Читать книгу Der Gaslight-Effekt - Робин Стерн - Страница 7

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Einleitung

DER ZEITPUNKT IST GEKOMMEN

Heutzutage vergeht kaum ein Tag, an dem man nicht auf den Begriff »Gaslighter« trifft. Eine kurze Google-Suche, schon findet man Dutzende von englischsprachigen Artikeln: »Diese acht Anzeichen zeigen Ihnen, dass Ihr Partner ein Gaslighter ist«, »Ist sich ein Gaslighter bewusst, was er tut?«, »Gaslighting: Die Tricks, die jeder kennen sollte«. Im Online-Wörterbuch »Urban Dictionary« findet sich ein Eintrag zu »Gaslighter«. Sogar der 45. Präsident der Vereinigten Staaten wurde als Gaslighter bezeichnet.

Doch als ich das Buch Der Gaslight-Effekt vor zehn Jahren schrieb, war der Begriff noch völlig unbekannt, obwohl das Phänomen an sich weitverbreitet war. Beim Gaslighting, schrieb ich, handelt es sich um eine emotionale Manipulation, bei der ein Gaslighter versucht, Sie davon zu überzeugen, dass Sie Ihr Verhalten oder Ihre Beweggründe falsch erinnern, falsch verstehen oder falsch interpretieren. So sät er Zweifel, weshalb Sie sich verletzlich und verwirrt vorkommen. Der Gaslighter kann ein Mann oder eine Frau sein, ein Ehe- oder Lebenspartner, ein Chef oder Kollege, ein Eltern- oder Geschwisterteil. Wer auch immer es ist, er hat die Fähigkeit, Sie dazu zu bringen, Ihre Wahrnehmung infrage zu stellen, um die Beziehung am Laufen zu halten.

In meinen Augen ist diese gemeinsame Verantwortung das wesentliche Merkmal des Gaslightings. Es ist nicht nur ein emotionaler Missbrauch. Es handelt sich um eine von beiden Seiten erschaffene Beziehung – die ich als Gaslight-Tango bezeichne. Dafür ist die aktive Teilnahme zweier Personen nötig. Es stimmt, der Gaslighter bringt sein Opfer dazu, an seiner eigenen Wahrnehmung der Wirklichkeit zu zweifeln. Aber das Opfer ist auch darauf aus, den Gaslighter dazu zu bringen, es so zu sehen, wie es gesehen werden will.

»Du bist so schlampig!«, sagt der Gaslighter beispielsweise. Statt darüber zu lachen und zu sagen: »Das siehst aber nur du so«, sieht sich das Gaslighting-Opfer gezwungen, sich zu verteidigen: »Bin ich nicht!« Weil ihm der Gaslighter so viel bedeutet, kann das Opfer keine Ruhe finden, bis es ihn davon überzeugt hat, dass es nicht schlampig war.

»Ich verstehe nicht, wie du so verschwenderisch mit deinem Geld umgehen kannst«, sagt vielleicht ein anderer Gaslighter. Ein Nichtopfer könnte beiläufig antworten »Jeder wie er will, und außerdem ist es mein Geld«, und sich dann wieder den eigenen Geschäften zuwenden. Ein Gaslighting-Opfer aber würde Stunden mit zermürbenden Selbstzweifeln verbringen und sich verzweifelt fragen, ob der Gaslighter nicht doch recht hat.

Manchmal ist die Strafe, der eine Frau als Gaslighting-Opfer ausgesetzt ist, höher als bloße Missbilligung. Vielleicht ziehen sie und der Gaslighter gemeinsam Kinder groß, und das Opfer fühlt sich finanziell oder emotional nicht in der Lage, eine alleinerziehende Mutter zu sein. Vielleicht handelt es sich bei dem Gaslighter auch um den Arbeitgeber, und das Opfer fürchtet berufliche Nachteile, wenn es sich dem Chef wiedersetzt oder den Job hinwirft. Vielleicht ist der Gaslighter ein Verwandter oder eine alte Freundin, und das Opfer fürchtet sich vor Auswirkungen in der Familie oder im sozialen Umfeld.

