfingsten 1857 war ich nochmals ein paar Tage in Frankfurt, zusammen mit meinem Freunde Diest. Er wohnte zwar nicht in der Gesandtschaft, war aber von Mittag an immer dort und hatte auch sein schönes Violoncell mitgebracht. Trios und Duos hörte Bismarck rauchend mit ungeteilter Aufmerksamkeit und offenbarem Vergnügen.
In den Morgenstunden spendete er mir wieder mancherlei politische Mitteilungen und las auch den von mir bis in das preußische Postgebiet mitzunehmenden, merkwürdigen Brief an Gerlach vor, in welchem die „Legitimität“ vieler allseitig anerkannter Staatsgewalten analysiert wird. (Gedanken und Erinnerungen S. 175). Meinerseits konnte ich ihm über die politischen Schriften von Gneist manches berichten, was ihn zu interessieren schien.
Am Morgen meiner Abreise (31. Mai), ging er einige Zeit mit mir in dem kleinen sonnigen Garten hinter dem Hause auf und ab und sagte: „Ich habe zurzeit in Berlin wenig Einfluß. Meine Bemühungen, die günstigen Dispositionen des kaiserlichen Frankreich für uns nutzbar zu machen, werden keine Erfolge haben. Ueberhaupt hat der König mir seit zwei Jahren nicht mehr dasselbe Vertrauen geschenkt wie früher. Wollte er mich, wie er mehrmals beabsichtigte, zum Minister machen, so würde er nicht 8 Tage lang mit mir auskommen.
„Ach, glücklich ist nur die Jugend, die immerzu Hurra schreien kann.“
„Meine Erfahrung,“ sagte ich, „ist die entgegengesetzte. Ich bin heute viel fröhlicher wie als junger Mensch. Fühlen Sie nicht auch heute einen höheren Wellenschlag des Lebens wie als Student?“
„Nein!“, erwiderte er; und nach einer kleine Pause: „– ja, wenn man so über das Ganze disponieren könnte! –, aber unter einem Herrn seine Kraft verpuffen, dem man nur mit Hilfe der Religion gehorchen kann …“
Bei diesen Worten waren wir an dem Wagen angekommen, der mich zum Bahnhof bringen sollte.
Bald darauf schrieb ich einem Freunde, der besorgte, ich könnte durch Bismarcks Einfluß in eine extreme Richtung geraten, folgende Worte:
„Beruhige Dich und freue Dich. Bismarck ist jetzt kein Parteimann mehr. Ich habe, wenn ich mit ihm zusammen war, täglich klüger und besser zu werden gefühlt. Die Fülle thatsächlicher Mittheilungen von für mich großem Interesse war noch nicht einmal die Hauptsache; sein unabhängiger, freier Ueberblick über die äußeren und inneren Verhältnisse, seine kühnen Pläne, sein Zoll für Zoll männliches Wesen haben mich in tiefstem Grunde angeregt und erfrischt. Gerade in der Unabhängigkeit des Denkens und Wollens fühlte ich mich neu gestärkt durch ihn.“
* * *
Im Sommer dieses Jahres (1857) wurde ich als Hilfsarbeiter in das Ministerium des Innern berufen und im Dezember an das Oberpräsidium zu Breslau versetzt. Dadurch war die Möglichkeit häufiger Fahrten nach Frankfurt ausgeschlossen; nicht nur der weiteren Entfernung wegen, sondern auch weil die damals wesentlich in die Hand des Oberpräsidialrats gelegte Verwaltung einer großen Provinz andere Kraftanstrengungen erforderte als die Mitgliedschaft eines Regierungskollegiums.
