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Die Wheaton Erklärung 1966
ОглавлениеJe mehr sich die Ökumeniker einem humanistischen Ziel der Mission verpflichtet fühlten, desto stärker begannen die Evangelikalen, eine Alternative zu entwickeln. Sie wollten das traditionelle Missionsverständnis beibehalten, es gleichzeitig aber mit den Herausforderungen der modernen Welt in Verbindung bringen. Zu diesem Zweck, und um die evangelikal gesinnten Kräfte zu bündeln, begannen sie, eigene Missionskonferenzen abzuhalten.
Vom 9. bis 16. April 1966 versammelten sich 938 Delegierte aus 71 Nationen in Wheaton, Illinois, um über die Aufgabe der Kirche in der Welt nachzudenken. Angesichts der Entwicklung in der ökumenischen Bewegung hin zu einem sozialen Evangelium, stand die Frage nach dem Verhältnis von Verkündigung und sozialer Verantwortung als ungelöste Frage im Raum. Die Delegierten in Wheaton räumten der Evangelisation Vorrang vor der sozialen Verantwortung ein und setzten damit einen Parameter, der über die Jahrtausendwende hinaus Gültigkeit haben sollte.62 Gleichzeitig wurde bedauert, dass sich die Evangelikalen zu wenig um soziale Fragen gekümmert hatten. In der Wheaton-Erklärung heißt es:
Wir haben schwer gesündigt. Wir haben uns einer unbiblischen Isolation von der Welt schuldig gemacht, die uns nur allzuoft davon abhält, ihren Anliegen offen ins Auge zu sehen und sie anzugehen (…) Während die Evangelikalen im 18. und 19. Jahrhundert führend waren in der sozialen Verantwortung, haben im 20. Jahrhundert viele die biblische Perspektive verloren und sich ausschließlich auf die Verkündigung eines Evangeliums der individuellen Erlösung beschränkt, ohne ausreichend ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen. Als der theologische Liberalismus und der Humanismus in die protestantischen Kirchen eindrangen und ein „soziales Evangelium“ proklamierten, wuchs unter den Evangelikalen die Überzeugung, es bestünde ein Gegensatz zwischen sozialer Aktion und der Verkündigung des Evangeliums. Heute hingegen sind die Evangelikalen zunehmend davon überzeugt, dass sie sich in die großen sozialen Probleme involvieren müssen, denen wir gegenüberstehen. Sie kümmern sich um die Bedürfnisse des ganzen Menschen wegen des Vorbilds ihres Herrn, seiner sie drängenden Liebe, ihrer Verbundenheit mit der menschlichen Rasse und der Herausforderung ihres evangelikalen Erbes. Evangelikale suchen in der Schrift nach Anleitung, was zu tun ist und wie weit sie gehen sollten, um ihre soziale Verantwortung auszuleben, ohne die Priorität der Verkündigung des Evangeliums der individuellen Erlösung einzuschränken.63
Die Wheaton-Erklärung macht deutlich, dass das soziale Gewissen der Evangelikalen aus seinem Tiefschlaf erwacht war. Dieser Umstand war einerseits auf die Herausforderung zurückzuführen, welche der missionstheologische Kurs der Genfer Ökumene darstellte. Anderseits waren es evangelikale Theologen aus der Zwei-Drittel-Welt, welche eine positive Einstellung zur sozialen Verantwortung einforderten.64 In Wheaton wurde ein vorsichtiger Anfang in der Aufnahme der sozialen Frage gemacht, doch „eine theologische Integration der sozialen Verpflichtung in den Missionsauftrag war in Wheaton noch nicht in Sicht“.65 Dennoch war Wheaton bedeutsam:
Wheaton ist bedeutsam durch die Tatsache, dass hier erstmals die sonst mehr auf Abgrenzung bemühten Evangelikalen in einem Kongress zusammenkommen und eine gemeinsame Erklärung zu den Fragen der Weltmission verabschieden, dass sie damit den Anschluss an die theologische und methodische Reflexion der Mission suchen, dass sie erstmals die sozialen Nöte und deren Bedeutung in der Mission ansprechen (…) und dass man sich von der seit 1961 in der Ökumene gängigen sichtbaren und universalen Interpretation der Heilsgeschichte distanzierte.66