Der Gaslighter kann seinem Opfer auch mit dem drohen, was ich als »emotionalen GAU« bezeichne – dann hagelt es Beleidigungen, wird mit Selbstmord gedroht oder ein schrecklicher Kampf angekündigt – etwas so Furchtbares, dass das Opfer nahezu alles tut, um es zu vermeiden.

Wie auch immer die Strafe ausfällt, das Gaslighting findet nur statt, wenn beide Parteien mitmachen. Der Mensch, der zum Gaslighter wird, ist verantwortlich für sein Handeln. Aber auch eine Frau, die zum Gaslighting-Opfer wird, ist verantwortlich für ihr Handeln. Ihre Verletzlichkeit entspringt dem Bedürfnis, den Gaslighter zu verklären, seine Zustimmung zu erlangen und die Beziehung um jeden Preis aufrechtzuerhalten. (Wenn der Gaslighter körperliche Gewalt androht oder ausübt, hat die betroffene Frau natürlich einen anderen Grund, sich verletzlich zu fühlen. Dann geht es nicht vorrangig darum, das Gaslighting zu beenden, sondern ihre Sicherheit und die ihrer Kinder zu gewährleisten.)

Diese beiderseitige Teilnahme ist die gute Neuigkeit, denn sie bedeutet, dass man als eine solche Frau die Schlüssel zum eigenen Gefängnis in Händen hat. Sobald sie versteht, was vorgeht, kann sie den Mut und den Willen in sich finden, die verzerrten Darstellungen des Gaslighters zurückzuweisen, die einen verrückt machen. Und sie kann sich stur an ihre eigene Realität halten. Denn wenn sie der eigenen Perspektive vertrauen kann, braucht sie nicht länger Bestätigung von außen, ob vom Gaslighter oder sonst jemandem. Wenn man Gaslighting auf den Einzelnen bezogen betrachtet – also in der Liebe, in Freundschaften, am Arbeitsplatz oder in der Familie, bin ich noch immer von dieser Formulierung überzeugt. Der »Gaslight-Tango« ist der Kern des Gaslightings – der Tanz zweier Menschen, von denen jeder die Teilnahme des anderen braucht.

Ausgangspunkt für das Buch war die weite Verbreitung des Gaslightings im Leben meiner Patienten, meiner Freundinnen – und in meinem eigenen. Ich hatte den Gaslight-Effekt immer und immer wieder beobachtet, ein heimtückisches Verhaltensmuster, welches das Selbstwertgefühl auch der selbstbewusstesten Frau aushöhlen konnte – eines, das zum Ende meiner ersten Ehe geführt hatte. Die von Gaslighting betroffenen Frauen – ob nun Patienten oder Freundinnen – waren durchweg kompetent, stark, kultiviert und attraktiv. Aber irgendwie hatten sie sich in Beziehungen verstrickt – ob nun zu Hause, in der Arbeit oder innerhalb der Familie –, aus denen sie anscheinend nicht herauskamen, auch wenn ihre Selbstwahrnehmung immer mehr ausgehöhlt wurde.

In seiner harmlosesten Form führt Gaslighting dazu, dass Frauen sich unwohl fühlen und sich fragen, warum es immer darauf hinauszulaufen scheint, dass sie sich irren. Oder warum sie nicht wirklich glücklich mit ihren Partnern werden, die doch so »gute Kerle« sind. Im schlimmsten Fall führt Gaslighting zu schweren Depressionen. Dann bleiben von einer ehemals starken, energischen Frau nur noch ein Häufchen Elend und jede Menge Selbsthass. Es erstaunte mich jedenfalls immer wieder – sowohl als Therapeutin wie auch im Privatleben –, zu erleben, welch lähmende Selbstzweifel Gaslighting verursachen kann.

