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Vermutlich nahm alles während des Herbsttrimesters auf der Deepdean seinen Anfang. Daisy und ich waren inzwischen Elftklässlerinnen, was sich schrecklich erwachsen und vielversprechend anhört – nur leider entpuppte sich die Realität als ebenso vernebelt und verwirrend wie das englische Herbstwetter.

Unsere Detekteikolleginnen hatten schlechte Laune – und einen ausgesprochen guten Grund dafür. Der Mutter unserer Freundin Küken ging es von Tag zu Tag schlechter, ohne dass irgendjemand etwas daran ändern konnte. Im Sommer hatten wir alle erstmals davon erfahren, dass ihre Krankheit unheilbar war. Sobald der Schock darüber allmählich nachgelassen hatte, begriffen wir, dass es in der englischen Sprache einfach nicht die richtigen Worte dafür gibt, um auszudrücken, wie sehr wir das bedauerten. Außerhalb von Büchern ist diese Trauer irgendwie viel weniger dramatisch, dafür kostet sie wesentlich mehr Kraft, als einem in Büchern vorgemacht wird.

»Ich will nicht, dass ihr mich bemitleidet«, sagte Küken entschieden. »SEHT mich nicht so an!« Also mussten wir so tun, als würde uns nicht auffallen, wie sie immer dünner wurde, bis die großen Augen in ihrem schmalen Gesicht riesig wie Kutschenlampen wirkten.

Wir mussten ungeheuer vorsichtig sein, wenn es in irgendeiner Form um Mütter ging. Sobald Küken den Schlafsaal betrat, verkniff Kitty sich die Beschwerden darüber, dass ihre Mutter ein Baby erwartete (»Es wird genauso furchtbar werden wie Binny! Wahrscheinlich sogar schlimmer!«). Und Lavinia entsorgte die aufmerksamen Nachrichten, die sie gemeinsam mit wunderschön verpackten Paketen voller Süßigkeiten und Kuchen von ihrer Stiefmutter Patricia bekam, damit Küken sie nicht zu sehen bekam.

Daisy dagegen behandelte das Thema natürlich in typischer Daisy-Manier. Sie war die Einzige von uns, die tatsächlich die meiste Zeit vergaß, dass Küken überhaupt eine Mutter hatte. Sie stürzte sich wieder in Lacrosse und Reiten und mogelte voller Hingabe einfallsreiche Fehler in ihre Aufsätze – und sie legte sich erneut mächtig ins Zeug, unseren Kleinkrieg mit dem anderen Schlafsaal anzufeuern, vor allem mit Amina El Maghrabi.

Zuerst war ich darüber ziemlich überrascht. Immerhin hatten wir nach den Ereignissen des vergangenen Sommers mit Amina Freundschaft geschlossen, hatte ich zumindest angenommen – und Amina war zu uns auch freundlich. Sie winkte uns auf dem Flur, sie plauderte mit uns beim Abendessen und sie wartete auf uns, damit wir gemeinsam zum Wohnheim laufen konnten. Gezwungenermaßen bedeutete das, dass wir automatisch wesentlich mehr Zeit mit Clementine Delacroix verbrachten als je zuvor, und zu meiner Verblüffung stellte ich fest, dass sie gar nicht so schlimm war, wie ich immer angenommen hatte. Außerdem mochte ich Amina sehr – sie war witzig, schlau und mutig. Ich war fest entschlossen, nett zu ihr zu sein, weil ich nur zu gut wusste, wie schwer man es auf der Deepdean hatte, wenn man nicht dem Ideal einer englischen jungen Dame entsprach.

Daher verstand ich einfach nicht, warum Daisy jede von Aminas freundschaftlichen Gesten mit einer Gehässigkeit quittieren musste. Ich ärgerte mich über Daisy, außerdem war es mir peinlich – eines Morgens, drei Wochen nach Schulbeginn, entschuldigte ich mich daher am Frühstückstisch bei Amina, während Daisy uns über eine Scheibe Toast hinweg erdolchende Blicke zuwarf.

»Ach, das macht mir nichts aus«, sagte Amina. »Sie meint es ja nicht so, oder, Daisy?« Sie zwinkerte Daisy zu, während sie sich Marmelade vom Daumen lutschte.

»WOHL KAUM!«, sagte Daisy unsinnigerweise, während ihre Wangen Farbe annahmen.

In diesem Moment hätte ich es begreifen sollen; nur tat ich das nicht.

Es dämmerte mir nicht, als Amina Daisy im Unterricht Zettel zuschob, die Daisy zerfetzte und unter dem Absatz zertrat. Es dämmerte auch nicht, als Amina Daisy fragte, was sie von ihrem Sonntagskleid hielt, und Daisy ihr voller Zornesröte im Gesicht antwortete, dass sie wie eine Vogelscheuche aussehe.

