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Am Abend danach erreichte der Zug meines Vaters und meiner Schwestern Kairo. Wir wollten uns mit ihnen in dem Hotel treffen, in dem sie untergebracht sein würden. Bevor sie ankamen, war ich ehrlich gesagt hin- und hergerissen, gleichzeitig aufgeregt und nervös, sodass mir richtig flau im Magen war. Sie bedeuteten für mich Heimat, doch das letzte Mal, als ich zu Hause gewesen war, das letzte Mal, dass ich sie gesehen hatte, war in Hongkong gewesen, unter Umständen, vor denen es mir noch immer graut. Und da war noch etwas: Seit Hongkong hatten Daisy und ich drei Morde aufgeklärt. Würde mein Vater sich darüber ärgern, dass ich mich erneut darin verwickeln lassen hatte? Dafür, dass ich sein Vertrauen missbraucht hatte, um den Fall in Hongkong zu lösen, hatte er mir vergeben, trotzdem war mir wohl bewusst, dass es ihm nicht gefiel, wenn ich mich mit Verbrechen beschäftigte.

Über all das zerbrach ich mir den Kopf, während wir in der glitzernden goldenen Lobby standen, umringt vom Kommen und Gehen, vom Ab- und Anschwellen der Gäste und umspült von zahlreichen Gesprächswellen. Als ich mich umsah, bemerkte ich unsere Abbilder in einer Reihe zahlreicher Spiegel, ziemlich klein und schäbig (ich zumindest) inmitten all dem Samt, Marmor und Prunk.

Dann wurde ich abrupt aus den Gedanken gerissen, weil Daisy mich hart mit dem Ellbogen in die Rippen stieß.

»Au!«, rief ich. »Daisy!«

»Mach nicht so einen Aufstand, Hazel! Ich habe dich kaum berührt. Schau, da drüben!«

Mit klopfendem Herzen, sollte sie meinen Vater gesichtet haben, drehte ich mich in die Richtung, in die sie zeigte. Doch die Leute, auf die sie deutete, waren eine Gruppe europäischer Männer und Frauen, deren Abendgarderobe und Gesichtsausdrücke mir verrieten, dass es sich höchstwahrscheinlich um Urlauber aus England handelte.

Neugierig musterte ich sie und fragte mich, warum um alles in der Welt Daisy auf sie aufmerksam geworden war. Eine der Frauen, eine große, knochige alte Dame mit einer spitzen Nase, brüllte barsch einen Hotelportier an. Der hob entschuldigend die Hände.

»Hazel«, sagte Daisy. »Weißt du denn nicht, was das für Leute sind?«

»Engländer«, antwortete ich. »Aber abgesehen davon –«

»Hazel, wenn du doch ein Mal die Zeitung lesen würdest! Das ist wirklich ein grässlicher Makel an dir – das habe ich dir schon unzählige Male gesagt. Das dort ist –«

»Es ist die Hauch-des-Lebens-Gesellschaft«, mischte Amina sich unerwartet ein. Als ich zu ihr sah, runzelte sie wütend die Stirn. »Wieder da! Das sind die Leute, von denen ich euch vorhin erzählt habe!«

»Wie meinst du das, wieder da?«, fragte ich. »Wer sind sie? Woher kennst du sie?«

»Sie halten sich für Altägypter«, erklärte Amina im selben Moment, als Daisy sagte: »Sie sind ein absolut fantastischer Kult.«

Amina und Daisy sahen sich abschätzend an, dann sagte Daisy: »Na schön, dann erklär du es ihr.«

»Fast will ich nicht«, meinte Amina. »Sie sind schrecklich. Mama und Baba hassen sie. Sie kommen jedes Jahr nach Kairo und jedes Mal wird es schlimmer. Sie stellen sich an Straßenecken, schwingen Reden darüber, dass sie die alten Pharaonen sind, zu neuem Leben erwacht, und dass wir alle uns ihnen anschließen und sie verehren sollten. Warum die Pharaonen ausgerechnet als Engländer wiedergeboren werden sollten und nicht als Ägypter, können sie selbstverständlich nicht erklären, daher ignorieren wir sie alle. Doch ziemlich viele der Europäer, die in Kairo leben, sind Mitglieder geworden. Die Europäer glauben ja auch, das Alte Ägypten würde ihnen gehören, daher gefällt ihnen, was der Hauch-des-Lebens zu sagen hat.«

»Ja, ja«, mischte Daisy sich ein. »Sie haben haufenweise Geld. Je mehr man spendet, desto wahrscheinlicher ist es nämlich, dass der Hauch-des-Lebens feststellt, dass man in einem früheren Leben ein König oder eine Königin war, und genau das will jeder hören.«

»Jeder?«, wiederholte ich.

