Читать книгу Schnee am Strand - Rohan de Rijk - Страница 10
Kapitel 8
ОглавлениеWaterburgh wirkte provinzial. Eingebettet in einer Mulde, umringt von lichten Kiefernwäldern. Der feuchte Nebel hüllte die Stadt regelmäßig in eine watte-graue Schicht und der Sommer trieb die schwüle Luft durch die Straßen. Ein Gürtel aus vornehmen kleinen Häusern umringte das Stadtzentrum.
Genau genommen war Stadtzentrum eine Übertreibung. Eine Straße, die sich über vier Blocks erstreckte, bildete das Herz von Waterburgh. Ihre größte Attraktion war, dass sie aus der Stadt hinaus führte. Gegründet durch einen niederländischen Emigranten wuchs die kleine Stadt nur mäßig, bis die Population sich irgendwann auf 1200 Einwohner einpendelte. Die großen Supermarkt-Ketten machten einen Bogen um Waterburgh und so gab es hier noch die Spezies von Einzelhandelsläden zu bestaunen.
Verließ man Waterburgh auf der Hauptstraße nach Osten, bildeten zwei heruntergekommene Trailer-Parks das Ende des Stadtgebiets. Verwahrloste Hütten und alte Trailer boten ein Bild des ständigen Verfalls. Waterburgh rekrutierte hier seine Hilfskräfte: Regaleinräumer und Burgerbrater.
Mrs. Lewingston wirkte wie geschaffen für ihr kleines viktorianisches Reihenhaus. Sie lebte in einem der wohlhabenden Viertel von Waterburgh. Ihr kleiner drahtiger Körper steckte in einem spitzenbesetzten Stoffkleid, das mit englischen Rosen bedruckt war. Mit ihrem dezenten Goldschmuck und ihrer altertümlichen Hochsteckfrisur wirkte sie, als ob sie in ein falsches Jahrhundert hinein geboren worden war. Es war das Haus ihrer Eltern, das sie jetzt schon fast vier Jahrzehnte ihr Eigen nannte.
Sie hatte das Haus seit dieser Zeit alleine bewohnt. Die große Liebe hatte sie nie gefunden, Mühe hatte Mrs. Lewingston sich auch nicht gegeben diese zu finden. Sie war mit ihrem Leben zufrieden und war der Meinung, je mehr Menschen um sie herum waren, um so mehr erhöhte sich der Faktor Streit und Streit war eines der Dinge, die das Leben so unangenehm rau machten.
Der Westminster-Klang ihrer Türglocke ließ die alte Dame aufschrecken, es dauerte eine Weile, bis sie die arthritischen Gelenke bewegen konnte, mit kleinen bedachten Schritten trippelte sie zur Tür.
»Wir suchen ein Zimmer«, sagte Damian, als die Tür aufging und zeigte auf das blankpolierte Messsingschild, das das Haus als Pension auswies.
»Sicherlich«, Mrs. Lewingston faltete ihre Gicht verknoteten Finger ineinander.
Es entstand eine Pause, auch wenn diese nur wenige Sekunden dauerte, empfand Ashley sie als äußerst unangenehm.
»Haben Sie noch ein Zimmer für uns?«, unterbrach sie schließlich das Schweigen.
»Sicherlich«, antwortet Mrs. Lewingston.
Mit einem Mal bemerkte Ashley die seltsamen Spiegelungen in den Augen der alten Dame. Ihr wurde klar, dass sie versuchte, Damian und Ashley anhand der Stimmen zu analysieren, da sie wohl schlecht oder fast gar nichts mehr sah.
»Sind Sie verheiratet? Wissen Sie, ich vermiete eigentlich nur an junge alleinstehende Damen. Die machen am wenigsten Ärger. Sind Sie verheiratet?«
Damian nickte zögerlich. Er hatte noch nicht bemerkt, dass Mrs. Lewingston ihn nicht richtig erkennen konnte.
