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Kapitel 5

DORTMUND

April 2011

Ich habe früh gelernt, Borussia Dortmund nicht zu mögen.

Es gibt nur wenige Dinge, die du als Schalke-Fan beachten musst. „Dat“ und „wat“ statt „das“ und „was“ sagen, in der Nordkurve niemals still sein und auf alle Dortmunder fluchen. Wenn du ein ganz Großer bist, wird aus Dortmund „Lüdenscheid-Nord“.

Als Schalker war und ist Dortmund halt doof und andersrum genauso. Das ist im Pott normal. Entschuldigung, dat is im Pott normal. Aber was machst du, wenn der ach so verhasste Verein fragt, ob du ein Probetraining absolvieren möchtest?

„Ihr könnt mich mal!“

Habe ich natürlich nicht gesagt. Denn aus Fußballersicht ist Dortmund schließlich eine der größten Adressen in der deutschen Liga.

2011, als ich eigentlich noch zum jüngeren B-Jugend-Jahrgang gehörte, durfte ich bereits regelmäßig bei den A-Junioren in Rhede mitspielen. Das war wie die B-Jugend ein eingeschworener Haufen, hauptsächlich bestehend aus meinen besten Freunden. Der Vater meines Kumpels Dominik, Andreé Krüßmann, war bei Borussia Dortmund als Jugendtrainer angestellt. An einem Sonntagmorgen Anfang April, kurz vor Ostern, stand ein stinknormales Spiel in der Niederrheinliga an. Was ich nicht wusste: Andreé hatte in Dortmund einem Jugendscout von mir erzählt: „Pass mal auf, in Rhede läuft einer rum, der kann mehr als durchschnittlich gut kicken.“ Ein paar Tage später war dieser Scout vom BVB in Rhede erschienen, um sich ein Bild von mir zu machen, wovon ich überhaupt nichts mitbekommen hatte. Es ist ja auch nicht so, dass sich diese Scouts in bunt leuchtenden Warnwesten an die Seitenlinie stellen und sich per Megafon ankündigen.

Nach besagtem Spiel kam Andreé auf mich zu. „Robin, die Zeit ist reif.“ Für was? Meinen Mittagsschlaf? Ein Pils? Eine Manta-Platte? „Robin, die Zeit ist reif, dass du ein Probetraining in Dortmund absolvierst. Ich habe das für dich geregelt.“

Wat?

Ich schnappte mir kurz einen Hocker, nur damit ich symbolisch runterfallen konnte. Ich hatte wirklich überhaupt nicht damit gerechnet, das erwischte mich völlig auf dem falschen Fuß. Borussia Dortmund? Dieses Borussia Dortmund? Aus der Bundesliga? Mit Jürgen Klopp und Mario Götze und allen? Wahnsinn, kompletter Wahnsinn.

Das Wort „Fußballprofi“ war mir bis dahin im Grunde gar nicht über die Lippen gekommen, so eine Gelegenheit hatte sich null Komma null angedeutet. Ich hatte eigentlich gerade erst begonnen, mich mit meiner beruflichen Zukunft auseinanderzusetzen. Der Beruf Fußballer erschien mir so realistisch wie eine Meisterschaft von Schalke 04.

„Du kannst schon außergewöhnlich gut kicken“, meinte Andreé, nachdem ich mich wieder beruhigt hatte. „Du solltest es mal eine Etage höher versuchen.“ Krass, was passierte hier? Meine Mitspieler machten sich natürlich einen Spaß aus der Sache: „Ach du Scheiße, jetzt geht er nach Dortmund und hebt völlig ab.“ Der übliche Quatsch, aber vollkommen verständlich. Es hätte auch wirklich keinen Besseren treffen können. Zu jedem Training, dreimal in der Woche, kam ich im Schalke-Trikot. Ich besaß genau zwei und zog diese beiden abwechselnd an. Und jetzt sollte ich das Schalke- gegen ein Dortmund-Trikot tauschen. „Das kannst du doch nicht bringen“, meinte jemand. Aber da musste ich natürlich jetzt drüberstehen. Und als ich später mit den Jungs mal ernsthaft über die Angelegenheit sprach, zeigte sich, dass sie natürlich auch stolz waren. Wie cool es doch wäre, wenn „einer von uns“ es nach ganz oben schaffen würde!

Andreé leitete alles in die Wege, das Probetraining sollte in der darauffolgenden Woche stattfinden. Die Saison neigte sich bereits dem Ende zu. Dementsprechend konnte ich mich für die U19 der kommenden Saison bewerben, also ab Juli 2011, wenn ich ganz offiziell A-Jugendlicher war.