»Tja, also ich war in einem früheren Leben eine Königin«, sagte Daisy. »Das liegt auf der Hand. Aber wenn ich wollte, dass der Hauch-des-Lebens mir das bescheinigt, müsste ich ihnen Tausende und Abertausende an Pfund zahlen. Diese Leute da drüben sind die wichtigsten Mitglieder der Gesellschaft, also sind sie natürlich alle Reinkarnationen von Tutanchamun und Kleopatra und so weiter. Angeführt wird die Gesellschaft von einer gewissen Mrs Theodora Miller, die sich für die wiedergeborene Hatschepsut ausgibt – und sich nebenbei für die mächtigste Person im Universum überhaupt hält.«

»Was eine glatte Lüge ist!«, platzte Amina heraus. Vor Zorn wurde sie rot im Gesicht – man sah deutlich, wie sehr sie die Sache ärgerte. »Sie verdrehen alles – an so etwas haben die Alten Ägypter nie geglaubt.«

»Welche ist Theodora Miller?«, fragte ich neugierig, während ich die weiblichen Mitglieder des Hauch-des-Lebens musterte. Sie alle sahen aus wie x-beliebige englische Ladys, denen man in Deepdean begegnen mochte.

»Die kleine Pummelige.« Daisy nickte zu einer kleinen, rundlichen Frau mittleren Alters mit sandfarbenem Haar, die neben der großen, knochigen Dame stand. Ich blinzelte. Mit einer Königin, welcher Art auch immer, hatte sie so gar keine Ähnlichkeit.

Doch dann sagte der Hotelportier etwas, zog nervös den Kopf ein und Theodora Miller richtete sich schlagartig zu ihrer vollen Größe auf, während ihr Busen vor Wut bebte.

»Das ist INAKZEPTABEL! Wissen Sie denn nicht, wer ich bin, Bursche?«, brüllte sie, dass man sie in der gesamten Lobby hören konnte. Da erkannte ich, dass ihre Erscheinung trügerisch war. Diese Frau, so klein sie auch war, war verbissen und furchteinflößend. Ich war fasziniert.

In diesem Augenblick, gerade als ich meine Familie völlig vergessen hatte, wurden die Türen zur Hotellobby von den Portieren geöffnet und meine kleinste Schwester May flitzte herein, schlitterte über den polierten Marmorboden und ruderte vor Aufregung mit den Armen.

Der Hauch-des-Lebens würde warten müssen.

»GROSSE SCHWESTER!«, schrie May, huschte um mehrere erschrockene Hotelgäste in Abendgarderobe herum und stürzte sich auf mich, um sich absolut begeistert an meiner Taille festzuklammern. Ich beugte mich nach unten, um sie zu umarmen – sie duftete nach Reise, Schmutz und May, ein heller Geruch, ein bisschen wie von Orangen –, und sie schaute zu mir hoch und schrie: »Ich bin jetzt SECHS, Große Schwester! SECHS!«

»Du bist schon so groß, Äffchen«, sagte ich lächelnd zu ihr.

»Rose und Vater und Pik An kommen auch, nur sind sie LANGSAM«, erklärte May. »Das Schiff hat so lange gebraucht, Hazel. Rose hat sich gelangweilt, aber Rose ist ja auch langweilig und will immer nur Bücher lesen, also kein Wunder. Ich habe mich gar nicht gelangweilt – ich habe Piratin gespielt und bin über die Brücke gesaust, um sie zu kapern – nur hat mich der Kapitän ausgelacht und mich zum Tee eingeladen. Und dann durfte ich kurz das Schiff steuern!«

Als ich aufblickte, stand da meine mittlere Schwester, Rose, in einem geblümten Reisekleid. Elegant und neugierig wirkte sie. Ihr Haar war sorgsam geflochten und hinter ihr schnaufte unter einem Berg von Koffern ihre Magd Pik An. Sie nickte mir zu und ich winkte ihr. Ich freute mich riesig, sie zu sehen.

»Hazel, du siehst so alt aus, wie eine Erwachsene. Wirklich wahr –«

»Ach, sei still, Äffchen«, sagte ich, gab ihr einen zärtlichen Schubs und fand mich dann auch in Roses Umarmung wieder, die etwas steif ausfiel – oder vielleicht war auch ich diejenige, die schüchtern war. Sie hielt eins ihrer Lieblingsschulgeschichtenbücher in der Hand, das mich pikte, als ich sie drückte.

»Hallo, Wong Fung Ying«, sagte mein Vater. Als ich aufsah, streckte er in einem Nadelstreifenanzug mit glänzend goldenen Manschettenknöpfen seine vertrauten, kantigen Hände mit den dicken Knöcheln nach mir aus.

»Hallo, Vater«, sagte ich, ebenso schüchtern wie Rose.

»Es ist schön, dich zu sehen, Hazel«, sagte mein Vater – und da begriff ich, dass er sich nicht über mich ärgerte, kein bisschen. Im nächsten Moment blieb mir beinahe die Luft weg, als ich an seiner Brust klebte, so fest, wie May mich umarmt hatte.

»Ich habe dich vermisst, Vater«, sagte ich etwas gedämpft.

»Ich dich auf, mein liebes Mädchen«, erwiderte mein Vater – und gleich aus mehreren Gründen bekam ich deswegen ein schrecklich schlechtes Gewissen. »Aber nun erzähl, wie läuft es an der Schule? Bekommst du die bestmöglichen Noten? Soweit ich mich erinnere, hast du im Sommer keine Auszeichnung erhalten, und ich hätte gerne gewusst, warum.«

Und während May uns alle hinaus zu den Wagen schleppte, die darauf warteten, uns zum Abendessen zu den El Maghrabis zu bringen, blickte ich noch einmal zum Hauch-des-Lebens und ging davon aus, sie zum letzten Mal gesehen zu haben.

Selbstverständlich sollte ich mich ordentlich täuschen.

Der Tod setzt Segel

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