Ich suchte nach einem Weg, um das Muster hinter dieser besonderen Form des Missbrauchs zu erkennen, von dem ich bisher weder in Ratgebern noch in der Fachliteratur gelesen hatte. Inspiriert hat mich letztlich der Film Gaslight (zu Deutsch: Das Haus der Lady Alquist) aus dem Jahr 1944, in dem Ingrid Bergmann, Charles Boyer und Joseph Cotton die Hauptrollen spielen. In dem Film überzeugt der romantische Held, gespielt von Boyer, Ingrid Bergmann nach und nach davon, dass sie verrückt ist. So fragt er sie nach einer Brosche, die er ihr geschenkt hat, und beobachtet, wie sie darunter leidet, die Brosche nicht mehr in ihrer Handtasche zu finden, obwohl sie davon überzeugt war, sie dort hineingetan zu haben – dabei hat Boyer sie selbst herausgeholt. »Ach Liebes, du bist einfach zu vergesslich«, behauptet er. »Ich bin nicht vergesslich«, behauptet daraufhin die von Bergmann gespielte Frau. Doch nur zu bald beginnt sie, eher Boyers Version der Geschehnisse Glauben zu schenken als ihrer eigenen. Sie ist unfähig, ihrer Erinnerung und ihrer Wahrnehmung zu trauen.

In dem Film versucht Boyer ganz bewusst, den Wahnsinn herbeizuführen, um an Bergmanns Erbe zu kommen. Sie davon zu überzeugen, dass sie ihrer eigenen Wahrnehmung nicht trauen kann, macht sie allmählich verrückt. Im wahren Leben sind Gaslighter sich des eigenen Verhaltens selten so bewusst. Sowohl Gaslighter als auch Opfer scheinen aus einem Zwang heraus zu handeln. Sie sind in einem todernsten »Gaslight-Tango« gefangen, der von seinem verzerrten Blick auf sie und ihrer wachsenden Überzeugung lebt, er habe recht. Ich konnte kein anderes Buch ausfindig machen, das dieses spezielle Missbrauchsmuster erforscht, zumindest keines, das dieses Muster deutlich aufzeigt und Betroffenen gezielte Ratschläge gibt, um den Bann zu brechen und ihre Selbstachtung wiederzufinden. Also gab ich dem Phänomen einen Namen, schrieb das Buch – und war erstaunt über die vielen Reaktionen.

Eine neue Patientin nach der anderen kam in meine Praxis und bestand darauf, dass mein Buch irgendwie genau ihre Situation erfasste. »Woher wussten Sie, was ich durchmache?«, fragten viele. »Ich dachte, ich sei die Einzige!« Freundinnen, deren Beziehung ich für glücklich gehalten hatte, gestanden mir, dass auch sie unter Gaslighting litten – oder in früheren Beziehungen darunter gelitten hatten, in der Arbeit oder in der Familie. Kollegen dankten mir dafür, diesem Phänomen einen Namen gegeben zu haben, sodass sie jetzt mit ihren Patienten darüber sprechen konnten. Das vormals namenlose Phänomen schien weiter verbreitet zu sein, als selbst ich das angenommen hatte.

Kurz nach Erscheinen des Buchs begann ich mit Beratungen für Facebook, zusammen mit meinem Kollegen Marc Brackett, der das Center for Emotional Intelligence leitete, das Zentrum für emotionale Intelligenz, das sich an der Universität Yale befindet. Damals steckten die sozialen Medien noch in den Kinderschuhen, und bei Facebook sorgte man sich, dass sensible junge Menschen der Gefahr von Cyber-Mobbing ausgesetzt sein könnten. Marc und ich befragten Dutzende Jugendliche und junge Erwachsene, um eine Online-Plattform zu entwickeln, auf der man über die vielen verschiedenen Formen von Mobbing berichten konnte. Dazu gehören das Streuen von Gerüchten, fiese oder respektlose Bemerkungen, Stalken und offene Drohungen.

Diese Arbeit und unsere Unterrichtstätigkeit zu emotionaler Intelligenz, die uns in Schulen überall im Land führte, erbrachten noch mehr Beweise für die schädlichen Auswirkungen von Gaslighting. Marc und ich bekamen zahllose Geschichten von Jugendlichen zu hören, die nicht nur unter dem Gaslighting einer Person, sondern Dutzender ihrer Freunde und Facebook-Kontakte litten. Da bezeichnete eine junge Frau ihre Freundin als »überempfindlich«, weil sie sich über eine Kränkung geärgert hatte, und dann »likten« das 20 oder 30 andere oder posteten noch mehr Kritik. Die zerstörerische Wirkung des Gaslightings vervielfachte sich, weil das Opfer sich nicht nur der Manipulation durch den Gaslighter ausgesetzt sah, sondern auch glauben musste, dass »alle Bekannten« und mehrere Dutzend Fremde sie ebenfalls für »überempfindlich« hielten.