Das Training fand an einem Wochentag um 17 Uhr statt. Papa machte schon mittags Feierabend, weil er sich das für kein Geld auf der Welt entgehen lassen wollte. „Robin, vielleicht wird das ja was“, sagte er. Er war richtig stolz, auch wenn er mir das nie so gesagt hätte. Mein Vater ist ein Typ, der sich seine Gefühle nicht anmerken lässt und sie nur selten offen zeigt. Ich wusste, dass er mir nach dieser Einladung von Dortmund am liebsten um den Hals gefallen wäre. Er hielt sich aber zurück und gab mir lediglich einen Rat mit auf den Weg: „Hart arbeiten, nicht ausruhen.“

Papa und ich fuhren in Elten los und steuerten erst mal Hamminkeln an. Da wohnte die Familie Krüßmann. Andreé fuhr voraus, über die A3 und die A2 zum Trainingsgelände von Borussia Dortmund. Schon der erste Eindruck saß. Links und rechts und oben und unten Trainingsplätze, so weit das Auge reichte, ungefähr einen für jede Mannschaft. In Rhede hatten wir einen Rasen- und einen Ascheplatz, mehr nicht. Auf dem Parkplatz musste ich mich von Papa verabschieden, Andreé sagte, ich solle ins Hauptgebäude gehen, dort würde man mir weiterhelfen.

Ich war natürlich eingeschüchtert. Der kleine Junge vom Dorf bei den Großstadtkids in der Bundesliga. Uns trennte sportlich zwar nur eine Liga, aber gefühlt waren es zwei Galaxien. Mir kam alles eine Nummer zu groß vor. Im Sekretariat meldete ich mich beinahe flüsternd: „Guten Tag, ich bin Robin Gosens und für ein Probetraining der U19 hier.“ Die Dame machte zum Glück einen sehr netten Eindruck, sonst wäre ich vielleicht gleich wieder abgehauen. „Du gehst zum Zeugwart“, sagte sie, „der gibt dir die passende Trainingskleidung, und dann hoch in den ersten Stock in die Kabine der U19.“

Vom Zeugwart bekam ich Stutzen, Hose, Shirt und Pullover. Die Schuhe hatte ich immerhin selbst mitgebracht. Ich schlich hoch in den ersten Stock, und da ich ein bisschen spät dran war, waren die meisten Spieler schon auf dem Platz und nur noch wenige in der Kabine. Für die, die noch nie in einer Umkleide mit A-Jugend-Bundesligaspielern waren: Das ist nicht unbedingt die größte Spaßzone – zumindest nicht für jemanden, der ein Probetraining absolviert. Natürlich hielten sich diese Jungs für etwas ganz Besonderes. Ein paar höfliche „Hallos“ flogen in meine Richtung, aber ich hatte nicht das Gefühl, willkommen zu sein. Auf meine Frage, wo ich mich umziehen könne, bekam ich die rotzige Antwort: „Setz dich irgendwo hin.“

Ich zog mich schnellstmöglich um und steckte plötzlich in schwarz-gelben Klamotten. Weil ich so nervös war, realisierte ich das aber gar nicht. Das mit Dortmund und Schalke war mir in dem Moment maximal egal. Dass ich mich unwohl und fehl am Platz fühlte, hatte nichts mit der Farbe der Kleidung, sondern mit der ganzen Situation zu tun. Alles in mir strebte weg. Niemand war da, an den ich mich halten konnte, ich hatte keine Ahnung und fühlte mich allein gelassen. Ich wusste nur, wann das Training begann, mehr hatte man mir nicht gesagt. Ich saß noch ein paar Minuten mit den anderen in der Kabine und starrte an die Decke. Niemand sprach mich an oder fragt mich etwas. Was sie wohl über mich dachten? Erlebten die solche Probespieler öfter?

Ich hoffte, dass die anderen endlich rausgingen, damit ich mitkommen konnte. Ich wusste ja nicht mal, auf welchen Platz ich musste. Als es endlich soweit war, redete wieder niemand mit mir. Ich rannte wie ein Hund hinter ihnen her. Auf dem Platz fing mich der Trainer Sascha Eickel ab und begrüßte mich. Im Mannschaftskreis vor dem Beginn der ersten Übung war jedoch nicht davon die Rede, dass ein neues Gesicht dabei war. Man hätte ja meinen können, ein Probespieler dürfe sich wenigstens mal vorstellen oder sowas. Die Jungs, die vorher nicht mit mir in der Kabine waren, wussten im Prinzip gar nicht, dass ich da war.

