Читать книгу Harzhunde - Roland Lange - Страница 14
Оглавление9. Kapitel
Blume begab sich auf den Weg, als die Sonne tief am westlichen Horizont stand. Die Regenfront war abgezogen, der Wetterbericht versprach eine sternenklare Nacht. Morgen sollte es wieder nass werden.
Er hatte nur kurz mit Katja sprechen können und sie über seinen Plan informiert. In einem Rucksack hatte er etwas Proviant dabei – man wusste nie, was einen erwartete, und die Stunden, irgendwo da draußen versteckt, konnten lang werden. Eine olivgrüne, wasserdichte Plane, unter der er in der Dunkelheit im Wald oder im freien Gelände nahezu mit seiner Umgebung verschmolz, lag ebenso im Kofferraum wie seine Kameraausrüstung mit den hoch lichtempfindlichen Teleobjektiven. Ehe er zu dem Schafbauern hinausfuhr und sich einen geeigneten Beobachtungsposten suchte, wollte er aber einen Abstecher zu seinem Ex-Kunden Martin Kullmann machen. Er musste etwas mit dem Mann klären. Ihm nur ein, zwei kurze Fragen stellen.
Kullmann empfing ihn, wie bei seinem letzten Besuch, auf dem Podest vor der Tür zu seiner Villa. Aus Blumes Perspektive, unten am Fuß der Stufen, die zu der Plattform hinaufführten, wirkte der Mann wie ein Landadliger, der den Blick auf seinen Besitztümern ruhen ließ. Jemand, der es gewohnt war zu herrschen und der über alle Niederungen des Lebens erhaben schien. Ein Eindruck, von dem sich Blume nicht täuschen ließ und der sich in dem Moment relativierte, als er die letzte Stufe erklommen hatte und dem Hausherrn auf Augenhöhe gegenüberstand.
„Guten Abend, Herr Blume. Was für eine Überraschung!“, begrüßte Kullmann ihn leutselig. „Was führt Sie zu mir? Ich dachte nicht, dass ich Sie so schnell wiedersehe, nachdem Sie Ihren Job erledigt hatten.“
„Da geht es Ihnen wie mir“, erwiderte Blume, „aber es gibt etwas, das ich geklärt haben möchte, ehe ich diesen Auftrag endgültig abschließen kann.“
„Ach, wirklich?“, entgegnete Kullmann erstaunt. „Und wie kann ich Ihnen dabei helfen?“ Etwas Lauerndes lag in den Augen des Mannes, stellte Blume fest, mehr als nur höfliche Neugier. Der unerwartete Besuch passte ihm nicht. Er machte keine Anstalten, seinen Gast ins Haus zu bitten.
„Dr. Dreyling wird gesucht. Sie haben vermutlich schon von der Vermisstenanzeige gehört oder gelesen.“
Kullmann lächelte herablassend. „Ach das ... ja, ja, natürlich weiß ich davon. Man hat ja heutzutage kaum eine Möglichkeit, sich gegen die Nachrichtenflut zu wehren.“
„Und, was sagen Sie dazu? Hat es Sie nicht überrascht, dass ausgerechnet der Liebhaber Ihrer Frau vermisst gemeldet wurde?“
„Überrascht? Nein. Ich war eher amüsiert. Ein kleiner Feigling, dieser Seelenklempner. Einer, der sich klammheimlich aus dem Staub macht. Der sich nicht traut, seinen Angehörigen eine Nachricht zu hinterlassen. Sandra hatte wenigstens den Mumm, mir reinen Wein einzuschenken, wenn auch nicht von Angesicht zu Angesicht.“
„Dr. Dreyling ist Single. Er hat keine eigene Familie.“
„Ah ...“ Kullmann zog in gespielter Verwunderung die Augenbrauen hoch. „Wer vermisst ihn dann? Mama und Papa?“
„Zu seinen Eltern hat er kaum Kontakt. Die Anzeige wurde von seinen Kolleginnen aus der Praxis aufgegeben.“
„Seine Kolleginnen? Ach! Tja ... das ist aber auch zu dumm, wenn der Hahn im Korb plötzlich ausgeflogen ist ohne jedes Kikeriki.“ Kullmann kicherte amüsiert in sich hinein. Sekunden später wurde er wieder ernst. „Nur zu Ihrer Information, Herr Blume: Es ist mir herzlich egal, ob dieser Mann von irgendjemandem vermisst wird. Das werden Sie verstehen. Aber ich bin ein anständiger Bürger und helfe der Polizei, wenn ich kann.“
„Helfen? Womit?“
„Ich habe auf dem Revier angerufen und gemeldet, dass dieser Dreyling mit meiner Frau durchgebrannt ist. Ich habe ihnen gesagt, dass sie sich eine Suchaktion sparen können.“
„Warum das?“, wunderte sich Blume.