Aus unserem Projekt ging Facebooks Bully Prevention Hub hervor, im deutschen Facebook als Hub zur Vorbeugung von Mobbing bezeichnet. Hier haben Jugendliche die Möglichkeit, einen Missbrauch zu melden, und Eltern und Lehrern kann es als Gesprächshilfe dienen. Es machte mich sehr betroffen, wie oft Gaslighting die bevorzugte Waffe beim Mobbing war. Mit das Schlimmste am Gaslighting ist, dass es so schwer zu erkennen ist. Man spürt Selbstzweifel und Verwirrung – aber warum? Weshalb stellt man sich plötzlich so infrage? Wie kommt es, dass ein Mensch, der einem eigentlich zugetan sein sollte, uns dazu bringt, uns wie ein Häufchen Elend zu fühlen?

Beim Gaslighting handelt es sich um eine Art verdecktes Mobbing. Oft ist der Gaslighter der Ehemann, eine gute Freundin oder ein Familienmitglied und besteht darauf, einen zu lieben, obwohl er uns gleichzeitig untergräbt. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt – aber Sie können es einfach nicht benennen. Der Ausdruck »Gaslighting« gibt dieser Art Missbrauch einen Namen. Das befähigt Sie, klar zu sehen, was Ihr Partner, Ihre Tante Martha oder Ihre angeblich beste Freundin wirklich tun. Das sagen Marc und ich auch immer unseren Studenten: Was einen Namen hat, kann bekämpft werden.

Gaslighting in den Medien

In den Jahren nach der Veröffentlichung meines Buchs sah ich gelegentlich Artikel, in denen der Begriff auftauchte. In der Zeitschrift The Week wurden beispielsweise in einer Besprechung des Films Zero Dark Thirty bestimmte Verhörmethoden als eine Art Gaslighting bezeichnet – wenn bei einem Verhör selbstverständlich auf Vorfälle Bezug genommen wird, die nie stattgefunden haben. So wird der Gefangene dazu gebracht, an seiner eigenen Erinnerung zu zweifeln. Der Fragensteller weiß genau, dass kaum etwas einen Menschen so verunsichert wie Zweifel an der eigenen Wirklichkeitswahrnehmung. Er weiß, dass Gaslighting den Willen eines Menschen schneller brechen kann als körperliche Misshandlung.

In der Zwischenzeit wurden in einer Reihe von Blogs die Begriffe Gaslighting und Mobbing miteinander verlinkt, sowohl im Hinblick auf persönliche Beziehungen als auch auf die Arbeit. »Ist Gaslighting eine geschlechtsspezifische Form von Mobbing am Arbeitsplatz?«, fragt Juraprofessor David Yamada in seinem Blog Minding the Workplace. In zahlreichen Blogs von Selbsthilfegruppen ist darüber zu lesen, wie wichtig es ist, einen Gaslighter zu erkennen und sich ihm zu widersetzen. Der Ausdruck »Gaslighting« ist in der deutschen Wikipedia definiert, wo auch mein Buch als weiterführende Lektüre angeführt wird.

2016 war das Jahr, in dem Gaslighting wirklich ins öffentliche Bewusstsein rückte. Im März dieses Jahres behauptete der Comedian und Moderator John Oliver, der für den Fernsehsender HBO arbeitet, Donald Trump habe ihn mittels Gaslighting manipuliert. Auf den ersten Blick schien die Sache eindeutig. Donald Trump ließ wissen, dass er eine Einladung zu Olivers Late-Night-Talkshow ausgeschlagen habe. »John Oliver hat seine Leute bei mir anrufen lassen, um mich zu seiner sehr langweiligen Talkshow einzuladen, die sich kein Mensch ansieht«, twitterte Trump. »Ich sagte ›NEIN DANKE‹. Reine Zeit- und Energieverschwendung!«

Und jetzt das entscheidende Detail: Es gab gar keine solche Einladung. John Oliver hatte gar kein Interesse daran, Trump als Gast in seiner Talkshow zu haben. Warum hätte er ihn da einladen sollen?