Der Groschen fiel erst, als ich während der fünften Schulwoche mitten in der Nacht aufwachte, weil etwas leise, eigentlich kaum wahrnehmbar, raschelte. Noch vor einem Jahr hätte mich das nicht geweckt, doch inzwischen waren meine Detektivinnensinne schärfer, daher war ich sofort in Alarmbereitschaft. Ich öffnete die Augen sehr vorsichtig und nur einen winzigen Spalt breit, atmete gleichmäßig und langsam weiter und spähte durch meine Wimpern zu Daisy, die in ihrem Bett saß. Flink wie eine Katze schwang sie die Füße zu Boden und setze sie behutsam auf. Eine Detekteibesprechung war nicht angesetzt – es gab gar keinen Fall zu bearbeiten; das Trimester war bisher völlig frei von Verbrechen gewesen. Daher war es mir ein Rätsel, was sie vorhatte. Ich gab acht, vollkommen reglos zu warten, bis sie sich ans Fenster geschlichen hatte, und setzte mich erst auf, als ich hörte, wie der Fensterrahmen quietschend nach oben geschoben wurde, gefolgt von den leisen Geräuschen von Händen und Füßen, die am Regenrohr hinaufkletterten.

Ich stand auf und stahl mich durchs Zimmer – obwohl Daisy es vermutlich nicht zugeben würde, hatte ich gelernt, mich ebenso leise zu bewegen wie sie, sodass keine der anderen aufwachte. Dann stand ich am Fenster. Abwartend sah ich Daisy nach, bis sie hoch über mir aufs Dach verschwand, dann erst streckte ich die Hände aus und kletterte selbst vorsichtig nach oben – auch darin bin ich inzwischen gut.

Schließlich zog ich mich auf das abfallende Dach hinauf. Da war Daisy. Die goldenen Haare unter einer dunklen Stola versteckt, kauerte sie im Schatten der Giebel. Angestrengt schaute sie wie eine Eule um einen runden Schornstein auf etwas auf der anderen Seite. Ich schlich mich hinter sie, hielt den Atem an und setzte sanft wie Seide einen Fuß vor den anderen.

»Hazel«, sagte Daisy, ohne sich umzudrehen. »Was fällt dir eigentlich ein?«

»Woher wusstest du, dass ich es bin?«, zischte ich verdattert. »Und … was machst du überhaupt? Warum schleichst du dich ohne mich weg? Ermittelst du?«

»Psst! Ich weiß immer, wenn du es bist. Du wüsstest doch auch immer, wenn ich es bin, oder nicht?«

Jetzt hatte ich sie erreicht. Ich linste über ihre Schulter, um zu sehen, was sie da inspizierte und –

»Daisy«, sagte ich, »warum beobachtest du Amina?«

Denn dort war Amina. Etwa zwanzig Schritte von uns entfernt lehnte sie im Schneidersitz an einem Dachgiebel und las im Schein einer Taschenlampe ein Buch. Bemerkt hatte sie uns nicht – sie schien vollkommen in ihrer eigenen Welt versunken.

»Sie verhält sich verdächtig«, flüsterte Daisy. »Sie ist eine mögliche Gefahr! Hazel, ich –«

Da begriff ich es: die eine Sache, die ich längst hätte sehen müssen. Allerdings war mir klar, dass ich Daisy nicht damit konfrontieren konnte. Noch nicht.

»Nein, ist sie nicht«, sagte ich. »Sie ist kein bisschen eine Gefahr! Du … du suchst nur zwanghaft nach einem Rätsel, das du dieses Trimester lösen kannst, und weißt, dass es keins gibt.«

Selbstverständlich entsprach dies nicht der Wahrheit.

»Hmpf!«, machte Daisy verärgert. »Aber es könnte eins geben, Hazel! Ständige Wachsamkeit!«

»Ich glaube, in diesem Fall bist du möglicherweise etwas zu wachsam.« Ich staunte selbst über meine Kühnheit – ich triezte Daisy Wells!

»Hazel, das ist nicht witzig. Aber … ach, eins muss ich dir zugestehen, hier gibt es nichts zu tun. Ich brauche nur so dringend eine Ablenkung! Alle sind so trübsinnig.«

»Wegen Kükens Mutter! Nicht alles ist ein faszinierendes Geheimnis, Daisy. Manche Dinge sind einfach nur traurig. Können wir jetzt wieder ins Bett, bevor ich erfriere?« Es war beinahe November und die Nacht war schneidend kalt. Amina hatte eine Decke und Daisy ihre Stola, doch ich trug lediglich meinen ganz normalen Schlafanzug.

»Von mir aus«, sagte Daisy. »Aber … Ach, wenn doch nur etwas Interessantes passieren würde!«

Daher kam es mir wie die Antwort auf all unsere Probleme vor, als Amina einige Tage später nach Latein zu uns trat und sagte: »Meine Eltern haben mir geschrieben. Was haltet ihr davon, Weihnachten in Ägypten zu verbringen?«

Der Tod setzt Segel

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