„Ich möchte, dass unsere Polizei Verbrecher jagt, anstatt meine Steuergelder zu verplempern. Was anderes wäre es nicht gewesen, wenn sie nach einem Mann gesucht hätten, der mit meiner Frau längst außer Landes ist, um mit ihr unter Palmen auf Dolce Vita zu machen.“
„Das ehrt Sie, dass Sie so freimütig zur Aufklärung beitragen“, entgegnete Blume etwas befremdet. „Es ist ja doch eher eine ... hm, eine intime Angelegenheit, wenn einen die Ehefrau betrügt. Peinlich, das anderen gegenüber einzugestehen.“
Kullmann starrte ihn mit kalten Augen an. „Wissen Sie, Herr Blume, ich bin nicht der Mann, der sich heulend wie ein geprügelter Hund hinter dem Ofen verkriecht. Ich sehe den Tatsachen nüchtern ins Auge. Wenn sich nichts daran ändern lässt, akzeptiere ich die Dinge, wie sie sind. Man kann nicht immer gewinnen. Manchmal verliert man eben. So läuft das Spiel. Meine Frau hat mich verlassen, ja. Sie hat mich betrogen, vielleicht auch lächerlich gemacht, ja. Aber das haut mich nicht um. Ich kann jedermann sagen, wie es ist. Ich muss niemandem Lügengeschichten auftischen.“
Blume hatte Kullmann zugehört und war dabei seinem Blick nicht ausgewichen. Große Worte aus dem Munde eines Mannes, den scheinbar nichts aus der Bahn bringen konnte. Und doch – seine Augen sprachen eine andere Sprache. In ihnen loderten Wut und Hass. Kullmann war tief verletzt und gedemütigt worden. Kullmann war es nicht gewohnt zu verlieren. Die Trennung selbst war dabei vermutlich gar nicht das Problem. Aber nicht er hatte den entscheidenden Schritt getan! Seine Frau hatte die Initiative ergriffen und ihn verlassen. Wenn überhaupt, dann hätte es nach seinem Verständnis anders herum sein müssen!
„Das ist mutig“, sagte er, fragte sich aber im selben Moment, welche Beweggründe Kullmann in Wahrheit gehabt haben mochte, die Polizei zu informieren. Er entschied, dem Mann vorerst nichts von dem Stück grell gemusterten Leinenstoff zu erzählen. Stattdessen fragte er: „Wie ist Ihre Frau eigentlich unterwegs?“
„Wie, unterwegs? Was meinen Sie?“
„Welches Verkehrsmittel. Hat sie den Bus genommen? Ein Taxi? Ihr Auto?“
„Ihr Auto natürlich! Was für eine Frage!“ Kullmann schüttelte verständnislos den Kopf.
„Ihr Auto ist also nicht mehr da?“
„Nein! Warum wollen Sie das wissen? Spielt das eine Rolle?“
„Schon möglich“, antwortete Blume. „Es ist merkwürdig, dass die zwei in dem kleinen Roadster Ihrer Frau gefahren sein sollen, während der große SUV von Dr. Dreyling unter dessen Carport steht. Überlegen Sie mal, das ganze Gepäck, was sie vermutlich dabeihatten. Ihre Frau hat Sie doch sicher nicht ohne mindestens einen großen Koffer voll Kleidung verlassen.“
„Nein, hat sie nicht! Ihr Kleiderschrank ist leer.“ Kullmann wirkte verunsichert. „Vielleicht hat sie ihr Gepäck mit einem Kurierdienst vorausgeschickt. Zum Flughafen. Es gibt tausend Erklärungen. Verdammt, ich will es gar nicht so genau wissen!“
„Bei Dr. Dreyling in der Wohnung fehlt kein einziges Kleidungsstück“, fuhr Blume ungerührt fort. „Nichts deutet darauf hin, dass er eine längere Reise antreten oder sogar für immer verschwinden wollte. Komisch, finden Sie nicht?“
„Herrgott, was weiß denn ich, was im Kopf dieses Herrn vorgegangen ist, als er das zusammen mit Sandra geplant hat!“, platzte es aus Kullmann heraus. Er war jetzt doch nahe daran, die Beherrschung zu verlieren. „Was interessiert Sie das überhaupt alles, Herr Blume? Und wieso kommen Sie damit ausgerechnet zu mir?“
„Ich hatte gehofft, Sie könnten mir ein paar plausible Erklärungen liefern. Immerhin geht es um die Frau, die ich für Sie überwacht habe. Ihre Frau! Wie ich schon sagte, ich kann einen Auftrag erst abschließen, wenn ich Antworten auf alle offenen Fragen habe.“
Kullmann schnaubte genervt. „Es sind Ihre offenen Fragen, nicht meine! Für mich ist alles klar“, presste er hervor. „Tut mir leid, wenn ich Ihnen nicht die gewünschten Auskünfte geben konnte. War es das jetzt?“
„Ja, vielen Dank. Und entschuldigen Sie, wenn ich Sie gestört habe. Auf Wiedersehen.“
Kullmann ignorierte die hingehaltene Hand, nickte nur kurz. Damit wandte er sich ab und stapfte ins Haus. Blume ließ er stehen.