Als Oliver versuchte, das Missverständnis aus dem Weg zu räumen, trieb Trump es noch bunter. In einem Radiointerview behauptete er steif und fest, er sei nicht nur einmal, sondern gleich vier- oder fünfmal eingeladen worden.

Man sollte meinen, dass Oliver daraufhin den Twitter-Eintrag einfach bei der Begrüßung seiner Gäste in der nächsten Sendung erwähnen und mit seinem Team herzlich darüber lachen würde. Stattdessen habe er seine Wahrnehmung der Wirklichkeit infrage gestellt, gestand Oliver. Trump schien sich seiner Sache so sicher zu sein. Vielleicht hatte Oliver ihn ja eingeladen.

»Es hat mich wirklich verunsichert, Ziel einer solch selbstsicheren Lüge zu sein«, sagte Oliver während seiner Talkshow. »Ich habe sogar nachgeforscht, um sicherzugehen, dass niemand ihn versehentlich eingeladen hatte. Hatte aber natürlich niemand.«

John Oliver – Comedian, Talkshow-Moderator und linksliberaler Kommentator – legte keinerlei Wert auf Donald Trumps Zustimmung. Es war ihm egal, was Trump von ihm dachte oder wie sie zukünftig zueinander stehen würden. Trump hatte keinerlei Einfluss auf ihn, weder in emotionaler noch familiärer oder finanzieller Hinsicht. Und nach allem, was man sieht, ist John Oliver ein selbstbewusster Mann, der eine gefestigte Wahrnehmung der Wirklichkeit hat.

Und dennoch war es Trump gelungen, ihn an seiner Erinnerung von etwas so Eindeutigem zweifeln zu lassen wie der Tatsache, ob er Trump nun in seine Show eingeladen hatte oder nicht. Dazu schrieb Melissa Jeltsen, Chefreporterin bei der Huffington Post:

»Trumps Behauptung wurde mit einem solchen Elan vorgetragen, dass Oliver an der Wahrheit zu zweifeln begann, obwohl er wusste, dass Trump log. Eine solche Macht hat Gaslighting.«

Jeltsen hatte für diesen Artikel ein Interview mit mir gemacht. Darin bestätigte ich ihr, dass Trumps Verhalten gegenüber Oliver und anderen Gaslighting wie aus dem Lehrbuch war. »Wenn man nicht die Verantwortung für sein Handeln übernimmt oder die Verantwortung auf andere abwälzt oder versucht, die Glaubwürdigkeit desjenigen zu untergraben, der einen zu diesem Handeln befragt, dann handelt es sich um eine Form von Gaslighting«, hatte ich ihr gesagt.

Plötzlich begegnete einem dieser Begriff überall: beim Fernsehsender CNN, in den Zeitschriften Teen Vogue und Salon und in Dutzenden von Posts im Internet, in den sozialen Medien und in Blogs. Plötzlich war Gaslighting in aller Munde.

Der Gaslight-Effekt – zehn Jahre danach

Als mir der Verlag mitteilte, dass man eine Neuauflage von The Gaslight Effect plane, war das für mich die Gelegenheit, das Buch noch einmal gegenzulesen, das ich zehn Jahre zuvor geschrieben hatte. Wie beurteilte ich das Buch inzwischen – vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen als Therapeutin, meiner Tätigkeit als Beraterin bei Facebook und meiner Arbeit am Yale Center for Emotional Intelligence?

Ich las es noch einmal und bin erfreut, sagen zu können, dass ich es immer noch stichhaltig finde. Ich sehe keinen Bedarf, etwas daran zu überarbeiten. Im Vergleich zu der Zeit vor zehn Jahren fällt mir eines noch mehr auf: Je größer die Überzeugung – und vielleicht auch der Narzissmus – eines Menschen, desto selbstverständlicher hält er an seiner Wirklichkeit fest. Er ist unabhängig davon, wie viele Menschen sein Verständnis der Fakten hinterfragen. Dieser Narzissmus ist ein Schutz dagegen, andere Menschen zu ernst zu nehmen oder sich um ihre Ansichten zu scheren. Ein Narzisst wird vielleicht zornig, wenn andere seine Ansichten nicht teilen – viele Gaslighter reagieren so. Aber er wird nicht zornig, weil er an seiner grundsätzlichen Wahrnehmung zweifelt, sondern weil er es nicht erträgt, nicht die totale Kontrolle zu haben. Mit anderen Worten: Einem Gaslighter kann man nicht mit Gaslighting kommen – zumindest nicht, solange er selbst als Gaslighter auftritt.