Am 20. August 1857 schrieb Frau von Bismarck aus Stolpmünde:
… „Die heißbegehrte schwedische Reise ist so vollkommen gelungen, daß Bismarck jetzt die heitersten, entzücktesten Briefe schreibt aus schwedischen und dänischen Schlössern und Dörfern mit recht absonderlichen Namen. … Ich bin glücklich über sein Vergnügen, das aus allen Briefen hervorleuchtet: Jagdlust und Jagderfolge, Naturschwärmerei, Gesundheitsversicherung – alles zusammen klingt herrlich und erfreulich. Es gefällt ihm so wundervoll in diesen nordischen Sphären, daß er fürs Erste und Zweite und Dritte noch an gar keine Rückkehr denkt.“
Am 17. August aber wurden die Jagdfreuden unterbrochen durch einen Unfall, welcher für Bismarck die Ursache langwieriger Leiden werden sollte. Er fiel auf eine scharfe Felskante und erlitt eine Verletzung am linken Schienbein6, welche ausheilen zu lassen ihm die Geduld fehlte. Nach nur eintägiger Pause fuhr er fort, in Schweden und später in Kurland zu jagen. Die schlecht geheilte Wunde wurde im Juni 1859 in Petersburg durch ein vergiftetes Pflaster derartig inficiert, daß zwei lebensgefährliche Krankheiten (1859 in Berlin und 1860 in Hohendorf) sich daraus entwickelten. Auch in späteren Jahren sind nach Ansicht seines langjährigen Arztes, Dr. Struck, aus derselben Ursache – einer zerstörten Ader des linken Beins – mehrmals Venenentzündungen und andere gefährliche Erkrankungen entstanden, welche ihn zu dem Gefühle vollkräftiger Gesundheit nur ausnahmsweise in gewissen Zwischenräumen haben kommen lassen. Eine erhöhte Reizbarkeit des ganzen Nervensystems war die natürliche Folge dieser Störungen.
Im Oktober 1857 wurde der Prinz von Preußen mit der Stellvertretung des schwer erkrankten Königs beauftragt.
Frau von Bismarck schrieb aus Frankfurt am 27. Dezember 1857: … „Unsre Zukunft ist augenblicklich wieder ’mal ziemlich unsicher nach allen Richtungen hin, aber Bismarck ist guter Laune und so bin ich’s auch – habe ja auch alle Ursache dazu, besonders wenn ich in die strahlenden Weihnachtsgesichtchen meiner drei Herzenskleinodien sehe – die meine Seele mit ewigem Lobgesang gegen Gott erfüllen. … Er wandelt eben ganz lang und grün durch alle Zimmer, läßt Sie herzlich grüßen und hat auf meine Frage um mögliche Bestellung an Sie keine Antwort als die Bitte, Sie möchten Rübezahl grüßen, wenn Sie ihn sähen, das wäre der einzige Bekannte, den er in Schlesien hätte.“
Im Herbst 1858 ging Bismarck nicht auf Urlaub, sondern blieb in Frankfurt, weil der in Baden weilende Prinz von Preußen mehrfach seinen Rat verlangte. Im Oktober kam es endlich infolge der andauernden Krankheit des Königs zur Einsetzung der selbständigen Regentschaft des Prinzen. Er berief das Ministerium Hohenzollern-Auerswald, das von der liberalen Mehrheit der Gebildeten mit Jubel begrüßt wurde. Neuwahlen zum Abgeordnetenhause ergaben eine bedeutende ministerielle Majorität von gemäßigt liberaler Färbung.
In einem Briefe an Frau von Bismarck erwähnte ich meine Zweifel darüber, ob das Ministerium der „neuen Aera“ – wie es damals genannt wurde – die übergroßen Erwartungen der politischen Welt würde erfüllen können. Die Antwort lautete (Dezember 1858):
„Was den politischen Theil Ihres Briefes betrifft, den ich Otto vorgelesen, so läßt er Ihnen sagen, Ihre und seine Wege wären dieselben, sogar bis auf das Gras, welches daneben wüchse.“
Die Aeußerung scheint mir so charakteristisch, daß ich sie nicht unerwähnt lasse, obwohl ich über jenes Gras nichts mehr bekunden kann.
Zu Neujahr 1859 war ich noch einmal in Frankfurt auf zwei Tage, welche mit viel Musik, unter Mitwirkung der Familie Becker, ausgefüllt wurden, zu politischen Aufzeichnungen aber keinen Stoff darboten.
2Eine befreundete Dame, die bisweilen nach Frankfurt kam, um im Hauswesen behülflich zu sein.
3Frau von Bismarck folgte in ihren Briefen der um die Mitte des vorigen Jahrhunderts noch in Pommern verbreiteten Gewohnheit, den Gemahl mit dem Familiennamen zu bezeichnen; im mündlichen Verkehr aber pflegte sie den Vornamen zu gebrauchen.
4Damals, während der Belagerung von Sebastopol, wurde in Wien verhandelt, um zum Frieden zu gelangen, aber ohne Erfolg.
5Gustav von Diest, damals Oberpräsidialrat in Koblenz, war schon in den Ostertagen in Frankfurt gewesen und mit mir eingeladen worden, um Pfingsten wiederzukommen.
6S. Fürst Bismarcks Briefe an seine Braut und Gattin, S. 382.