»Ja, seit zwei Jahren«, antwortete Ashley in einem heiteren Tonfall und ihre Wangen wurden bei der Lüge von einem leichten Rot überzogen.
»Wie wunderbar. Wenn ich noch einmal so jung wäre wie Sie, würde ich auch heiraten. Aber der Richtige muss einen über den Weg laufen. Bei mir war das ...«, Mrs. Lewingston verstummte. Die wenige Gesellschaft, die sie in ihrem Alter noch pflegte, ließen sie ein wenig übereifert plappern.
»Kommen Sie rein. Ich zeige Ihnen das Zimmer, das ich noch zu vermieten habe.«
Das Zimmer passte zum Haus. Es war altmodisch, aber gemütlich eingerichtet und an Sauberkeit nicht zu übertreffen. Das Bett war breit genug für zwei und die Bettwäsche ähnelte auf frappierende Art und Weise dem Kleid der alten Dame. Die Fensterscheiben waren durch Leisten unterbrochen und führten zu einer wenig befahrenen Straße. Das kleine Badezimmer war mit nostalgische Porzellan und Armaturen ausgestattet und schien wie Mrs. Lewingston aus einer anderen Zeit zu stammen.
Damian und Ashley gefiel das Zimmer. Es ähnelt so wenig den schmierigen Absteigen, in denen sie die letzten Tage mehr gehaust als gelebt hatten.
Sie bezahlten das Zimmer eine Woche im Voraus.
Danach waren sie pleite.
Damians Kreditkarte blieb unbenutzt in seiner Geldbörse. Zu groß die Gefahr, dass sie mit dem Autodiebstahl und der Prügelei mit dem Motelbesitzer in Zusammenhang gebracht werden konnte. Dass dies auf einem großen Zufall beruhen musste, war Damian klar, aber er wollte die Chance, dass dies passiert, kleinhalten.
So mussten Damian und Ashley sich in Waterburgh nach einem Job umsehen. Die meisten Geschäfte wiesen sie ab, sie verließen sich lieber auf die Einheimischen, auch wenn diese aus den Trailerparks am Rande der Stadt kamen.
Neben dem »Cunt Temple - Bar & Burlesque«, einer Striptease-Bar mit riesigen Parkplatz, stand das einzige Diner von Waterburgh mit dem wenig einfallsreichen Namen »Waterburgh Diner«. Er war im klassischen Stil gehalten, der schon in die Jahre gekommen war. Nachts feierte die Neon-Reklame ihren eigenen Abgesang. Die Röhren der Buchstaben »n« und »r« waren seit Ewigkeiten kaputt und orakelten unbeabsichtigt das nahende Ende der Stadt.
Die Einrichtung des Diners war verschlissen, aber da die meisten Gäste aus der Gegend kamen, waren sie mit dem Diner gealtert und hatten weder die eigene noch die Veränderung des »Waterburgh Diner« wahrgenommen.
Damian öffnete eine der Flügeltüren und ließ Ashley den Vortritt. Der Gestank von altem Fett, Kaffee und ungewaschenen Gästen schlug ihnen entgegen. Die Luft schien eine andere Atmosphäre zu besitzen. Dicht, so dass die Geräusche einen eigenartigen Klang bekamen.
Aus einem billigen Radio krächzte Countrymusik. Die Gespräche waren verstummt. Neue wurden in Waterburgh immer genau unter die Lupe genommen, besonders wenn sie so jung wie Damian und Ashley waren.
Normalerweise zogen die jungen Leute weg von Waterburgh, in die Großstadt, dort wo das Leben pulsierte. Hier in Waterburgh blieben nur die Alten zurück, um der Stadt beim Sterben zuzusehen.
»Was darf es sein Fremder?« Ein dicklicher Mann mit Fett bespritzter Kleidung trat durch die Schwingtür, beäugte sie mit einem gewissen Misstrauen und rieb sich seine schaufelgroßen Hände an einem dreckigen Handtuch trocken.