Uns anderen jedoch fällt es schwer, unsere Weltsicht aufrechtzuerhalten. Wir stellen infrage, ob wir uns sicher sind darüber, was wir gesehen oder gehört haben. Bescheidenheit und Selbsterkenntnis machen uns auf eine Weise angreifbar, wie es dem Narzissten nicht passieren könnte. Uns wurde von klein auf beigebracht, dass die Ansichten anderer manchmal zutreffender sind als unsere eigenen. Wenn wir jemanden oft genug wiederholen hören, »schwarz ist weiß« oder »oben ist unten«, fällt es schwer, sich nicht zu fragen, ob diese Person nicht doch etwas weiß, das wir nicht wissen.

In meinem Buch verweise ich auf eine Hilfe, die ich noch immer für verlässlich halte: Ich rate dazu, auf die »Flugbegleiter« zu achten. Genau wie das Verhalten der Flugbegleiter uns offenbart, ob das Schlingern des Fliegers nur einer kleinen Turbulenz geschuldet ist oder eine echte Katastrophe ankündigt, so helfen diverse Flugbegleiter Ihnen auch im wahren Leben zu sehen, ob der neue Partner nur einen schlechten Tag hat oder sein Verhalten einem Muster folgt. Wenn Sie damit angefangen haben, Ihre eigene Realität infrage zu stellen, können Ihre Flugbegleiter – Familie, Freunde oder auch ein Therapeut – Ihnen helfen, zu einer genauen Einschätzung zu gelangen.

Genauso können wir vielleicht im Hinblick auf politisches oder soziales Gaslighting zu unseren gegenseitigen Flugbegleitern werden. Es ist an uns, die Nachrichtenquellen zu finden, denen wir vertrauen, die Analysen, auf die wir uns verlassen wollen, die Tatsachen, die einer genauen Prüfung standhalten. Das kann niemand allein leisten – wir brauchen sowohl die »Experten«, denen wir glauben, als auch die Freunde, Nachbarn, Familienmitglieder und Kollegen, deren Ansichten wir schätzen. Gaslighting wirkt zutiefst destabilisierend. Vielleicht braucht es wirklich »ein ganzes Dorf«, um auf solidem Grund zu stehen.

Ringen Sie aber persönlich mit einer Form von Gaslighting in Ihrem Privatleben, wird das Buch Der Gaslight-Effekt Ihnen dabei helfen, die Hintergründe zu verstehen, zu analysieren und schließlich freizukommen. Das kann bedeuten, dass Sie eine Beziehung von innen heraus umgestalten oder sie ein für alle Mal beenden. Mein gesamtes Berufsleben habe ich dem Ziel gewidmet, Menschen dabei zu helfen, ihr Leben mitfühlend, effektiv, produktiv und erfüllend zu gestalten. Aber das ist nicht möglich, wenn man in einer Gaslighting-Beziehung steckt, sein eigenes Verhalten dauerhaft hinterfragt und sich ständig für angebliches Versagen entschuldigt. Wie ich bereits vor zehn Jahren schrieb:

»Sie haben genug Kraft, um sich von dem Gaslight-Effekt zu befreien. Der erste Schritt besteht darin, sich die eigene Rolle beim Gaslighting bewusst zu machen. Inwiefern führen Ihr Verhalten, Ihre Wünsche und Fantasien dazu, den Gaslighter zu verklären und von ihm anerkannt werden zu wollen?«

So beginnt Ihre Reise. Das Buch Der Gaslight-Effekt soll Ihnen helfen und Ihnen bei jedem Schritt zur Seite stehen. Es gehört Mut dazu, sich auf diese Reise zu begeben. Ich bin gespannt auf alles, was Sie dabei lernen werden.

Robin Stern,

im August 2017

Der Gaslight-Effekt

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