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Unterschiedliche Lesarten

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Willingen wird mitunter als „kopernikanische Wende“ in der Missionstheologie bezeichnet.98 Dieser Ausdruck scheint mir hoch gegriffen, auch wenn von Willingen als einer „der theologisch fruchtbarsten Konferenzen“ gesprochen werden kann.99 Entscheidend war, dass das Konzept der Missio Dei die christliche Mission im Wesen Gottes verankerte. Mit dieser Verankerung wurde die westlich angeführte Mission theologisch ihres Überlegenheitsgefühls beraubt, weil sie ihre Existenz nicht mehr mit ihren Erfolgen begründen konnte, sondern der Grund der Mission außerhalb ihrer selbst, nämlich in Gott, lag.100

Die Missio Dei entfaltete eine beträchtliche Wirkungsgeschichte.101 Nach Willingen wurden in der ökumenischen Mission das verheißungsgeschichtliche und das trinitarische Missionsmodell zu einem „neuen“ Missionsverständnis mit humanistischem Programm verschmolzen. Man war nun nicht mehr, wie im heilsgeschichtlichen Modell, auf das kommende Reich ausgerichtet. Es ging jetzt darum, dem Reich Gottes auf Erden zum Durchbruch zu verhelfen. Die Mittel dazu waren nicht mehr die Verkündigung des Evangeliums, sondern der interreligiöse Dialog und der politische Kampf.102 Neuere ökumenische Missionserklärungen gehen wie selbstverständlich von der Missio Dei aus.103 Allerdings wird diese nicht mehr so radikal interpretiert wie in den 1960er- und 70er-Jahren. So versuchte das Dokument Mission und Evangelisation – eine ökumenische Erklärung aus dem Jahr 1982 ein neues Gleichgewicht zwischen Verkündigung und Verantwortung in der Welt zu erreichen.104

Die evangelikale Leseart der Missio Dei unterscheidet sich bis heute wesentlich von der ökumenischen. Hier entwickelte sich die Missionstheologie erst einmal ganz im Rahmen des heilsgeschichtlichen Modells, wie Walter Freytag und Karl Hartenstein es vertraten. Die Missio Dei – sowohl als Begriff als auch der Sache nach – spielte in der evangelikalen Bewegung bis zur Jahrtausendwende keine wesentliche Rolle. Das zeigt sich an den großen evangelikalen Missionserklärungen:105

In der Lausanner Verpflichtung (1974) ist in Artikel 1 vom Plan Gottes die Rede. Gott „hat sein Volk aus der Welt herausgerufen und sendet es zurück in die Welt, damit sie seine Diener und Zeugen sind.“ Im Zentrum des Artikels steht der sendende Gott, der die Kirche zum Zeugendienst beruft. Eine Begründung der Mission aus dem Wesen Gottes kommt nicht ins Blickfeld. Artikel 15 verortet die Mission in der Eschatologie und stellt sich damit in die Tradition des heilsgeschichtlichen Modells von Walter Freytag und Karl Hartenstein.

Im Manila Manifest (1989) wird der missionarische Auftrag der Kirche umfassend begründet und entfaltet. Absatz 5 mit der Überschrift „Gott, der Evangelist“ beginnt mit den Worten: „Die Schrift erklärt, dass Gott selbst der eigentliche Evangelist ist.“ 106 Es wird festgehalten, dass Evangelisation ohne den Heiligen Geist nicht möglich ist. Mehr ist in dem Absatz und im ganzen übrigen Manifest nicht in Erfahrung zu bringen. Eine systematische Einfügung der Missio Dei in den Missionsauftrag ist nicht vorhanden.

In der Kapstadt-Verpflichtung (2010) wird erstmals in einer repräsentativen evangelikalen Missionserklärung die Sendung der Kirche in der Missio Dei verankert. Die missionarische Aufgabe wird als Dienst an der Welt definiert, und dieser Dienst ist möglich, weil Gott uns zuerst geliebt hat.107

Erst in den neuesten evangelikalen Versuchen, ein missionales Verständnis von Kirche und Mission zu entwickeln, wird auf die Missio Dei zurückgegriffen. So entfaltet der Missionswissenschaftler und Gemeindegründer Johannes Reimer den Gemeindebau trinitarisch und schreibt der Missio Dei eine wichtige Grundfunktion zu. Er nimmt den ökumenischen Gedanken der Missio Dei auf, der besagt, dass Gott sich in seiner Liebe der Welt zuwendet: „Es geht Gott um die Welt, und um seine geliebte Welt zu gewinnen, bedient er sich der Gemeinde. Sie ist daher Gottes Missionsinstrument und von ihrem Wesen her missionarisch.“ 108 Der heilsgeschichtliche Ansatz einerseits und die verheißungsgeschichtlichen und trinitarischen Ansätze anderseits vereinen sich bei Reimer zu einer missionalen Theologie evangelikaler Leseart, die auf theologische Abschottung verzichtet.109

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