Die ganze Sache war von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Nach einer Runde Einlaufen erklärte der Trainer, was an diesem Tag auf dem Programm stand: Koordination, Spiel auf Ballhalten und zum Schluss ein taktisches Elf-gegen-elf über den ganzen Platz. Ich konnte keine einzige Sekunde genießen. Die Einheit ging vorbei wie im Flug. Ich war bei Borussia Dortmund und hatte vielleicht die Chance meines Lebens, hatte aber so wackelige Beine, dass jeder Pass fünf Meter neben dem Mitspieler landete. Der totale Reinfall.

Schon die Koordinationsleiter am Anfang war zu viel für mich. Eine kleine, gelbe Leiter, die auf den Boden gelegt wird, circa fünf Meter lang, mit 50 mal 50 Zentimeter großen Feldern, durch die wir schnell tippeln sollten. Aber in einem Tempo, das ich nicht kannte. Ich blieb zweimal in der Leiter hängen und machte die ganze Übung kaputt. Ich kann mir allzu gut vorstellen, wie sich die Jungs hinterher angeschaut haben: „Was ist denn das für ein Hampelmann?“

Übrigens: Einer dieser Jungs war Koray Günter, damals U-Nationalspieler und heute bei Hellas Verona. Oder Marvin Ducksch, heute bei Hannover 96. Die konnten schon kicken. Damals viel besser als ich.

Mit dem „Ballhalten“ ging es weiter, auch das hatte ich vorher noch nie gehört. Ich kannte nur das klassische Abschlussspiel mit zwei Toren, hier sollten wir in einem Feld dafür sorgen, dass die gegnerische Mannschaft den Ball nicht bekam. Ich spielte mir einen unglaublichen Mist zusammen. Zu einem herzlichen „Du bist so scheiße“ fehlte nicht mehr viel.

Das Elf-gegen-elf gab mir den Rest. Bis dahin hatte ich bei Rhede im zentralen Mittelfeld die Fäden gezogen, jetzt sollte ich im linken Mittelfeld spielen. Wohl gemerkt bei den Ersatzspielern, auf der Gegenseite lief die Startelf fürs Wochenende auf. Ich wusste schon nach fünf Minuten nicht mehr, wo oben und unten war. Ich wurde überlaufen, ausgespielt, auseinandergenommen. Wenn ich den Ball bekam, war er zwei Sekunden später schon wieder weg, so schnell konnte ich gar nicht gucken. Es klappte überhaupt nichts.

Vor dem Training hatte mir Andreé gesagt, dass ich, wenn ich mich gut anstellen würde, in den Osterferien vielleicht weiterhin mittrainieren dürfte. Nachdem ich geduscht hatte, wollte ich nur noch nach Hause. Ich war völlig fertig und fühlte mich gedemütigt. Draußen warteten der Trainer und der Jugendkoordinator auf mich. Zitat: „Danke, dass du da warst. Wir würden uns dann bei dir melden.“ Das klang fast schon sarkastisch. Als würden sie mich am liebsten auslachen, so nach dem Motto: „Du glaubst doch wohl nicht wirklich, dass du hier noch mal einen Fuß reinsetzt. Fahr nach Hause, Junge!“ Mir war klar, dass mich von diesem Verein niemand mehr anrufen würde. Ich hätte mich auch nicht angerufen.

Die Tür zum Profifußball schien für mich schon wieder zu, bevor sie überhaupt richtig aufgegangen war. Mit vier Schlössern und Extraspucke verriegelt. Da würde ich nicht mehr reinkommen. Ich war nur froh, dass ich endlich wieder abhauen durfte. Während der Fahrt sprachen Papa und ich nicht viel. Irgendwann sagte ich zu ihm: „Ich glaube, ich kann gar kein Fußball mehr spielen.“ Ich war fix und fertig mit der Welt, vielleicht musste ich sogar weinen.

Da war diese einmalige Chance, sich mit den ganz Großen zu messen. Bei Borussia Dortmund, mit zukünftigen Nationalspielern. Und ich hatte diese Chance mit Füßen getreten – beziehungsweise die Chance mich. Jeder, der da auf dem Platz gestanden hatte, war besser als ich gewesen. „Verschwinde, Kleiner“, schienen sie mir aus der Ferne zuzurufen, „das hier ist ein paar Nummern zu groß für dich.“

Zurück in Rhede, wurde ich natürlich ausgelacht. Das war aber in Ordnung. Zwei Tage hatte es gedauert, dann konnte ich selbst darüber schmunzeln. Beim Training erzählte ich ganz offen, wie es gelaufen war: richtig scheiße. Ich war zurück in meiner Komfortzone und glücklich damit. Ich gehörte nach Rhede und nicht nach Dortmund.

Aus mir würde nie ein professioneller Fußballspieler werden. Niemals.

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